Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.11.2011, Az.: 10 LA 330/08
Erhebung des vollen Beitrags für jedes Tier bei eintretenden Bestandsvergrößerungen, Neugründungen und Wiedereinstallungen durch Ermessensentscheidung der Tierseuchenkasse
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.11.2011
- Aktenzeichen
- 10 LA 330/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 29697
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:1129.10LA330.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 71 Abs. 1 S. 6 TierSG
- Art. 3 Abs. 1 GG
Fundstellen
- AUR 2012, 102-103
- NdsVBl 2012, 162-163
Amtlicher Leitsatz
Die Ermessensentscheidung der Niedersächsischen Tierseuchenkasse als Satzungsgeberin, bei nach dem Stichtag 3. Januar eintretenden Bestandsvergrößerungen, Neugründungen und Wiedereinstallungen grundsätzlich den vollen Beitrag für jedes Tier zu erheben (§ 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Buchst. b der Beitragssatzung) und damit von einer Beitragsstaffelung abzusehen, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Gründe
Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe der ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. genügen nicht den Anforderungen an ihre Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Für die Zulassung der Berufung reicht es aber nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil des Verwaltungsgerichts gestützt ist. Vielmehr müssen zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung begründet sein. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substanziell mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (Beschl. d. Senats v. 19.03.2010 - 10 LA 119/08 -, n.v.). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Begründungstiefe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124a Rz. 64, m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid vom 6. Februar 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Satzung der Beklagten über die Erhebung von Tierseuchenbeiträgen für das Jahr 2007 (Beitragssatzung 2007) sehe nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 lit. b bb bei Neugründungen eine Beitragspflicht für "zusätzliche" Tiere im Sinne von nicht zum Stichtag nach § 1 Abs. 2 - also am 3.1.2007 - erfasste Tiere vor. Dass damit im Falle der Klägerin doppelt [d.h. von ihr und von dem Verpächter, der zuvor den Mastbetrieb unterhalten hatte] Beiträge zu entrichten seien, stelle zwar eine Ungleichbehandlung gegenüber den Fällen dar, in denen nach § 1 Abs. 5 Satz 2 der Beitragssatzung 2007 kein Beitrag erhoben werde. Diese Ungleichbehandlung sei aber gerechtfertigt, weil sie nicht so bedeutsam sei, dass sie in der Massenverwaltung unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu einer Berücksichtigung der stichtagsbezogen erfolgten Bezahlung führen müsse. Knüpfe die Beklagte das von ihr zu bemessende Risiko einer Inanspruchnahme nicht an die Zahl der gemästeten Tiere an, sondern lege sie eine Bemessung des Risikos nach einerseits dem Betrieb und andererseits dem Halter zugrunde, seien stichtagsbezogene Heranziehung und die im laufenden Jahr erfolgende Heranziehung eines neuen Halters für einen neuen Tierbestand zwei rechtlich selbständige Heranziehungstatbestände, die aufgrund der zulässigen Typisierung nicht als unzulässige Durchbrechung des Gleichheitsgrundsatzes erschienen.
Zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils führt die Klägerin aus, die Beitragssatzung 2007 regle die Frage der vollen oder nur zeitanteiligen Beitragspflicht nicht. Sie - die Klägerin - akzeptiere zwar die Pauschalisierung bei der Berechnung von Vieheinheiten, die Beklagte wende die Pauschalisierung aber nicht konsequent an, weil sie bei Tierhalterwechsel und Neugründungen nicht auf den Viehbestand per 3. Januar - also zum Stichtag - abstelle. Die Inanspruchnahme des Tierhalters, der erst am Ende des Kalenderjahres die Tierhaltung aufnehme, zu Beiträgen zur Tierseuchenkasse für das volle Kalenderjahr sei zur Abdeckung der finanziellen Risiken der Tierseuchengefahr nicht erforderlich. Bei Umstallungen in einem Jahr und Betreiben der Tierhaltung durch einen neuen Tierhalter erhebe die Beklagte mehr an Beiträgen, als sie an Risiken tatsächlich übernehme. Die Beklagte sollte in derartigen Fällen ggf. einen Verwaltungsmehraufwand in Ansatz bringen.
Aus diesen Darlegungen folgen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Es ergibt sich ohne weiteres aus der Beitragssatzung 2007 der Beklagten, dass entweder der volle Betrag für jedes Tier des jeweiligen Beitragspflichtigen - im Fall von Masthähnchen 0,027 Euro/Tier (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 A der Beitragssatzung 2007) - erhoben wird oder keine Beiträge erhoben werden. Letzteres ist bei Bestandsvergrößerungen, Neugründungen und Wiedereinstallungen nach dem Stichtag 3. Januar 2007 der Fall bei (a) einem Übergang der Tierhaltung im Rahmen der Erbfolge, (b) der Weiterführung der Tierhaltung bei Änderung der Rechtsform, sofern jedenfalls teilweise Personenidentität besteht, (c) bei Änderung der Eigentumsverhältnisse ohne gleichzeitiger Änderung der Besitzverhältnisse sowie (d) bei Verkauf des gemeldeten Tierbestandes, wenn der Bestand von einem neuen Tierbesitzer in denselben Stallungen weitergeführt wird (§ 1 Abs. 5 Satz 1 lit. a bis d der Beitragssatzung 2007). Eine andere Konstellation als den vollen Beitrag oder das Absehen von der Beitragserhebung kennt die Beitragssatzung 2007 der Beklagten nicht.
