Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.03.2022, Az.: 4 LB 20/19

Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei Flucht aus Heimatland (Ruanda) wegen persönlicher Verfolgung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.03.2022
Aktenzeichen
4 LB 20/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 18809
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 06.08.2018

Fundstelle

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein beachtlicher (subjektiver) Nachfluchttatbestand zugunsten eines ruandischen Staatsangehörigen allein wegen seiner Ausreise aus Ruanda, des Stellens eines Asylantrags bzw. der Beantragung internationalen Schutzes und des Aufenthalts im Ausland besteht nach dem Ergebnis der Gesamtschau der zu Ruanda vorliegenden Erkenntnismittel nicht.

  2. 2.

    Die beachtliche Wahrscheinlichkeit bzw. tatsächliche Gefahr ( real risk ) einer Verfolgung bei einer Rückkehr kann allerdings dann bestehen, wenn im Zusammenhang mit dem Asylgesuch weitere Umstände vorliegen, die den ruandischen Behörden zur Kenntnis gelangen und Anknüpfungspunkt für die Unterstellung einer regimekritischen Haltung durch staatliche Stellen Ruandas sein können. Derartige Anhaltspunkte können in einer exilpolitischen Tätigkeit des Asylbewerbers, in der Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei oder in regimekritischen Äußerungen sowohl im öffentlichen oder privaten Umfeld liegen.

Amtlicher Leitsatz

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 6. August 2018 geändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in der Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, durch welches sie verpflichtet worden ist, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die am ..... 19.. im G. geborene Klägerin ist ruandische Staatsangehörige vom Volk der Tutsi. Sie ist Christin katholischer Glaubensrichtung. Sie reiste mit einem vom belgischen Konsulat in Kigali im Dezember 2014 ausgestellten, 30 Tage gültigen Visum über Belgien und Dänemark in das Bundesgebiet am 9. Juni 2015 ein. Sie stellte am 22. Juni 2015 einen Asylantrag und legte einen ruandischen Personalausweis vor.

In der Anhörung durch das Bundesamt der Beklagten am 1. August 2017 trug die Klägerin vor, im G. geboren und aufgewachsen zu sein. Nach dem Ende des ruandischen Bürgerkriegs sei sie mit ihren älteren Geschwistern 1994 nach Ruanda gegangen und habe dort das Abitur gemacht. Von 2007 bis 2009 habe sie in Burkina Faso studiert (H.) und sei im Anschluss daran nach Ruanda zurückgekehrt. Dort habe sie zunächst im Bereich I. bei einer J. gearbeitet und sich 2012 mit einem Laden selbständig gemacht. Sie habe eine Schneiderei gehabt und Stoffe verkauft. Das Land habe sie im Dezember 2014 verlassen. Sie habe Ruanda aus Furcht vor einem ehemaligen Lebensgefährten namens "K." verlassen, der beim ruandischen Geheimdienst gearbeitet habe. Ein Freund von ihr, ein Arzt in Kigali, sei im Februar 2013 von Unbekannten überfallen worden. Die unbekannten Angreifer hätten gedroht, ihr Freund und sie würden sterben, wenn sie sich weiterhin treffen würden. "K." sei nicht unter den Angreifern gewesen, sie vermute aber, dass er den Angriff veranlasst habe. Etwa im April 2013 habe sie sich dann von "K." getrennt. Durch ihre Arbeit habe sie viele Leute kennengelernt, unter anderem den Sänger Mihigo Kizito. Wegen der Freundschaft zu diesem Sänger habe "K." ihr ebenfalls gedroht. Sie habe daraufhin Angst bekommen und keine Freunde mehr getroffen, sei aber wie gewohnt weiter zur Arbeit gegangen. Sie habe zunehmend Probleme bekommen und vermehrt Strafen wegen angeblicher Vergehen wie z.B. der Nichtbefolgung von Ladenschlussverpflichtungen und Nichtteilnahme an Treffen der Front Patriotique Rwandais (FPR) zahlen müssen. Sie vermute, dass ihr ehemaliger Lebensgefährte "K." Verbindungen zur Verwaltung gehabt und die Verfahren gegen sie angestoßen habe. Sie sei weiterhin von "K." bedroht worden und deshalb zu ihrer Schwester gezogen. Im Februar 2014 habe "K." sie in seine Gewalt und zu sich nach Hause gebracht, ihr dort eine süße Flüssigkeit verabreicht, so dass sie bewusstlos geworden sei. Sie sei mit Schmerzen am nächsten Tag aufgewacht und glaube, dass "K." sie vergewaltigt habe. Im April 2014 sei dann der Sänger Mihigo Kizito festgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sie eine Beziehung zu ihm gehabt. "K." habe immer wieder angerufen und ihr vorgeworfen, mit Terroristen zusammengearbeitet zu haben. Aus Angst, spurlos zu verschwinden, habe sie dann Ende Oktober/Anfang November 2014 den Entschluss gefasst, Ruanda zu verlassen.

Durch Bescheid vom 7. Dezember 2017 lehnte die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids), die Anerkennung von Asyl (Nr. 2) sowie die Zuerkennung subsidiären Schutzes (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Beklagte forderte die Klägerin unter Androhung der Abschiebung nach Ruanda zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids, im Fall einer Klageerhebung nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf (Nr. 5) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 6).

Gegen den am 11. Dezember 2017 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 27. Dezember 2017 Klage erhoben.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2017 zu den Ziffern 1) sowie 3) bis 6) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise ihr subsidiären Schutz zu gewähren,

weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Ruanda vorliegen.

Die Beklagte hat schriftlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht unter Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheids die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Klägerin habe im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da ihr im Falle einer freiwilligen oder zwangsweisen Rückkehr nach Ruanda mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 AsylG unterfallende Rechtsverletzungen drohten. Das Gericht gehe in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Mehrheit der zu Ruanda an verschiedene Verwaltungsgerichte erstatteten Auskünfte zusammengefasst davon aus, dass die ruandische Regierung in besonderer Weise um ein positives Bild des Landes in den Augen der Weltöffentlichkeit besorgt sei und von den Staatsangehörigen Ruandas erwartet werde, sich dieses Anliegen zu eigen zu machen und sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen, während zugleich innerstaatliche Kritik oder Opposition unterdrückt würden; dass die ruandische Regierung im Rahmen dieser Politik das Stellen von Asylanträgen im Ausland durch Einwohner generell als dem Ruf Ruandas in der Welt abträglich und konkret als Ablehnung des Ruandischen Staates durch den Antragsteller betrachte; dass die Regierung mit dehnbaren Straftatbeständen ein erhebliches Sanktionspotential für politisch abweichende Ansichten geschaffen habe und durch einen hierarchischen Aufbau von Verwaltung und Regierungspartei zu kleinräumiger Überwachung in der Lage sei; dass die ruandische Regierung Einschüchterung, Gewalt und Freiheitsentziehungen bei der Unterdrückung jeglicher Opposition willkürlich und ohne effektive justizielle Kontrolle einsetze und im Ergebnis abgelehnte und abgeschobene Asylbewerber bei ihrer Befragung durch die Sicherheitsbehörden mit hinreichender Sicherheit Gefahr laufen, unabhängig vom Wahrheitsgehalt solcher Vorwürfe mit oppositionellen Bestrebungen in Verbindung gebracht und entsprechend behandelt zu werden, ohne dass ihnen effektiver (Rechts-) Schutz zur Seite stehe.

Gegen das ihr am 17. August 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. September 2018 die Zulassung der Berufung beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Erkenntnismittel - insbesondere der Stellungnahme des Dr. Hankel an das Verwaltungsgericht Oldenburg vom 10. August 2013, der Auskunft von Amnesty International an das Verwaltungsgericht Hannover vom 29. Januar 2014, der Auskunft des GIGA-Instituts an das Verwaltungsgericht Hannover vom 25. Juli 2013, dem Jahresbericht zu Ruanda von Amnesty International von 2018 und dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26. Februar 2018 - den Schluss zuließen, dass - anders als es das Verwaltungsgericht angenommen hat - nicht alle Rückkehrer nach erfolgter Asylantragstellung mit einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung zu rechnen hätten, sondern dass ruandische Behörden ein besonderes Augenmerk auf politisch aktive Staatsbürger legten und nicht jedem aus dem Ausland zurückkehrenden Asylbewerber eine oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde.

Durch Beschluss vom 18. Januar 2019 - 4 LA 191/18 - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zugelassen.

Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2019 hat die Beklagte die Berufung begründet und sich hierzu insbesondere auf ihre Ausführungen in dem Bescheid vom 7. Dezember 2017, den Zulassungsantrag vom 14. September 2018 und den Senatsbeschluss vom 18. Januar 2019 bezogen.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Die zu Ruanda vorliegenden Erkenntnisse, gerade auch die jüngsten Berichte, ließen erkennen, dass die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts zutreffend seien.

Der Senat hat durch Beschluss des Berichterstatters vom 23. Dezember 2021 - 4 LB 20/19 - Beweis erhoben zur Gefährdung ruandischer Staatsbürger bei einer Rückkehr nach Ruanda nach mehrjährigem Aufenthalt im westlichen Ausland und erfolgter Asylantragstellung durch Einholung einer sachverständigen Stellungnahme der Gutachterin Frau Dr. Bognitz vom LOST Research Network Johannesburg, South Africa. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die sachverständige Stellungnahme von Frau Dr. Bognitz vom 9. Februar 2022 und das Ergebnis ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2022 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

I. Die Berufung ist zulässig.

Die Berufungsbegründung vom 23. Januar 2019 genügt den inhaltlichen Mindestanforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 4 VwGO. Danach muss die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung. Eine Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen im Begründungsschriftsatz ist zulässig und kann - je nach den Umständen des Einzelfalles - für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung ausreichen, sofern der Zulassungsantrag den inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung genügt, ihm mithin eindeutig zu entnehmen ist, dass und weshalb das erstinstanzliche Urteil angefochten wird (BVerwG, Beschl. v. 12.4.2021 - 1 B 18.21 -, juris Rn. 5 und Beschl. v. 14.2.2018 - 1 B 1.18 -, juris 5; vgl. ferner 10. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 23.12.2020 - 10 LB 195/20 -, juris Rn. 10). Dies ist hier der Fall. Denn in dem von ihr in Bezug genommenen Zulassungsantrag hat die Beklagte unter Auseinandersetzung mit den zu Ruanda vorliegenden Erkenntnismitteln hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen die entscheidungserhebliche Tatsachenfrage, "ob die ruandische Regierung das Stellen von Asylanträgen im Ausland durch Einwohner Ruandas generell als dem Ruf Ruandas in der Welt abträglich und als Ablehnung des ruandischen Staates durch den Asylantragsteller betrachtet und ob zurückkehrenden bzw. nach Ruanda rückgeführten Asylantragstellern somit eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, die bei Rückkehr zu einer politischen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG führt und zu Eingriffen im Sinne des § 3 a Abs. 1 und 2 AsylG durch die ruandische Regierung" nach ihrer Ansicht anders als vom Verwaltungsgericht vorgenommen zu beantworten sei. Mit der Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Dezember 2017 wird zudem hinreichend deutlich, aus welchen Gründen die Klage nach Auffassung der Beklagten auch im Übrigen abzuweisen sei.

II. Die Berufung ist auch begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Klägerin hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG (1.).

Die Klage ist auch im Übrigen unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 1 AsylG (2.). Es liegt auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland Ruanda nicht vor (3.). Die Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Dauer des Aufenthalts- und Einreiseverbots sind rechtmäßig (4. und 5.).

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG.

a. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a)) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b)) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem die folgenden Handlungen gelten: (1.) die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, (2.) gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden oder (3.) eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung. Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann (1.) der Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Eine nähere Umschreibung der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, deren Vorliegen zu prüfen ist, enthält § 3b Abs. 1 AsylG. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG).

Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten und in Verbindung mit § 3b AsylG konkretisierten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung in diesem Sinne "wegen" eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein. Für eine derartige "Verknüpfung" reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Ein bestimmter Verfolgungsgrund muss nicht die zentrale Motivation oder alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme sein; indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nicht den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 13; Urt. v. 22.5.2019 - 1 C 10.18 -, juris Rn. 16 und Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 13).

Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ("real risk") abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (ständige Rspr.; vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 22; Urt. v. 1.3.2012 - 10 C 7.11 -, juris Rn. 12; Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 32; Beschl. v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 -, juris Rn. 8; Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 14 und Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 15). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bedingt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer "qualifizierenden" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU neben sämtlichen mit dem Herkunftsland verbundenen, zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevanten Tatsachen unter anderem die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen sowie seine individuelle Lage und die persönlichen Umstände zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 15 m. w. N.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19 -, juris Rn. 23, 31). Entscheidend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 15; Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 14 und Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 32). Damit kommt dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit maßgebliche Bedeutung zu (BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 14).

Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die tatsächliche Gefahr ("real risk") einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit; sie bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist (BVerwG, Beschl. v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris Rn. 37 und Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 15).

Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Vorverfolgte werden nach den unionsrechtlichen Vorgaben nicht über einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, sondern über die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Danach besteht bei ihnen eine tatsächliche Vermutung, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist. Diese Vermutung kann widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass ihnen erneut eine derartige Verfolgung droht (BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 22 zur inhaltsgleichen Regelung in Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83/EG und Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 16).

