Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2011, Az.: 8 PA 186/11
Notwendigkeit der Sicherung des Lebensunterhalts für den Anspruch eines Ausländers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.2011
- Aktenzeichen
- 8 PA 186/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 29730
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:1130.8PA186.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 14.10.2011 - AZ: 5 A 174/11
Rechtsgrundlage
- § 9 Abs. 2 AufenthG
Redaktioneller Leitsatz
1.
Im Aufenthaltsrecht umfasst die Sicherung des Lebensunterhalts bei erwerbsfähigen Ausländern allgemein - und nicht nur für besondere Fallkonstellationen wie den Familiennachzug - den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr.
2.
Eine (analoge) Anwendung des § 9 Abs. 2 S. 6 i.V.m. S. 3 AufenthG auf den Fall, dass der Ausländer zwar nicht wegen einer eigenen Krankheit oder Behinderung, aber wegen der Pflege eines kranken oder behinderten Angehörigen zur Lebensunterhaltssicherung außerstande ist, kommt von vorneherein nicht in Betracht.
Gründe
Die gegen die Ablehnung seines Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhobene Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht abgelehnt.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hier fehlt der Rechtsverfolgung des Klägers die erforderliche Erfolgsaussicht. Denn nach der im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) hat der Kläger voraussichtlichen keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG.
Der Kläger erfüllt jedenfalls die Erteilungsvoraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht.
Danach setzt die Erteilung der Niederlassungserlaubnis voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Nach der gesetzlichen Definition in§ 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der künftige Lebensunterhalt des Ausländers auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs und des zur Verfügung stehenden Einkommens seit der Änderung des Rechts der Sozial- und Arbeitslosenhilfe vom 1. Januar 2005 bei erwerbstätigen Ausländern im Grundsatz nach den entsprechenden Bestimmungen des SGB II (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 21.09 -, BVerwGE 138, 148, 153 f. m.w.N). Erstrebt ein erwerbsfähiger Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zum Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen in einer häuslichen Gemeinschaft oder lebt er bereits mit seiner Familie zusammen, so gelten für die Berechnung seines Anspruchs auf öffentliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Regeln über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m.§ 7 Abs. 3 SGB II. Eine isolierte Betrachtung des Hilfebedarfs für jedes einzelne Mitglied der familiären Gemeinschaft scheidet aus. Im Aufenthaltsrecht umfasst daher die Sicherung des Lebensunterhalts bei erwerbsfähigen Ausländern allgemein - und nicht nur für besondere Fallkonstellationen wie den Familiennachzug - den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 21.09 -, a.a.O., S. 154; Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 20.09 -, BVerwGE 138, 135, 141; Nrn. 2.3.2 f. und 9.2.1.2 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - v. 26.10.2009, GMBl. 2009, 877).
Hieran gemessen ist der Lebensunterhalt des Klägers und seiner mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden minderjährigen Töchter D., geboren am .. .. .., und E., geboren am .. .. .., derzeit nicht gesichert. Der Kläger bezieht nach dem zuletzt im April 2011 vorgelegten Arbeitsvertrag ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 546,28 EUR und ist nach den unwidersprochenen Angaben des Beklagten zur Sicherung des Lebensunterhalts daneben auf monatliche öffentliche Leistungen in Höhe von circa 1.000,00 EUR angewiesen.
Von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung kann hier voraussichtlich auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden.
Nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG wird von der Erteilungsvoraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dann abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Das Verwaltungsgericht hat dabei zutreffend darauf hingewiesen, dass die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen bei dem die Niederlassungserlaubnis beantragenden Ausländer selbst vorliegen müssen. Eine (analoge) Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG auf den - auch hier vom Kläger behaupteten - Fall, dass der Ausländer zwar nicht wegen einer eigenen Krankheit oder Behinderung, aber wegen der Pflege eines kranken oder behinderten Angehörigen zur Lebensunterhaltssicherung außerstande ist, ist daher von vorneherein ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.2008 - 1 C 34.07 -, NVwZ 2009, 246, 247; OVG Saarland, Beschl. v. 29.1.2008 - 2 D 472/07 -, [...] Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.10.2007 - 18 A 4032/06 -, [...] Rn. 17; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.7.2007 - 13 S 1078/07 -, [...] Rn. 24; GK-AufenthG, Stand: Oktober 2011, § 9 Rn. 220 f.).
