Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.03.2022, Az.: 2 LB 641/19
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eines syrischen Staatsangehörigen mit Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe oder zum yesidischen Glauben; Annahme einer Gruppenverfolgung von Frauen durch das syrische Regime oder andere Akteure
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.03.2022
- Aktenzeichen
- 2 LB 641/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 14848
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 13.06.2017
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG
- § 3a Abs. 1 Nr. 1, 2 AsylG
Fundstelle
- AUAS 2022, 107
Amtlicher Leitsatz
Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus den Gründen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG folgt für syrische Asylkläger ohne Hinzutreten besonderer risikoerhöhender individueller Umstände auch weiterhin nicht aus einer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe und/oder zum yesidischen Glauben.
Von einer regelhaften geschlechtsspezifischen Verfolgung syrischer Frauen kann ohne Hinzutreten solcher risikoerhöhenden Umstände gleichermaßen nicht ausgegangen werden.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 13. Juni 2017 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin, eine im Jahr 1994 geborene syrische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yesidischer Religionszugehörigkeit, die über subsidiären Schutz verfügt, begehrt im Wege der Aufstockungsklage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt gab sie im Wesentlichen an, sie habe in Syrien zuletzt ein Jahr in Amuda/Gouvernement Al Hasaka gelebt. Gemeinsam mit zwei Schwestern sei sie Ende 2014/Anfang 2015 auf dem Landweg ausgereist, weil Yesiden und Kurden von Kämpfern des sog. Islamischen Staats (IS) angegriffen worden seien. Zudem habe sie gehört, dass der IS in Shengal (ebenso bekannt als Sinjar oder Shingal)/Irak Frauen entführt, vergewaltigt und ermordet habe. In ihrem Ort habe es so etwas zwar nicht gegeben und ihr selbst sei auch nichts passiert, ihr Vater habe aber große Angst um sie und ihre Schwestern gehabt und sie deshalb gemeinsam in die Türkei geschickt. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchte sie wegen ihrer kurdischen Volks- und yesidischen Glaubenszugehörigkeit von Kämpfern des IS misshandelt und getötet zu werden. In Syrien lebten noch ihre Eltern, ein Bruder, eine Schwester und ihre Großfamilie.
Die Beklagte erkannte der Klägerin mit Bescheid vom 7. April 2017 subsidiären Schutz zu und lehnte den im Übrigen auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkten Asylantrag ab.
Mit ihrer dagegen gerichteten Klage hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, ihr stehe ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, weil ihr im Falle einer Rückkehr wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung in Deutschland und des Auslandsaufenthalts die Gefahr politischer Verfolgung in Syrien drohe. Zudem gehöre sie als Frau, Kurdin und Yesidin zu den durch den UNHCR in den "Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen", 4. Aktualisierte Fassung vom November 2015, bezeichneten Risikogruppen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 7. April 2017 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen und zur Begründung zusammenfassend ausgeführt: Nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel sei davon auszugehen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Sie sei illegal ausgereist, habe sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt. Diese Risikomerkmale machten es beachtlich wahrscheinlich, dass ihr der syrische Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellen und sie deshalb bei der Rückkehr misshandeln werde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten. Sie greift die Auffassung des Verwaltungsgerichts an, gegenwärtig habe bei Rückkehr mit Verfolgung zu rechnen, wer Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich im westlichen Ausland aufgehalten habe.