Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 23.12.2003, Az.: 203 VgK 37/2003

Vergabe der Altpapierentsorgung im Vergabenachprüfverfahren; Unverzüglichkeit der Rüge von Vergaberechtsverstößen; Grundlagen für die Entstehung der Rügeverpflichtung; Rüge des Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot; Anforderungen an den Nachweis der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit eines Bieters; Grundlagen eines Ausschlusses eines Angebotes wegen Unangemessenheit des Angebotspreises; Kostentragungspflicht im Nachprüfungsverfahren

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
23.12.2003
Aktenzeichen
203 VgK 37/2003
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 32073
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabe der Altpapierentsorgung im Landkreis xxx

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer BOR Weyer
auf die mündliche Verhandlung vom 23.12.2003
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Auftraggeber wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten und dabei die aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Auftraggeber.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 3.621,-- EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Der Auftraggeber hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragstellerin notwendig.

Begründung

1

I.

Der Auftraggeber hat mit Datum vom 15.08.2003 die Altpapierentsorgung im Landkreis xxx EU-weit für die Zeit vom 01.06.2004 bis zum 31.05.2010 im offenen Verfahren ausgeschrieben, nachdem er mit Vorinformation vom 07.01.2003 auf die geplante Ausschreibung hingewiesen hatte.

2

Der Bekanntmachung war zu entnehmen, dass die zu erbringenden Leistungen nicht in Lose unterteilt waren. Nebenangebote und Alternativvorschläge sollten berücksichtigt werden.

3

Es wurde darauf hingewiesen, dass der Zuschlag auf das Hauptangebot oder gleichwertige Nebenangebot mit dem niedrigsten Angebotspreis erteilt wird. Nebenangebote, welche eine abweichende Verrechnung der Vermarktungserlöse zum Inhalt haben, sind nach Maßgabe der Leistungsbeschreibung/des Leistungsverzeichnisses nur in Verbindung mit der Vorlage eines Hauptangebotes zugelassen.

4

Der Auftraggeber forderte von den Bietern mit dem Angebot zur Beurteilung, ob diese die wirtschaftlichen und technischen Mindestvoraussetzungen erfüllen, verschiedene Nachweise zur Rechtslage. Ferner forderte er Nachweise zur wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit der Bieter. Der Auftraggeber hatte unter Ziffer 5 der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter anderem gefordert:

"Mit dem Angebot sind vorzulegen:

- 5.1
Alle Bieter . . .

- mindestens für die letzten drei Geschäftsjahre:

Nachweis, dass der Bieter ähnliche Leistungen bereits durchgeführt hat (Referenzen) mit der Angabe des Auftragsgegenstandes, des Auftraggebers, des Rechnungswertes und der Leistungszeit;

5

Eine weitere Bedingung für die Teilnahme am Wettbewerb war die Anerkennung als Entsorgungsfachbetrieb.

6

Auf Grund Rüge der Antragstellerin und eines weiteren Bieters sah sich der Auftraggeber veranlasst, allen Bietern Erläuterungen und Präzisierungen zu den Verdingungsunterlagen mit Bieterrundschreiben vom 23.09.2003 mitzuteilen. Ferner teilte der Auftraggeber allen Bietern mit Schreiben vom 07.10.2003 mit, dass er davon ausgehe, dass von Seiten der Bieter keine Unklarheiten sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht zu den Ausschreibungsunterlagen bestehen. Reaktionen von Seiten der Bieter gab es auf diese Mitteilung des Auftraggebers nicht.

7

Bei der Angebotsöffnung am 14.10.2003 ergab sich, dass insgesamt 7 Bieter Angebote abgegeben hatten.

8

Bei der Angebotsauswertung durch das beauftragte Ingenieurbüro wurde zunächst festgehalten, dass bei der rechnerischen Prüfung in mehreren Fällen Rundungsfehler festgestellt wurden, die aber keinen Einfluss auf die Reihenfolge hätten. Hinsichtlich der eingereichten Nebenangebote wurde festgehalten, dass es vier Arten von Nebenangeboten gab:

  1. 1

    Mehrere Bieter boten eine auf dem Index des Statistischen Bundesamtes basierende Erlöserstattung an.

  2. 2

    Mehrere Bieter boten Preise an, welche auf dem EUWID-Preis basieren.

  3. 3

    Mehrere Bieter boten Festpreise für die Vermarktung an.

  4. 4

    Zwei Nebenangebote gingen ein, wo die Erlöserstattung mit Sammelleistungen saldiert wurde. Dies war ausdrücklich in der Leistungsbeschreibung nicht zugelassen worden.

9

Es wurde vermerkt, dass 7 Hauptangebote und insgesamt 12 Nebenangebote wertbar waren.

10

Bei der Gesamtrangfolge, vorbehaltlich der Bietereignung, wurde festgehalten, dass die Nebenangebote 5 und 3 der Beigeladenen, die Nebenangebote 2 und 3 der Antragstellerin sowie das Nebenangebot 2 eines weiteren Bieters in Betracht kommen.

11

Die Angebote dieser drei Firmen wurden einer Prüfung im Detail unterzogen.

