Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.12.2018, Az.: 13 ME 458/18

schutzwürdige Belange; Dreijahresfrist; Ehegatte; weiteres Festhalten; Fortführung; besondere Härte; eigene Initiative; eheliche Lebensgemeinschaft; unzumutbar

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.12.2018
Aktenzeichen
13 ME 458/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74282
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.10.2018 - AZ: 6 B 1832/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Voraussetzung für die Annahme des Härtegrundes nach § 31 Abs. 2 Satz 2, 3. Alt. AufenthG (Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens an der ehelichen Lebensgemeinschaft) ist regelmäßig, dass der zugezogene ausländische Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft aus eigener Initiative beendet hat.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 6. Kammer - vom 4. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Antragsgegners vom 17. Juli 2018 anzuordnen, zutreffend abgelehnt. Die hiergegen mit der Beschwerde geltenden gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung nicht.

Die Antragstellerin macht mit ihrer Beschwerde geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 AufenthG verneint. Es dürfe nicht schematisch darauf abgestellt werden, von welchem Ehegatten die eheliche Lebensgemeinschaft beendet worden sei. Eine solche einseitige Beendigung sei lebensfremd und werde dem deutschen gesetzlichen Leitbild der Ehe nicht gerecht. "Auszug oder Rauswurf" seien das Ende eines länger schwelenden Konfliktes und schlössen selbst nach vorübergehender Trennung eine Versöhnung nicht aus. Daher sei im Scheidungsrecht auch das Schuldprinzip abgeschafft und durch das Zerrüttungsprinzip und das Erfordernis einer bestimmten Trennungszeit ersetzt worden. Der Annahme einer besonderen Härte stehe auch nicht entgegen, dass die Drucksituation und der damit verbundene Anlass für die Beendigung der Ehe heute nicht mehr bestünden. Die Wegnahme des Passes durch ihren Ehemann sei ein übergriffiges Verhalten, das in ähnlicher Weise kriminelle Zuhälter und ausbeuterische Arbeitgeber aus der organisierten Kriminalität zeigten und das durch die schlichte Rückgabe des Passes nicht einfach geheilt werden könne. Dieses Verhalten habe das Vertrauen zu ihrem Ehemann vielmehr unwiderruflich zerstört. Eine Gesamtschau aller Umstände müsse zu der Feststellung führen, dass ihr die Fortsetzung der Ehe unzumutbar gewesen sei.

Diese Einwände greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass es zur Vermeidung einer besonderen Härte nicht gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG erforderlich ist, von der hier mangelnden Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen und der Antragstellerin den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen.

Eine besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere dann vor, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit des Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam ist oder aufgehoben worden ist (1. Alternative), wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht (2. Alternative) oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist (3. Alternative).

Der letztgenannte, hier allenfalls in Betracht kommende inlandsbezogene Härtegrund soll vermeiden, dass der ausländische Ehegatte allein wegen der Gefahr der Beendigung seines akzessorischen Aufenthaltsrechts zur Fortsetzung einer nicht tragbaren Lebensgemeinschaft gezwungen wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, BT-Drs. 14/2902, S. 5 f.). Eine solche Unzumutbarkeit kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der ausländische Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt geworden ist (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften u.a., BT-Drs. 17/5093, S. 16).

Voraussetzung für die Annahme des Härtegrundes nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 AufenthG ist - entgegen der mit der Beschwerde geäußerten Rechtsauffassung - aber regelmäßig, dass der zugezogene ausländische Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft aus eigener Initiative beendet hat (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, BT-Drs. 14/2368, S. 4; Bayerischer VGH, Beschl. v. 25.6.2018 - 10 ZB 17.2436 -, juris Rn. 12 f.; OVG Saarland, Beschl. v. 19.4.2018 - 2 B 52/18 -, juris Rn. 14 f.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 29.11. 2011 - 8 ME 120/11 -, juris Rn. 10 f.; OVG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 2.10.2007 - 3 S 94.07 -, juris Rn. 5; a.A. Hessischer VGH, Beschl. v. 22.9.2015 - 6 B 1311/15 -, juris Rn. 3; GK-AufenthG, § 31 Rn. 72 f. (Stand: Juni 2017)). Geht diese Beendigung hingegen vom stammberechtigten Ehegatten aus, ist dem zugezogenen Ehegatten die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, sondern unmöglich. Er hat mit seinem im Verhältnis zum stammberechtigten Ehegatten gegenteiligen Verhalten zudem gezeigt, dass er die Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft selbst nicht als unzumutbar empfunden hat.

