Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.11.2011, Az.: 4 LA 41/11
Gewährung einer Eingliederungshilfe in Form der Übernahme von Restkosten für den Besuch einer Schule und der Tagesgruppenbetreuung in einem heilpädagogischen Kinderheim und Jugendheim
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.11.2011
- Aktenzeichen
- 4 LA 41/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 29753
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:1123.4LA41.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 35a SGB VIII
- § 92 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 SGB VIII
Amtlicher Leitsatz
Wird eine Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII in der Form der Übernahme von Restkosten für den Besuch einer Schule und von Kosten der Tagesgruppenbetreuung in einem heilpädagogischen KInder- und Jugendheim gewährt, ist der Kostenbeitragspflichtige nach § 92 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 SGB VIII darüber aufzuklären, dass seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind/Jugendlichen für den Zeitraum der Gewährung der Eingliederungshilfe im Umfang der Bedarfsdeckung durch die Übernahme der o. g. Kosten reduziert ist.
Gründe
Der Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg, weil die von dem Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt worden sind.
Entgegen der Annahme des Beklagten bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, mit dem das Verwaltungsgericht den Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 14. April 2010 mit der Begründung aufgehoben hat, dass dieser rechtswidrig sei und den Kläger in seinen Rechten verletze, weil der Beklagte den Kläger zu keiner Zeit in einer den Anforderungen des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII entsprechenden Weise über die Folgen der Jugendhilfegewährung für seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn aufgeklärt habe. Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den Kostenbeitragsbescheid des Beklagten nämlich zu Recht stattgegeben.
Nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchen dem Pflichtigen die Gewährung der Leistungen mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. Eine solche Information, die eine materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung für die Erhebung eines Kostenbeitrags darstellt (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 26.8.2009 - 12 A 64/09 - m.w.N.; Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 6. Auflage, § 92 Rn. 18), ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Denn der Beklagte hat den Kläger nicht zutreffend über die Folgen der Gewährung der Jugendhilfe für dessen Unterhaltspflicht gegenüber seinem minderjährigen Sohn aufgeklärt.
Der Beklagte hat dem Sohn des Klägers durch Bescheide vom 9. und 10. Dezember 2009, die an den Kläger und dessen Ehefrau gerichtet waren, ab dem 1. Januar 2010 bis auf Weiteres, längstens bis zu seiner Volljährigkeit, teilstationäre Eingliederungshilfe nach§ 35 a SGB VIII in der Form der Übernahme der Restkosten für den Besuch der Bernhard-Röper-Förderschule in Rotenburg und der Kosten der Tagesgruppenbetreuung im Anschluss an die Schule durch das heilpädagogische Kinder- und Jugendheim "B. " gewährt. Da diese Hilfe den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Sohnes des Klägers teilweise deckt, hat sich die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Sohn entsprechend reduziert. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII bestimmt nämlich, dass, soweit der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen oder vorläufige Maßnahmen nach dem SGB VIII gedeckt ist, dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen ist. Daher hätte der Beklagte den Kläger nach§ 92 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 SGB VIII darüber aufklären müssen, dass seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn für den Zeitraum der Gewährung der teilstationären Eingliederungshilfe im Umfang der Bedarfsdeckung durch die Übernahme der Restkosten für den Besuch der Bernhard-Röper-Förderschule in Rotenburg und der Kosten der Tagesgruppenbetreuung im Anschluss an die Schule durch das heilpädagogische Kinder- und Jugendheim "B. " reduziert ist. Eine solche Aufklärung ist indessen nicht erfolgt.
Das "Merkblatt zum Antrag auf Gewährung von Jugendhilfe/Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Achtes Buch - (SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfegesetz)" vom 1. August 2006, das der Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau bei der Stellung des Antrags auf Gewährung von Eingliederungshilfe für ihren Sohn ausgehändigt hat, enthält die nach § 92 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 SGB VIII erforderliche Aufklärung nicht. Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Begründung, dass der in dem Merkblatt enthaltene Hinweis, dass "Zahlungen, die ab Beginn der Jugendhilfegewährung an das Kind/die Kinder und Jugendlichen oder Dritte geleistet werden, .... vom Jugendamt nicht anerkannt werden" können, den Anforderungen des § 92 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 SGB VIII nicht genügt, weil er nicht darüber aufklärt, dass die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Sohn während der Gewährung der teilstationären Eingliederungshilfe reduziert ist. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Auffassung des Beklagten, er habe durch das dem Kläger ausgehändigte Merkblatt seine Aufklärungspflicht hinreichend erfüllt, bereits der Umstand entgegen steht, dass eine den Anforderungen des § 92 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 SGB VIII genügende Aufklärung erst dann erfolgen kann, wenn darüber entschieden worden ist, welche Jugendhilfemaßnahme durchgeführt wird, weil die Folgen der Gewährung der Jugendhilfe für die Unterhaltspflicht des Kostenbeitragspflichtigen gegenüber dem Kind/Jugendlichen, über die aufzuklären ist, von der Art und dem Umfang der gewährten Jugendhilfe abhängig sind.