12

Bei der formalen Prüfung und Wertung der Angebote ergab sich, dass bei dem Angebot der Antragstellerin zwar geforderte Bescheinigungen fehlten, die aber auf Nachforderung nachgereicht wurden. Die Beigeladene hatte hingegen alle geforderten Nachweise und Bescheinigungen vorgelegt. Es bestand aus Sicht des mit der Angebotsauswertung beauftragten Ingenieurbüros keine Veranlassung, eines der in Betracht kommenden Angebote wegen fehlender Angaben und Erklärungen auszuschließen.

13

Bei der Prüfung derEignung der Bieter wurde hinsichtlich des Angebotes der Beigeladenen vermerkt, dass zunächst Zweifel hinsichtlich der Zuverlässigkeit und der Fachkunde bzw. der Erfüllung der Referenz-Anforderungen angebracht waren. Der Auftraggeber hielt fest, dass die Eignungsbeurteilung seiner Meinung nach einer differenzierten Betrachtung bedurfte.

14

Grund für die Zweifel an derZuverlässigkeit war die Aussage eines öffentlichen Auftraggebers, der als Referenz angeführt war. Er führte aus, dass bis vor kurzem die Zusammenarbeit mit der Beigeladenen problemlos gewesen sei. Es habe seiner Ansicht nach keinen Anlass zu Beanstandungen hinsichtlich der Fachkunde als auch der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit gegeben. Erst seitdem bekannt sei, dass die Beigeladene den Nachfolgeauftrag nicht mehr erhalten solle, habe sie in grober Weise gegen die Treuepflichten aus dem bisherigen Vertrag verstoßen und damit das Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit nachhaltig beschädigt.

15

Auch bestand aus Sicht des Auftraggebers Grund für Zweifel an der Fachkunde der Beigeladenen. Er beschloss daher, der Beigeladenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und zu einem Bietergespräch einzuladen. Gegenstand des Gesprächs sollten die Kalkulation sowie die Themen Fachkunde und Zuverlässigkeit sein. Es wurde festgehalten, dass letztendlich die persönlichen Referenzen des Betriebsleiters und Assistenten der Geschäftsleitung, die dieser 1991 - 1995 bei einer anderen Firma erworben hatte, der Beigeladenen zuzurechnen seien und sie damit die Anforderung "ähnliche Leistungen bereits erbracht zu haben" erfüllt. Auch die Tatsache, dass die Beigeladene vorzulegende Nachweise erst im Bietergespräch vorgelegt habe, sei nicht zu beanstanden, da diese Nachweise nicht kalkulations- bzw. wettbewerbsrelevant sind. Der Auftraggeber hielt fest, dass keine Zweifel an der Fachkunde und hinsichtlich der Erfüllung der Anforderungen an vorzulegende Nachweise bestanden.

16

Hinsichtlich der Bewertung der Zuverlässigkeit der Beigeladenen wurde vermerkt, dass sein Verhalten bei dem als Referenz genannten anderen öffentlichen Auftraggeber mit § 13 KrW-/AbfG konform sei und dass die Beigeladene jedenfalls nicht offensichtlich gegen Vertragspflichten verstoßen habe. Eine weiter gehende vertragsrechtliche Bewertung der bezeichneten Vorgänge sei ihm nicht möglich. Diese Unaufklärbarkeit dürfe aber nicht zu Lasten der Beigeladenen gehen. Selbst wenn die Zweifel an der Vertragskonformität der Aktivitäten der Beigeladenen bei dem anderen öffentlichen Auftraggeber nicht völlig ausgeräumt werden könnten, so seien die Zweifel nicht gewichtig genug dafür, den Bieter wegen fehlender Zuverlässigkeit auszuschließen.

17

In Bezug auf die Frage der Eignung der Antragstellerin hielt der Auftraggeber fest, dass diese als potenzielle Auftragnehmerin geeignet sei; Gleiches gelte auch für den dritten Bieter.

18

In der dritten Wertungsstufe prüfte der Auftraggeber, ob die Antragstellerin und die Beigeladene ungewöhnlich niedrige Angebote vorgelegt hätten. Der Auftraggeber hielt zum Angebot der Beigeladenen fest, dass die Preise nachvollziehbar kalkuliert seien. Die Kalkulationsansätze seien zwar teilweise sehr knapp, aber im Großen und Ganzen nicht branchenunüblich. Der Ansatz für Personalkosten lasse auf untertarifliche Bezahlung schließen; dies sei indes in Niedersachsen nicht unzulässig. Zum Angebot der Antragstellerin hielt der Auftraggeber fest, dass sie in keinem der Leistungsblöcke den niedrigsten Preis angeboten habe. Ihre Preisgunst beruhe vor allem auf den günstigeren Verwertungskonditionen.

19

Als das wirtschaftlichste Angebot ermittelte der Auftraggeber das Nebenangebot 5 der Beigeladenen, welches eine Erlöserstattung von mindestens 65 EUR/t beinhalte, es sei denn, der EUWID-Preis liege darüber. In diesem Falle würde der EUWID-Preis gelten. In einer Rückschau der letzten 6 Jahre entspricht dies einem mittleren Verkaufserlös von 69,42 EUR/t. Es wurde empfohlen, hierauf den Zuschlag zu erteilen.

20

Am 13.11.2003 stimmten das RPA und am 19.11.2003 der Werksausschuss des Auftraggebers der beabsichtigten Vergabe zu.

21

Mit Informationsschreiben vom 20.11.2003 informierte der Auftraggeber die Antragstellerin gem. § 13 VgV, dass auf ihr Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden kann, da ein niedrigeres Nebenangebot vorliegt. Ferner teilt er mit, wer den Zuschlag erhalten soll und wie hoch die Angebotssumme ist.