Daran gemessen ist auch hier das Vorliegen des Härtegrundes nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 AufenthG schon deshalb zu verneinen, weil nicht die Antragstellerin, sondern ihr Ehemann als Stammberechtigter die eheliche Lebensgemeinschaft beendet hat. Der Ehemann der Antragstellerin hatte gegenüber dem Antragsgegner bereits Mitte Juni 2017 bekundet, die Scheidung einreichen zu wollen (vgl. E-Mail v. 15.6.2017, Blatt 109 f. der Beiakte 1). Die Antragstellerin selbst hatte im behördlichen (vgl. Gesprächsvermerk v. 18.7.2017, Blatt 119 der Beiakte 1; Schreiben v. 11.10.2017, Blatt 132 der Beiakte 1) und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. Schriftsatz v. 21.9.2018, Blatt 21 der Gerichtsakte) erklärt, ihr Ehemann habe sie nach Beschimpfungen, Drohungen und Wegnahme ihres Passes Anfang Juni 2017 "vor die Tür gesetzt". In der Folge habe sie, abgesehen von einer kurzen Phase der Versöhnung Ende Juni/Anfang Juli 2017, bei einer Freundin und im Frauenhaus gewohnt.

Selbst wenn man hier davon ausginge, der Antragstellerin sei die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann noch möglich (gewesen), hätte sie nicht nachgewiesen, dass die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft - im Hinblick auf das Erreichen der Dreijahresfrist des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.4.2006 - 11 S 34.05 - juris Rn. 3) - wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange unzumutbar gewesen ist. Schutzwürdige Belange im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 AufenthG sind vor allem die sexuelle und sonstige Selbstbestimmung, die persönliche Freiheit und Ehre sowie die körperliche Unversehrtheit. Diese sind nach der Auffassung des Gesetzgebers jedenfalls dann rechtserheblich verletzt, wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben hat, oder wenn der andere Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt hat (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften u.a., BT-Drs. 17/5093, S. 16; Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes, BT-Drs. 14/2368, S. 4; und zur Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen solcher Umstände: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.11.2018 - OVG 11 S 64.18 -, juris Rn. 5). Ausweislich des weiter formulierten Wortlauts der Bestimmung ("insbesondere") schließen diese Beispiele das Vorliegen des Härtegrundes in anderen Fällen aber nicht aus. Lediglich gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen, die in einer Vielzahl von Fällen trennungsbegründend wirken, können für sich genommen aber noch nicht dazu führen, dass das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.1.2003 - 18 B 2157/02 -, NVwZ-RR 2003, 527 (zu § 19 Abs. 1 AuslG); Bayerischer VGH, Beschl. v. 18.1.2001 - 10 ZS 00.3383 -, InfAuslR 2001, 277, 278 (zu § 19 Abs. 1 AuslG)).

Hieran gemessen hat die Antragstellerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht (vgl. zum Glaubhaftmachungserfordernis im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 31.5.1999 - 10 S 2766/98 -, NVwZ 1999, 1243, 1244; Hessischer VGH, Beschl. v. 1.8.1991 - 4 TG 1244/91 -, NVwZ 1993, 491, 492 [VGH Hessen 01.08.1991 - 4 TH 1244/91]; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 80 Rn. 125 m.w.N.), dass eine rechtserhebliche Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange durch die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann drohte. Dabei stellt der Senat nicht in Abrede, dass schutzwürdige Belange der Antragstellerin durch die wiederholten Beschimpfungen und Drohungen sowie die zeitweise Wegnahme ihres Passes durch ihren Ehemann verletzt worden sind, und zwar unabhängig davon, dass es nicht zur Anwendung körperlicher Gewalt gekommen ist. Diese Verletzung schutzwürdiger Belange erreicht hier aber den für die Annahme einer besonderen Härte rechtserheblichen Grad nicht. Denn keine dieser Verletzungen hat die Antragstellerin zur Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft oder auch nur zum Nachdenken über eine solche Aufgabe motiviert. Sie hat gegenüber dem Antragsgegner auch eingedenk der Beschimpfungen und Drohungen sowie der zeitweisen Wegnahme ihres Passes erklärt, ihren Ehemann zu lieben und eine dauerhafte Trennung nicht zu wollen (vgl. Gesprächsvermerk v. 18.7.2017, Blatt 119 der Beiakte 1), und mit diesem auch nach der von ihm erklärten Scheidungsabsicht Kontakt zu halten (vgl. Gesprächsvermerk v. 10.4.2018, Blatt 157 der Beiakte 1). Auch gegenüber ihrem Ehemann hat sie anwaltlich vertreten bekundet, mit diesem weiter zusammen leben zu wollen (vgl. Schreiben v. 4.7.2017, Blatt 126 f. der Beiakte 1). Auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände spricht dieses Verhalten dagegen, dass es der Antragstellerin wegen der Beschimpfungen, der Drohungen und der Wegnahme des Passes subjektiv unzumutbar (gewesen) sein soll, die Ehe fortzuführen.

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Der Beschwerde kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.).

III. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens ergibt sich aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

IV. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.1 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).