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, sie sei schon zum Zeitpunkt ihrer Ausreise von Verfolgung bedroht gewesen. Nach dem Überfall des IS auf die nordirakische Stadt Shingal sei sie als Yesidin in Syrien gleichermaßen von einer Verfolgung durch islamistische Kämpfer bedroht gewesen. Das Vorgehen des IS werde zudem von den in ihrer Heimatregion operierenden türkischen Truppen unterstützt. Yesiden seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von religiöser Verfolgung bedroht, wenn sie in den von türkischen Truppen kontrollierten Gebieten im Norden Syriens in die Hände der islamistischen Milizen fielen. Auch seitens des syrischen Staats drohe ihr Verfolgung, denn dieser unterstelle allen syrischen Bürgern willkürlich eine Regimegegnerschaft. Jeder, der sich in Syrien aufhalte, könne Objekt staatlicher Verfolgung werden. Das syrische Regime sei zudem der Auffassung, Yesiden seien eine islamische Sekte und unterfielen dem islamischen Recht. Ihr drohe aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit Verfolgung, weil sie die fünf Säulen des Islams weder anerkenne noch befolge und sich zudem nicht an die islamischen Ernährungsregeln halte. Auch wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit sei sie von Verfolgung sowohl durch die in Syrien operierenden türkischen Truppen als auch durch das syrische Regime bedroht. Die Übergriffe islamistischer Kämpfer auf kurdische Volkszugehörige würden von dem türkischen Staat in den von ihm kontrollierten Gebieten in Syrien gebilligt und letztlich unterstützt. Der Türkei gehe es dabei nicht um den Kampf gegen die PKK, sondern um eine gezielte Arabisierung. Ein zusätzlicher Risikofaktor sei zudem, dass sie eine junge, alleinstehende Frau sei, denn die von türkischer Seite unterstützten Milizen setzten sexuelle Gewalt gegen Frauen als Waffe ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakte verwiesen. Die vom Senat zugrunde gelegten Erkenntnismittel ergeben sich aus der der Klägerin übersandten Liste und den von der Klägerin im Berufungsverfahren weiter benannten Unterlagen.
II.
Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (zur Zulässigkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO vgl. Senatsbeschl. v. 5.9.2017 - 2 LB 186/17 -, juris Rn. 18 ff.). Die aufgeworfenen rechtlichen und tatsächlichen Fragen sind in der Senatsrechtsprechung seit längerem geklärt (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, jeweils veröffentlicht in juris [so auch im Folgenden zitiert] sowie in beck-online und unter www.rechtsprechung.niedersachsen.de). Die Klägerin hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine mündliche Verhandlung geboten erscheinen lassen.
Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). In § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG werden einzelne Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt, unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (Nr. 1), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5). Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG jeweils näher erläuterten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z. B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreicht, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 31). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen (vgl. näher zu den Voraussetzungen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 21 bzw. 20).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ("real risk") drohen (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 19, 32; Beschl. v. 15.8.2017 - 1 B 120.17 -, juris Rn. 8). Für die anzustellende Verfolgungsprognose gilt - unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht - ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU, nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 21 f.; Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris Rn. 34). Eine Verfolgung ist beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. hierzu sowie zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt und den Maßgaben der richterlichen Überzeugungsbildung im Einzelnen Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris Rn. 22 ff. bzw. 21 ff.).
Nach diesen Maßgaben besteht für die Klägerin bei einer - hypothetischen - Rückkehr nach Syrien zur Überzeugung des Senats keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen.
Anhaltspunkte dafür ergeben sich auch nicht unter Berücksichtigung der klägerseitig im Berufungsverfahren vorgelegten Erkenntnismittel (unter anderem UN Human Rights Council (UNHRC), Report of the Independent International Commission of Inquiry (CoI) on the Syrian Arab Republic vom 13. August 2021, ecoi.net ID 2060676; Amnesty International (ai), "Your're going to your death" vom September 2021, European Asylum Support Office (EASO), "Country Guidance Syria" vom November 2021, ecoi.net ID 2064844 und EASO, COI "Syria Security situation" vom Juli 2021, ecoi.net ID 2056019; USCIRF "Syria, Annual Report" vom April 2021, ecoi.net ID 2052987).