22

Mit Schreiben vom 25.11.2003 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Vergabe an die Beigeladene und führte aus, dass sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe.

23

  • Die Beigeladene sei nicht geeignet den Auftrag auszuführen, da sie nicht fachkundig sei und ähnliche Leistungen noch nicht durchgeführt habe.
  • Die Beigeladene sei auch nicht leistungsfähig und zuverlässig.
  • Auch sei das Angebot der Beigeladenen nicht auskömmlich, da es in einem offenkundigen Missverhältnis von Preis und Leistung stehe.
  • Ferner verweist die Antragstellerin auf ihr Rügeschreiben vom 15.09.2003, in dem sie die Verwendung einer Musterkalkulation im Kalkulationsblatt und weitere Punkte gerügt habe.

24

Nachdem der Auftraggeber die Rüge mit Schreiben vom 26.11.2003 beantwortete, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.11.2003, eingegangen per Telefax am selben Tage, die Vergabekammer angerufen. Die Antragstellerin bezieht sich zunächst auf das Rügeschreiben vom 25.11.2003 an den Auftraggeber, in dem sie die Eignung der Beigeladenen bezweifelte. Das Angebot der Beigeladenen sei auch nicht auskömmlich, da ein offenkundiges Missverhältnis von Preis und Leistung vorläge.

25

  • Eignung

26

Hinsichtlich der Eignung führt die Antragstellerin aus, dass die Beigeladene noch keine vergleichbare Abfuhr ausgeführt habe und demzufolge auch keine entsprechenden Referenzen vorlegen konnte. Insoweit sei die Beigeladene nicht fachkundig.

27

Sie hält die Beigeladene auch nicht fürleistungsfähig, da sie nicht über das erforderliche Personal und die Geräte verfüge, um den Auftrag fach- und fristgerecht auszuführen; insbesondere könne die Beigeladene nicht rechtzeitig die hierfür notwendigen technischen Voraussetzungen treffen.

28

Insoweit sei die Beigeladene auch nicht zuverlässig, um die Gewähr dafür zu bieten, den Auftrag in sorgfältiger Art und Weise auszuführen.

29

  • Auskömmlichkeit des Angebotes

30

Auch hält die Antragstellerin das Angebot der Beigeladenen nicht für auskömmlich, da es unangemessen niedrig kalkuliert sei. Ihrer Meinung nach liegt hier ein offenkundiges Missverhältnis von Preis und Leistung vor. Der Auftraggeber hätte ihrer Meinung nach die erforderlichen Belege verlangen müssen und bei der Vergabe das Ergebnis dieser Überprüfung berücksichtigen müssen.

31

Ferner verweist sie auf ihr Rügeschreiben vom 15.09.2003, in dem sie Verstöße gegen

  • die Forderung, die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben (§ 8 Nr. 1 Abs. 1 und 3 VOL/A),
  • die nicht abschließend geklärte Altpapierentsorgung (Ziffer 2.4 der Leistungsbeschreibung),
  • gegen die Verwendung einer Musterkalkulation im Kalkulationsblatt (§ 8 Nr. 1 Abs.1 VOL/A)

32

gerügt habe.

33

Ferner merkt sie erneut kritisch an, dass gemäß § 8 Abs. 4 und 5 des abzuschließenden Vertrages der Auftraggeber berechtigt sei, dem Auftragnehmer eine Vertragstrafe aufzuerlegen, wenn der Auftragnehmer aus einem Grund, den er selbst zu vertreten habe, eine durch den Vertrag übernommene und nicht nur gänzlich unwesentliche Verpflichtung nicht rechtzeitig, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß durchführt.

34

Die Antragstellerin bemängelt auch, dass nach Teil IV des Entsorgungsvertrages als Basis für die Veränderung des Lohnanteils der jeweils maßgebliche Tarifvertrag zwischen dem Verband der kommunalen Arbeitgeber und der Gewerkschaft verdi einschließlich der Änderung der Urlaubsansprüche und der Arbeitszeit zu Grunde gelegt werde.

35

Die Antragstellerin beantragt:

  1. 1.

    die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens,

  2. 2.

    festzustellen, dass der Auftraggeber den Auftrag nicht auf das Angebot der Beigeladenen erteilen darf, weil er dadurch gegen Vergaberecht verstoßen würde.

  3. 3.

    eine Neubewertung der Angebote unter Berücksichtigung entsprechender Maßgaben der Vergabekammer anzuordnen,

  4. 4.

    weiter hilfsweise andere geeignete Maßnahmen zu treffen,

  5. 5.

    Akteneinsicht,

  6. 6.

    dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzugeben,

  7. 7.

    festzustellen, dass der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten hat,

  8. 8.

    festzustellen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

36

Der Auftraggeber beantragt:

  1. 1.

    den Antrag der Antragstellerin abzuweisen,

  2. 2.

    festzustellen, dass es für den Antragsgegner erforderlich war, einen Bevollmächtigten hinzuzuziehen.

37

Zur Begründung seiner Auffassung führt der Auftraggeber aus, dass es zum Teil bereits fraglich sei, ob der Nachprüfungsantrag zulässig sei. Dies betrifft seiner Meinung nach die Punkte: Eignung der Beigeladenen, Auskömmlichkeit des Nebenangebotes 5 der Beigeladenen, Wagnis hinsichtlich des Verkaufserlöses und angeblich missverständliche Verdingungsunterlagen.

