Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.03.2022, Az.: 9 LA 242/21
Antragstellung, unverzügliche; Belehrungspflicht; Beruhen; Divergenz; Ergebnisrichtigkeit, offenkundige; EuGH; Familienflüchtlingsschutz; Gericht, divergenzfähig; Hinweispflicht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.03.2022
- Aktenzeichen
- 9 LA 242/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59847
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.08.2021 - AZ: 3 A 134/21
Rechtsgrundlagen
- § 26 Abs 3 S 1 Nr 3 AsylVfG 1992
- § 78 Abs 3 Nr 2 AsylVfG 1992
- EURL 95/2011
- EURL 32/2013
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Der EuGH gehört nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ausdrücklich genannten divergenzfähigen Gerichten. Eine Abweichung von seiner Rechtsprechung kann daher grundsätzlich nicht mit der Divergenzrüge angegriffen werden (Anschluss an Rechtsprechung des BVerwG, des NdsOVG und anderer Obergerichte).
2. Eine Zulassung wegen Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG kommt nicht in Betracht, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts zwar von der Rechtsprechung
eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht, sich aber im Ergebnis aus anderen Gründen offenkundig als richtig erweist, d. h. nicht auf der Abweichung beruht.
3. Die Stellung eines Asylantrags erst ein Jahr nach Einreise ist nicht unverzüglich i. S. d. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 2. Alternative AsylG.
Tenor:
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2021 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg – Einzelrichter der 3. Kammer – wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
Gründe
Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg zuzulassen, mit dem dieses ihre auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf die Gewährung subsidiären Schutzes gerichtete Klage abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.
Die Kläger, irakische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit, haben weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) noch den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne eines Gehörsverstoßes (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.
1. Die Kläger haben den Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.
Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte – namentlich das Oberverwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgerichts – in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zu bezeichnen ist ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte aufgestellten, tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtssatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Oberverwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Darlegungsanforderungen nicht (vgl. zur gleichlautenden Vorschrift in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Senatsbeschluss vom 1.11.2021 – 9 LA 11/20 – juris Rn. 20, 22; NdsOVG, Beschlüsse vom 25.8.2021 – 1 LA 7/21 – juris Rn. 16 und vom 15.12.2020 – 8 LA 80/20 – juris Rn. 28).
Ausgehend hiervon genügen die Ausführungen der Kläger nicht den Anforderungen an eine Divergenzrüge.
Die Kläger machen geltend, dass die Berufung in entsprechender Anwendung des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG wegen Divergenz zuzulassen sei, weil das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg von dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 9. September 2021 in der Sache C-768/19 abweiche und auf dieser Abweichung beruhe. Bezüglich der durch das Urteil des EuGH entschiedenen und hier maßgeblichen Frage, ob im Rahmen der Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 und Satz 4 i. V. m. Abs. 5 AsylG bezüglich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung oder auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen sei, wenn der Stammberechtigte nicht mehr minderjährig sei, habe das Verwaltungsgericht Lüneburg in dem angegriffenen Urteil im Gegensatz zu dem Urteil des EuGH entschieden, dass auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Das Verwaltungsgericht habe ausgeführt, dass der Anspruch der Kläger daran scheitere, dass die als Flüchtlinge anerkannten stammberechtigten Söhne bzw. Brüder der Kläger zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr minderjährig gewesen seien. Damit weiche das Verwaltungsgericht von dem oben genannten Urteil des EuGH ab. Dies stelle in entsprechender Anwendung des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG eine Divergenz dar. Eine analoge Anwendung des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG sei aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes geboten. Jedenfalls sei eine planwidrige Lücke in der vorliegenden Sondersituation zu bejahen, in der eine zuvor zu Recht aufgeworfene Frage von grundsätzlicher Bedeutung durch eine zwischenzeitliche Entscheidung des EuGH geklärt werde, ohne dass es dazu noch weiterer Rechtsprechung eines divergenzfähigen Gerichtes bedürfe. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auch auf der Abweichung von dem genannten Urteil des EuGH. Hätte das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Frage der Minderjährigkeit der stammberechtigten Söhne bzw. Brüder der Kläger auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abgestellt, wie es der EuGH entschieden habe, hätte es der Klage der Kläger stattgeben müssen. Die Kläger hätten im Dezember 2017 ihren Asylantrag gestellt. Zu diesem Zeitpunkt seien die Söhne bzw. Brüder der Kläger noch minderjährig gewesen.
Die Kläger haben damit den Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nicht dargelegt.
Der EuGH gehört bereits nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ausdrücklich genannten divergenzfähigen Gerichten. Eine Abweichung von seiner Rechtsprechung kann daher grundsätzlich nicht mit der Divergenzrüge angegriffen werden (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 30.3.2020 – 4 LA 218/19 – juris Rn. 2; OVG NRW, Beschlüsse vom 16.1.2020 – 4 A 2203/19.A – juris Rn. 11 und vom 15.1.2019 – 4 A 3968/19.A – juris Rn. 11; BayVGH, Beschluss vom 1.6.2017 – 6 ZB 17.30519 – juris Rn. 9; zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO: BVerwG, Beschlüsse vom 31.7.2018 – 4 BN 13.18 – juris Rn. 11 und vom 26.1.2010 – 9 B 40.09 – juris Rn. 2).