1. Die Klägerin ist nicht vorverfolgt ausgereist, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU greift daher nicht. Sie hat im Verfahren vor dem Bundesamt erklärt, dass ihr selbst in Syrien nichts passiert sei, ihr Vater habe sie und ihre beiden Schwestern aber vorsorglich in die Türkei geschickt. Ihr weiteres Vorbringen im Verwaltungsprozess führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Es bedarf keiner Klärung, ob das Vorbringen der Klägerin, ihr habe zum Zeitpunkt ihrer Ausreise wegen ihrer yesidischen Glaubensangehörigkeit Verfolgung seitens der Kämpfer der Terrormiliz des "Islamistischen Staats (IS) gedroht, eine Vorverfolgung begründet. Denn eine im Fall der Annahme einer Vorverfolgung bestehende Vermutung, dass sich eine solche Verfolgung bei der Rückkehr nach Syrien wiederholen wird, kann - wie oben ausgeführt - widerlegt werden. Das ist hier der Fall, weil stichhaltige Gründe vorliegen, die die Wiederholungsträchtigkeit einer erneuten Verfolgung durch die Terrormiliz des IS entkräften. Diese ergeben sich aus der Tatsache, dass der IS in Syrien zwischenzeitlich weitgehend zurückgedrängt worden ist; das gilt auch für die Heimatregion der Klägerin. Von der Terrormiliz des IS geht keine beachtliche Gefahr der Verfolgung mehr aus (vgl. zu den Machtverhältnissen in Syrien, UNHRC, CoI Report v. 13.8.2021, aaO, Seite 22, taz vom 5.3.2021 "Erdogans großes Syrienprojekt", zur Verfolgung von Yesiden durch die Terrormiliz "IS", auch Senatsbeschl. v. 28.1.2020 - 2 LB 458/18 -; OVG SH, Urt. v. 30.12.2019 - 5 LB 28/19 -, juris Rn. 29 und vom 27.9. 2018 - 2 LB 21/18 -, juris Rn. 37, OVG NW Urt. v. 12.12.2018 - 14 A 847/18.A -, juris Rn. 34).
Dass sich einzelne IS-Kämpfer oder islamistische Kampfverbände in einigen Regionen aufhalten mögen und dort auch vereinzelt Anschläge verüben könnten (vgl. EASO, Guidance Syria, November 2021, aaO, Seite 64, UNHRC, CoI Report v. 13.8.2021, aaO, Seite 8 ff. (11)), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Unabhängig davon, dass die in Rede stehenden Terroranschläge als einzelne Gewaltakte, nicht aber als zielgerichtete Verfolgungshandlungen gemäß § 3 AsylG einzustufen sind, liegen auch die Voraussetzungen des § 3c AsylG nicht vor. Die Terrororganisation des IS hat ihre territoriale Kontrolle mittlerweile vollständig eingebüßt (vgl. z.B. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 10). Zwar verfügt er in Syrien noch über Rückzugsgebiete, er ist aber kein tauglicher Akteur im Sinne des § 3c AsylG. Weder beherrscht er zum jetzigen Zeitpunkt einen wesentlichen Teil des syrischen Staatsgebietes noch liegen die Voraussetzungen des § 3c Nr. 3 AsylG vor (vgl. auch zur Verfolgung durch die Terrormiliz des sog. Islamischen Staats (IS), Senatsbeschl. v. 28.1.2020 - 2 LB 458/18 -).
2. Auch Nachfluchtgründe, also die beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründende Ereignisse, die eingetreten sind, nachdem die Klägerin Syrien verlassen hat (§ 28 Abs. 1a AsylG) liegen nicht vor.
Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit folgt weder aus einer (illegalen) Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland (dazu unter a) noch aus einer kurdischen Volkszugehörigkeit (dazu unter b) und yesidischen Religionszugehörigkeit (dazu unter c). Auch Anhaltspunkte für eine geschlechtsspezifische Verfolgung der Klägerin (dazu unter d) liegen nicht vor.
a) Syrische Staatsangehörige unterliegen nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 - u. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris) allein aufgrund einer (illegalen) Ausreise, einer Asylantragstellung und einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland und der Herkunft aus einem (ehemals) von der Opposition beherrschten Gebiet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.