38

  • Eignung der Beigeladenen

39

Soweit die Antragstellerin behaupte, dass das Nebenangebot der Beigeladenen nicht den Verdingungsunterlagen entspricht und die Beigeladene auch nicht geeignet sei, dürften die gesetzlichen Anforderungen an die Begründung des Nachprüfungsantrages nicht erfüllt sein. Die Antragstellerin behaupte, ohne es zu belegen, dass das Angebot der Beigeladenen nicht den Verdingungsunterlagen entspreche bzw. diese nicht für die Durchführung des Auftrags geeignet sei. Seiner Meinung nach versucht die Antragstellerin durch eine möglichst abstrakte Rüge den Weg des Nachprüfungsverfahrens zu eröffnen.

40

  • Auskömmlichkeit des Angebotes

41

Hinsichtlich der Auskömmlichkeit des Nebenangebotes 5 der Beigeladenen weist der Auftraggeber darauf hin, dass sehr wohl eine Preisprüfung stattgefunden habe und die zu dem Ergebnis führte, dass kein unauskömmlich kalkuliertes Angebot vorliegt. Anzeichen dafür, dass das Nebenangebot 5 der Beigeladenen nicht wettbewerblich gegründet sei, sondern in Marktverdrängungsabsicht abgegeben wurde, sei nicht vorgetragen worden und läge im Übrigen auch nicht vor.

42

  • Leistungsbeschreibung

43

Soweit die Antragstellerin vermeintliche Rechtsverstöße in den Verdingungsunterlagen bezeichnet, verweist der Auftraggeber auf sein Bieterrundschreiben vom 23.09.2003.

44

  • Ungewöhnliches Wagnis durch die Laufzeit des Vertrages

45

Auch in diesem Punkt weist der Auftraggeber darauf hin, dass einseitige Verlängerungsoptionen branchenüblich seien. Er habe zudem in seinem ersten Bieterrundschreiben darauf hingewiesen, dass die feste Vertragslaufzeit und damit die Kalkulationsgrundlage sechs Jahre betrage.

46

  • DSD-Altpapier

47

Auch zu diesem Punkt verweist der Auftraggeber auf sein erstes Bieterrundschreiben, in dem er unter Ziffer 5 das Mengenrisiko ausführlich dargestellt habe, das durch die Stoffpreisregel in Pos. 1 hinreichend gemildert werde.

48

  • Kalkulationsblatt

49

Zu diesem Punkt weist der Auftraggeber darauf hin, dass das beratende Ingenieurbüro die Tabelle entworfen habe, um bei einer Preisprüfung die Kalkulation besser nachvollziehen zu können. Die Spalte "Muster" diene dabei dem Verständnis der rechnerischen Zusammenhänge. Auch hierauf habe er in seinem ersten Bieterrundschreiben unter Ziffer 20 hingewiesen.

50

  • Vertragstrafenregelung

51

Auch hierauf verweist er zunächst auf sein erstes Bieterrundschreiben (Ziffer 27). Ferner vermag der Auftraggeber kein ungewöhnliches Wagnis zu erkennen, für Umstände und Ereignisse, auf die die Antragstellerin keinen Einfluss habe.

52

  • Preisgleitung auf Basis des kommunalen Tarifvertrags

53

Diesen Punkt habe man aus Gründen einer einheitlichen Vertragsgestaltung und -verfolgung gewählt. Da ihm bekannt sei, dass die Unternehmen der Entsorgungsbranche ihre Arbeitnehmer nach ganz unterschiedlichen Tarifen entlohnen, dränge sich kein Tarif zwingend auf. Belastend für die Antragstellerin wäre lediglich der Fall, dass im Geltungsbereich des Tarifs, den sie zahle, die Lohnkosten steigen würden und im öffentlichen Dienst nicht. Für diese Annahme fehlt hier jedoch jeglicher Anhaltspunkt. Im Übrigen habe die Antragstellerin auch nicht vorgetragen, worin hier ein Vergaberechtsverstoß liegen könne.

54

  • Bagatellgrenze von 5%

55

Hier weist der Auftraggeber zunächst darauf hin, dass der Auftragnehmer kalkulierbare Risiken zu tragen habe. Der Fixkostenanteil von 40% beruhe auf die beträchtlichen Anfangsinvestitionen, die jedoch kostenmäßig nicht mit ansteigen.

56

Die Beigeladene beantragt,

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

  2. 2.

    der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen;

  3. 3.

    die Hinzuziehung der Bevollmächtigten durch die Beigeladene für notwendig zu erklären.

57

Sie unterstützt den Vortrag des Auftraggebers und führt ergänzend aus, dass ihrer Meinung nach keine Gründe für einen Ausschluss der Beigeladenen bzw. ihrer Angebote vorliegen. Die Antragstellerin habe für ihre Behauptungen keine Beweismittel angegeben. Die Beigeladene habe insbesondere auch ihre Fachkunde nachgewiesen. Die Forderung nach Referenzen für die letzten drei Geschäftsjahre sei keine Mindestforderung des Auftraggebers im Sinne der Rechtsprechung.

58

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Vergabeakte, die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 23.12.2003 verwiesen.