Bei der gebotenen Prognose, ob die Furcht des Ausländers vor Verfolgung im Rechtssinne begründet ist, ihm also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist es Aufgabe des Gerichts, die gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigenden Prognosetatsachen zu ermitteln, diese im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten und sich auf dieser Grundlage gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung zu bilden. Hierbei ist für das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung maßgeblich (BVerwG, Urt. v. 17.6.2020 - 1 C 35.19 -, juris Rn. 9). Die Überzeugungsgewissheit gilt nicht nur in Bezug auf das Vorbringen des Schutzsuchenden zu den seiner persönlichen Sphäre zuzurechnenden Vorgängen, sondern auch hinsichtlich der in die Gefahrenprognose einzustellenden allgemeinen Erkenntnisse. Diese ergeben sich vor allem aus den zum Herkunftsland vorliegenden Erkenntnisquellen. Auch für diese Anknüpfungstatsachen gilt das Regelbeweismaß des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 20). Das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung gilt auch bei unsicherer Tatsachengrundlage (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 21 und Beschl. v. 28.4.2017 - 1 B 73.17 -, juris Rn. 10). In diesen Fällen bedarf es in besonderem Maße einer umfassenden Auswertung aller Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Herkunftsland; hierauf aufbauend muss das Gericht bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet aus einer Vielzahl von Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung vornehmen (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 21 und Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 19). Die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz kommt nicht schon dann in Betracht, wenn eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht, sondern in der Gesamtsicht der vorliegenden Erkenntnisse lediglich ausreichende Anhaltpunkte für eine Prognose sowohl in die eine wie die andere Richtung vorliegen, also eine Situation besteht, die einem non-liquet vergleichbar ist. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist vielmehr tatbestandliche Voraussetzung für eine Entscheidung zugunsten des Ausländers. Kann das Gericht nicht das nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgegebene Maß an Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass einem Ausländer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, scheidet eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 33.18 -, juris Rn. 18; vgl. ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 38 m. w. N.).

Das Gericht muss auch die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat angemessen zu berücksichtigen und deshalb den glaubhaften Erklärungen des Asylsuchenden größere Bedeutung beizumessen ist, als dies sonst in der Prozesspraxis bei Parteibekundungen der Fall ist (BVerwG, Urt. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 -, juris Rn. 19; Beschl. v. 10.5.2002 - 1 B 392.01 -, juris Rn. 5 und v. 29.11.1996 - 9 B 293.96 -, juris Rn. 2). Ob eine Aussage glaubhaft ist und welches Gewicht den die Aussage bestätigenden oder ihr widersprechenden anderen Erkenntnismitteln zukommt, ist eine Frage der Beweiswürdigung im jeweiligen Einzelfall (BVerwG, Beschl. v. 29.11.1996 - 9 B 293.96 -, juris Rn. 2; Bay. VGH, Urt. v. 23.3.2017 - 13a B 17.30011 -, juris Rn. 31; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19.9.2002 - 2 L 407/02 -, juris Rn. 7). Grundsätzlich ist unter Angabe genauer Einzelheiten ein in sich stimmiger Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung die Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, juris Rn. 8 und Urt. v. 30.10.1990 - 9 C 72.89 -, juris Rn. 15; OVG Hamburg, Urt. v. 27.10.2021 - 4 Bf 106/20.A -, juris Rn. 38; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18.5.2018 - 1 A 2/18.A -, juris Rn. 65 und Urt. v. 14.2.2014 - 1 A 1139/13.A -, juris Rn. 35). Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001 - 1 B 24.01 -, juris Rn. 5 und Urt. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, juris Rn. 8; ferner VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.8.2021 - A 3 S 271/19 -, juris Rn. 27).

b. Gemessen an diesen Maßstäben droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Ruanda keine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

aa. Die Klägerin ist nicht vorverfolgt aus Ruanda ausgereist, so dass ihr nicht die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zu Gute kommt.

(1.) Der Senat ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin Ruanda aus begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 3a AsylG verlassen hat. Das Vorbringen der Klägerin zu dem von ihr behaupteten individuellen Verfolgungsschicksal, durch einen ehemaligen Lebensgefährten namens "K." über einen längeren Zeitraum bedroht und physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein, ist in seinen wesentlichen Bestandteilen detailarm und substanzlos, zudem in sich auch nicht stimmig. Ihre Schilderung vermag den behaupteten Anspruch nicht lückenlos zu tragen.

Die Klägerin vermochte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bereits nicht nachvollziehbar und stimmig die von ihr behauptete Beziehung zu einem Geheimdienstmitarbeiter namens "K." zu schildern, von dem die geschilderten Verfolgungshandlungen ausgegangen sein sollen. Sie hat weder anschaulich berichten können, wann und wie sie seinerzeit "K." in Ruanda kennengelernt hat, noch konnte sie ihre Beziehung zu "K." bzw. seine persönlichen Eigenschaften näher beschreiben. Auch wenn nach den Angaben der Klägerin die Geschehnisse "schon lange her" seien und sie beschlossen habe, "diese Dinge hinter sich zu lassen" (vgl. Niederschrift über die öffentliche Sitzung des 4. Senates am 14. März 2022, im Folgenden Sitzungsniederschrift, S. 3), erklärt dies auch unter Berücksichtigung der mittlerweile vergangenen Zeit seit ihrer Ausreise aus Ruanda im Dezember 2014 nicht, dass sie keine Angaben zu "K." machen kann, die über ihre Beschreibung, dass er "eher dunkel war vom Hautton her und nicht besonders groß" (Sitzungsniederschrift, S. 4), hinausgehen. Die Klägerin hat auf Nachfrage vielmehr erklärt, nicht "sehr viel über ihn gewusst" zu haben (Sitzungsniederschrift, S. 4). Auch die Angaben der Klägerin zu "K.", die sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 6. August 2018 (vgl. Niederschrift über die öffentliche Sitzung der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover vom 6. August 2018, S. 2 f.) und in der persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 1. August 2017 (vgl. Niederschrift über die Anhörung gem. § 25 AsylG am 1. August 2017, im Folgenden Anhörungsniederschrift, S. 4) und damit in einem geringeren zeitlichen Abstand zu ihrer Ausreise im Dezember 2014 aus Ruanda gemacht hat, blieben vage und oberflächlich. Der Senat kann auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin daher nicht den Eindruck gewinnen, dass sie von einer seinerzeit tatsächlich er- und gelebten Beziehung zu einem Mitarbeiter des Geheimdienstes namens "K." berichtet hat.

Das Vorbringen der Klägerin ist auch durch Detailarmut und Oberflächlichkeit geprägt, soweit sie behauptet hat, im Jahr 2014 mit dem Sänger Mihigo Kizito eine Beziehung gehabt zu haben und deshalb von "K." bezichtigt worden zu sein, mit "Terroristen" zusammenzuarbeiten (Anhörungsniederschrift, S. 6) bzw. "Geld von Terroristen zu bekommen" (Sitzungsniederschrift, S. 6). Denn auch insoweit vermochte sie weder nähere Umstände des gegenseitigen Kennlernens noch Einzelheiten zu der Person des in Ruanda seinerzeit sehr populären Sängers zu benennen, die über allgemein bekannte Informationen zu ihm hinausgehen. Ihre Angaben zu dem Sänger beschränkten sich vielmehr darauf, dass er "sehr nett, sehr freundlich" gewesen sei und sie "seine Lieder gemocht habe" (Sitzungsniederschrift, S. 5). Der Senat ist daher aufgrund ihrer ebenfalls oberflächlichen und substanzlosen Angaben zu dem Sänger und dem gegenseitigen Kennenlernen nicht zu der Überzeugung gelangt, dass sie diesen tatsächlich persönlich näher gekannt und eine Beziehung mit ihm gehabt hat.

Das Vorbringen der Klägerin ist in dem von ihr geschilderten Kerngeschehen im Übrigen auch deshalb nicht glaubhaft, da es in sich nicht stimmig ist. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung vorgebracht, "K." etwa im Jahr 2012 kennengelernt zu haben, ihn öfter getroffen zu haben und mit ihm eine Beziehung eingegangen zu sein. Im Februar 2013 sei dann ein befreundeter Arzt in Kigali überfallen worden und sie vermute, dass "K." hinter diesem Überfall gesteckt habe, da dieser ständig ihre Freunde durch andere habe einschüchtern lassen (Anhörungsniederschrift, S. 4 ff.). Im April 2013 habe sie das Gespräch mit "K." gesucht und ihm mitgeteilt, dass sie ihr Leben ohne eine Beziehung zu ihm weiterleben wolle, sie aber dann keine weiteren Freunde getroffen habe, da sowohl sie als auch ihre Freunde in ständiger Angst gelebt hätten. Zudem habe "K." sie im Februar 2014 in seine Gewalt gebracht, betäubt und in diesem Zustand vermutlich vergewaltigt. Bei dieser von der Klägerin geschilderten anhaltenden Bedrohung für sie und ihre Freunde über einen längeren Zeitraum ist es nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin trotz dieser Gefährdung eine Beziehung zu dem Sänger Mihigo Kizito eingegangen sein will, ohne diesen über die bisherige Bedrohung durch "K." und die durch ihn ausgehende Gefährdung zu informieren, obwohl andere Freunde nach ihren Angaben in ständiger Angst vor "K." gelebt hätten. Hinzu kommt, dass diese Beziehung mit Blick auf die Popularität von Mihigo Kizito ersichtlich ein noch gesteigertes Risiko für sie dargestellt hätte. Soweit die Klägerin auf Nachfrage erklärt hat, dass sie Mihigo Kizito nicht über die Bedrohung durch "K." informiert haben will, da sie Angst gehabt habe, dass sich Mihigo Kizito dann von ihr trennen würde (Sitzungsniederschrift, S. 5), vermag dies nicht zu überzeugen.

Für den Senat ist es auch nicht plausibel, dass es trotz der von der Klägerin geschilderten Bedrohung und Misshandlung durch ihren ehemaligen Lebensgefährten "K." nach der Verhaftung von Mihigo Kizito im April 2014 ihr gegenüber zu keiner gravierenden Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG gekommen ist. Die Klägerin hat auf die Frage, ob ihr ehemaliger Lebensgefährte nach der Verhaftung des Sängers Mihigo Kizito sie bedroht habe, erklärt, dass er gelegentlich in ihren Laden gekommen sei, niemand von außen aber erkennen konnte, dass er sie bedroht habe (Sitzungsniederschrift, S. 6). Im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt hat die Klägerin zudem angegeben, dass "K." immer wieder angerufen habe und ihr vorgeworfen habe, "mit Terroristen zusammengearbeitet zu haben", was einen "enormen Vorwurf" darstelle und sie dann Ende Oktober/Anfang November 2014 den Entschluss gefasst habe, das Land zu verlassen, da sie es "satt gehabt" habe, unbegründete Strafen zahlen zu müssen (Anhörungsniederschrift, S. 6). Mit Blick auf die Schwere des von der Klägerin behaupteten Vorwurfs ihr gegenüber und auf das oppositionelle Umfeld, mit dem der Sänger Mihigo Kizito seitens der ruandischen Regierung in Verbindung gebracht worden ist (zum Verfolgungsschicksaal von Mihigo Kizito vgl. USDOS, Country Reports on Human Rights Practices for 2020, 30.3.2021, p. 2), ist es nicht nachvollziehbar, dass es nach dessen Verhaftung gegenüber der Klägerin dann lediglich zu Repressalien in Form der Zahlung unberechtigter Bußgelder und nicht darüber hinausgehend zu gravierenden Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG gekommen sein soll. Hinzu kommt, dass "K." nach ihren Angaben ein Mitarbeiter des Geheimdienstes gewesen sein soll und staatliche Stellen insoweit ein gesteigertes Investigationsinteresse hinsichtlich der Klägerin gehabt hätten, sofern sie tatsächlich eine Angehörige des engeren Umfelds des Sängers Mihigo Kizito gewesen wäre. Dass die Klägerin erst ein halbes Jahr nach dessen Verhaftung den Entschluss gefasst haben will, das Land zu verlassen, spricht ebenfalls dagegen, dass sie von einer gravierenden Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG bedroht gewesen ist.

Auch soweit die Klägerin vorgebracht hat, ihre Schwester sei ebenfalls wegen ihrer Beziehung zu Mihigo Kizito gefährdet gewesen, vermochte sie eine konkrete Gefährdungslage für ihre Schwester ebenfalls nicht zu schildern. Auf Nachfrage erklärte die Klägerin vielmehr pauschal, dass sich ihre Schwester "bedroht gefühlt habe", von "K." selbst keine Bedrohung gekommen sei, sondern er Menschen bezahlt habe oder Freunde geschickt habe, die dann seine Schwester bedroht hätten und zum Beispiel ihren Laden geschlossen hätten (Sitzungsniederschrift, S. 3 und S. 6).

(2.) Im Übrigen scheidet - selbständig tragend - ein Anspruch der Klägerin auf eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft selbst dann aus, wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen zu ihren Gunsten davon ausgeht, dass sie vor ihrer Ausreise aus Ruanda im Dezember 2014 durch einen ehemaligen Lebensgefährten über einen längeren Zeitraum bedroht und misshandelt worden ist. Denn auch unter Zugrundelegung dieses Vorbringens fehlt es an einem für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlichen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, der mit den von geschilderten Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG verknüpft ist. Die von der Klägerin geschilderten Verfolgungsmaßnahmen knüpfen insbesondere nicht an ihre politische Überzeugung im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG an.

Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es - wie bereits ausgeführt - unerheblich, ob er tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Ob die Verfolgung in diesem Sinne "wegen" eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist - wie ebenfalls bereits aufgezeigt - anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten.

Unter Zugrundelegung des Vorbringens der Klägerin knüpfen die von ihr geschilderten Verfolgungshandlungen nach ihrem inhaltlichen Charakter objektiv nicht an eine (ihr zugeschriebene) politische Überzeugung an.

