Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.03.2022, Az.: 1 LA 76/21

Ammoniak; Verbesserungsgenehmigung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.03.2022
Aktenzeichen
1 LA 76/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59833
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 29.03.2021 - AZ: 4 A 4667/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Berufungszulassung zur Klärung der Fragen,

- ob die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verbesserungsgenehmigung (Urt. v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 -, juris) auf Ersatzbauten für zerstörte Anlagen anwendbar ist und

- ob diese Rechtsprechung auf Fallgestaltungen übertragbar ist, in denen nicht Belästigungen, sondern Schädigungen von Ökosystemen zu erwarten sind

Tenor:

Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 29. März 2021 zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine mit der Baugenehmigung zum Wiederaufbau eines abgebrannten Putenmaststalls verbundene Auflage, Ausgleichsmaßnahmen für die vorhabenbedingten Stickstoffeinträge in Waldflächen vorzunehmen.

Der Kläger betreibt im Außenbereich der Beigeladenen eine gewerbliche Putenmast. 1997 und 2006 wurden ihm für zwei Mastställe mit Tierbeständen unterhalb der Schwelle zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit Baugenehmigungen erteilt. Einer dieser Ställe wurde 2014 bei einem Brand zu großen Teilen zerstört. Unter dem 10. November 2014 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für ein als „Teilweiser Wiederaufbau eines Putenmaststalls nach einem Brandschaden“ bezeichnetes Vorhaben. Das 15,83 m breite und ursprünglich 99,67 m lange Gebäude soll unter Nutzung eines 25,83 m langen erhaltenen Restbestandes in den alten Dimensionen neu errichtet werden; die Tierplatzzahl soll nicht steigen.

Der im Übrigen antragsgemäß am 4. August 2016 erteilten Baugenehmigung fügte der Beklagte eine Auflage Nr. 10 bei, nach der der Kläger zum Ausgleich für die vorhabenbedingten Stickstoffemissionen eine - vom Kläger ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt gerichtlicher Nachprüfung angebotene - Ersatzaufforstung im Umfang von 2,3 ha vorzunehmen habe.

Die gegen diese Auflage nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die angefochtene Nebenbestimmung sei i.S.d. § 36 Abs. 1 VwVfG erforderlich, um die gesetzlichen Voraussetzungen der Baugenehmigung, die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlichem Baurecht, sicherzustellen. Die angeordnete Ersatzaufforstung sei ein geeignetes Mittel, ein Entgegenstehen öffentlicher Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 5 BauGB in Gestalt schädlicher Umwelteinwirkungen bzw. von Belangen des Naturschutzes zu verhindern. Von dem Vorhaben gingen nach den im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eingeholten Gutachten in nahegelegenen Waldflächen schädliche Ammoniakimmissionen aus, die durch eine Ersatzaufforstung im angeordneten Umfang ausgeglichen werden könnten, aber auch müssten.

Aus in der Vergangenheit für den Putenmaststall erteilten Baugenehmigungen oder aus Bestandsschutzerwägungen könne der Kläger nichts für sich herleiten. Die „Altbaugenehmigungen“ berechtigten nicht zum Wiederaufbau eines zerstörten Gebäudes; sie seien durch die Ausführung des ursprünglichen Baus verbraucht. Die Beibehaltung der Außenmaße des Gebäudes führe nicht zur Identität mit seinem Vorgänger, die die Annahme bloßer, möglicherweise genehmigungsfähiger Instandsetzungsarbeiten rechtfertige; entscheidend sei, dass das ursprüngliche Gebäude hier nicht mehr als Hauptsache erscheine. Damit entfalle auch ein etwaiger Bestandsschutz der bisher ausgeübten Nutzung, da die Genehmigung einheitlich Bauwerk und Nutzung erfasse. Auf ältere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 14 GG (Urt. v. 18.10.1974 - IV C 75.71 -) könne sich der Kläger nicht berufen, diese habe das Gericht ausdrücklich aufgegeben. Der Hinweis des Klägers auf die nachprägende Wirkung von früheren Anlagen bei Anwendung des § 34 BauGB gehe fehl, da er eine andere Fragestellung betreffe. Aus § 16 Abs. 5 BImSchG könne der Kläger nichts für sich herleiten, da sein Vorhaben nicht immissionsschutzrechtlich genehmigt gewesen sei. Zudem entbinde diese Norm lediglich von der Durchführung eines erneuten immissionsschutzrechtlichen Verfahrens, lasse aber die materiell-rechtlichen Pflichten des Immissionsschutzrechts unberührt.