59

II.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist in ihren Rechten gem. § 97 Abs. 7 GWB verletzt, da der Auftraggeber das Angebot und die Nebenangebote der Beigeladenen gewertet und ein Nebenangebot für den Zuschlag vorgesehen hat, obwohl die Beigeladene die nach der Aufforderung zur Angebotsabgabe als Bewerbungsbedingung mindestens für die letzten drei Geschäftsjahre geforderten Referenzen zum Nachweis, dass der Bieter ähnliche Leistungen bereits durchgeführt hat, nicht beigebracht hat bzw. nicht beibringen konnte. Der Auftraggeber hat dadurch zu Lasten der Antragstellerin und zu Gunsten der Beigeladenen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB verstoßen.

60

1.

Der Antrag ist zulässig. Bei dem Auftraggeber handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag betreffend die Altpapierentsorgung (Behälterabfuhr, Behältergestellung, -erstaufstellung und -änderungsdienst, Containergestellung und -abfuhr sowie weitere Verwertung des Altpapiers) gem. § 99 Abs. 1, Abs. 4 GWB, für den gem. § 2 Nr. 3 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 200.000,-- EUR gilt. Der Wert des ausgeschriebenen Auftrags überschreitet nach dem Ergebnis der Ausschreibung deutlich den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.

61

Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bewerberin ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, der Auftraggeber habe in mehrfacher Hinsicht gegen Vergaberecht verstoßen. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist weiterhin, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen oder die Darlegungslast dürfen nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 107, Rn. 677). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat zumindest schlüssig vorgetragen, dass ihrem nach der streitbefangenen Wertung des Auftraggebers auf Rang 3 stehenden Nebenangebot NA II möglicherweise der Zuschlag zu erteilen wäre, wenn der Auftraggeber die von ihm auf Rang 1 und 2 ermittelten Angebote NA V und NA III der Beigeladenen gem. § 25 VOL/A von der Wertung ausgeschlossen hätte, wozu der Auftraggeber nach Auffassung der Antragstellerin verpflichtet war. Eine über die Schlüssigkeit hinausgehende Darstellung des Rechtsschutzbedürfnisses ist nicht erforderlich. Das tatsächliche Vorliegen der Rechtsverletzung ist vielmehr eine Frage der Begründetheit (vgl. Vergabekammer Südbayern, Beschluss v. 13.12.1999 - 11/99).

62

Die Antragstellerin hat die von ihr geltend gemachten Verstöße gegen das Vergaberecht im streitbefangenen Vergabeverfahren auch unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gerügt. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Verfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2000, Az.: Verg 9/00). Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabes hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 25.11.2003 unverzüglich und damit rechtzeitig gerügt, dass die für den Zuschlag vorgesehene Beigeladene nach Auffassung der Antragstellerin nicht geeignet sei, den Auftrag durchzuführen, da sie nicht fachkundig sei und ähnliche Leistungen noch nicht durchgeführt habe. Von der Tatsache, dass die Beigeladene den Zuschlag erhalten sollte, war die Antragstellerin erst kurz zuvor mit Informationsschreiben des Auftraggebers vom 20.11.2003 gem. § 13 VgV informiert worden. Soweit die Antragstellerin diesen Vorwurf im Zuge des Nachprüfungsverfahrens dahingehend konkretisiert hat, dass ihrer Auffassung nach die Beigeladene die erforderlichen Referenzen nicht beigebracht hat, war eine vorherige Rüge nicht möglich, da die Antragstellerin von den diesbezüglichen Zweifeln des Auftraggebers erst im Wege der Akteneinsicht erfahren hatte. Bereits mit Schreiben vom 15.09.2003, noch vor Angebotsabgabe, hatte die Antragstellerin vermeintliche Mängel der Leistungsbeschreibung gegenüber dem Auftraggeber gerügt. Auch diese Rüge erfolgte unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB.

63

2.

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Der Auftraggeber hat zu Gunsten der Beigeladenen und zu Lasten der Antragstellerin gegen das Gleichbehandlungsgebot gem. § 8 a VOL/A, § 97 Abs. 2 GWB verstoßen, indem er zu Gunsten der Beigeladenen im Ergebnis darüber hinweggesehen hat, dass diese nicht, wie vom Auftraggeber als Bewerbungsbedingung ausdrücklich gefordert, mindestens für die letzten drei Geschäftsjahre Referenzen im Nachweis dafür beigebracht hat, dass der Bieter ähnliche Leistungen bereits durchgeführt hat. Dieser Dispens ist angesichts der in den Verdingungsunterlagen eindeutig geforderten Eignungsnachweise nicht mehr durch das dem Auftraggeber bei der Eignungsprüfung grundsätzlich vergaberechtlich eingeräumte weite Ermessen gedeckt.