Die Klägerin ist nach eigenen Angaben nicht politisch aktiv gewesen (Anhörungsniederschrift, S. 5) und vermochte auch keine näheren Angaben zu den politischen Ansichten und Aktivitäten des Sängers Mihigo Kizito zu machen (Sitzungsniederschrift, S. 5 f.). Für den Senat ist nicht erkennbar, dass die Klägerin eine politische Grundüberzeugung vertritt, die Anknüpfungspunkt für Verfolgungsmaßnahmen gewesen sein könnten. Die von der Klägerin geschilderten Bedrohungen und Misshandlungen durch "K." sind unter Berücksichtigung ihres Vorbringens vielmehr vor dem Hintergrund erfolgt, dass sie immer wieder versucht habe, nach der Beziehung mit ihm neue Beziehungen einzugehen (Sitzungsniederschrift, S. 4), und auch verschiedene Beziehungen unterhalten habe. Nach ihrer Darstellung soll es im Februar 2013 zu einem Überfall auf einen Arzt gekommen sein, mit dem sie befreundet gewesen sei (Anhörungsniederschrift, S. 4; Sitzungsniederschrift, S. 4), "K." habe "ständig ihre Freunde durch andere Personen einschüchtern lassen" sowie ihr vorgeworfen, "lieber mit Stars zusammen zu sein" (Anhörungsniederschrift., S. 5). Zudem habe "K." ihr zeigen wollen, "dass er ein Mann sei" (Anhörungsniederschrift, S. 5 und S. 6, Sitzungsniederschrift, S. 4). Auch wenn ihr "K." nach ihrem Vorbringen vorgeworfen haben soll, "mit Terroristen" zusammenzuarbeiten (Anhörungsniederschrift, S. 6) bzw. "Geld von Terroristen zu bekommen" (Sitzungsniederschrift, S. 6), sind die von der Klägerin geschilderten Bedrohungen und Misshandlungen durch ihn ersichtlich nicht darauf gerichtet gewesen, sie wegen einer - von ihm unterstellten - politischen Überzeugung zu treffen. Diese beruhten dem Vorbringen der Klägerin nach vielmehr offenkundig auf rein persönlichen Motiven wie Eifersucht und verletztem Stolz und stellten sich damit als "Beziehungstaten" im privaten Bereich dar.

bb. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Klägerin folgt auch nicht daraus, dass sie nach ihrer Ausreise aus Ruanda im Dezember 2014 in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat.

(1.) Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Diese Vorschrift setzt Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU um und regelt, unter welchen Voraussetzungen bei der Berufung auf Nachfluchtgründe die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt werden kann (Marx, AsylG, 10. Aufl., § 28 Rn. 22). Die begründete Furcht vor Verfolgung kann demnach auf seit der Ausreise des Ausländers eingetretene relevante Veränderungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes (subjektive Nachfluchttatbestände) beruhen (vgl. Marx, AsylG, 10. Aufl., § 28 Rn. 25 und 26; GK-AsylG, § 28 Rn. 13 (Stand März 2018)).

Soweit nach § 28 Abs. 1a letzter Halbs. AsylG (in Umsetzung des Art. 5 Abs. 2 letzter Halbs. der Richtlinie 2011/95/EU) die begründete Furcht vor Verfolgung insbesondere auf Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind, beruhen kann, folgt hieraus nicht, dass über das Merkmal "Ausdruck einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung" ein Anspruch auf die Flüchtlingsanerkennung in einem asylrechtlichen Erstverfahren entfällt, wenn durch nachträgliche Aktivitäten eine Verfolgungsgefahr absichtlich herbeigeführt wird (vgl. hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, § 28 Rn. 28, Stand: September 2014). Denn insoweit besteht erst mit dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens eine beachtliche zeitliche Zäsur. Einem Ausländer kann gemäß § 28 Abs. 2 AsylG (in Umsetzung des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG (nunmehr Richtlinie 2011/95/EU)) die Flüchtlingseigenschaft nämlich erst in einem Folgeverfahren in der Regel nicht zuerkannt werden, wenn er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat. Demgegenüber greift kein "Filter" für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind. Selbst geschaffene Nachfluchttatbestände, die bis zur Unanfechtbarkeit des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, sind daher - anders als beim Grundrecht auf Asyl - grundsätzlich uneingeschränkt zu berücksichtigen; diese müssen folglich auch nicht auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, juris Rn. 14 und v. 24.9.2009 - 10 C 25.08 -, juris Rn. 20; vgl. ferner OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 21.3.2018 - 2 L 238/13 -, juris Rn. 33; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 5.12.2017 - A 11 S 1144/17 -, juris Rn. 41). Dem Merkmal "Ausdruck einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung" in § 28 Abs. 1a AsylG kommt damit die Funktion einer Beweiserleichterung in der Form einer Regelvermutung für die Ernsthaftigkeit einer schutzbegründenden Überzeugung oder Ausrichtung des Antragstellers zu (Hailbronner, Ausländerrecht, § 28 Rn. 32 und 37 f., Stand: September 2014; ferner Marx, AsylG, 10. Aufl., § 28 Rn. 28). Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes wegen subjektiver Nachfluchtgründe setzt aber jedenfalls voraus, dass die eine Verfolgungsgefahr begründenden Aktivitäten nach Ausreise aus dem Herkunftsstaat für den möglichen Verfolgungsakteur im Herkunftsland erkennbar sind bzw. diesem mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zur Kenntnis gelangen werden (Hailbronner, Ausländerrecht, § 28 Rn. 35, Stand: September 2014; Marx, AsylG, 10. Aufl., § 28 Rn. 27).

(2.) Ein danach beachtlicher (subjektiver) Nachfluchttatbestand zugunsten eines ruandischen Staatsangehörigen allein wegen seiner Ausreise aus Ruanda, des Stellens eines Asylantrags bzw. der Beantragung internationalen Schutzes und des Aufenthalts im Ausland besteht indes nach dem Ergebnis der Gesamtschau der zu Ruanda vorliegenden Erkenntnismittel nicht. Ein rückkehrender ruandischer Staatsbürger wird nach längerem Aufenthalt im Ausland nach Auffassung des Senats zwar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in den Fokus ruandischer Behörden geraten, überprüft und hinsichtlich der Gründe seines Auslandsaufenthalts befragt werden. Der Senat geht auch davon aus, dass der Umstand einer erfolgten Asylantragstellung für die ruandischen Behörden zur Kenntnis gelangen kann. Es besteht zur Überzeugung des Senats aber nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit bzw. die tatsächliche Gefahr ("real risk"), dass ein ruandischer Staatsbürger bei einer Rückkehr nach Ruanda allein deshalb als Oppositioneller oder Regimekritiker betrachtet und Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG ausgesetzt sein wird.

Die beachtliche Wahrscheinlichkeit bzw. tatsächliche Gefahr ("real risk") einer Verfolgung bei einer Rückkehr kann allerdings dann bestehen, wenn im Zusammenhang mit dem Asylgesuch weitere Umstände vorliegen, die den ruandischen Behörden zur Kenntnis gelangen und Anknüpfungspunkt für die Unterstellung einer regimekritischen Haltung durch staatliche Stellen Ruandas sein können. Derartige Anhaltspunkte können in einer exilpolitischen Tätigkeit des Asylbewerbers, in der Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei oder in regimekritischen Äußerungen sowohl im öffentlichen oder privaten Umfeld liegen. Dies schließt der Senat aus Folgendem:

Die Menschenrechtslage in Ruanda hat sich in den letzten Jahren mit der Konsolidierung der inneren Sicherheit zwar grundsätzlich verbessert, sie bleibt jedoch problematisch. Es gibt zahlreiche Fälle von Amts- und Machtmissbrauch, Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs-, Medien- und Vereinigungsfreiheit sowie der politischen Beeinflussung der Justiz (Bundesamt für Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Ruanda, Stand: 26.6.2018, S. 11). Es kommt zu Verletzungen der Menschenrechte durch die Verhaftung und Misshandlung von politischen Gegnern, von Menschenrechtsaktivisten und von Einzelpersonen, welche nach Auffassung ruandischer Stellen eine Bedrohung für die staatliche Kontrolle und soziale Ordnung darstellen (Bundesamt für Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Ruanda, Stand: 26.6.2018, S. 11). Nach dem Human Rights Report 2020 sind in Ruanda gravierende Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen in Form von rechtswidrigen oder willkürlichen Tötungen durch die Regierung; von willkürlichen Inhaftierungen; von politisch motivierten Repressalien gegen Personen, die sich außerhalb des Landes aufhalten; von willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in die Privatsphäre; von schwerwiegenden Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit, einschließlich von Gewaltandrohungen gegen Journalisten, Zensur und Sperrung von Websites sowie von erheblichen Eingriffen in die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS, Country Reports on Human Rights Practices for 2020, 30.3.2021, p. 3).

Personen, deren Ansichten von den ruandischen Behörden als Kritik an der Regierungspartei, der Regierung oder ihrer Politik eingestuft werden, müssen mit Schikanen, Einschüchterung, strafrechtlicher Verfolgung und langen Gefängnisstrafen rechnen (Dr. Bognitz, Gutachten "Politische und staatliche Verfolgung rwandischer Dissidenten, Oppositioneller und Regierungskritiker im In- und Ausland als Ursache von Flucht und Migration seit 2010", im Folgenden: Gutachten vom 9.2.2022, S. 6; Amnesty International, Ruanda 2019, Report vom 16.4.2020, S. 4; Dr. Hankel, Stellungahme an das VG Oldenburg vom 10.8.2013, S. 3 und an das VG Hannover vom 23.7.2018). Strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen werden unter anderem durch das gesetzliche Verbot von Hassreden und das Gesetz zur Ahndung der Leugnung des Genozids legitimiert, wobei sich nahezu jeglicher regierungskritische Widerstand als Verharmlosung des Genozids auslegen lässt (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 3 und S. 9). In der jüngeren Vergangenheit wurden vornehmlich Social Media Beiträge von jungen Aktivistinnen und Aktivisten wie Yvonne Idamange und Aimable Karasira unter Bezugnahme auf das Gesetz zur Ahndung der Leugnung des Genozids geahndet (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 8). Am 11. November 2021 wurde der bekannte Youtuber Dieudonné Niyonsenga unter dem Vorwurf von Fälschung, Identitätsdiebstahl und weiteren Straftaten zu sieben Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt. Seine Videos sind bekannt für die Anprangerung begangener Menschenrechtsverletzungen. So veröffentlichte Niyonsenga im April 2020 mehrere Videos, in denen er ruandischen Soldaten vorwarf, Menschen, die in Elendsvierteln lebten, im Zuge der Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie misshandelt zu haben (Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, Briefing Notes vom 15.11.2021, S. 14). Am 30. September 2021 wurde die Youtuberin Yvonne Idamange zu 15 Jahren Haft und zu einer Geldstrafe von 2.000 USD verurteilt. Das Gericht befand sie in sechs Anklagepunkten für schuldig, darunter Anstiftung zu Gewalt und öffentlichen Aufständen, Verunglimpfung von Völkermordmahnmalen sowie Verbreitung von Gerüchten. Idamange warf auf ihrem Youtube-Kanal dem Präsidenten vor, eine Diktatur errichtet zu haben, den Völkermord von 1994 zu instrumentalisieren und den Opfern nicht ausreichend zu helfen sowie die entsprechenden Gedenkstätten zu Touristenattraktionen umzuformen (Bundesamt für Migration und Fremdenwesen, Briefing Notes vom 4.10.2021, S. 11). Laut Human Rights Watch haben die ruandischen Behörden im Jahr 2020 mindestens acht Personen bedroht, verhaftet oder strafrechtlich verfolgt, die auf YouTube über aktuelle Themen berichteten oder diese kommentierten (HRW, Rwanda: Arrests, Prosecutions over YouTube Posts, 30.3.2021). Anhand der dokumentierten Fälle der Verfolgung bzw. Verurteilung von Oppositionellen und Regierungskritikern zeigt sich, dass bereits niedrigschwellige Kritik oder das bloße Aufzeigen von Problemstellungen und Herausforderungen innerhalb des Landes durch ein unverhältnismäßig hohes Strafmaß geahndet werden (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 14).

Politisch motivierte Repressalien und Verfolgungsmaßnahmen durch staatliche Stellen Ruandas erfolgen auch gegen ruandische Staatsbürger, die sich außerhalb des Landes aufhalten (USDOS, Country Reports on Human Rights Practices for 2020, 30.3.2021, p. 13). 2019 erließ die südafrikanische Regierung Haftbefehle gegen zwei Ruander, die des Mordes beschuldigt werden, weil sie 2014 den ruandischen Dissidenten Patrick Karegeya in einem Hotel in Johannesburg ermordet hatten. Medienberichten zufolge erklärte die südafrikanische Sonderermittlungseinheit in einer schriftlichen Stellungnahme, dass sowohl die Ermordung von Karegeya als auch der Mordversuch an dem ehemaligen Generalstabschef der Armee des Landes General Kayumba Nyamwasa in Südafrika, "direkt mit der Beteiligung der ruandischen Regierung in Verbindung stehen" (USDOS, Country Reports on Human Rights Practices for 2020, 30.3.2021, p. 13). Der Rwanda National Congress (RNC) - nach eigenen Angaben mit fünf Millionen Anhängern die mitgliederstärkste politische Oppositionspartei Rwandas, die sich aufgrund der nationalen Verfolgung politischer Oppositioneller in einer Reihe von Exilstaaten, vorranging Südafrika, aber auch im südlichen Afrika, den USA und in Ländern der EU verortet und von dort aus weltweit organisiert ist - sieht den sicheren Aufenthalt von Menschen ruandischer Herkunft im südlichen Afrika, vor allem Malawi, Mosambik, Südafrika und Botsuana, welche der oppositionellen Bewegung nahestehen, sich mit dieser identifizieren oder aktiv und öffentlich Oppositionsarbeit und -aktivismus ausüben, durch den Militäreinsatz der Rwanda Patriotic Front seit 2021 in Cabo Delgado, Mosambik als gefährdet an (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 6 f.).