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob vorliegend für eine analoge Anwendung des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG aufgrund einer Sondersituation Raum ist (vgl. dazu NdsOVG, Beschluss vom 10.2.2011 – 11 LA 491/10 – juris Rn. 6 ff.; Berlit in: GK-AsylG, Stand: 135. Ergänzungslieferung, Januar 2022, § 78 Rn. 202.2). Denn eine Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG setzt zudem voraus, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf der Abweichung beruht. Dies ist vorliegend zu verneinen.
Eine Zulassung wegen Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG kommt nicht in Betracht, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts zwar von der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht, sich aber im Ergebnis aus anderen Gründen offenkundig als richtig erweist bzw. auszuschließen ist, dass das Verwaltungsgericht zu einer anderen, für den Kläger günstigeren Beurteilung gelangt wäre (vgl. Berlit in: GK-AsylG, a. a. O., § 78 Rn. 204 m. w. N.; Müller in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 78 AsylVfG Rn. 38). Bei einer entscheidungserheblichen Divergenz ist die Berufungszulassung wegen Ergebnisrichtigkeit (nur) dann zu versagen, wenn sich die Entscheidung – ohne dass es weiterer Sachaufklärung bedarf – offenkundig im Ergebnis als zutreffend erweist (vgl. Berlit in: GK-AsylG, a. a. a., § 78 Rn. 205).
Vorliegend kommt eine Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 i. V. m. Abs. 5 AsylG zugunsten der Kläger offenkundig auch dann nicht in Betracht, wenn man hinsichtlich der Frage der Minderjährigkeit der stammberechtigten Söhne bzw. Brüder der Kläger mit dem EuGH auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abstellt und insoweit die Voraussetzung des „minderjährigen“ Stammberechtigten im Sinne von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG bejaht. Denn für die Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes nach § 26 Abs. 3 i. V. m. Abs. 5 AsylG müssen – darauf weist die Beklagte zu Recht hin – mehrere Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Hier ist die Voraussetzung der unverzüglichen Antragstellung nach § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 2. Alternative AsylG offenkundig nicht erfüllt.
Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben. Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt nach Satz 2 der Vorschrift Satz 1 Nr. 1 bis 4 entsprechend. Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind nach § 26 Abs. 5 Sätze 1 und 2 die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz.
Die Kläger sind nach eigenen Angaben am 17. Dezember 2016 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist (vgl. das Protokoll über die Anhörung der Klägerin zu 1. bei der Beklagten am 29. Januar 2018). Am 18. Dezember 2017 haben die Kläger einen Asylantrag gestellt. Sie haben ihren Asylantrag damit erst ein Jahr nach ihrer Einreise und mithin nicht unverzüglich gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 2. Alternative AsylG gestellt. Unverzüglich bedeutet entsprechend der Legaldefinition in § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern. Im Hinblick auf die im gesamten Asylverfahrensrecht verkürzten Fristen ist eine Frist von zwei Wochen in der Regel angemessen und ausreichend. Ein späterer Antrag ist folglich regelmäßig nur dann rechtzeitig, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, dass der Antrag nicht früher stellt werden konnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997 – 9 C 35.96 – juris Rn. 10; Senatsbeschlüsse vom 13.10.2021 – 9 LA 424/19 – n. v. und vom 11.5.2021 – 9 LA 124/20 – juris Rn. 10 ff.; BayVGH, Urteil vom 9.9.2019 – 20 B 19.32017 – juris Rn. 53). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Die Klägerin zu 1. hat bei ihrer Anhörung am 29. Januar 2018 auf die Frage, warum sie erst am 18. Dezember 2017 einen Asylantrag gestellt habe, wenn sie bereits am 17. Dezember 2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, geantwortet, dass ihr keiner empfohlen habe, dass sie einen Asylantrag stellen müsse. § 26 AsylG sieht jedoch keine diesbezüglichen Hinweis- und Belehrungspflichten vor (vgl. Senatsbeschluss vom 11.5.2021, a. a. O., Rn. 17 m. w. N.; BayVGH, Beschluss vom 17.1.2019 – 20 ZB 18.32762 – juris Rn. 8). Auch auf eine Kenntnisnahme der erforderlichen Umstände kommt es nicht an (vgl. Senatsbeschluss vom 11.5.2021, a. a. O., Rn. 12).