Es fehlt jedenfalls an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer etwaigen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel lassen den Schluss, dass Rückkehrern ohne besonderes Profil von Seiten des syrischen Staates regelhaft eine oppositionelle Gesinnung zugeschrieben wird, weiterhin nicht zu. Zur näheren Begründung seiner Einschätzung nimmt der Senat vollumfänglich Bezug auf seine Urteile vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 - und vom 22. April 2021 - 2 LB 147/18 und 408/20 -, juris (zur Zulässigkeit einer solchen Bezugnahme vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.4.1990 - 9 CB 5.90 -, juris Rn. 6, v. 22.11.1994 - 5 PKH 64.94 -, juris Rn. 4, u. v. 3.12.2008 - 4 BN 25.08 -, juris Rn. 9; Lambiris in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Ed. 2020, § 117 Rn. 19a; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 117 Rn. 85).
Das klägerseitige Vorbringen gibt keine Veranlassung zu einer anderen Bewertung. Neuere Erkenntnisse, die darauf schließen lassen könnten, dass die Situation von Rückkehrern aus Deutschland anders zu beurteilen sein könnte, liegen nicht vor. Solche Erkenntnisse ergeben sich auch nicht aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen, namentlich dem Bericht von Amnesty International (ai) vom September 2021. Soweit in dem Bericht geschlussfolgert wird, syrische Sicherheitskräfte unterstellten (allen) Rückkehrern aufgrund ihrer Ausreise und/oder des Aufenthalts im (Aus-)Land, in dem sie Schutz gesucht hätten, eine illoyale oppositionelle Haltung und deswegen würden Rückkehrer verhaftet, willkürlich gefoltert oder in sonstiger Weise misshandelt, stützt sich die Schlussfolgerung auf Ermittlungen zu Schicksalen von 66 Personen, die im Zeitraum von Mitte 2017 bis Frühjahr 2021 nach Syrien zurückgekehrt sein sollen, wobei die Recherche im Zeitraum von Juli 2020 bis Juni 2021 verlief (vgl. Amnesty International, "You're going to your death" - Violations against Syrian refugees returning to Syria, 9/2021, Seiten 5 f., 9, 15, 20). Angesichts des Umstandes, dass aber - auch nach Angaben von Amnesty International - im Zeitraum von 2016 bis Mai 2021 jedenfalls mehr als 280.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt sind (vgl. Amnesty International, "You're going to your death" - Violations against syrian refugees returning to Syria, 9/2021, Seite. 11), ist die danach auf eine verhältnismäßig geringe Zahl von Rückkehren bezogene Schlussfolgerung nicht repräsentativ und schon deshalb nicht geeignet, die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung jedes Rückkehrers allein wegen seiner (illegalen) Ausreise, seines Asylantrags und seines Aufenthalts in Deutschland zu rechtfertigen. Dies gilt auch deshalb, weil die in dem Bericht genannten 24 Fälle, in denen Rückkehrern allein wegen ihrer Flucht eine oppositionelle Haltung unterstellt worden sein soll, und die 15 Fälle, in denen Rückkehren wegen des Ortes, an den sie geflüchtet seien, vorgeworfen worden sein soll, Terroristen zu sein, nicht im Einzelnen näher und damit nicht nachvollziehbar dargestellt werden. Hinzukommt, dass - wie in anderen Erkenntnisquellen (vgl. The Danish Immigration Service, Syria. Security clearance and status settlement for returnees, 12/2020, Seite 5) - von sog. "wanted lists" als Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung von Rückkehrern die Rede ist (vgl. Amnesty International, "You're going to your death" - Violations against syrian refugees returning to Syria, 9/2021, Seiten 15 f., 17, 28, 31) und gleichzeitig nicht ersichtlich ist, dass alle ins Ausland bzw. alle nach Deutschland Geflüchteten automatisch auf solchen Listen geführt werden (vgl. auch BayVGH. Urt. v. 8.12.2021 - 21 B 19.33948 -, juris Rn. 24).
