Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.11.2011, Az.: 8 ME 120/11
Notwendigkeit des Fortbestehens der mit dem deutschen Ehepartner bestehenden Lebensgemeinschaft für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG; Beendigung der ehelichen Lebensgemienschaft aus eigener Initiative durch den ausländischen Ehegatten als Voraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte nach § 31 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AufenthG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.11.2011
- Aktenzeichen
- 8 ME 120/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 29729
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:1129.8ME120.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 1 AufenthG
- § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG
- § 31 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AufenthG
Fundstelle
- FamRZ 2012, 1519
Amtlicher Leitsatz
Voraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG ist regelmäßig, dass der zugezogene ausländische Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft aus eigener Initiative beendet hat.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. März 2011, mit dem diese den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der ihm befristet bis zum 13. Mai 2010 erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abgelehnt und dem Antragsteller die Abschiebung angedroht hat, abgelehnt. Die hiergegen vom Antragsteller mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Klage ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangig öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren zu erkennen ist, dass sein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet. Dagegen überwiegt das Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist. Lässt sich die Rechtmäßigkeit der Maßnahme bei der im Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht hinreichend sicher beurteilen, kommt es auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen an (vgl. Senatsbeschl. v. 16.3.2004 - 8 ME 164/03 -, NJW 2004, 1750 m.w.N.).
Hier bietet die Klage des Antragstellers auf Verlängerung der ihm befristet bis zum 13. Mai 2010 erteilten Aufenthaltserlaubnis nach§ 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG oder Neuerteilung nach § 31 AufenthG, die als Rechtsgrundlage hier allein in Betracht zu ziehen sind.
Eine Verlängerung der dem Antragsteller befristet bis zum 13. Mai 2010 erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 8 Abs. 1 AufenthG scheitert schon daran, dass der Antragsteller seit Juli 2010 mit seiner Ehefrau, der deutschen Staatsangehörigen B., tatsächlich nicht mehr die von § 27 AufenthG geforderte eheliche Lebensgemeinschaft führt.
In einem solchen Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft kann dem ausländischen Ehegatten unter den in§ 31 AufenthG genannten Voraussetzungen für zunächst ein Jahr ein eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht gewährt werden. Der Antragsteller erfüllt indes die in § 31 AufenthG genannten Voraussetzungen nicht.
Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist erforderlich, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Hier ist der Antragsteller zur Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft erst am 7. Februar 2009 in das Bundesgebiet eingereist. Die eheliche Lebensgemeinschaft wurde nach den übereinstimmenden Angaben des Antragstellers im Bundesgebiet indes nur bis zum Juli 2010 und damit nicht, wie von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gefordert, für die Dauer von mindestens zwei Jahren geführt.
Von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ist gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, es sei denn, für den Ausländer ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen. Eine solche besondere Härte liegt für den Antragsteller hier nicht vor.
Eine besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere dann vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenen Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht (1. Alternative) oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist (2. Alternative).
Der letztgenannte, hier allenfalls in Betracht kommende inlandsbezogene Härtegrund soll vermeiden, dass der ausländische Ehegatte nicht allein wegen der Gefahr der Beendigung seines akzessorischen Aufenthaltsrechts zur Fortsetzung einer nicht tragbaren Lebensgemeinschaft gezwungen wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, BT-Drs. 14/2902, S. 5 f.). Grundvoraussetzung für die Annahme des Härtegrundes nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG ist daher regelmäßig, dass der zugezogene ausländische Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft aus eigener Initiative beendet hat (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes,BT-Drs. 14/2368, S. 4; Bayerischer VGH, Beschl. v. 15.3.2007 - 19 ZB 06.3197 -, [...] Rn. 5; Hessischer VGH, Beschl. v. 10.10.2005 - 9 TG 2403/05 -, DÖV 2006, 177; OVG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 2.10.2007 - 3 S 94.07 -, [...] Rn. 5; GK-AufenthG, Stand: Oktober 2011, § 31 Rn. 182 f.). Geht diese Beendigung hingegen vom stammberechtigten Ehegatten aus, ist dem zugezogenen Ehegatten die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, sondern unmöglich. Er hat mit seinem im Verhältnis zum stammberechtigten Ehegatten gegenteiligen Verhalten zudem gezeigt, dass er die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft selbst nicht als unzumutbar empfunden hat. Daran gemessen ist auch hier das Vorliegen des Härtegrundes nach§ 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG schon deshalb zu verneinen, weil nicht der Antragsteller, sondern seine Ehefrau als Stammberechtigte die eheliche Lebensgemeinschaft beendet hat. Der Antragsteller selbst hat hierzu im behördlichen (vgl. Schreiben v. 15.11.2010, dort S. 3) und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. Schriftsatz v. 7.4.2011, dort S. 5) erklärt, seine Ehefrau habe ihn nach den Auseinandersetzungen im Juni 2010 der gemeinsamen Wohnung verwiesen und so die eheliche Lebensgemeinschaft beendet. In der Folge habe er bei Verwandten leben müssen. Dem entspricht das Vorbringen des Bruders des Antragstellers, C., in dessen Erklärung vom 4. April 2011.
Selbst wenn man hier davon ausginge, dem Antragsteller sei die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau noch möglich, hätte er nicht nachgewiesen, dass die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft - im Hinblick auf das Erreichen der Zweijahresfrist des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.4.2006 - 11 S 34.05 - [...] Rn. 3) - wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange unzumutbar gewesen ist. Schutzwürdige Belange im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG sind vor allem die sexuelle und sonstige Selbstbestimmung, die persönliche Freiheit und Ehre sowie die körperliche Unversehrtheit. Diese sind nach der Auffassung des Gesetzgebers jedenfalls dann rechtserheblich verletzt, wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben hat, oder wenn der andere Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt hat (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, BT-Drs. 14/2368, S. 4). Ausweislich des weiter formulierten Wortlauts der Bestimmung schließen diese im Gesetzgebungsverfahren angeführten eindeutigen Beispiele das Vorliegen des Härtegrundes in anderen Fällen aber nicht aus. Lediglich gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen, die in einer Vielzahl von Fällen trennungsbegründend wirken, können für sich genommen noch nicht dazu führen, dass das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.1.2003 - 18 B 2157/02 -, NvWZ-RR 2003, 527 (zu § 19 Abs. 1 AuslG); Bayerischer VGH, Beschl. v. 18.1.2001 - 10 ZS 00.3383 -, InfAuslR 2001, 277, 278 (zu § 19 Abs. 1 AuslG); GK-AufenthG, a.a.O., § 31 Rn. 176 ff.).
Hieran gemessen hat der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass eine rechtserhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange durch die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau drohte. Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung nachvollziehbar begründet, warum die Behauptungen des Antragstellers insoweit unglaubhaft sind. Der dagegen vom Antragsteller allein erhobene Einwand, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt weiter aufklären und die Ehefrau des Klägers sowie dessen Brüder persönlich anhören müssen, vermag der Beschwerde von vorneherein nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn eine solche aufklärende Beweisaufnahme durch das Gericht, die umfangreiche Ermittlungen erfordern würde, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich nicht vorgesehen. Die Sach- und Rechtslage wird vielmehr nur summarisch geprüft; die Beweiswürdigung beschränkt sich grundsätzlich auf präsente Beweismittel (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.6.2007 - 9 S 73.06 -; Bayerischer VGH, Beschl. v. 22.6.1999 - 8 ZS 99.1230 -; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.11.1991 - 9 S 2743/91 -, NVwZ-RR 1993, 19; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 80 Rn. 125).