Der von den Klägern geltend gemachte Umstand, dass die Beklagte weder im Verwaltungsverfahren noch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren den Einwand der Unverzüglichkeit der Asylantragstellung geltend gemacht und auch das Verwaltungsgericht sein klageabweisendes Urteil nicht darauf gestützt habe, vermag dem Zulassungsantrag der Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar wurde im bisherigen Verfahren tatsächlich sowohl von der Beklagten als auch von dem Verwaltungsgericht in seinem angegriffenen Urteil die Voraussetzung der Minderjährigkeit des Stammberechtigten nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG und die damit einhergehende Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Minderjährigkeit abzustellen ist, in den Vordergrund gestellt. Da aber bereits diese erste Voraussetzung von der Beklagten und von dem Verwaltungsgericht verneint wurde, da aus ihrer Sicht für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen war, war aus der Sicht der Beklagten und des Verwaltungsgerichts eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 AsylG nicht erforderlich. Erst nach dem Urteil des EuGH im September 2021 und der Klärung der Frage dahingehend, dass für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung – und nicht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – abzustellen ist, ist eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 AsylG, die kumulativ vorliegen müssen, erforderlich geworden. Der Einwand der Unverzüglichkeit der Asylantragstellung ist damit entgegen der Auffassung der Kläger nicht präkludiert, zumal das AsylG eine solche Präklusion nicht vorsieht.
Soweit die Kläger auf das Parallelverfahren 9 LA 243/21 verweisen, hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass dort – zugunsten der dortigen Kläger – noch von einer unverzüglichen Asylantragstellung habe ausgegangen werden können; der Zeitraum zwischen der Einreise und der Asylantragstellung habe in dem Parallelverfahren weniger als drei Monate betragen, im vorliegenden Verfahren betrage der Zeitraum aber ein Jahr.
Soweit die Kläger schließlich darauf verweisen, dass nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG Asylanträge nicht allein deshalb abgelehnt würden, weil die Antragstellung nicht so rasch wie möglich erfolgt sei, führt auch dies nicht zum Erfolg ihres Zulassungsantrags. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Voraussetzung der unverzüglichen Antragstellung nach Einreise gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 2. Alternative AsylG für die Zuerkennung von Familienasyl keinen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU – deren Vorgängerin die von den Klägern genannte Richtlinie 2005/85/EG ist – und Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellt (vgl. Senatsbeschluss vom 11.5.2021 – 9 LA 124/20 – juris Rn. 33 ff. m. w. N.).
2. Die Kläger haben auch keinen Verfahrensmangel im Sinne eines Gehörsverstoßes gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO dargelegt.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, soweit das Vorbringen nicht ausnahmsweise aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002 – 1 BvR 670/91 – juris Rn. 99). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht dies getan hat. Es ist nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, sondern darf sich auf die für seine Entscheidung leitenden Gründe beschränken. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann daher noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falls ergibt, dass das Gericht seine Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Vorbringens verletzt hat, liegt eine Gehörsversagung vor. Nicht hingegen verpflichtet das Gebot rechtlichen Gehörs das Gericht dazu, dem zur Kenntnis genommenen und erwogenen Vorbringen in der Sache zu folgen (vgl. Senatsbeschluss vom 23.8.2021 – 9 LA 143/20 – juris Rn. 16 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 5.11.2018 – 1 B 78.18 – juris Rn. 2).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe haben die Kläger den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne eines Gehörsverstoßes nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.
Die Kläger tragen vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe angesichts des zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 23. August 2021 beim EuGH noch rechtshängigen Verfahrens (C-768/19) und des beim erkennenden Senat rechtshängigen Berufungszulassungsverfahrens 9 LA 446/19 für den Fall, „dass das Gericht der Auffassung ist, dass es im Hinblick auf § 26 AsylG auf das Alter der Stammberechtigten zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, [...] beantragt, das Verfahren bis zu einer Klärung dieser Frage durch den EuGH auszusetzen“. Das Verwaltungsgericht habe in Kenntnis des beim EuGH damals rechtshängigen Verfahrens (C-768/19) und des beim erkennenden Senat rechtshängigen Berufungszulassungsverfahrens 9 LA 446/19 in rechtlich nicht vertretbarer Weise, mithin willkürlich, das Verfahren nicht ausgesetzt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf der dargelegten Gehörsverletzung. Hätte das Verwaltungsgericht dem Aussetzungsantrag der Kläger entsprochen und das Verfahren bis zur Klärung der maßgeblichen Frage durch den EuGH ausgesetzt, so wäre der Klage stattzugeben. Der EuGH habe die maßgebliche Frage zugunsten der Kläger geklärt.
Einen Gehörsverstoß haben die Kläger damit nicht dargelegt. Aus dem Tatbestand des Urteils des Verwaltungsgerichts ergibt sich, dass dieses den Aussetzungsantrag der Kläger zur Kenntnis genommen hat (Seite 3 des Urteilsabdrucks). Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich weiter, dass das Verwaltungsgericht das Vorbringen bzw. den Aussetzungsantrag der Kläger in Erwägung gezogen hat. Das Verwaltungsgericht führt aus, dass das Verfahren nicht bis zu einer etwaigen anderweitigen Klärung der Rechtsfrage ausgesetzt werde, da eine sachgerechte Entscheidung auch ohne eine Aussetzung möglich sei (Seite 5 des Urteilsabdrucks). Dass das Verwaltungsgericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Antrag der Kläger auf Aussetzung des Verfahrens in der Sache nicht gefolgt ist, führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Dies gilt umso mehr, als die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO im Ermessen des Gerichts steht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO und § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).