Auch in Europa unterliegt die ruandische Diaspora einer staatlichen Kontrolle und Überwachung. Die Diaspora in Europa kann nach unterschiedlichen Migrationsgründen unterteilt werden: Ein Teil der Mitglieder der Diaspora in Europa hat Ruanda freiwillig, z.B. aus sozioökonomischen Gründen oder zu Ausbildungs- und Studienzwecken verlassen, andere Mitglieder mussten ihre Heimat unfreiwillig verlassen aufgrund der ethnischen und politischen Gewalt vor und nach dem Genozid 1994 und der (aktuellen) politischen Situation in Ruanda (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 5). Teile der Diaspora in Europa werden von der ruandischen Regierung anerkannt und in die anhaltende Friedenssicherung, Wahrheitsfindung und Versöhnung einbezogen und sind für die Entwicklung des Landes, z.B. durch Geldüberweisungen, Investitionen und Geschäftsbeziehungen oder Firmengründungen, von großer Bedeutung (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 5). Die regierungsnahen Angehörigen der Diaspora werden durch die ruandischen Botschaften und nationalen Diasporaverbände organisiert, mobilisiert und kontrolliert. Zu diesem Zweck erstellen und aktualisieren die Botschaften Datenbanken, welche detaillierte Informationen zu Aufenthaltsort, Adress-, Email- und Telefondaten beinhalten. Diese Listen sind zweckmäßig für die Mobilisierung der ruandischen Diaspora, aber auch um Informationen über etwaige politische Aktivitäten innerhalb der ruandischen Diaspora zu generieren und an die ruandischen Sicherheitsbehörden weiterzuleiten (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 5). Über Netzwerke der ruandischen Regierung werden auch die Teile der ruandischen Diaspora, die nicht der ruandischen Regierung nahestehen und den ruandischen Konsens teilen, sondern sich oppositionell organisieren, überwacht bzw. kontrolliert (vgl. die Niederschrift über die öffentliche Sitzung des 4. Senates vom 14. März 2022, Anlage "Anhörung der Sachverständigen Dr. Bognitz zu dem Gutachten "Politische und staatliche Verfolgung rwandischer Dissidenten, Oppositioneller und Regierungskritiker im In- und Ausland als Ursache von Flucht und Migration seit 2010" vom 9. Februar 2022, im Folgenden Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, Seite 13 f.). Die Überwachung ruandischer Staatsangehöriger innerhalb der EU zeigt sich exemplarisch an den Fällen des Journalisten Jeam Bosco Gasasiram, einem ehemaligen Herausgeber der durch die ruandische Regierung geschlossenen Zeitung Umuvugizi, des Autoren und Menschenrechtsaktivisten René Mugenzi, des ehemaligen Leibwächters von Paul Kagame Noble Marara, der ein Buch über ihn veröffentlicht hat, sowie des Politikers Jonathan Musonera, einem Gründungsmitglied des RNC (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 11 f.).

Angehörige der ruandischen Diaspora geraten bei einer Rückkehr nach Ruanda in den besonderen Fokus der ruandischen Behörden und werden nach den Gründen ihres Auslandsaufenthalts befragt. Für ruandische Behörden ist es grundsätzlich von Interesse, was ein ruandischer Staatsbürger im Exil gemacht hat (Dr. Bognitz, Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 20). Ruandische Behörden und Sicherheitskräfte legen daher ein besonderes Augenmerk auf aus dem Exil zurückkehrende, vor allem politisch aktive ruandische Staatsangehörige (Amnesty International, Auskunft vom 29.1.2014 an das VG Hannover, S. 1). Bei der Einreise in das Land erfolgen Kontrollen durch die Grenzbehörden (Dr. Bognitz, Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 20; Commissariat Général aux Réfugiés et aux Apatrides (CGRA), COI Focus: RWANDA, Le traitement réservé par les autorités nationales à leurs ressortissants de retour dans le pays, 26 mars 2021, im Folgenden: CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 11). Ruander werden bei einer Rückkehr regelmäßig Befragungen über ihre Fluchtgründe unterzogen und es können Festnahmen und Inhaftierungen nicht ausgeschlossen werden (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Braunschweig vom 23.8.2012, S. 2). Zum Teil werden aus den Angaben, die die Asylbewerber gemacht haben, Anschuldigen bis hin zu Anklagen konstruiert (Amnesty International, Auskunft an das VG Hannover vom 29.1.2014, S.2). Selbst wenn eine Befragung nicht am Flughafen in Kigali oder an anderen Grenzübertritten stattfindet, werden in der Regel entsprechende Nachforschungen bei einer Ansiedlung des Rückkehrers an einem bestimmten Ort erfolgen, da sich jede Person an den Orten, an denen sie sich länger aufhält, bei der dezentralisierten lokalen Verwaltungseinheit melden muss (Dr. Bognitz, Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 21).

Aus der Überwachung und Kontrolle der Angehörigen der ruandischen Diaspora im Ausland und bei einer Rückkehr nach Ruanda kann indes nicht geschlossen werden, dass einem Staatsbürger Ruandas, der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, bei einer Rückkehr nach Ruanda mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen drohen, wenn allein der Umstand der Asylantragstellung im Ausland ruandischen Behörden durch Befragungen bekannt wird bzw. aufgrund der im Ausland erfolgten Überwachung der ruandischen Diaspora bereits bekannt ist. Die Flucht aus Ruanda stellt aus Sicht der Regierung zwar einen Ausdruck der Feindschaft gegenüber Ruandas Politik und Regierungsführung dar (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 4) und das Stellen eines Asylantrags wird als immanente Kritik an der Politik und/oder den Organen Ruandas verstanden (Dr. Hankel, Stellungnahme vom 10.8.2013, S. 3). Es lässt sich anhand der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel jedoch nicht feststellen, dass allein der "formale" Aspekt der Beantragung von Asyl im Ausland und die aus Sicht ruandischer Stellen damit verbundene Kritik derart schwer wiegt, dass einem ruandischen Asylbewerber bei einer Rückkehr bereits deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3a AsylG drohen.

Auch wenn die ruandische Regierung daran interessiert ist, innerhalb der internationalen Gemeinschaft ein positives Bild des "neuen Ruanda", also des nach 1994 von der Ruandischen Patriotischen Front regierten Ruandas, aufrechtzuerhalten und kritische Stimmen - auch vereinzelte Stimmen - zu unterbinden (Dr. Bognitz, Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 13), und vor diesem Hintergrund es nicht ausgeschlossen ist, dass ruandische Behörden im Einzelfall das Stellen eines Asylantrags im Ausland zum Anlass nehmen können, dies zu sanktionieren, besteht die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit bzw. tatsächliche Gefahr ("real risk") einer im Sinne des § 3a AsylG gravierenden Verfolgung nach Auswertung der zu Ruanda vorliegenden Erkenntnismittel nach Überzeugung des Senats jedoch erst dann, wenn zu dem "formalen" Aspekt einer Asylantragstellung weitere "qualitative" Umstände hinzutreten. Entscheidend sind daher - wie die Sachverständige Dr. Bognitz in der mündlichen Anhörung am 14. März 2022 nachvollziehbar ausgeführt hat - die inhaltliche Ebene und der Hintergrund des Asylgesuchs (Dr. Bognitz, Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 12 ff.). Kritik an dem ruandischen Staat und den dortigen politischen Verhältnissen, die öffentlichkeitswirksam geworden ist, kann daher im Zusammenhang mit einem Asylgesuch zu einer relevanten Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr aus dem Exil führen. Dies belegen die in dem Gutachten von Frau Dr. Bognitz vom 9. Februar 2022 aufgezeigten Fälle der Überwachung und Bedrohung von ruandischen Staatsangehörigen in England und in Schweden, in denen sich der Betroffene - über eine Asylantragstellung hinausgehend - exilpolitisch engagiert bzw. sich öffentlichkeitswirksam kritisch gegenüber dem ruandischen Regime geäußert hat (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 11 f.). Darüber hinaus führt "sichtbare" oppositionelle Tätigkeiten des Asylbewerbers zu einer signifikanten Erhöhung der Verfolgungsgefahr. Politisch motivierten Repressionen durch ruandische staatliche Stellen sind insbesondere ruandische Staatsbürger ausgesetzt, die einer oppositionellen Vereinigung wie dem RNC angehören oder nahestehen, sich mit dieser identifizieren oder aktiv und öffentlich Oppositionsarbeit betreiben, sich journalistisch betätigen und öffentlich Kritik an der Regierung oder den Verhältnissen in Ruanda üben (vgl. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 8 ff.). Bereits die Mitgliedschaft in einer Oppositionspartei wie dem RNC ist insoweit "als Form der Sichtbarkeit politischer Opposition" zu bewerten (Dr. Bognitz, Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 17). Ruandische Staatsangehörige, die Ruanda ohne Vorverfolgung legal verlassen haben, die nach einem mehrjährigen Aufenthalt im westlichen Ausland mit dortiger Asylantragstellung nach Ruanda zurückkehren und die im Ausland einer oppositionellen Partei oder Vereinigung wie dem RNC beigetreten sind, haben daher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgung zu rechnen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den Senat vom 23. April 2020, S. 2). Insbesondere wenn eine Nähe zur gewaltbereiten Exil-Opposition seitens ruandischer Behörden unterstellt wird, kann dies zu einer noch höheren Verfolgungsgefahr durch die Stigmatisierung des Betroffenen als Sympathisant von Genozid-Verbrechern führen (GIGA Institut, Stellungnahme vom 30.7.2012, S. 4). Allerdings ist bei der Gefahrenprognose für einen rückkehrenden ruandischen Staatsangehörigen, der Ruanda ohne Vorverfolgung legal verlassen hat und im Ausland einer oppositionellen Partei oder Vereinigung beigetreten ist, auch zu berücksichtigen, ob im Einzelfall besondere Gründe dafür vorliegen, dass der Asylbewerber trotz seiner Mitgliedschaft in einer Partei oder Vereinigung bei einer Rückkehr aufgrund seiner politischen Biografie für die ruandischen Behörden nicht von Interesse sein wird bzw. ihm eine regimekritische Haltung seitens der ruandischen Behörden nicht unterstellt werden wird, weil diese für ruandische Behörden ersichtlich nicht Ausdruck einer regimekritischen Haltung und von diesen auch nicht beachtlich wahrscheinlich "als Form der Sichtbarkeit politischer Opposition" bewertet werden wird.

Dass über den "formalen" Aspekt einer Asylantragstellung hinaus weitere "qualitative" Umstände wie die vorgenannten für eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit hinzutreten müssen, schließt der Senat insbesondere daraus, dass Verfolgungsmaßnahmen, die sich ausschließlich vor dem Hintergrund der Migration, Flucht oder des Asylgesuchs im Ausland von ruandischen Rückkehrern abbilden lassen würden, nicht bekannt sind (Dr. Bognitz, Gutachten vom 9.2.2022, S. 11 und Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 12 ff.; ferner Auskunft des Auswärtigen Amts an den Senat vom 23. April 2020, S. 2). So berichtet das European Asylum Support Office (EASO) - nunmehr European Union Agency for Asylum (EUAA) - für den Zeitraum 2016 bis 2018, dass unter allen konsultierten Quellen und innerhalb des für die Beantwortung der Anfrage vorgesehenen Zeitrahmens keine Fälle verzeichnet werden konnten, in denen Personen, die zuvor von der Polizei gemeldet wurden, nach ihrer Rückkehr nach Ruanda unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt waren, nachdem sie nach Ruanda zurückgekehrt waren (EASO, COI Query Rwanda, Inhuman or degrading treatment against returnees, 10.12.2018, p. 3). Allerdings führt EASO in der Anfragebeantwortung diverse dokumentierte Fälle von gesetzeswidriger Haft, Folter und Tötungen in der Zeit von 2016 bis 2018 auf, von denen verdächtigte "Kleinkriminelle", politische Oppositionelle und Journalisten betroffen gewesen sind (EASO, COI Query Rwanda, Inhuman or degrading treatment against returnees, 10.12.2018, p. 4-6).

Laut dem Commissariat Général aux Refugiés et aux Apatrides (CGRA) erwähnt kein konsultierter internationaler Bericht über die Menschenrechtslage in Ruanda seit 2018 mögliche Probleme bei der Rückkehr durch ruandische Staatsangehörige nach einer erfolgten illegalen Ausreise oder einem Antrag auf internationalen Schutz (CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 12). Was die Rückkehr nach Ruanda nach einer illegalen Ausreise betrifft, weisen die von CGRA kontaktierten Quellen eher darauf hin, dass die Haltung der ruandischen Behörden vom Grund der Ausreise oder dem spezifischen Profil abhängen wird (CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 12). Allerdings sind alle von Cedoca (Centre de documentation et de recherches du CGRA) kontaktierten Quellen und die belgische Botschaft der Ansicht, dass die Beantragung internationalen Schutzes im Ausland nach der Rückkehr nach Ruanda zu Problemen mit den Behörden führen könnte, sofern diese von dem Antrag auf internationalen Schutz wissen (CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 12). Der belgischen Botschaft sind aber auch insoweit keine konkreten Fälle bekannt, in denen die Rückkehr nach Beantragung internationalen Schutzes zu Problemen geführt hat (CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 12). Ein hierzu befragtes Mitglied der ruandischen Zivilgesellschaft erklärte, dass ein Rückkehrer tatsächlich Probleme hätte, wenn der Inhalt seiner Akte den ruandischen Behörden bekannt werden würde und wenn - wie oftmals in solchen Akten - die Situation in Ruanda eher negativ beschrieben würde (CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 12). Ein im Exil lebender ruandischer Journalist vermutet, dass - wenn die ruandischen Behörden von einem Antrag auf internationalen Schutz Kenntnis haben - ein solcher Antrag zu Problemen führen könnte, da jede Person, die Ruanda mit der Begründung verlässt, sie sei verfolgt worden, eine Schande für die ruandische Regierung sei und die Behörden selbst auf kleinste Vorfälle empfindlich reagierten, dies allerdings vom individuellen Profil des Betroffenen abhänge (CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 13). Ein in Ruanda lebender und dort arbeitender Journalist gab an, dass auch ihm keine konkreten Fälle von Ruandern bekannt seien, die bei ihrer Rückkehr aufgrund ihrer illegalen Ausreise oder eines Antrags auf internationalen Schutz im Ausland Probleme mit den ruandischen Behörden hatten, er jedoch der Ansicht sei, "dass diejenigen, die es gewagt haben, Aussagen zu machen, die die Machthaber oder die Regierungspartei beschuldigen, verfolgt werden könnten, wenn sie es wagen, zurückzukehren (CGRA, COI Focus: RWANDA 26 mars 2021, p. 13).