Auch die übrige obergerichtliche Rechtsprechung verneint in den genannten Fällen eine politische Verfolgung (OVG NRW, Beschl. v. 25.1.2021 - 14 A 822/19.A -; VGH BW, Urt. v. 4.5.2021 - A 4 S 468/21 - u. Urt. v. 18.8.2021 - A 3 S 271/19 -; OVG MV, Urt. v. 26.5.2021 - 4 L 238/13 -; BayVGH, Urt. v. 23.6.2021 - 21 B 19.33586 - und v. 8.12.2021 - 21 B 19.33948 -; OVG LSA, Urt. v. 1.7.2021 - 3 L 154/18 -; SächsOVG, Urt. v. 22.9.2021 - 5 A 855/19.A -; HessVGH, Urt. v. 23.8.2021 - 8 A 1992/18.A -; OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 28.5.2021 - OVG 3 B 37.17 -, alle Entscheidungen veröffentlicht bei juris).
b) Ebenso wenig begründet die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit (vgl. Senatsurt. v. 22.4.2021 - 2 LB 147/18 -, juris Rn. 90 ff. und v. 21.12.2020 - 2 LB 375/20 -).
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13), dass sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten, anlassbezogenen Maßnahmen, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben kann, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13) - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, juris Rn. 20) - eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006 - 1 C 15.06 -, juris Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Die bloße Feststellung "zahlreicher" oder "häufiger" Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie - gemessen an der Zahl der Gruppenmitglieder - nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt (BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, juris Rn. 23). Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, juris Rn. 21).Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn Interner Schutz im Sinne des § 3e AsylG nicht besteht bzw. nicht erreicht werden kann.
Nach diesen Maßstäben liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor, dass der syrische Staat gezielt und in großem Umfang Angriffe gegen Kurdinnen und Kurden durchführt, die gemessen an dem kurdischen Bevölkerungsanteil von rund 15 % eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche verhältnismäßige Verfolgungsdichte erreichen (vgl. zum Anteil der kurdischen Bevölkerung auch EASO, Country Guidance Syria: November 2021, aaO, Seite106).
Eine allein an die kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfende beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit durch den syrischen Staat wird - ohne das Hinzutreten weiterer, individuell gefahrerhöhender Umstände - auch sonst von keiner Seite angenommen (vgl. etwa AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 24; EASO, März 2020, Seite 80; EZKS v. 29.3.2017, Seite 2; vgl. zudem OVG MV, Urt. v. 26.5.2021 - 4 L 238/13 -, juris Rn. 41; BayVGH, Beschl. v. 30.1.2020 - 20 B 19.32952 -, juris Rn. 24 ff.; OVG SH, Urt. v. 22.8.2019 - 5 LB 37/19 -, juris Rn. 44 und v. 4.5.2018 - 2 LB 62/18 - juris Rn. 78 ff OVG NRW, Urt. v. 22.6.2018 - 14 A 618/18.A -, juris Rn. 30 ff.).
Gegen eine landesweite Verfolgung kurdischer Volkszugehöriger in Syrien spricht zudem die Existenz der unter kurdischer Selbstverwaltung stehenden autonomen Gebiete in Nord- und Ostsyrien. Diese nördlichen und nordöstlichen Gebiete der "Autonomous Administration of North and East Syria - AANES, die von dem zivilen Entscheidungsgremium des Syrischen Demokratischen Rats (Syrian Democratic Council - SDC), einem Flügel der Syrian Democratic Forces (SDF) errichtet wurde und in den Kernbereichen von der kurdischen Democratic Union Party (PYD) und den kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) dominiert werden (vgl. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 9) umfassen die Gouvernements von Raqqa und Al Hasaka, Teile des Deir ez-Zor Gouvernement nordöstlich des Euphrat, Teile des Gouvernement Aleppo um Manbij and Kobane, sowie das Gebiet um Tal Rifaat (vgl. EASO, CoI Bericht; Juli 2021 aaO, Seiten 22, 157, EASO, Country Guidance Syria: November 2021, aaO Seite193). Die im Oktober 2015 gegründeten Syrian Democratic Forces, die wesentliche militärische Kraft der AANES, ist eine kurdisch geführte multi-ethnische und multi-religiöse Streitmacht, der auch Araber, Assyrer, Armenier, Yesiden, Christen und Turkmenen angehören (vgl. EASO, CoI, Bericht; Juli 2021 aaO, Seite 22; EASO, Guidance: Syria, November 2021 aaO, Seite 15). Bei der Beurteilung ist auch zu beachten, dass die im Nordosten Syriens die effektive Herrschaftsgewalt ausübende kurdische PYD und ihr militärischer Arm, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), im Bürgerkrieg bislang nicht in offener militärischer Gegnerschaft zur syrischen Regierung aufgetreten sind und der Rückzug der syrischen Armee aus den Kurdengebieten im Jahr 2011 im Grunde auf einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung und den kurdischen Kräften basiert (vgl. BFA v. 18.12.2020, Seite 11). Auch die seit November 2019 wieder erfolgte Stationierung syrischer Truppen im kurdisch dominierten Nordosten des Landes basiert auf einer entsprechenden Übereinkunft zwischen PYD, YPG, SDF und der syrischen Regierung (vgl. DIS, Mai 2020, Seite 10; EASO, November 2019, Seite 18).