64

Gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A sind bei der Auswahl der Angebote, die für den Zuschlag in Betracht kommen, nur Bieter zu berücksichtigen, die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen. Zum Nachweis ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit können gem. § 7 Nr. 4 VOL/A von den Bietern entsprechende Angaben gefordert werden, soweit es durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt ist. Grundsätzlich steht dem Auftraggeber bei der Bewertung der Eignung der Bieter ein weiter Ermessensspielraum zu. Dieser engt sich jedoch dann ein, wenn der Auftraggeber selbst dieses weite Ermessen durch Angabe von Mindestvoraussetzungen einschränkt. Er ist dann an die Voraussetzungen gebunden und darf nicht nachträglich von ihnen abweichen (vgl. Vergabekammer Sachsen, Beschluss v. 06.05.2002, Az.: 1/SVK/034-02). Das Setzen von Mindestvoraussetzungen ist ihm grundsätzlich nicht verwehrt (BayObLG, Beschluss v. 20.12.99, Az.: 8/99, BauR 2000, 558, 560). Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn ein Auftraggeber, wie im vorliegenden Fall, bei der Eignung und Zuverlässigkeit der Bieter maßgeblich auf die Einholung und Auswertung von Referenzen abstellt. Die Einholung von Referenzen, wie der Auftraggeber sie mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes unter Ziffer 5 festgelegt hat, stellt eine geeignete, vergaberechtskonforme Maßnahme dar, die es dem Auftraggeber erleichtert, die Eignungsprüfung im Rahmen der Angebotswertung durchzuführen (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 14.03.2000, Az.: 13 Verg 2/00, dort zur Bedeutung von Referenzen bei der Bieterauswahl im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung nachöffentlichem Teilnahmewettbewerb gem. § 7 a Nr. 3 VOL/A). Damit korrespondiert die Vorschrift des § 25 Nr. 1 Abs. 2 a VOL/A, wonach Angebote, die nicht die geforderten Angaben und Erklärungen gem. § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A enthalten, ausgeschlossen werden. Unter Beachtung dieser Grundsätze konnte der Auftraggeber im vorliegenden Fall nach entsprechender Prüfung zumindest die erforderliche Fachkunde und damit im Ergebnis auch die Eignung der Beigeladenen für die konkret ausgeschriebenen Leistungen nur dann positiv bewerten, wenn er darüber hinwegsah, dass die Beigeladene die als Mindestforderung beizubringenden Referenzen für die letzten drei Geschäftsjahre nicht beigebracht hat bzw. nicht beibringen konnte. Der Auftraggeber hatte unter Ziffer 5 der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter anderem eindeutig gefordert:

"Mit dem Angebot sind vorzulegen:

- 5.1
Alle Bieter . . .

- mindestens für die letzten drei Geschäftsjahre:

Nachweis, dass der Bieter ähnliche Leistungen bereits durchgeführt hat (Referenzen) mit der Angabe des Auftragsgegenstandes, des Auftraggebers, des Rechnungswertes und der Leistungszeit;

- Anerkennung als Entsorgungsfachbetrieb oder bei ausländischen Bietern gleichwertige Qualifikation für die entsprechende Leistung. Dies ist eine Mindestanforderung."

65

Weiter heißt es:

"Bieter können ihre Eignung auch durch ein in einem Konzern mit ihnen verbundenes Unternehmen nachweisen."

66

Der Auffassung des Auftraggebers und der Beigeladenen, dass hier hinsichtlich der Referenzen keine Mindestanforderung im Sinne der Rechtsprechung gestellt wurde, weil diesbezüglich im Gegensatz zur Forderung der Anerkennung als Entsorgungsfachbetrieb keine ausdrückliche Hervorhebung erfolgt sei, kann nicht gefolgt werden. Für die Bieter im streitbefangenen Vergabeverfahren war angesichts der eindeutigen Formulierung klar, dass sie mindestens für die letzten drei Geschäftsjahr Referenzen über vergleichbare Leistungen beibringen mussten. Darüber hinaus mussten potenzielle Bieter, die für die letzten drei Geschäftsjahre keine ähnlichen Tätigkeiten nachweisen konnten, davon ausgehen, dass eine Beteiligung am Vergabeverfahren selbst dann keine Aussicht auf Erfolg bringt, wenn sie zwar nicht in den aktuellen drei Geschäftsjahren, wohl aber in weiter zurückliegenden Geschäftsjahren und Zeiträumen ähnliche Leistungen durchgeführt haben. Durch die Formulierung "mindestens für die letzten drei Geschäftsjahre" hat der Auftraggeber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es ihm gerade auf aktuelle Referenzen ankam.