Der an den Kläger gerichtete Bewilligungsbescheid vom 9. Dezember 2009 und der Kostenbeitragsbescheid vom 14. April 2010 enthalten ebenfalls nicht die notwendige Aufklärung über die Folgen der Gewährung der Jugendhilfe für die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Sohn. Der Beklagte hat zwar in der Begründung dieser Bescheide ausgeführt, dass Unterhaltsansprüche des Kindes für den Zeitraum der Jugendhilfegewährung ruhen. Dieser Hinweis ist aber unzutreffend, weil Unterhaltsansprüche des Sohnes des Klägers gegen den Kläger während der Gewährung der teilstationären Eingliederungshilfe nicht ruhen, d.h. nicht geltend gemacht werden können, sondern im Umfang der Bedarfsdeckung durch die teilstationäre Eingliederungshilfe reduziert sind. Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Begründung, dass der Kläger den Lebensunterhalt des Kindes außerhalb der Schule und der teilstationären Betreuung in der Einrichtung "B. " sicherzustellen hat und das Kind insoweit einen Unterhaltsanspruch besitzt, der auch geltend gemacht werden kann.
Die Annahme des Beklagten, dass im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine den Maßgaben des § 92 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 SGB VIII entsprechende Aufklärung des Klägers erfolgt sei, ist demnach unzutreffend.
Der Beklagte kann ferner nicht mit Erfolg einwenden, dass eine solche Aufklärung in den Fällen entbehrlich sei, in denen sie "augenscheinlich und nach allen lebenspraktischen Erfahrungen... ins Leere läuft". Es besteht nämlich kein Grund für die Annahme, dass die vorgeschriebene Aufklärung über die Folgen der Gewährung der Jugendhilfe für die Unterhaltspflicht im vorliegenden Fall überflüssig gewesen oder "ins Leere gelaufen" wäre, da eine zutreffende Aufklärung dem Kläger Klarheit darüber verschafft hätte, dass er gegenüber seinem Sohn nicht unterhaltspflichtig ist, soweit dessen Bedarf durch die teilstationäre Eingliederungshilfe gedeckt wird.
Der weitere Einwand des Beklagten, dass "eine Belehrung" des Klägers "auch überhaupt nicht möglich" gewesen sei, geht ebenfalls fehl. Denn der Beklagte konnte den Kläger ohne weiteres darüber aufklären, dass seine Unterhaltspflicht gegenüber seinem Sohn für den Zeitraum der Gewährung der teilstationären Eingliederungshilfe im Umfang der Bedarfsdeckung durch die Übernahme der Restkosten für den Besuch der Bernhard-Röper-Förderschule in Rotenburg und der Kosten der Tagesgruppenbetreuung im Anschluss an die Schule durch das heilpädagogische Kinder- und Jugendheim "B. " reduziert ist.
Schließlich ergeben sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auch nicht aus dem Vortrag des Beklagten, dass § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nur solche Fälle erfasse, in denen die Unterhaltspflicht auf Geldleistungen gerichtet ist. Ein solcher Fall liegt hier nämlich vor, da der Kläger barunterhaltspflichtig gewesen wäre, wenn der Unterhaltsanspruch seines Sohnes während der Gewährung der teilstationären Eingliederungshilfe nicht reduziert wäre.
Die Berufung kann entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen werden. Zum einen hat der Beklagte nicht konkret dargelegt, aus welchen Gründen die Rechtsfragen, die sich im vorliegenden Verfahren stellen, nur unter besonderen, d.h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten zu klären sein sollen. Zum anderen wirft das vorliegende Verfahren auch keine Rechtsfragen auf, deren Beantwortung mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist.
Schließlich scheidet auch eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache aus.
Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 124 Rn. 30 ff. m.w.N.). Daher ist die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nur dann im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 a Rn. 103 ff. m.w.N.).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Antragsschrift schon deshalb nicht gerecht, weil der Beklagte keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert hat, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich wäre und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf. Der Beklagte hat zur Begründung der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung lediglich vorgetragen, die Rechtssache habe aufgrund der Vielzahl der bei ihn anhängigen Fälle und "der durch das Urteil absehbaren Einnahmeausfälle für die Kostenbeiträge zu teilstationären Hilfen auch grundsätzliche Bedeutung". Dieser Vortrag ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zweifelsohne nicht ausreichend. Im Übrigen weist die vorliegende Rechtssache aber auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf, da sich die entscheidungsrelevanten Fragen auch außerhalb eines Berufungsverfahrens ohne weiteres beantworten lassen.