Auch wenn hinsichtlich der vom syrischen Regime einschließlich seiner Verbündeten kontrollierten Landesteile Fälle von staatlicher und/oder gesellschaftlicher Diskriminierungen der kurdischen Bevölkerung einschließlich der Einschränkung des Gebrauchs und des Unterrichts der kurdischen Sprache berichtet werden (vgl. BFA v. 18.12.2020, Seite 64 f., USDOS v. 30.3.2021, Seite 63), lassen sich flüchtlingsrechtlich relevante zielgerichtete Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Kurdinnen und Kurden in einer Verfolgungsdichte, die gemessen an dem Anteil der kurdischen Bevölkerung in Syrien von rund 15 % die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigen könnte, nicht feststellen (vgl. EASO, März 2020, Seite 80).
Aufgrund der unterschiedlichen Kampfhandlungen und vielfältigen Kampfverbände und Koalitionen im syrischen Bürgerkrieg zeichnet sich in der Gesamtschau vielmehr in Bild unterschiedlicher Prägung. So hat sich eine staatliche Diskriminierung von Kurdinnen und Kurden mit der Machtübernahme der kurdischen PYD auch in Nord- und Nordostsyrien faktisch entspannt (vgl. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 24). Auch der UNHCR hat bereits in seinem Bericht von November 2017 ausgeführt, dass sich die Lage ethnischer Minderheiten je nach Gebiet unterschiedlich gestaltet und abhängig davon ist, welche Gruppierung das jeweilige Gebiet kontrolliert (UNHCR, November 2017, Seite 54 ff.). Dementsprechend geht auch der UNHCR davon aus, dass eine Verfolgungsgefahr für Angehörige ethnische Minderheiten von weiteren Faktoren wie ihrer Religion, ihrer (unterstellten) politischen Gesinnung oder anderen im Einzelfall relevanten Umständen abhängt (vgl. UNHCR, November 2017, Seite 57 ff., 63). Solche liegen hier indes nicht vor.
Auch in den unter Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen stehenden Gebieten im Norden und Nordosten Syriens ist nicht regelhaft, sondern gegebenenfalls abhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles und dem Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände (beispielsweise im Falle der Zusammenarbeit mit oppositionellen Gruppierungen und/oder deren Kampfverbänden) von einer Verfolgung kurdischer Volkszugehöriger auszugehen. Zwar berichten verschiedene Quellen insbesondere im Zusammenhang mit den türkischen Militäroperationen "Olivenzweig" in Afrin 2018, "Friedensquelle" 2019 im Nordosten Syriens und "Euphrat Shield" 2020 in Nord-Aleppo von Übergriffen und Repressalien gegenüber Kurdinnen und Kurden und den dieser Volksgruppe regelmäßig angehörenden Yesidinnen und Yesiden, (vgl. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 9, 16. und EASO, CoI Report Juli 2021, Seite 81). Die geschilderten Übergriffe standen aber vornehmlich im Zusammenhang mit entsprechenden Kampfhandlungen zwischen der Türkei bzw. den Türkei-nahen Milizen und der kurdischen YPG und einer diesbezüglichen tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung zur kurdischen PYD (vgl. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 15 f.). Der kurdischen Partei PYD und den Streitkräften der YPG unterstellt die Türkei eine besondere Nähe zu der von der EU als Terrororganisation eingestuften PKK, mit der Folge, dass sie ihre Mitglieder gleichermaßen als Terroristen betrachtet (AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 9, USCIRF, Anual Report v. April 2021, aaO. Seite 45).