Durch den Vortrag im Übrigen sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bereits nicht hinreichend dargelegt und jedenfalls nicht begründet.
Die Klägerin setzt sich schon nicht mit dem Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers bei der Typisierung und Pauschalisierung unter den Bedingungen der Massenverwaltung auseinander.
Der Vortrag der Klägerin, die doppelte Beitragserhebung bei dem alten Tierhalter und bei dem Übernehmer des Tierbestandes im Fall der Neugründung sei nicht erforderlich, ist nicht substantiiert. Die Klägerin setzt sich nicht mit dem Argument des Verwaltungsgerichts auseinander, die Beklagte knüpfe in Fällen der Neugründung an die selbständig durch den jeweiligen Tierhalter gesetzten Risiken an. Ihr Vortrag berücksichtigt nicht den Umstand, dass sich im Fall der Neugründung das seuchenhygienische Risiko gegenüber der ggf. vorangegangenen Tierhaltung wegen eines anderen Betriebsmanagements und geänderten Haltungsbedingungen ändern kann.
Im Übrigen kommt es auf die jedem einzelnen Tierhalter konkret zuzurechnenden Risiken, welche die Klägerin bei der Beitragsbemessung mit ihrer Forderung nach einer anteiligen Beitragserhebung berücksichtigt sehen will, nicht an. Die Ermessensentscheidung der Beklagten als Satzungsgeberin, bei nach dem Stichtag 3. Januar eintretenden Bestandsvergrößerungen, Neugründungen und Wiedereinstallungen grundsätzlich den vollen Beitrag für jedes Tier zu erheben (§ 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 lit. b der Beitragssatzung 2007) und damit von einer nach § 71 Abs. 1 Satz 6 TierSG möglichen Beitragsstaffelung abzusehen, ist nicht zu beanstanden. Sie hält sich in den Grenzen, die Art. 3 Abs. 1 GG dem weiten Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers im Abgabenbereich zieht. Der Gleichbehandlungsgrundsatz bindet den Satzungsgeber in diesem Bereich nicht dahingehend, dass er alle tatsächlichen Verschiedenheiten beachten muss. Vielmehr ist er nur gebunden, wenn die Gleichheit oder Ungleichheit der Sachverhalte so bedeutsam sind, dass ihre Beachtung unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten geboten erscheint. Insoweit können Durchbrechungen des Gleichheitsgrundsatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen - insbesondere im Bereich der Massenverwaltung wie im Abgabenrecht - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität - gerechtfertigt sein, solange die durch jede typisierende Regelung entstehende Ungleichbehandlung oder Gleichbehandlung noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht und die Anzahl der Ausnahmen gering ist (Grundsatz der Typengerechtigkeit - Urt. d. Senats v. 19.12.2006 - 10 LC 80/04 - , [...] Rz. 22; Urt. d. Senats v. 02.12.2009 - 10 KN 155/06 -, RdL 2010, 60, 61, jeweils m.w.N.; vgl. auch Urt. d. Senats v. 12.12.1991 - 3 L 2/90 -, [...] Rz. 26). Der Senat folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Beitragserhebung (u.a.) bei Neugründungen neben der stichtagsbezogenen Heranziehung nach § 1 Abs. 1 der Beitragssatzung 2007 einen rechtlich selbständigen Heranziehungstatbestand darstellt, der sich im Rahmen der zulässigen Typisierung hält. Denn durch Betrieb und Halter werden die Risiken, die Grundlage der Risikoeinschätzung durch die Beklagte als Satzungsgeberin sind, neu gesetzt, so dass es zulässig ist, an diesen Umstand die Beitragspflicht anzuknüpfen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Ausnahmen von der Beitragserhebung gerechtfertigt; denn in den Fällen des § 1 Abs. 5 Satz 2 der Beitragssatzung 2007 setzen der neue Betrieb bzw. der neue Halter bei typisierender Betrachtung keine vergleichbaren Risiken. Eine weitergehende Pflicht zur Differenzierung gebietet der Gleichheitsgrundsatz nicht.
2.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache, wenn sie eine höchstrichterlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachen- oder Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (Hess. VGH, Beschl. v. 22.10.2002 - 8 UZ 179/01 -, NVwZ 2003, 1525, 1526, m.w.N.).
Die Klägerin wirft die Rechtsfrage auf, "ob die Beitragspflicht zur Tierseuchenkasse eines Tierhalters, der erst im Laufe des Beitragsjahres eine Neugründung im Sinne von § 1 Abs. 3 b) der Beitragssatzung vornimmt, für das volle Kalenderjahr oder nur anteilig für die Zeit ab Beginn der Tierhaltung besteht". Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig. Wie oben ausgeführt, ergibt es sich ohne weiteres aus der Beitragssatzung 2007 der Beklagten, dass entweder der volle Betrag für jedes beitragspflichtige Tier erhoben wird oder keine Beiträge erhoben werden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).