Der Senat ist unter Auswertung der vorstehenden Erkenntnismittel daher nicht davon überzeugt, dass allein die illegale Ausreise aus Ruanda und/oder das Stellen eines Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung wegen einer (unterstellten) politischen Überzeugung führen wird. Soweit in der Stellungnahme von Dr. Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung vom 10. August 2013 - insoweit auch in Übereinstimmung mit der Stellungnahme von Frau Dr. Bognitz vom 9. Februar 2022 - ausgeführt wird, dass der ruandische Staat von allen Ruanderinnen und Ruandern erwarte, dass sie stolz auf ihr Land seien, jeder, der sich diesem Staats- und Gemeinschaftsverständnis entziehe oder zu entziehen scheine, mit Sanktionen zu rechnen habe und Kritik an Ruanda von der ruandischen Regierung und ihr nahe stehenden Personen und Institutionen energisch zurückgewiesen werde (Dr. Hankel, Stellungnahme vom 10. August 2013, S. 2 f.), lässt sich daraus nach Auffassung des Senats aber nicht schlussfolgern, dass - wie Herr Dr. Hankel weiterhin ausführt - bereits die Stellung eines Asylantrags unter Ausnutzung eines Schengen-Visums wegen der einem Asylantrag immanenten Kritik an der Politik und/oder an Organen des Herkunftslands zu den Verhaltensweisen gehöre, die mit "hoher Wahrscheinlichkeit" einer fühlbaren Sanktion, d.h. mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden (Dr. Hankel, Stellungnahme vom 10. August 2013, S. 3). Fälle, in denen allein das Stellen eines Asylantrags zu entsprechenden Maßnahmen geführt haben sind - wie ausgeführt - nicht bekannt. Auch in der Stellungnahme vom 10. August 2013 sowie in der ergänzenden Stellungnahme von Dr. Hankel an das VG Hannover vom 23. Juli 2018 werden entsprechende Referenzfälle nicht benannt. Entsprechendes gilt, soweit Dr. Hankel in einer weiteren Stellungnahme vom 11. Juni 2021 an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausgeführt hat, dass sich ruandische Behörden nicht an diplomatische Zusicherungen halten, die abgegeben worden seien im Rahmen von Ersuchen zur Auslieferung eines ruandischen Staatsangehörigen, welchem die Beteiligung an genozidären Straftaten im April 1994 in Ruanda vorgeworfen wird. Zum Beleg hierfür werden aber nur Verfolgungsschicksale von politisch exponierten Personen wie dem Oppositionspolitiker Boniface Twagirimana und dem Sänger Mihigo Kizito benannt. Auch insoweit ist nicht zu ersehen, dass bereits der "formale" Aspekt der Beantragung von Asyl im Ausland zu politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen führt.

Einen dahingehenden Schluss lässt auch nicht der von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin angeführte Fall von Innocent Irankunda zu, der unmittelbar nach seiner Abschiebung im Oktober 2009 am Flughafen in Kigali verhaftet und wegen der Delikte Verbreitung von Völkermordideologie, Fälschung von Dokumenten und Verrat angeklagt und wegen Fälschung von Dokumenten zu vier Jahren Haft verurteilt worden ist (vgl. dazu Auskunft von Amnesty International an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vom 19.10.2012, S. 5 und an das VG Hannover vom 29.1.2014, S. 2). Die Verhaftung wegen der ihm vorgeworfenen Delikte und die anschließende Verurteilung standen ersichtlich im Zusammenhang mit dem auch öffentlich bekannt gewordenen Asylvorbringen von Innocent Irankunda, er sei vor einem Gacaca-Gericht vorgeladen worden, obwohl er zum Zeitpunkt des Genozids noch minderjährig gewesen sei. Dieses Asylvorbringen ist geeignet gewesen, aus Sicht der ruandischen Behörden das Ansehen des ruandischen Justizsystems zu beschädigen (vgl. dazu Dr. Bognitz, Sachverständigenanhörung vom 14.3.2022, S. 19 f.). Der Fall Irankunda ist daher kein Referenzfall für politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen seitens des ruandischen Staats allein aufgrund des "formalen" Aspekts der Asylantragstellung, sondern im Zusammenhang mit dem öffentlich auch bekannt gemachten Asylvorbringen im konkreten Einzelfall zu sehen.

(3.) Die unter Beachtung der gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigen Umstände durchzuführende Gefahrenprognose für rückkehrende Ruander nach erfolgter Asylantragstellung im Ausland kann der Senat anhand der ihm vorliegenden Erkenntnismittel aus eigener Sachkunde vornehmen. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 6. Oktober 2021, "zum Beweis dessen, dass die ruandische Regierung ruandische Staatsangehörige, welche das Land verlassen haben, im Ausland Asyl beantragt haben und nach mehreren Jahren nach Ruanda zurückkehren, wegen des mehrjährigen Aufenthalts im Exil und der Beantragung flüchtlingsrechtlichen Schutzes als dem ruandischen Staat illoyal gegenüber stehende politische Oppositionelle ansieht und mit Maßnahmen politischer Verfolgung wie Verhaftung, Folter oder dem sog. Verschwindenlassen bestraft werden, eine sachverständige Auskunft bei Herrn Dr. Gerd Hankel, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mttelweg 36, 20148 Hamburg einzuholen", war daher abzuweisen. Einer Beweiserhebung zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren bei einer Rückkehr nach Ruanda durch Einholung einer weiteren sachverständigen Stellungnahme bedurfte es insoweit nicht. Mit dem vom Senat zur Beurteilung der Gefährdung ruandischer Rückkehrer nach Asylantragstellung eingeholten Gutachten von Dr. Bognitz vom 9. Februar 2022, dem Ergebnis ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2022 sowie den in das Verfahren eingeführten weiteren Erkenntnismitteln zu einer Gefährdung ruandischer Staatsbürger bei Rückkehr nach Ruanda, insbesondere dem Bericht von EASO vom 10. Dezember 2018 (COI Query, Inhuman or degrading treatment against returnees) sowie von CGRA vom 26. März 2021 (Le traitement réservé par les autorités nationales à leurs ressortissants de retour dans le pays), liegen hinreichende Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren vor, so dass der Senat aufgrund eigener Sachkunde die erforderliche Gefahrenprognose im Einzelfall auf der Grundlage einer tatrichterlichen Beweiswürdigung eigenständig vornehmen kann.

Liegen wie hier zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO). Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen (BVerwG, Beschl. v. 27.3.2013 - 10 B 34.12 -, juris Rn. 4 und v. 14.2.2022 - 1 B 49.21 -, juris Rn. 20). Derartige Mängel liegen hinsichtlich des Gutachtens von Dr. Bognitz vom 9. Februar 2022 und ihrer ergänzenden sachverständigen Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung am 14. März 2022 nicht vor. Auch die vorbezeichneten weiteren Erkenntnismittel, die sich zur Rückkehrgefährdung ruandischer Staatsbürger nach Asylantragstellung bzw. Beantragung internationalen Schutzes verhalten, weisen keine Mängel der vorgenannten Art auf.

(4.) Nach dem Ergebnis der Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnismittel zu Ruanda und unter Beachtung der bei der erforderlichen Gefahrenprognose zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls lässt sich in diesem Verfahren eine beachtliche Verfolgungsgefahr für die Klägerin allein aufgrund der erfolgten Asylantragstellung und der inhaltlichen Ebene ihres Asylgesuchs nicht feststellen. Die von ihr im Asylverfahren geschilderten Fluchtgründe haben ersichtlich keinen Bezug zu der Staatsführung und der politischen Situation in Ruanda, sondern nach ihren Schilderungen beruhte ihre Ausreise darauf, dass sie von ihrem ehemaligen Lebensgefährten "K." bedrängt worden ist. Auch dass dieser nach den Angaben der Klägerin beim Geheimdienst gearbeitet haben soll, führt nicht dazu, dass ihre Ausreise und der von ihr geschilderte Ausreisegrund als Kritik an der Regierung zu verstehen sein könnte. Die Klägerin hat sich nicht exilpolitisch betätigt, ist in keiner Oppositionspartei und äußert sich weder öffentlich noch im privaten Umfeld kritisch gegenüber der ruandischen Staatsführung. Auch soweit die Klägerin vorgebracht hat, mit dem Sänger Mihigo Kizito eine Beziehung gehabt zu haben, lassen sich ihrem diesbezüglich substanzlosen Vorbringen keine Anhaltspunkte dahingehend entnehmen, dass ihr ruandische Stellen aufgrund dieser behaupteten Beziehung eine regimekritische Haltung unterstellen könnten. Selbst in dem Fall, dass den ruandischen Behörden bekannt werden sollte, dass die Klägerin in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, wofür der Senat aber keine Anhaltspunkte hat, vermag dieses die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung daher nicht zu begründen.

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Die Gewährung subsidiären Schutzes setzt voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 20 und Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, juris 22; Senatsbeschl. v. 5.12.2017 - 4 LB 50/16 -, juris Rn. 31; 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 89). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 20 und v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, juris Rn. 22). Hat ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten oder war er von einem solchen unmittelbar bedroht, kommt ihm auch hier die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugute. Danach ist dies ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Vorschrift begründet für den von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht ist (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 21 und v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, juris Rn. 23; vgl. ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 90).

a. Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe bei einer Rückkehr nach Ruanda im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG droht, bestehen nicht.

b. Der Klägerin droht auch nicht Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.

aa. Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK - aufgrund weitgehend identischer sachlicher Regelungsbereiche auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (BVerwG, Beschl. v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn. 10; ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 96). Der EGMR entnimmt Art. 3 EMRK die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in ein bestimmtes Land abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass er im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 124 und Urt. v. 4.11.2014 - 29217/12 [Tarakhel v. Switzerland] -, HUDOC Rn. 93 m. w. N.). Art. 3 EMRK findet auch Anwendung, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Personen(-gruppen) ausgeht, sofern nachgewiesen ist, dass die Gefahr tatsächlich besteht und die staatlichen Behörden des Zielstaats nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (EGMR, Urt. v. 11.6.2020 - 17189/11 [M.S. v. Slovakia and Ukraine] -, HUDOC Rn. 118; Urt. v. 23.8.2016 - 59166/12 [J.K. and others v. Sweden] -, HUDOC Rn. 80 und v. 5.9.2013 - 886/11 [K. A. B. v. Sweden] -, HUDOC Rn. 69). Dem entspricht die Regelung des § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c Nr. 3 AsylG. Für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG bedarf es einer direkten oder indirekten Aktion eines Akteurs, der die unmenschliche Lebenssituation im Sinne einer Zurechenbarkeit, die jenseits nicht intendierter Nebenfolgen ein auf die bewirkten Effekte gerichtetes Handeln oder gar Absicht erfordert, zu verantworten hat (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn. 12 und Beschl. v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 -, juris Rn. 13; ferner Senatsbeschl. v. 25.2.2021 - 4 LA 212/19 -, juris Rn. 4).

In der Rechtsprechung des EGMR ist weiter geklärt, dass die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) erreichen müssen, um ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK zu begründen (EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 122; Urt. v. 13.12.2016 - Nr. 41738/10 [Paposhvili v. Belgien] -, HUDOC Rn. 174; Urt. v. 4.11.2014 - 29217/12 [Tarakhel v. Switzerland] -, HUDOC Rn. 94; vgl. ferner EuGH, Urt. v.16.2.2017 - C-578/16 PPU, C.K. u.a. -, juris Rn. 68 und BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 12). Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 122; Urt. v. 13.12.2016 - 41738/10 [Paposhvili v. Belgien] -, HUDOC Rn. 174; Urt. v. 4.11.2014 - 29217/12 [Tarakhel v. Switzerland] -, HUDOC Rn. 94 und Urt. v. 21.1.2011 - Nr. 30696/09 [M.S.S./Belgien und Griechenland] - HUDOC Rn. 219).

Eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK hat der Gerichtshof angenommen, wenn sie unter anderem geplant war, ohne Unterbrechung über mehrere Stunden erfolgte und körperliche Verletzungen oder ein erhebliches körperliches oder seelisches Leiden bewirkte (vgl. EGMR, Urt. v. 9.7.2015 - 32325/13 [Mafalani v. Croatia] - HUDOC Rn. 69 m. w. N.). Von einer erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ist der Gerichtshof ausgegangen, wenn sie beim Opfer Gefühle der Angst, seelischer Qualen und der Unterlegenheit hervorruft, wenn sie das Opfer in dessen oder in den Augen anderer entwürdigt und demütigt, und zwar unabhängig davon, ob dies beabsichtigt ist, ferner, wenn die Behandlung den körperlichen oder moralischen Widerstand des Opfers bricht oder dieses dazu veranlasst, gegen seinen Willen oder Gewissen zu handeln sowie dann, wenn die Behandlung einen Mangel an Respekt offenbart oder die menschliche Würde herabmindert (EGMR, Urt. v. 3.9.2015 - 10161/13 [M. und M. v. Croatia] - HUDOC Rn. 132). Angesichts der fundamentalen Bedeutung von Art. 3 EMRK hat sich der Gerichtshof zudem eine gewisse Flexibilität für solche Fälle vorbehalten, in denen die Ursache der Gefahr auf Umständen beruht, die nicht in der direkten oder indirekten Verantwortung der staatlichen Behörde liegen oder die für sich genommen nicht die Standards von Art. 3 EMRK verletzen (vgl. EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 123 und Urt. v. 27.5.2008 - 26565/05 [N. v. United Kingdom] - HUDOC Rn. 32 m. w. N.).

bb. Der Klägerin drohen nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Ruanda Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. In Ruanda sind zwar - wie aufgezeigt - gravierende Menschenrechtsverletzungen wie rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung, willkürliche Inhaftierung von Personen, politisch motivierte Repressalien sowie willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre und schwerwiegende Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit zu verzeichnen. Diese richten sich jedoch insbesondere gegen Personen, deren Ansichten von den ruandischen Behörden als Kritik an der Regierungspartei, der Regierung oder ihrer Politik eingestuft werden. Die Klägerin gehört allein aufgrund der erfolgten Antragstellung und ihrem Asylvorbringen - wie ausgeführt - nicht zu diesem Personenkreis. Besondere gefahrerhöhende individuelle andere Umstände, die zu einem für die Klägerin erhöhten Risiko führen würden, liegen nicht vor.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Klägerin bei einer Rückkehr Gefahr liefe, durch einen ehemaligen Lebensgefährten namens "K." einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ausgesetzt zu sein. Es lässt sich bereits nicht feststellen, dass die Klägerin vor ihrer Ausreise aus Ruanda im Dezember 2014 bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hatte oder von einem solchen unmittelbar bedroht gewesen ist, so dass ihr nicht die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugutekommt. Das von ihr geschilderte Verfolgungsgeschehen hat es zur Überzeugung des Senats vor ihrer Ausreise aus Ruanda in dieser Form nicht gegeben. Der Senat verweist insoweit auf seine Ausführungen unter 1. b. aa. (1.).

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausginge, dass sie vor ihrer Ausreise aus Ruanda von einem ehemaligen Lebensgefährten namens "K." bedroht und misshandelt worden und sie daher vorverfolgt im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU aus Ruanda ausgereist ist, sprechen - ihr Vorbringen zugrunde gelegt - stichhaltige Gründe dagegen, dass sie bei einer Rückkehr Gefahr liefe, durch ihren ehemaligen Lebensgefährten "K." einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Ihrem Vorbringen folgend ist sie nach einem sexuellen Übergriff durch "K." im Februar 2014 keinen weiteren Handlungen oder Bedrohungen ausgesetzt gewesen, die ihrer Schwere nach einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK begründen. Die Klägerin berichtete vielmehr von Vorwürfen und Drohungen wegen ihrer Beziehung zu Mihigo Kizito und dass "K." "gelegentlich" in ihren Laden gekommen sei, niemand aber habe erkennen können, dass er sie bedroht habe (Sitzungsniederschrift, S. 6). Bereits vor ihrer Ausreise Ende 2014 aus Ruanda ist es über einen längeren Zeitraum daher zu keinen unmittelbaren Übergriffen auf die Klägerin durch "K." gekommen, was dagegenspricht, dass die Klägerin nunmehr nach Rückkehr aus dem mehrjährigen Exil Verfolgungshandlungen mit dem erforderlichen Maß an Schwere durch ihn ausgesetzt wäre. Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, aus welchen Gründen "K." viele Jahre nach der Ausreise der Klägerin noch ein Interesse an ihr haben und gezielt nach ihr suchen sollte. Der Klägerin wird es nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt möglich sein, nach Ruanda einzureisen und sich in Kigali oder anderen Orten wie zum Beispiel Gisenyi, wo einer ihrer Brüder lebt, aufzuhalten, ohne dass ihr ehemaliger Lebensgefährte "K." hiervon Kenntnis durch ruandische Behörden erhalten wird. Die Angaben der Klägerin zu "K." sind derart vage und ungenau, dass auch ruandische Stellen bei einer Kontrolle bzw. Überprüfung der Klägerin keine Rückschlüsse zu einer bestimmten Person machen und diese über die Klägerin informieren könnten, selbst wenn dieser Mitarbeiter des Geheimdienstes gewesen sein sollte. Die theoretische Möglichkeit, dass die Klägerin nach mehreren Jahren Auslandsaufenthalt "zufällig" auf ihren ehemaligen Lebensgefährten trifft, begründet nicht die Annahme, dass ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung durch ihn droht.

c. Der Klägerin droht als Zivilperson auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Auch wenn gewisse politische Spannungen und das Risiko von Terroranschlägen oder von Überfällen durch Banden - insbesondere in bestimmten Regionen wie das Grenzgebiet zur DR Kongo und Burundi - nicht ausgeschlossen werden können, kann die Sicherheitslage in Ruanda als relativ stabil bezeichnet werden (Bundesamt für Fremdenwesen, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Ruanda, Stand: 26.6.2018, S. 11). Ein bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt in Ruanda nicht vor.

3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots. Ein solches folgt weder aus § 60 Abs. 5 AufenthG noch aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

a. Die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.

Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK ist - wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG - auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - 1 C 11.19 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 -, juris Rn. 8 und v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 8). Insoweit sind die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage im Abschiebungszielstaat als auch der persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen (EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 57467/15 [Savran v. Denmark] -, HUDOC Rn. 114; v. 23.8.2016 - 59166/12 [J.K. v. Sweden] -, HUDOC Rn. 83; v. 5.9.2013 - 61204/09 [I. v. Sweden] -, HUDOC Rn. 56 und v. 6.6.2013 - 2283/12 [Mohammed v. Austria] -, HUDOC Rn. 95; vgl. ferner 9. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 11.3.2021 - 9 LB 129/19 -, juris Rn. 130).

aa. Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verfolgung der Klägerin allein wegen der erfolgten Asylantragstellung in Deutschland ist - wie aufgezeigt - nicht beachtlich wahrscheinlich. Auch lässt sich für den Fall einer Rückkehr der Klägerin das tatsächliche Risiko einer Art. 3 EMRK widerlaufenden Behandlung durch einen ehemaligen Lebensgefährten namens "K." nicht feststellen. Im Falle einer Abschiebung der Klägerin nach Ruanda droht ihr auch nicht ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK wegen der allgemeinen Sicherheitslage dort. Bewaffnete Konflikte oder Unruhen, die nach ihrer Intensität und Ausdehnung die Klägerin nach Rückkehr gefährden, bestehen in Ruanda nicht.

bb. Ein drohender Verstoß gegen Art. 3 EMRK bei einer Abschiebung der Klägerin ergibt sich auch nicht aufgrund der sozioökonomischen und humanitären Bedingungen in Ruanda.

(1.) Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 12 und v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 25). Das erforderliche "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) der für den Ausländer drohenden Gefahren kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 12 und Beschl. v. 8.8.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 11). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist darauf abzustellen, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre" (EuGH, Urt. v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a. -, juris Rn. 90 und - C-163/17 - juris, Rn. 92).

Hinsichtlich der Lage in Ruanda ist dieser strenge Maßstab anzulegen, da die dortigen humanitären und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht einem bestimmten Akteur zuzuordnen sind, sondern auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen.

(2.) Für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren sind im Ausgangspunkt (nur) die dem einzelnen Ausländer drohenden Gefahren erheblich, nicht Gefahren, die Dritten drohen (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 14 und Urt. v. 16.6.2004 - 1 C 27.03 -, juris Rn. 9). Auch bei einer familiären Lebensgemeinschaft ist daher für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.

(a.) Bei der für jedes einzelne Familienmitglied anzustellenden Gefahrenprognose ist bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation aber im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 15). Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 17). Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-) besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 -, juris Rn. 18).

Hinsichtlich der für die Klägerin anzustellenden Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren ist daher auf eine Rückkehr im Familienverbund mit ihrem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Kind bzw. den gemeinsamen Kindern - die Klägerin ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts im sechsten Monat schwanger - abzustellen. Die Klägerin und ihr Sohn leben mit dem Kindesvater, einem ghanaischen Staatsangehörigen, in einer Lebens- und Erziehungsgemeinschaft; diese wird bei realistischer Betrachtungsweise auch im Herkunftsland der Klägerin fortgeführt werden (können).

(b.) Der Annahme einer Rückkehr im Familienverbund steht zunächst nicht entgegen, dass die Lebens- und Erziehungsgemeinschaft erst im Bundesgebiet begründet worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage, ob die in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45/18 - aufgestellte Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverbund auch dann gilt, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland noch nicht bestanden hat, bislang offen gelassen (Beschl. v. 15.8.2019 - 1 B 33.19 -, juris Rn. 4). Nach Auffassung des Senats ist diese Frage zu bejahen (ebenso Bay. VGH, Urt. v. 29.10.2020 - 13a B 20.30347 -, juris Rn. 18). Entscheidender Gesichtspunkt für die anzustellende Rückkehrprognose ist nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen (BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 -, juris Rn. 17) . Ob die schützenswerte Lebensgemeinschaft erst im Bundesgebiet begründet worden ist, ist hierfür nicht von entscheidendem Belang, maßgeblich ist vielmehr, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung und der in diesem Rahmen zu erfolgenden Rückkehrprognose eine schützenswerte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht.

(c.) Der Regelvermutung einer Rückkehr der Klägerin im Familienverbund steht ferner nicht entgegen, dass ihr Lebensgefährte und Vater des gemeinsamen Kindes nicht die ruandische Staatsangehörigkeit, sondern die ghanaische Staatsangehörigkeit besitzt. Ihm ist eine gemeinsame Ausreise mit der Klägerin nach Ruanda zur Aufrechterhaltung der Lebens- und Erziehungsgemeinschaft grundsätzlich möglich und zumutbar.

Ab dem 1. Januar 2018 erhalten Staatsangehörige aller Länder ein Visum bei der Ankunft am Kigali International Airport und an allen Landgrenzen. Staatsangehörige aus Ghana erhalten ein gebührenfreies Visum für 90 Tage (Rwanda Directorate General of Immigration and Emigration (DGIE), https://migration.gov.rw/our-services/visa-issued- under-special-arrangement). Die Nutzung dieser Art von Visum berechtigt aber nicht zur Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit, sondern allein zur Einreise und zum Aufenthalt von 90 Tagen im Land. Der Status des Visums kann aber geändert werden (DGIE, https://migration.gov.rw/visa/visitors-visa). Das ruandische Recht sieht eine Aufenthaltserlaubnis mit der Berechtigung zu einem unbefristeten Verbleib ("resident permit") für ausländische Staatsangehörige vor (vgl. Art. 5 Nr. 5 Law No. 17/99 of 1999 on Immigration and Emigration, abrufbar unter https://www.refworld.org/docid/452e3f714.html). Eine Aufenthaltserlaubnis ("resident permit") ist gleichbedeutend mit einem Visum ("resident visum"). Die Person, die eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, muss erklären, was sie zu tun beabsichtigt, wo sie leben wird und welche und wie viele Liegenschaften sie besitzen wird, um ihren Lebensunterhalt zu sichern (Art. 9 Law No. 17/99 of 1999 on Immigration and Emigration). Nahe Familienangehörige eines ruandischen Staatsangehörigen können danach eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis ("resident permit") beantragen (M1 "Dependent of a Rwandan" und M3 "Close relative"; DGIE, https://migration.gov.rw/our-services/permit/dependant). Auf dieser Grundlage dürfte grundsätzlich auch der leibliche Vater des gemeinsamen Kindes ruandischer Staatsangehörigkeit eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können. Zudem besteht die Möglichkeit, durch eine Heirat die Möglichkeit einer Aufenthaltserlaubnis "in Abhängigkeit" zu einem ruandischen Staatsangehörigen zu erhalten (DGIE, https://migration.gov.rw/our-services/permit/dependant). Ferner könnte der Lebensgefährte der Klägerin bei einer Heirat auch die ruandische Staatsangehörigkeit beantragen und sich hierdurch ein dauerhaftes Bleiberecht in Ruanda verschaffen (DGIE, https://migration.gov.rw/our-services/citizenships).

(3.) Hiernach ist für die Klägerin - bei angenommener Rückkehr im Familienverbund mit ihrem Lebensgefährten - davon auszugehen, dass diese nicht Gefahr läuft, allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen in Ruanda einem sehr hohen Gefährdungspotential ausgesetzt zu sein.