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil die Rechtssache besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass weder die 1997 erteilte Baugenehmigung noch ein aus § 34 BauGB oder § 16 Abs. 5 BImSchG abgeleiteter Rechtsgedanke dem Kläger einen auf das Wiedererrichtungsvorhaben überwirkenden Bestandsschutz vermitteln, der dieses von der Beachtung der Vorgaben des § 35 BauGB dispensiert; die dagegen gerichteten Argumente im Zulassungsvorbringen des Klägers überzeugen nicht.

Hiervon unabhängig ist aber die sinngemäße Argumentation des Klägers, jedenfalls bei der Anwendung des § 35 BauGB seien die Emissionen des durch Brand zerstörten Vorhabens als „nachwirkende“ Vorbelastung zu berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung, der der Senat folgt, dass unter bestimmten Voraussetzungen im Umfang einer Vorbelastung Immissionen zumutbar sind, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet nicht hinnehmbar wären (BVerwG, Urt. v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 -, BVerwGE 159, 187 = juris Rn. 13 m.w.N.; v. 27.8.1998 - 4 C 5.98 -, juris Rn. 31; v. 14.12.1979 - 4 C 10.77 -, juris Rn. 30 ff.; Senatsurt. v. 9.12.2021 - 1 LC 113/19 -, juris Rn. 27 m.w.N.). Da diese Rechtsprechung möglicherweise weniger an Bestandsschutzerwägungen als vielmehr an die Ortsüblichkeit bzw. die Sozialadäquanz der Vorbelastung anknüpft, ist die Argumentation des Klägers, auch unmittelbar nach dem Untergang einer vorbelastenden Nutzung könne diese - ähnlich der den Umgebungscharakter nachprägenden Wirkung eines untergegangenen Vorhabens im unbeplanten Innenbereich - noch berücksichtigungsfähig sein, soweit die Verkehrsauffassung mit ihrer Wiederaufnahme rechne, nicht von vornherein von der Hand zu weisen.

Fraglich ist allerdings auch die vom Kläger nicht näher problematisierte Prämisse, dass die auf Geruchs- und Lärmimmissionen unterhalb der Gesundheitsgefährdungsschwelle bezogenen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts auf die hier in Rede stehenden Schädigungen vorbelasteter Ökosysteme übertragbar sind. Das Bundesverwaltungsgericht sieht die Schutzwürdigkeit desjenigen, der sich in der Nähe von - als solchen legalen - Belästigungsquellen ansiedelt oder zwar vor deren Ansiedlung im fraglichen Bereich gewohnt, sich aber gegen die Betriebsansiedlung selbst nicht fristgerecht gewehrt hat, gemindert (so ausdrücklich BVerwG, Urt. v. 22.6.1990 - 4 C 6.87 -, NVwZ 1991, 64 = juris Rn. 29). Ob dies auf Fallkonstellationen übertragbar ist, in denen nicht bloße Belästigungen, sondern Schädigungen in Rede stehen - auch das Bundesverwaltungsgericht zieht ja eine Grenze, wo die Gesundheitsgefährdungsschwelle überschritten wird, - ist ebenso fraglich, wie die Übertragbarkeit auf Fallkonstellationen, in denen öffentliche Güter wie Natur und Landschaft zur Disposition stehen.

Die abschließende Klärung beider Fragenkomplexe würde den Rahmen des Zulassungsverfahrens sprengen und muss daher dem Berufungsverfahren vorbehalten bleiben.

Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht. Die Berufung ist innerhalb eines Monats zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einzureichen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).