Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 16.06.2003, Az.: 203-VgK-12/2003

Antrag auf Einleitung eines erneuten Nachprüfungsverfahrens und auf Anordnung von Eilmaßnahmen; Grundlagen für das Auslösen eines Zuschlagsverbotes; Eilmaßnahmen durch die Vergabekammer zur Sicherung der uneingeschränkten Realisierbarkeit eines geltend gemachten Anspruchs auf den Zuschlag

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
16.06.2003
Aktenzeichen
203-VgK-12/2003
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 32086
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOL-Vergabeverfahren A 06/02 - Reinigung/Desinfektion ZOP.

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Pade ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag und der unter Bezugnahme auf § 115 Abs. 3 GWB gestellte Eilantrag auf Zuschlagsuntersagung werden als offensichtlich unzulässig verworfen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 2.500 Euro festgesetzt.

Begründung

1

I.

Die Antragstellerin und die Auftraggeberin waren bereits Beteiligte des den streitbefangenen Auftrag betreffenden Nachprüfungsverfahrens 203-VgK 31/2002. Den dort ergangenen Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 29.01.2003 hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichtes Celle durch Beschluss vom 24.04.2003 aufgehoben. Mit diesem rechtskräftigen Beschluss hat das Oberlandesgericht der Auftraggeberin aufgegeben, erneut in die Wertung der Angebote einzutreten und dabei die vom Senat geäußerte Rechtsauffassung zu beachten.

2

Mit Schriftsatz vom 05.06.2003 hat sich die Antragstellerin wegen desselben Vergabeverfahrens erneut an die Kammer gewandt und um die Einleitung eines weiteren Nachprüfungsverfahrens und die Anordnung von Eilmaßnahmen ersucht.

3

Sie beantragt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung:

Der Auftraggeberin wird untersagt, ab 01. Juli 2003 die Arbeiten gem. der Ausschreibung A 06/02 - Reinigung/Desinfektion ZOP im Klinikum - (offenes Verfahren EG-weit) von Firma xxx ausführen zu lassen, ferner die streitgegenständigen Arbeiten, abgesehen von der Antragstellerin, freihändig an andere Unternehmen zu vergeben, schließlich die Reinigungsarbeiten von eigenem Personal ausführen zu lassen.

4

Ferner beantragt sie,

ohne vorherige mündliche Verhandlung zu entscheiden,

5

hilfsweise,

die Ladungsfrist auf drei Tage abzukürzen.

6

Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor, sie hätten in Erfahrung gebracht, dass die Auftraggeberin trotz des o. g. Beschlusses des Oberlandesgerichtes Celle die Firma xxx mit der Durchführung der streitgegenständigen Reinigungsarbeiten bis März 2003 (gemeint war wohl März 2004!) beauftragt hat.

7

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass eine freihändige Vergabe der Leistungen bis zum Abschluss der Nachprüfungsverfahren an die Firma xxx nicht erfolgen darf. Es sei Ihrer Meinung nach von der Auftraggeberin rechtsmissbräuchlich, wenn sie den Auftrag während der seit Herbst 2002 laufenden Nachprüfungsverfahren immer nur für kurze Zeitabstände an die Firma xxx vergebe und somit das Vergaberecht umgehe. Allein für die ersten sechs Monate der freihändigen Vergabe seit Einleitung des ersten Nachprüfungsantrages sei der Schwellenwert bei weitem überschritten.

8

Auf den Hinweis des Verfahrensbevollmächtigen der Antragstellerin, dieses Vorgehen stelle einen Verstoß gegen das Verbot der Zuschlagserteilung im anhängigen Verfahren dar und ignoriere den Beschluss des Oberlandesgerichts, habe die Auftraggeberin nicht regiert. Stattdessen habe sie weiterhin die Firma xxx immer wieder mit den streitgegenständigen Reinigungsarbeiten im ZOP beauftragt.