(a.) Die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen in Ruanda stellen sich wie folgt dar:

Finanzielle Hilfen sog. Geberländer, die politische Stabilität und geringe Korruption in Ruanda sowie eine investorenfreundliche Politik haben in den letzten zehn Jahren ein hohes Wirtschaftswachstum in Ruanda zur Folge gehabt (von durchschnittlich über 7 % pro Jahr). Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostizierte, dass sich das Wirtschaftswachstum angesichts der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 auf 2% verlangsamen würde. Obwohl Ruanda nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt ist, rangiert es auf dem UN-Index für menschliche Entwicklung 2020 höher als viele andere afrikanische Länder südlich der Sahara (bei 160 von 189 bewerteten Ländern). Wirtschaft und Arbeitskräfte sind überwiegend auf die Landwirtschaft ausgerichtet. Das Land ist jedoch auf Nahrungsmittelimporte angewiesen, was zum Teil auf die höchste Bevölkerungsdichte in Kontinentalafrika zurückzuführen ist und somit auf begrenztes verfügbares Land pro Haushalt (Congressional Research Service, Rwanda: In Brief, Updated February 23, 2021, p. 8). Die saisonal bedingte hohe Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und der damit verbundene Rückgang der Lebensmittelpreise führen derzeit zu minimalen Ernährungsunsicherheiten (vgl. FEWS, RemoteMonitoring Report, February - May 2022, abrufbar unter https://fews.net/east-africa/rwanda/remote-monitoring-report/february-2022). Verbesserte Lebensmittelversorgungsströme nach Lockerung der COVID-19-Beschränkungen, verbunden mit der Wiedereröffnung der Grenze zu Uganda und der Wiederaufnahme der Lebensmittelimporte im Januar 2022, dürften die Lebensmittelpreise trotz eines ungünstigeren Ausblicks für die künftige Ernte senken. Nahrungsmittelimporte werden insbesondere den Haushalten in der Ostprovinz zugutekommen (vgl. FEWS, RemoteMonitoring Report, February - May 2022, abrufbar unter https://fews.net/east-africa/rwanda/remote-monitoring-report/february-2022). Städtische Haushalte verzeichnen einen allmählichen Anstieg des Einkommens und der Kaufkraft. Daten, die vom Ruandischen Nationalen Institut für Statistik (NISR) gesammelt wurden, zeigen eine allmähliche Erholung der Wirtschaftstätigkeit nach der Aufhebung der strengen COVID-19-Kontrollmaßnahmen, einem Rückgang der Neuerkrankungen und der laufenden Impfkampagne, die bisher 61,7 Prozent der Bevölkerung vollständig immunisiert hat (vgl. FEWS, RemoteMonitoring Report, February - May 2022, abrufbar unter https://fews.net/east-africa/rwanda/remote-monitoring-report/february-2022). Höhere Ernährungsunsicherheiten - nach FEWS AcuteFood Insecurity Phase 2 ("stressed") - treten unter Ruandas Flüchtlings- und Asylbevölkerung auf, die rund 127.000 Menschen zählt. Diese Bevölkerung ist aufgrund ihres Mangels an produktiven Vermögenswerten und sozialer Unterstützung weiterhin von Ernährungsunsicherheit bedroht, was durch die Verringerung der Einkommensquellen unter den COVID-19-Beschränkungen verstärkt worden ist. Die Ernährungsunsicherheit erreicht insoweit aber nicht den Status einer Acute Food Insecurity der Phase 3 ("Crisis or higher") (vgl. FEWS, RemoteMonitoring Report, February - May 2022, abrufbar unter https://fews.net/east-africa/rwanda/remote-monitoring-report/february-2022).

Nach einem Bericht der World Bank ist Ruanda unter allen afrikanischen Staaten bekannt für den raschen Fortschritt hinsichtlich des Lebensstandards der Bevölkerung. Der öffentliche Dienstleistungssektor hat erheblich zugenommen und die Bereiche Bildungsstand, Impfquoten und demografische Entwicklung haben sich verbessert. Der Zugang zu Finanzdienstleistungen, Krankenversicherung und Infrastruktur hat sich erweitert (World Bank, Poverty and Global Practice, Africa Region, October 2020, p. I). Die ruandische Bevölkerung ist als Reaktion auf wirtschaftliche Chancen in den letzten Jahren mobiler geworden, wobei sich die Migration vor allem in Richtung Kigali City Province beschleunigt (World Bank, Poverty and Global Practice, Africa Region, October 2020, p. 23). Ruanda verfügt über eine Reihe von Sozialschutzprogrammen, die in den vergangenen Jahren einen signifikanten Anteil von Haushalten erreicht haben (World Bank, Poverty and Global Practice, Africa Region, October 2020, p. 23). Die Sozialschutzprogramme umfassen die Bausteine "Social Security" (u.a. Rentenversicherung, Krankenversicherung und Mutterschutz), "Short-term Social Assistance" (Direkthilfen bei Naturkatastrophen und für besonders arme Familien und Menschen), "Social Care Service" (Hilfsleistungen für Angehörige vulnerabler Gruppen) und "Livelihood and employment support" (Hilfen im Bereich Finanzen und Arbeit) (vgl. dazu Ministry of Local Government, National Social Protection Policy, June 2020, p. XI-XII; abrufbar unter https://www.minaloc.gov.rw/fileadmin/user_upload/Minaloc/Publications/Policies/Social_Protection_Policy_Adopted__1_.pdf). Zwischen den Jahren 2000 und 2010 sank der Anteil der in Armut lebenden Menschen von 59 auf rund 46 Prozent; bis 2016 auf 38 Prozent (World Bank, Poverty and Global Practice, Africa Region, October 2020, p. I). Eine vorübergehende Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Jahren 2016/17 dürfte sich auf das Tempo der im Zeitraum 2010 bis 2016 erfolgten Armutsbekämpfung ausgewirkt haben (World Bank, Poverty and Global Practice, Africa Region, October 2020, p. 19). Mit der COVID-19-Pandemie wird Ruanda mit fiskalischen und wirtschaftlichen Belastungen konfrontiert sein und die Covid-19-Pandemie wird mittelfristig die Beibehaltung des wirtschaftlichen Wachstums und der Armutsbekämpfung in den letzten Jahren beeinträchtigen (World Bank, Poverty and Global Practice, Africa Region, October 2020, p. I, XXII).

Das National Institute of Statistics of Rwanda (NISR) gibt für Februar 2021 an, dass die gesamte Arbeitslosigkeit bei 17% liege - auf Männer im arbeitsfähigen Alter entfallen hierbei 15,7%, auf Frauen 18,4% (vgl. National Institute of Statistics of Rwanda (NISR), abrufbar unter https://www.statistics.gov.rw/publication/trends-labour-market-performance-indicator-rwandamay-2021). Eine Absicherung im Falle der Arbeitslosigkeit (z.B. Arbeitslosengeld) gibt es nicht. Zumindest nicht in der Form, wie sie in Deutschland bekannt ist. Das durchschnittliche Monatsgehalt von Frauen liegt ungefähr 30% unter dem der Männer. Vor allem in ländlichen Gebieten begründet sich die Ungleichheit - nicht nur finanziell - zwischen den Geschlechtern durch eine vorherrschende patriarchalische Gesellschaftsstruktur (Danish Trade Union Development Agency, Labour Market Profile Rwanda - 2021/2022, Mai 2021, https://www.ulandssekretariatet.dk/wp-content/uploads/2021/05/LMP-Rwanda-2021-Final.pdf, p. 15). Insbesondere alleinstehende Frauen sehen sich dadurch Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt (The New Times, The truth about being single in Rwanda, vom 20.11.2020, abrufbar unter https://www.newtimes.co.rw/lifestyle/truth-about-being-single-rwanda).

Grundsätzlich ist es für Frauen in Rwanda nicht sehr leicht, eine Arbeitsmöglichkeit zu finden, um so für sich oder für die Familie Geld zu verdienen. Hier bieten unabhängige Nichtregierungsorganisationen und andere Träger Unterstützung durch verschiedene Projekte und Programme, wie Sprach- und Computerkurse, Handwerkskurse, sowie durch die Vermittlung von Arbeitsplätzen (Al Jazeera, The mixed tale of women's empowerment in Rwanda, abrufbar unter https://www.aljazeera.com/features/2018/9/20/the-mixed-tale-of-womens-empowerment-in-rwanda; ferner RDIS, Empowerment of Single Mothers and Under High Risk Girls Project, ohne Datum, abrufbar unter http://rdis.org.rw/activities/success-stories/single-mothers-project). Es gibt eine Initiative des World Food Programme zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen im landwirtschaftlichen Bereich in ländlichen Gebieten (World Food Programme, Rwanda: How training is helping women farmers grow, vom 6.12.2021, abrufbar unter https://www.wfp.org/stories/rwanda-how-training-helping-women-farmers-grow). Es gibt ferner Hilfen in anderen Bereichen wie die psychologische Betreuung alleinstehender Mütter, Erziehungskurse oder die allgemeine Sensibilisierung für die Situation alleinstehender Mütter (Association of Volunteers in International Service (AVSI) Rwanda, In Rwanda, at the side of single mothers, vom 01.12.2021, abrufbar unter https://www.avsi.org/en/news/2021/12/01/in-rwanda-at-the-side-of-single-mothers/2450/).

Zudem können Programme zur Rückkehrvorbereitung in Anspruch genommen werden. So unterstützt das Programm StartHope@Home Geflüchtete, die an einer Existenzgründung im Herkunftsland interessiert sind. Hierbei handelt es sich um ein Onlineprogramm mit fachspezifischen Coachings, Fortbildungen und Workshops; vgl. Rückkehr - Ruanda, Rückkehrvorbereitende Maßnahmen (RkVM), ohne Datum, abrufbar unter https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/rueckkehrvorbereitende-massnahmen-rkvm). Zudem stehen freiwilligen Rückkehrern Leistungen des REAG/GARP-Programmes zur Verfügung (Rückkehr - Ruanda, REAG/GARP, ohne Datum, abrufbar unter https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/reag-garp). Die vorgenannten Rückkehrhilfen und Programme sind bei der Gefahrenprognose im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG auch zu berücksichtigen (OVG Hamburg, Urt. v. 25.3.2021 - 1 Bf 388/19.A -, juris Rn. 141; OVG Bremen, Urt. v. 24.11.2020 - 1 LB 351/20 -, juris Rn. 42, 46; OVG Koblenz, Urt. v. 30.11.2020 - 13 A 11421/19 -, juris Rn. 138; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.12.2020 - A 11 S 2042/20 -, juris Rn. 110 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18.6.2019 - 13 A 3930/18.A -, juris Rn. 250 ff.). Einer Berücksichtigung der im Rahmen der Programme REAG/GARP und StarthilfePlus gewährten Hilfen steht insbesondere nicht entgegen, dass diese sich an freiwillige bzw. die Rückkehr jedenfalls aktiv mitgestaltende Asylbewerber richten, eine "echte" Freiwilligkeit jedoch in vielen Fällen nicht gegeben ist. Kann eine Rückkehr in das Herkunftsland bei Mitwirkung des Asylbewerbers in solcher Weise ausgestaltet werden, dass die bei Rückkehr dort vorgefundenen Bedingungen nicht die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots erfüllen, so ist diese Mitwirkung grundsätzlich auch dann zumutbar, wenn der Asylbewerber bei freier Wahl einen Verbleib im Bundesgebiet vorziehen würde. Denn grundsätzlich bedarf derjenige - wie bereits ausgeführt - nicht des Schutzes im Bundesgebiet, der eine geltend gemachte Gefährdung in seinem Heimatland oder in einem anderen Zielstaat der Abschiebung durch zumutbares eigenes Verhalten, wozu insbesondere die freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Heimatstaat gehört, abwenden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 -, juris Rn. 27 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.12.2020 - A 11 S 2042/20 -, juris Rn. 110 m.w.N.).

(b.) Nach den zur humanitären und wirtschaftlichen Situation in Ruanda vorliegenden Erkenntnissen ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Ruanda einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Verelendungsgefahr ausgesetzt wäre. Die Klägerin verfügt mit einem abgeschlossenen Studium in den Fächern H. über einen hohen Bildungsgrad. Sie hat vor ihrer Ausreise aus Ruanda durch eine Tätigkeit in einer J. im Angestelltenverhältnis, sowie im Anschluss danach durch eine selbständige Tätigkeit als Stoffhändlerin und Schneiderin ein solides Einkommen erwirtschaften können, dass ihr sogar die Stellung als Arbeitgeberin mehrerer Angestellter ermöglicht hat. Sie hat bereits damals bewiesen, dass sie sich gegen die etwaigen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen kann. Die Klägerin ist mit den Bedingungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt und den dort herrschenden entsprechenden Sitten vertraut.

Bei einer Rückkehr der Klägerin im Familienverbund mit einem ...-jährigen Sohn, einem Neugeborenen und dem Kindesvater dürfte die Klägerin zwar für einen gewissen Zeitraum wegen des erhöhten Betreuungsbedarfs für das Kleinkind erheblich in ihren Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt sein, allerdings könnte der Kindesvater auch Betreuungsleistungen im Rahmen der Erziehungs- und Beistandsgemeinschaft leisten und die Klägerin entlasten. Sollte die Klägerin aufgrund der familiären Situation keinen Beitrag zum Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit leisten können, ist davon auszugehen, dass auch der Kindesvater durch handwerkliche Erwerbstätigkeiten das erforderliche Existenzminimum sicherstellen könnte. Dieser verfügt über eine Ausbildung und arbeitet aktuell als Automechaniker (Sitzungsniederschrift, S. 7). Er ist zwar nicht in Ruanda sozialisiert und kennt sich mit den dortigen Gepflogenheiten, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, nicht aus. Er dürfte sich indes nach einer kurzen Zeit - mit Hilfe der in Ruanda sozialisierten Klägerin - mit den Gepflogenheiten dort vertraut machen können, zumal er sich dort auch verständigen kann. Die Amtssprache in Ghana ist Englisch. In Ruanda ist Englisch - neben Französisch, Kinyarruanda und Suaheli - ebenfalls Amtssprache. Seit 2010 ist in Ruanda Englisch statt Französisch formal auch die Schulsprache, d.h. ab der 4. Klasse ist Englisch Prüfungs- und Unterrichtssprache (in den ersten drei Jahren hingegen Kinyarrunada) (vgl. dazu wikipedia, Die Sprachen Ruandas, abrufbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Sprachen_Ruandas). Hinzu kommt, dass die Kernfamilie der Klägerin im Falle einer sozialen Notlage - wie aufgezeigt - staatliche oder nichtstaatliche Unterstützungsprogramme in Anspruch nehmen könnte. Darüber hinaus leben noch 4 Geschwister der Klägerin in Ruanda (2 Brüder und 2 Schwestern; vgl. Sitzungsniederschrift, S. 2), die die Klägerin und ihre Familie in einer Notlage ebenfalls unterstützen könnten.