67

Wie der Auftraggeber in der Vergabeakte selbst ausführlich dokumentiert hat, konnte und kann die Beigeladene weder vortragen, geschweige denn durch Referenzen belegen, dass sie mit ihrem Betrieb im Vergleich zum Ausschreibungsgegenstand "ähnliche Leistungen" überhaupt durchgeführt hat, erst recht nicht in den letzten drei Geschäftsjahren. Die Beigeladene hat aktuell und damit in den letzten drei Geschäftsjahren unstreitig zwar die Altpapierentsorgung bei dem Auftraggeber Landkreis xxx durchgeführt und dies durch eine entsprechende Referenz nachgewiesen. Ähnlichkeiten zwischen dem streitbefangenen Ausschreibungsgegenstand und dem Referenzauftrag bestehen jedoch lediglich hinsichtlich der ausgeschriebenen Teilleistung Großcontainergestellung und -abfuhr sowie insgesamt die weitere Verwertung des Altpapiers. Diese Teilleistungen, die auch im streitbefangenen Vergabeverfahren abgefragt wurden, hat die Beigeladene aktuell bereits im Landkreis xxx erbracht. Im Landkreis xxx erfolgt die Altpapiersammlung nämlich bislang ausschließlich über Großcontainer. Das Vergabeverfahren des Auftraggebers ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass der Auftraggeber im Gegensatz zum Referenzlandkreis beabsichtigt, die sog. "Blaue Tonne" einzuführen, sodass sämtliche Haushalte im Gebiet des Auftraggebers mit entsprechenden Behältern versorgt werden müssen (Behältergestellung, -erstaufstellung und -änderungsdienst) und sämtliche Haushalte regelmäßig angefahren und entsorgt werden müssen. Wie der Auftraggeber selbst auf Seite 15 bis 17 des Vergabevermerks vom 18.11.2003 festgestellt und dokumentiert hat, ist daher die Altpapiersammlung im Landkreis xxx nicht mit der von ihm ausgeschriebenen künftigen Altpapiersammlung im eigenen Landkreis vergleichbar. Die Tabelle 9 auf Seite 16 des Vergabevermerks verdeutlicht diese wesentlichen Unterschiede. Danach hatte die Beigeladene im Landkreis xxx 166 zentral aufgestellte, große Depotcontainer ein- bis zwei Mal wöchentlich zu leeren, was insgesamt zu ca. 800 Leerungen in 4 Wochen führte. Insgesamt wurden in 4 Wochen ca. 4.400 cbm Volumen geleert. Demgegenüber sind nach der streitbefangenen Ausschreibung im Landkreis xxx künftig ca. 40.000 "Blaue Tonnen" mit einer Behältergröße von 240 l vierwöchentlich zu leeren, was zu 40.000 Leerungen in 4 Wochen und einem geleerten Behältervolumen von ca. 9.600 cbm in 4 Wochen führt. Beide Sammelsysteme sind daher weder hinsichtlich der erforderlichen Logistik noch hinsichtlich des Personaleinsatzes vergleichbar.

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Die Beigeladene hat somit bislang keine "ähnlichen Leistungen" im Sinne der Verdingungsunterlagen des Auftraggebers durchgeführt. Aufträge im Bereich der flächendeckenden Restmüll- oder Biomüllabfuhr, aus der man auf die notwendige Erfahrung und Fachkunde für den ausgeschriebenen Sammelmodus schließen könnte, hat die Beigeladene ebenfalls nicht durchgeführt. Die ungeeignete Referenz des Landkreises xxx wird auch nicht dadurch zu einer Referenz über die Erbringung von "ähnlichen Leistungen", dass die Beigeladene mit ihrem Betriebsleiter, Herrn xxx, über einen Mitarbeiter verfügt, der in den Jahren 1991 bis 1995 als Niederlassungsleiter einer anderen Firma bereits Erfahrungen bei der Einführung der Biotonne, die Umstellung auf Papiertonne sowie der gesamten Behälterabfuhr (Restmüll/Biomüll/Altpapier) im Landkreis xxx gesammelt hat. Unstreitig sind Erfahrungen über den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer für ein bestimmtes Sammelsystem erforderlichen Logistik gerade auch personengebunden (vgl. VK Lüneburg, Beschluss v. 14.02.2003, Az.: 203-VgK-35/2002). Der Assistent der Geschäftsleitung der Beigeladenen, Herr xxx, ist jedoch seit 1998 bei der Beigeladenen angestellt und hat daher ebenfalls nicht, wie in den Verdingungsunterlagen ausdrücklich gefordert, in den letzten drei Geschäftsjahren ähnliche Leistungen durchgeführt. Ausweislich des dem Vergabevermerk beigefügten Lebenslaufs des Herrn xxx beschränken sich diese Erfahrungen auf die Jahre 1991 bis 1995, wo er als Niederlassungsleiter bei der Firma xxx in xxx beschäftigt war. Zwischen Mai 1995 bis zum Eintritt bei der Beigeladenen hat er dann als Leiter der Sortieranlage der Firma xxx GmbH in xxx und seit 1998 dann bei der Beigeladenen keine vergleichbaren, geschweige denn ähnlichen Leistungen mehr durchgeführt. Selbst wenn die Beigeladene daher ungeachtet ihrer fehlenden Erfahrungen mit dem ausgeschriebenen Papiersammelsystem durch das in früheren Tätigkeiten erworbene Know-how ihres jetzigen Assistenten der Geschäftsleitung möglicherweise in der Lage wäre, den streitbefangenen Auftrag abzuwickeln, so hat die Beigeladene jedenfalls nicht die als Mindestforderung erforderlichen Referenzen über ähnliche Tätigkeiten in den vergangenen drei Geschäftsjahren beigebracht. Der Auftraggeber durfte angesichts der eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Mindestanforderung hinsichtlich der Referenzen über vergleichbare Leistungen in den vergangenen drei Geschäftsjahren keine geringeren Anforderungen genügen lassen. Der Auftraggeber war und ist vielmehr gehalten, Angebote und Nebenangebote eines Bieters, der die geforderten Referenzen nicht beigebracht hat und diese auch auf - grundsätzlich zulässiges - Nachfragen nicht erbringen konnte, vom weiteren Vergabeverfahren wegen mangelnder Eignung (hier: Fachkunde) auszuschließen (vgl. BayObLG, Beschluss 8/99 v. 20.12.99 = BauR 2000, S. 558 ff., 560). Die Nichtbeachtung der selbst gesetzten Mindestanforderung verletzt die Antragstellerin und dieübrigen Bieter, die ihrerseits diese Voraussetzungen erfüllen, in ihren Rechten.