9

Eine Zuschlagserteilung und/oder Aufforderung zur Reinigung/Desinfektion ZOP an die Firma xxx zum gegenwärtigen Zeitpunkt verstoße nach Ansicht der Antragstellerin gegen zwingendes Gesetzesrecht. Zur Erzielung eines effektiven Vergaberechtsschutzes sei es daher geboten, erneut ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Es könne der Antragstellerin nicht zugemutet werden, den Ausgang eines noch nicht rechtskräftigen abgeschlossenen Nachprüfungsverfahrens abzuwarten, während seitens der Auftraggeberin vollendete Tatsachen durch eine erneute Auftragserteilung/Aufforderung zur Reinigung/Desinfektion ZOP an eine andere Bieterin geschaffen würden mit der möglichen Folge, dass die Antragstellerin trotz Obsiegens im Nachprüfungsverfahren den Auftrag nicht mehr bzw. im vollen Umfang erhalten könnte und trotz rechtzeitiger Einleitung des Verfahrens auf den ordentlichen Rechtsweg zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs verwiesen wäre.

10

Die Ergreifung einstweiliger Maßnahmen sei u.a. nach § 115 Abs. 3 GWB auch dann geboten, wenn keine erneute Zuschlagserteilung erfolgt sei, da durch die Abarbeitung von Leistungen aus dem streitgegenständlichen Auftrag durch faktische Schmälerung des Auftragsumfangs Rechte der Antragstellerin beeinträchtigt seien.

11

Nach Eingang des Antrags bei der Vergabekammer hat die Vergabekammer den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 06.06.2003 darauf hingewiesen, dass erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags bestünden, insbesondere § 115 Abs. 3 GWB wohl nicht zum Zuge kommen könnte, da das Nachprüfungsverfahren durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle abgeschlossen sei und die Auftraggeberin jetzt angehalten sei erneut in die Wertung der Angebote einzutreten. Gleichwohl hat der Verfahrensbevollmächtigte erklärt, seinen Antrag aufrechterhalten zu wollen, und hat sein Vorbringen mit Schriftsatz vom 11.06.2003 wie folgt ergänzt:

12

Er weist darauf hin, dass seiner Meinung nach die Antragstellerin die Möglichkeit hätte, aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts gegen die Auftraggeberin die Zwangsvollstreckung zu betreiben oder aber durch vorläufige Maßnahmen dazu zu veranlassen, die Antragstellerin nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dafür sei die Vergabekammer zuständig. Der Antrag nach § 115 Abs. 3 GWB werde nicht im Rahmen des abgeschlossenen Nachprüfungsverfahrens gestellt, sondern im Rahmen eines neuen Verfahrens gemäß § 97 GWB.

13

II.

Die Anträge sind zu verwerfen. Der Antrag auf Einleitung eines - erneuten - Nachprüfungsverfahrens und auf Anordnung von Eilmaßnahmen war nicht nach § 110 Abs. 1 Satz 2 GWB zuzustellen, weil damit kein (erneutes) Zuschlagsverbot ausgelöst werden konnte.

14

Der Antrag auf Einleitung eines weiteren Nachprüfungsverfahrens mit dem Ziel der erneuten Untersagung der Zuschlagserteilung an die Firma xxx ist offensichtlich unzulässig. Denn für ein solches Verfahren fehlt der Antragstellerin das Rechtsschutzinteresse.

15

Mit ihrem Antrag zielt die Antragstellerin darauf, die Erteilung des Zuschlags zur vorübergehenden Reinigung/Desinfektion des ZOP bis zum Abschluss des schwebenden Vergabeverfahrens an die Firma xxx zu verhindern. Sie hat jedoch bereits mit dem rechtskräftigen Beschluss des Oberlandesgerichtes Celle vom 24.04.2003, Az. 13 Verg 4/03 eine Entscheidung des nunmehr erneut begehrten Inhalts in Händen. Die Sache ist insoweit in vollem Umfang zu ihren Gunsten entschieden. Für den Erlass einer weiteren weitgehend inhaltsgleichen Entscheidung kann die Antragstellerin unter diesen Umständen ein rechtlich anerkennenswertes Interesse nicht mehr geltend machen (vgl. auch Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt vom 12.12.2000, Az. VK 2 - 38/00).