c) Auch die yesidische Religionszugehörigkeit begründet nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die vorliegenden Erkenntnismittel einschließlich der von der Klägerin weiter bezeichneten Quellen lassen zur Überzeugung des Senats nicht den Schluss zu, dass yesidische Frauen in Syrien seitens des syrischen Regimes ohne Hinzutreten risikoerhöhender Umstände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG ausgesetzt sind, die an ihre Religionszugehörigkeit anknüpfen.
In Übereinstimmung damit wird auch in dem aktuellen Bericht v. EASO Guiduance Syria v. November 2021 (aaO, Seite 111) ausgeführt, dass Yesiden nach dortigen Informationen nicht regelhaft, sondern in Abhängigkeit von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles und dem Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände (beispielsweise im Falle der Zusammenarbeit mit oppositionellen Gruppierungen und/oder deren Kampfverbänden) von Verhaftung und Misshandlung bedroht sind. Auch den übrigen Erkenntnismitteln lassen sich Anhaltspunkte für eine an die Religionszugehörigkeit anknüpfende Gruppenverfolgung von Yesiden in Syrien nicht entnehmen. Gleiches gilt für den Bericht des UNHRC, CoI Report v. 13. August 2021 (aaO). Bei den dort (aaO, Seite 14) zitierten Übergriffen auf Dörfer mit überwiegend yesidischer Bevölkerung im Bezirk Afrin im Dezember 2020 handelte es sich erklärtermaßen um Vergeltungsmaßnahmen einzelner Mitglieder der Faylaq al-Sham Brigade der Syrian National Army (SNA), die im Zusammenhang mit der Tötung eines Brigadeführers der SNA standen. Auch die vom EASO im Bericht vom Juli 2021 (aaO, Seite 171 f.) zu den Gebieten von Ras al-Ayn und Afrin geschilderten Übergriffe auf 49 kurdische und yesidische Frauen in der Zeit von November 2019 bis Juli 2020 sowie die Zwangsehen mit Angehörigen der Sultan Murad Brigade lassen - ungeachtet des Umstandes, dass jegliche Angaben zu nachprüfbaren Tatsachen fehlen - einen entsprechenden Schluss nicht zu. Nach EASO standen die Übergriffe im Übrigen im Zusammenhang mit der türkischen Militäroperation "Olivenzweig" und den Kampfhandlungen in den (auch von der kurdischen PYD/YPG kontrollierten) Gebieten im Norden Syriens (vgl. zur türkischen Militäroperation "Olivenzweig" auch AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 16). Auch der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Dezember 2020 (aaO, Seite 16) stellt heraus, dass die im Rahmen der türkischen Militäroperation erfolgten Übergriffe und Repressalien seitens türkischer Sicherheitskräfte und arabischer Hilfstruppen auf Kurden und Kurdinnen und einige Yesidinnen und Yesiden im Zusammenhang mit dem Verdacht einer tatsächlichen oder vermeintlichen Kooperation mit der kurdischen PYD/YPG standen.
Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf den UNHRC, CoI Report vom 13. August 2021 (aaO Seite 14), den USCIRF, Anual Report vom April 2021, ecoi.net ID 2052987 und den EASO Bericht "Syria Scurity situation vom Juli 2021 - ecoi.net ID 2056019 zudem vorträgt, yesidische Frauen, die aus den unter der Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen stehenden Gebieten im Norden Syriens stammten, seien in besonderem Maß von Verfolgung durch die von der Türkei unterstützten islamistischen Milizen bedroht, ist - ungeachtet der vorstehenden Ausführungen (unter 1) zu einer (fehlenden) beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit durch Kämpfer des IS - zu ergänzen, dass die Klägerin nach eigenen Angaben zuletzt in Amuda/Kamishli gelebt hat und mithin aus einem Gebiet stammt, das nicht zu der unter türkischer Kontrolle stehenden Pufferzone, sondern zu den vornehmlich unter der Kontrolle der Kurden stehenden Autonomen Gebieten gehört (vgl. AA, Lagebericht v. 4.12.2020, Seite 9, zudem Karten zu den Machtverhältnissen in Syrien, UNHRC, CoI Report v. 13.8.2021, Seite 22, EASO Leitlinien Syrien v. November 2021 aaO, Seite 57; taz.de v. 5.3.2021, "Erdogans großes Syrienprojekt").
d) Schließlich ist im vorliegenden Fall auch eine geschlechtsspezifische Verfolgung der Klägerin nicht beachtlich wahrscheinlich. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG zwar auch dann vorliegen, wenn sie an das Geschlecht anknüpft (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Für eine derartige gezielte Gruppenverfolgung von Frauen durch das syrische Regime oder andere Akteure im Sinne des § 3c AsylG geben die dem Senat zugänglichen Erkenntnismittel indes nichts her. Insbesondere fehlt es an einer (näherungsweisen) zahlenmäßigen Ermittlung der Verfolgungsfälle in Anknüpfung an das Gruppenmerkmal (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 18). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats droht auch Frauen ohne Hinzutreten gefahrerhöhender Umstände im Falle einer Rückkehr nach Syrien keine regelhafte geschlechtsspezifische Verfolgung (vgl. Senatsbeschl. v. 17.12.2019 - 2 LB 696/19 -; und v. 24.3.2022 - 2 LB 397/18 -). Solche gefahrerhöhenden Umstände ergeben sich - wie oben ausgeführt - nicht aus der yesidischen Glaubenszugehörigkeit und/oder der kurdischen Volkszugehörigkeit. Frauen kann eine derartige zielgerichtete Verfolgung (auch) durch den Einsatz sexueller Gewalt indes dann drohen, wenn sie sich bereits in einer Gefährdungssituation wegen tatsächlicher oder unterstellter oppositioneller Gesinnung befinden und sie insofern einer Risikogruppe angehören (vgl. Senatsbeschl. v. 17.12.2019 - 2 LB 696/19 - und v. 24.3.2022 - 2 LB 397/18 -; OVG SH, Beschl. v. 3.1.2020 - 5 LB 34/19 -, juris Rn. 48 und Urt. v. 22.8.2019 - 5 LB 31/19 -, juris Rn. 59; HessVGH, Urt. v. 25.9.2019 - 8 A 638/17.A -, juris Rn. 84 ff.; Bay VGH, Urt. v. 7.8.2019 - 20 B 19.30621 -, juris Rn. 28; AA v. 13.11.2018, S. 18 f.; UNHCR, November 2017, S. 65 ff). Zu dieser Risikogruppe gehört die Klägerin aber nicht. Sie war nach eigene Angaben weder Mitglied der syrischen Opposition noch hat sie sich sonst aktiv für diese betätigt, sodass nicht zu erwarten ist, dass sie bei einer hypothetischen Rückkehr in den Fokus des syrischen Regimes gelangen könnte.
Die Klägerin gehört auch nicht zu der vom UNHCR genannten Risikogruppe der schutzlosen "alleinstehenden Frauen" (vgl. UNHCR, November 2017, Seite 65 ff.; vgl. dazu Hess. VGH, Urt. v. 25.9.2019 - 8 A 638/17.A -, juris Rn. 87), denn nach ihren Angaben leben in Syrien noch ihre Eltern, eine Schwester und ein Bruder sowie die Großfamilie, so dass sie als Frau nicht schutzlos und auf sich selbst gestellt wäre.
Andere individuelle Umstände, welche die Annahme einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit rechtfertigen, hat die Klägerin nicht vorgetragen und solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.4.2017 - 1 B 22.17 -, juris Rn. 4 ff.).