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Hinzu kommt, dass der Auftraggeber mit seinen eindeutigen Forderungen nach aktuellen Referenzen über die letzten drei Geschäftsjahre und der damit verbundenen Forderung von Nachweisen über "ähnliche Leistungen" den Kreis der Wettbewerber bewusst und zulässigerweise eingeschränkt hat, ohne dass dies von irgendeinem Bieterunternehmen gerügt worden wäre. Der Auftraggeber durfte von seinen hohen Anforderungen an die vorzulegenden Referenzen daher auch nicht etwa deshalb abweichen, weil sich das Altpapiersammelsystemüber die sog. "Blaue Tonne" erst allmählich in Niedersachsen verbreitet und es sich deshalb bei der Beigeladenen wie auch vielen anderen Entsorgungsunternehmen diesbezüglich um einen sog. "Newcomer" handelt. Zwar ist ein öffentlicher Auftraggeber bei der Abfassung seiner Verdingungsunterlagen grundsätzlich vergaberechtlich gehalten, die Bedingungen und die Nachweise für die Eignung nicht so hoch zu schrauben, dass der Wettbewerb etwa von vornherein auf Bieter beschränkt wird, die dem Auftraggeber bereits vertraut sind (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 08.05.2002, 13 Verg 5/02). Auch ein sog. "Newcomer" muss nach der Rechtsprechung jedoch die vom Auftraggeber geforderten Referenzen beibringen. Hält ein Bieter die in der Vergabebekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen mitgeteilten Mindestbedingungen für unzulässig, so muss er dies spätestens bis zum Ablauf der Frist für die Abgabe des Angebotes gem. § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB rügen (vgl. OLG Dresden, Beschluss v. 23.07.2002, Az.: WVerg 0007/02, m.w.N.). Eine entsprechende Rüge ist aber weder seitens der Beigeladenen noch von einem anderen Bieter erfolgt.

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Mangels Vorlage der nach den Verdingungsunterlagen mindestens geforderten Referenzen war und ist der Auftraggeber daher gehalten, das Angebot und die Nebenangebote der Beigeladenen bereits gem. § 25 Nr. 1 Abs. 2 a VOL/A von der weiteren Wertung auszuschließen. Danach sind Angebote, die nicht die geforderten Angaben und Erklärungen gem. § 21 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A enthalten, zwingend auszuschließen. Spätestens aber im Rahmen der Eignungsprüfung gem. § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A hätten die fehlenden geforderten Referenzen dazu führen müssen, dass der Auftraggeber der Beigeladenen die erforderliche Fachkunde nicht unterstellen konnte. Das diesbezügliche Ermessen des Auftraggebers war durch die eindeutige Vorgabe bezüglich der aktuellen Referenzen über ähnliche Leistungen eingeschränkt.

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Demgegenüber war der Auftraggeber entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht gehalten, die Angebote und Nebenangebote der Beigeladenen zusätzlich auch wegen Unangemessenheit des Angebotspreises gem. § 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A auszuschließen. Der Auftraggeber hat in einem dem Vergabevermerk als Anlage 4 beigefügten, 11-seitigen Vermerk ausführlich dokumentiert, dass er den Angebotspreis der Beigeladenen gem. § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A hinsichtlich seiner Kalkulation und Angemessenheit geprüft hat. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber von einer Angemessenheit des von ihm für den Zuschlag favorisierten Nebenangebotes der Beigeladenen ausgegangen ist. Auch die Übrigen von der Antragstellerin geltend gemachten Vergaberechtsverletzungen liegen nicht vor. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Angebot der Beigeladenen gem. § 25 Nr. 1 Abs. 2 a VOL/A von der Angebotswertung zwingend auszuschließen ist.

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Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Wegen des festgestellten Verstoßes gegen das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot ist es erforderlich, den Auftraggeber zu verpflichten, erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen und dabei die Angebote der Beigeladenen auf Grund der fehlenden Mindestreferenzen von der weiteren Wertung auszuschließen. Von einer Aufhebung des streitbefangenen Vergabeverfahrens konnte die Vergabekammer dagegen absehen. Die von der Vergabekammer im Tenor zu 1 verfügte Verpflichtung des Auftraggebers ist bereits geeignet und angemessen, die festgestellte Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.

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III. Kosten

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, sodass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw., in Ausnahmefällen, 50.000 Euro beträgt.

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Es wird eine Gebühr in Höhe von 3.621,-- EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

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Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Ergebnis der Ausschreibung 3.584.598,-- EUR (brutto). Dieser Betrag entspricht den Kosten nach dem günstigsten Angebot der Antragstellerin (NA II) über die gesamte ausgeschriebene 6-jährige Laufzeit.

77

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 -1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 3.584.598,-- EUR für die Lose 1 und 2 ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 3.621,-- EUR.

78

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

79

Die im Tenor verfügteKostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren i.S.d. § 128 Abs.3 Satz 1 GWB unterlegen ist.

80

Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten der Antragstellerin, die dieser zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 VwVfG. Danach war auf Antrag der Antragstellerin festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von einem fachkundigen, erfahrenen Bieter wie der Antragstellerin grundsätzlich verlangen darf, dass erüber das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A verfügt, bedurfte er für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen Bieter ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

81

Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdn. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdn. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.

82

Angesichts der oben erörterten Tatsache, dass der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen. Der Auftraggeber wird aufgefordert, den Betrag von 3.621,-- EUR unter Angabe des Kassenzeichens xxx zu überweisen:

Gause
Schulte
Weyer