16

Ebenfalls offensichtlich unzulässig ist der auf § 115 Abs.3 GWB gestützte Antrag auf Ergreifung von Eilmaßnahmen durch die Vergabekammer zur Sicherung der uneingeschränkten Realisierbarkeit des von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruchs auf den Zuschlag. Denn für den Erlass derartiger Eilmaßnahmen ist die Vergabekammer nach dem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens durch den Beschluss des Oberlandesgerichtes Celle vom 24.04.2003 nicht (mehr) zuständig und § 115 Abs. 3 GWB kommt als Rechtsgrundlage dafür nicht mehr in Betracht. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift. Ihr Sinn und Zweck und ihre Einbindung in das Vergaberechtsschutzsystem des GWB lassen jedoch eine andere Auslegung nicht zu.

17

§ 115 Abs. 3 GWB ist in das Nachprüfungsverfahren eingebettet. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Vergaberechtsänderungsgesetzes "kann ein Antragsteller, der zur Sicherung seiner Rechte einen tieferen Eingriff in den Ablauf des Vergabeverfahrens für notwendig hält, weitere sichernde Maßnahmen bis hin zu der Feststellung beantragen, der Auftraggeber müsse das Verfahren vollkommen ruhen lassen" (BReg. Begr. zu § 125 [§ 115] zu Absatz 3). Daraus folgt, dass Anträge bei der Vergabekammer nach § 115 Abs. 3 GWB nur im laufenden Nachprüfungsverfahren gestellt werden können, d. h. solange das Nachprüfungsverfahren noch bei der Vergabekammer anhängig ist (Boesen, Vergaberecht, 1. Aufl. 2000, Rdnr. 58 zu § 115 GWB).

18

Die Antragstellerin begehrt eine Entscheidung in einem selbstständigen Zwischenverfahren. Für die Durchführung derartiger Zwischenverfahren ist, wie das Beispiel der Verfahren zur Entscheidung über die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nach § 118 Abs. 2 GWB und über die Vorabentscheidung über die Gestattung des Zuschlags nach § 121 GWB zeigt, das Beschwerdegericht und nicht die Vergabekammer zuständig (vgl. auch o.g. Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt).

19

Diese Regelung entspricht auch der des allgemeinen Verwaltungsrechts. Denn auch die Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO oder über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5, § 80a VwGO sind Verfahren, die den zuständigen Gerichten als nächste Instanz vorbehalten sind, unabhängig davon, ob ein Rechtsmittel in der Hauptsache schon eingelegt worden ist. Die Kammer geht deshalb davon aus, dass die Antragstellerin ihren Antrag, mit dem sie sich im Ergebnis gegen die sog. faktische Vollziehung wendet, richtigerweise beim Beschwerdegericht zu stellen hat.

20

Ein Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ggf. nebst einem Eilantrag gemäß § 115 Abs. 3 GWB bezüglich des streitbefangenen Auftrags kann überhaupt nur wieder zulässig sein, wenn die Auftraggeberin entsprechend den Vorgaben des Beschlusses des Vergabesenats des OLG Celle vom 24.04.2003 - Az.: 13 Verg 4/03 - erneut die Wertung durchgeführt und die Bieter über den dann beabsichtigten Zuschlag gemäß § 13 der Vergabeverordnung (VgV) informiert hat - sofern sich die Antragstellerin dann noch in ihren Rechten verletzt fühlt und die Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 107, 108 GWB vorliegen.

21

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sie sich auf die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags beschränkt.

22

III. Kosten

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1:2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw., in Ausnahmefällen, 50.000 Euro beträgt.

24

Es wird eine Mindestgebühr in Höhe von 2.500 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

25

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999. Hiernach wird der Mindestgebühr von 5.000,-- DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 2 Mio. DM (Schwellenwert von 1 Mio. Euro; ca. 2 Mio. DM) zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000,-- DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 300 Mio. DM (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 -1998) gegenübergestellt.

26

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

27

Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren i.S.d. § 128 Abs.3 Satz 1 GWB unterlegen ist.

28

Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag von 2.500 EUR unter Angabe des Kassenzeichens xxx auf folgendes Konto zu überweisen: xxx.

Gause
Schulte
Dr. Pade