Nach dem bisherigen Vorbringen des Klägers ist es auch wenig wahrscheinlich, dass er ausschließlich wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung in seiner Person das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung nicht erfüllen kann.
Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren selbst darauf hingewiesen, dass er aufgrund seiner schulischen Ergebnisse und der offenbar mangelnden Berufsausbildung nur einen eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt habe und die notwendige Pflege seiner schwerbehinderten Tochter E. weitere Einschränkungen der ihm möglichen Arbeitszeit bedinge. Ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ist es dem Kläger während seines mittlerweile mehr als zwanzig Jahre dauernden Aufenthalts im Bundesgebiet auch zu keinem Zeitpunkt gelungen, seinen Lebensunterhalt vollständig zu sichern. Er war vielmehr stets (ergänzend) auf öffentliche Leistungen angewiesen. Da die nun vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen jedenfalls in der Vergangenheit keinen Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit hatten, bestehen erhebliche Zweifel, ob die auch derzeit fehlende Lebensunterhaltssicherung überhaupt maßgeblich, geschweige denn ausschließlich auf körperliche, geistige oder seelische Krankheiten oder Behinderungen des Klägers zurückzuführen ist, dieser Umstand nicht vielmehr in erster Linie auf die mangelnde Berufsausbildung des Klägers und die Betreuung seiner behinderten Tochter E. zurückzuführen ist.
Unabhängig davon ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers keine belastbaren Anhaltspunkte für das tatsächliche Bestehen einer seine Erwerbsfähigkeit derart einschränkenden körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung, dass ihm eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung unmöglich ist. Nach den Attesten des Facharztes für Radiologie F. vom .. .. .. und des Facharztes für Orthopädie G. vom .. .. .. leidet der Kläger an einer mit einer Fehlstellung der Hüfte verbundenen Hüftgelenksarthrose. Er könne daher stark hüftbelastende Tätigkeiten mit dem Tragen von schweren Lasten sowie lange Steh- und Gehbelastungen nicht durchführen. Dies entspricht im Wesentlichen den Feststellungen des Amtsarztes des Beklagten in dessen Stellungnahme vom 2. März 2010. Die vom Kläger hieraus gezogene Schlussfolgerung, er könne nur leichte Tätigkeiten mit einer Arbeitszeit von täglich unter sechs Stunden ausüben und sei daher teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, ist indes nicht gerechtfertigt. Aus den vorliegenden ärztlichen Attesten ergeben sich lediglich funktionsbezogene, nicht aber arbeitszeitbezogene Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers. Die körperlichen Einschränkungen des Klägers hindern diesen folglich nicht, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen. In den ärztlichen Attesten wird auch nicht festgestellt, dass die mit der Erkrankung verbundenen funktionsbezogenen Einschränkungen einen Schweregrad erreichen, welcher den Kläger an der Erfüllung seines Lebensunterhaltes hindern würde. Auch der Kläger hat bisher nicht konkret dargelegt, dass er aufgrund der funktionsbezogenen Einschränkungen keine andere als die derzeit bei der Kaufland Vertrieb Epsilon GmbH & Co. KG ausgeübte Tätigkeit mit einer Arbeitszeit von 12,5 Wochenstunden erlangen kann. Angezeigte entsprechende Bemühungen des Klägers um eine - auch nach der Einschätzung der ärztlichen Atteste - durchaus mögliche Erhöhung der Arbeitszeit oder eine andere Arbeitsstelle sind weder vorgetragen noch aus den Verwaltungsvorgängen des Beklagten ersichtlich.
Schließlich kann von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung hier nicht durch Rückgriff auf die Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG trifft insoweit eine abschließende Regelung und macht die Lebensunterhaltssicherung bei der Niederlassungserlaubnis - anders als im Anwendungsbereich des § 5 AufenthG - nicht zu einer Regelerteilungsvoraussetzung, sondern zu einer zwingenden Erteilungsvoraussetzung (vgl. vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 21.09 -, a.a.O., S. 157 f.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.7.2007, a.a.O., Rn. 25 f.).