(4.) Selbst wenn man für die anzustellende Gefährdungsprognose entgegen den obigen Ausführungen nicht von einer Rückkehr der Klägerin im Familienverbund mit dem Kindesvater, sondern von einer Rückkehr nur mit ihren Kindern ausgeht, ist mit Blick auf die vorgenannten strengen Maßstäbe für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen der sozioökonomischen Lage ebenfalls nicht von einer extremen Gefahrenlage für die Klägerin bei einer Rückkehr nach Ruanda auszugehen. Zwar wäre der Klägerin dann erheblich in ihren Erwerbsmöglichkeiten aufgrund erforderlicher Kindererziehung und -betreuung eingeschränkt. Die Klägerin könnte aber - wie aufgezeigt - als alleinerziehende Mutter die auf diesen Personenkreis zugeschnittenen Hilfsangebote und als vulnerable Person auch staatliche Hilfen des ruandischen Staates sowie Leistungen im Rahmen von Rückkehrerprogrammen in Anspruch nehmen. Zudem verfügt die Klägerin noch über ein familiäres Netzwerk in Ruanda, auf dessen Unterstützung sie zurückgreifen kann. Ihr stehen damit auch als alleinerziehende Mutter durch die vorgenannten Programme und das familiäre Netzwerk Hilfen zur Verfügung, die einer Verelendungsgefahr entgegenwirken.

b. Schließlich besteht auch kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgrund einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Insbesondere sind Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot aufgrund einer ernsthaften Gesundheitsgefährdung der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im 6. Monat schwangeren Klägerin weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

4. Die Abschiebungsandrohung in Ziff. 5 des angegriffenen Bescheids ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

a. Die Abschiebungsandrohung und ihre Verbindung mit der ablehnenden Asylentscheidung (Ziff. 1. bis 4. des angegriffenen Bescheids) entspricht den Vorgaben des nationalen Rechts.

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlässt das Bundesamt eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn einem Ausländer, der keinen Aufenthaltstitel besitzt (Nr. 4), kein Asyl oder internationaler Schutz gewährt wird (Nr. 1 bis 2a) und auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Dies ist nach der hier angegriffenen Entscheidung des Bundesamtes der Fall. Eine etwa fortgeltende Aufenthaltsgestattung (§§ 63 ff., § 67 AsylG) ist kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG; sie ändert als verfahrensabhängiges Bleiberecht nichts daran, dass sich der Ausländer nach der Ablehnung des Asylantrages im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG "illegal" im Bundesgebiet aufhält (BVerwG, Urt. v. 20.2.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 12).

Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG soll die Abschiebungsandrohung mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Gründe, die hier ein Absehen von einer Abschiebungsandrohung geboten hätten, liegen nicht vor. Die in dem Bescheid für eine freiwillige Ausreise gesetzten Fristen entsprechen § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG. Die Benennung und Auswahl des Abschiebungszielstaates tragen § 59 Abs. 2 AufenthG Rechnung.

b. Die Abschiebungsandrohung in Ziff. 5 des angegriffenen Bescheids steht auch mit den Vorgaben, die sich aus dem Unionsrecht für eine Verbindung von ablehnender Asylentscheidung mit einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 der Richtlinie 2008/115/EG ergeben, im Ergebnis im Einklang.

Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie 2008/115/EG in Verbindung mit der Richtlinie 2005/85/EG und im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in den Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta verankert sind, dahin auszulegen ist, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG, die sich gegen einen Drittstaatsangehörigen richtet, der internationalen Schutz beantragt hat, und die gleich nach der Ablehnung dieses Antrags durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung und somit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ergeht, nicht entgegensteht, sofern der betreffende Mitgliedstaat u. a. gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann (EuGH, Urt. v. 19.6.2018 - C-181/16 -, juris Rn. 60 ff., 67).

aa. Die danach unionsrechtlich gebotene Möglichkeit des Asylantragstellers, "dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann", ist gewahrt. Denn nach § 77 Abs. 1 AsylG ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (oder dem der Entscheidung) abzustellen, so dass sich der Antragsteller auf neue oder veränderte Umstände, die nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetreten sind, berufen kann und diese zu berücksichtigen sind (BVerwG, Urt. v. 20.2.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 22). Der allgemeine Grundsatz eines fairen und transparenten Rückkehrverfahrens unter Einbeziehung nachträglich entstandener Umstände hindert auch nicht, im Rahmen der Berücksichtigung von Umständen, die nach Art. 5 Richtlinie 2008/115/EG bei der Anwendung der Rückführungsrichtlinie zu beachten sind und die nach nationalem Verständnis lediglich ein inlandsbezogenes (rechtliches oder tatsächliches) Abschiebungshindernis zu begründen geeignet sind, diese nicht durchweg im Verfahren betreffend die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes zu überprüfen, sondern den Asylantragsteller darauf zu verweisen, sie in einem gesonderten Verfahren gegen die für den Vollzug der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde geltend zu machen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 23 f.). Die Klägerin ist daher nicht gehindert, etwaige nach Erlass der Abschiebungsandrohung entstandene inlandsbezogene Abschiebungshindernisse rechtlicher oder tatsächlicher Art - etwa bestehende familiäre Bindungen im Sinne des Art. 5 b der Richtlinie 2008/115/EG - gegen die zuständige Ausländerbehörde geltend zu machen.

bb. Soweit nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG "vor Erlass" einer Rückkehrentscheidung gegenüber einem unbegleiteten Minderjährigen eine umfassende und eingehende Beurteilung der Situation des Minderjährigen vorzunehmen und dabei das Wohl des Kindes gebührend zu berücksichtigen ist (Urt. v. 14.1.2021 - C-441/19 -, juris Rn. 60), und dies auch dann gilt, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um einen Minderjährigen, sondern um ein Elternteil handelt (Urt. v. 11.03.2021, C- 112/20 -, juris Rn. 43), kann dahinstehen, ob hieraus der Schluss zu ziehen ist, dass das Bundesamt alle in Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG genannten Belange "vor Erlass" der Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen und insoweit - in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung - auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu berücksichtigen hat (so VG Sigmaringen, Urt. v. 7.6.2021 - A 4 K 3124/19 -, juris Rn. 42 ff.; VG Karlsruhe, Beschl. v. 2.7.2021 - A 19 K 2100/21 -, juris Rn. 25 ff.; Urt. v. 12.7.2021 - A 19 K 9993/17 -, juris Rn. 73 ff.; a. A. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 23.4.2021 - 19 A 810/16.A -, juris Rn. 100; VG Karlsruhe, Urt. v. 19.4.2021 - A 4 K 6798/19 -, juris Rn. 36; VG Potsdam, Beschl. v. 29.9.2021 - 6 L 411/21.A -, juris Rn. 32 f.). Denn unabhängig von der Antwort auf diese Frage haben hier einer Rückkehrentscheidung entgegenstehende Belange im Sinne des Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG, die vor dem Erlass der Abschiebungsandrohung durch Bescheid vom 7. Dezember 2017 vom Bundesamt zu berücksichtigen gewesen wären, offensichtlich nicht vorgelegen. Der Sohn der Klägerin ist erst im April L. geboren worden. Zu schützende familiäre Bindungen durch die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bestehende Beziehung der Klägerin mit dem Kindesvater haben bereits deshalb nicht vorgelegen, da dieser über kein dauerhaftes Bleiberecht verfügt hat. Auch sonstige dem Erlass einer Rückkehrentscheidung entgegenstehende familiäre Bindungen haben nicht vorgelegen. In der Anhörung am 1. August 2017 vor dem Bundesamt hat die Klägerin erklärt, dass sich in Deutschland keine Verwandten von ihr aufhalten (Anhörungsniederschrift, S. 9).

cc. Die Abschiebungsandrohung in Ziff. 5 des angegriffenen Bescheids steht jedoch nicht mit unionsrechtlichen Vorgaben im Einklang, soweit die gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen mit der Bekanntgabe des Bescheids in Lauf gesetzt worden ist. Diese ursprüngliche, objektiv unionsrechtswidrige Fristsetzung ist jedoch aufgrund der Klage gegen den Bescheid durch eine unionsrechtskonforme Fristsetzung ersetzt worden.

Die in Art. 7 der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise darf nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat (EuGH, Urt. v. 19.6.2018 - C -181/16 -, juris Rn. 62). Nach dem Grundsatz der Waffengleichheit sind dabei während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen (EuGH, Urt. v. 19.6.2018 - C-181/16 -, juris Rn. 61). Das Fristlaufverbot und das Bleiberecht erfassen mithin auch den Zeitraum, in dem ein Rechtsmittel noch nicht eingelegt ist, und stehen für diesen dem Lauf der behördlich zu setzenden Ausreisefrist entgegen; Rechtsmittelfrist und Ausreisefrist dürfen nicht gleichzeitig laufen. Damit nicht vereinbar ist § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG, der für den Lauf der zu setzenden Ausreisefrist von 30 Tagen erkennbar an die Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesamts anknüpft (BVerwG, Urt. v. 20.2.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 27).

Die Klägerin ist indes durch diese anfängliche objektive Unionsrechtswidrigkeit des Bescheides aufgrund ihrer Klage wegen des Eintritts der im Gesetz in § 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG und im angegriffenen Bescheid benannten außerprozessualen Bedingung ("im Falle einer Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens") nicht mehr beschwert. Die ursprüngliche, objektiv unionsrechtswidrige Fristsetzung ist aufgrund der Klage durch eine unionsrechtskonforme Fristsetzung ersetzt worden, da die Ausreisefrist nunmehr 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet.

5. Die nach Ziff. 6 des angegriffenen Bescheids erfolgte Befristung "des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots" ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beklagte hat das nach § 11 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 gültigen Fassung für den Fall der Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Ausländers entstehende gesetzlich entstehende Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. § 11 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 gültigen Fassung ist mit der Richtlinie 2008/115/EG jedoch nicht vereinbar, da nach Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG das mit einer Rückkehrentscheidung (Art. 3 Nr. 4 Richtlinie 2008/115/EG) einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot (Art. 3 Nr. 6 Richtlinie 2008/115/EG) stets einer behördlichen oder richterlichen Einzelfallentscheidung bedarf, die auch seine Dauer festlegen muss (BVerwG, Urt. v. 21.8.2018 - 1 C 21.17 -, juris Rn. 21). Die behördlich erfolgte Befristung des gesetzlichen Einreiseverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung ist jedoch unionsrechtskonform regelmäßig als konstitutiver Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer auszulegen (BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 46.20 -, juris Rn. 10; Urt. v. 21.8.2018 - 1 C 21.17 -, juris Rn. 25 und 28; Urt. v. 27.7.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 42 und Beschl. v. 13.7.2017 - 1 VR 3.17 -, juris 72). Damit handelt es sich um einen einheitlichen, auch in sich nicht teilbaren belastenden Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Ein Ermessensfehler bei der Befristung führt zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots insgesamt, das dann im Regelfall ermessensfehlerfrei neu erlassen werden darf (BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 46.20 -, juris Rn. 10).

Der in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamts damit konstitutiv vorgenommene Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und dessen Befristung auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung sind nicht zu beanstanden.

Die Befristung eines unter der aufschiebenden Bedingung einer Abschiebung des Ausländers erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbots vollzieht sich in zwei Schritten: In einem ersten Schritt bedarf es der prognostischen Einschätzung des Bundesamts, wie lange das Verhalten des Betroffenen, welches der die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots veranlassenden Abschiebung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an einer Gefahrenabwehr durch Fernhaltung des Ausländers von dem Bundesgebiet zu tragen vermag. Sind in dem zu beurteilenden Einzelfall Umstände, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten des Ausländers vom Bundesgebiet erhöhen, ebenso wenig erkennbar wie Umstände, die geeignet sind, das Gewicht dieses öffentlichen Interesses zu mindern, so begegnet es in einer Situation, die keine Besonderheiten gegenüber gleichgelagerten Fällen aufweist, keinen Bedenken, das abschiebungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 30 Monaten zu befristen und damit den durch Art. 11 Abs. 2 Satz 1 RL 2008/115/EG und § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmen zur Hälfte auszuschöpfen. Dem gefahrenabwehrrechtlich geprägten öffentlichen Interesse sind in einem zweiten Schritt die Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die private Lebensführung des Ausländers gegenüberzustellen. Die Schutzwürdigkeit des Interesses des Ausländers an einer angemessenen Rückkehrperspektive wird insbesondere durch Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRC sowie durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt (BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 47.20 -, juris Rn. 15 ff.).

Gemessen an diesen Vorgaben begegnet die vorgenommene Befristung keinen Bedenken. Besondere Umstände, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten der Klägerin vom Bundesgebiet erhöhen, sind ebenso wenig erkennbar wie besondere Umstände, die geeignet sind, das Gewicht dieses öffentlichen Interesses zu mindern. Mit der getroffenen Fristbestimmung wird auch das Interesse der Klägerin an einer angemessenen Rückkehrperspektive nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt. Einer angemessenen Rückkehrperspektive bedürfen im Lichte des Schutzes des Familienlebens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 Var. 2 GRC insbesondere Ausländer, die im Bundesgebiet in familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen oder einem ausländischen langfristig aufenthaltsberechtigten Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährigen ledigen Kind leben oder eine sozial-familiäre Beziehung mit einem solchen minderjährigen ledigen Kind pflegen. Die Klägerin lebt indes mit einem vollziehbar ausreisepflichtigen ghanaischen Staatsbürger zusammen, der über keine Aufenthaltsberechtigung und keine hinreichende Bleibeperspektive verfügt. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Klägerin ihre familiären Bindungen zu dem Vater ihrer Kinder nur im Bundesgebiet aufrechterhalten kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin als sog. "faktische Inländerin" in besonderer Weise durch soziale, kulturelle oder sonstige familiäre Bindungen in Deutschland "verwurzelt" ist, bestehen nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.