Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 27.06.2003, Az.: 203-VgK-14/2003

Freigabe eines ausgeschriebenen Auftrages bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens; Öffentliches Interesse an dem reibungslosen Betriebsablauf in einer Klinik

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
27.06.2003
Aktenzeichen
203-VgK-14/2003
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 32016
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOL-Vergabeverfahren A 06/02 - Reinigung/Desinfektion ZOP

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Pade
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf den Eilantrag der Antragstellerin wird die Auftraggeberin gem. § 115 Abs. 3 GWB verpflichtet, die zum streitbefangenen, ausgeschriebenen Auftrag gehörenden Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens nur noch kurzfristig, unter der auflösenden Bedingung des rechtskräftigen Abschlusses dieses Nachprüfungsverfahrens freihändig zu vergeben. Eine freihändige Vergabe, die über diesen zur Aufrechterhaltung des Betriebes und im Interesse der Gesundheit und des Lebens der Patienten unerlässlichen Rahmen hinausgeht, wird ihr hiermit ausdrücklich untersagt.

  2. 2.

    Die Kostenentscheidung bleibt dem Beschluss im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Begründung

1

I.

Die Auftraggeberin hat mit Bekanntmachung vom 21.05.2002 Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen im ZOP-Bereich des von ihr betriebenen Klinikums ausgeschrieben. Der streitbefangene Auftrag war bereits wiederholt Gegenstand von Nachprüfungsverfahren der Vergabekammer. Mit Beschluss vom 11.09.2002 hat die Vergabekammer der Auftraggeberin im Verfahren 203-VgK-17/2002 aufgegeben, erneut in die Wertung einzutreten. Nachdem die Auftraggeberin nach erneuter Wertung wiederum entschied, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, stellte die Antragstellerin erneut einen Nachprüfungsantrag. Im Nachprüfungsverfahren 203-VgK-31/2002 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 29.01.2003 zurück. Diesen Beschluss der Vergabekammer hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle durch Beschluss vom 24.04.2003 - Az.: 13 Verg 4/03 - aufgehoben und der Auftraggeberin aufgegeben, erneut in die Wertung der Angebote einzutreten und dabei die vom Senat geäußerte Rechtsauffassung zu beachten.

2

Der Vergabesenat hat festgestellt, dass die Antragstellerin durch den Ausschluss ihres Angebotes von der Wertung in ihren Rechten gem.§§ 97, 107 GWB verletzt ist. Die Preiskalkulation - insbesondere der niedrige Stundenverrechnungssatz von 14,89 Euro einschließlich der Zuschläge für Sonn- und Feiertage - rechtfertige den Ausschluss nicht. Die Voraussetzungen des § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A lägen nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass der angebotene Endpreis eine einwandfreie Ausführung einschließlich der Gewährleistung nicht erwarten lasse. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin trotz ihres niedrigeren Preises ordnungsgemäße Leistungen erbringen könne. Auch sei nicht ersichtlich, dass gesetzliche oder tarifliche Vorgaben bei der Kalkulation der Antragstellerin unberücksichtigt geblieben sind. Das von der Auftraggeberin zur Unterstützung ihrer Auffassung herangezogene Gutachten des Sachverständigen xxx vom 15.11.2002 sei nicht geeignet, die Kalkulation der Antragstellerin entscheidend in Frage zu stellen. Der Sachverständige gehe von allgemeinen Erfahrungssätzen im Gebäudereinigerhandwerk aus. Ein derartiger Ansatz helfe im vorliegenden Fall nicht weiter. Die Antragstellerin habe gegenüber dem Sachverständigen xxx - allein bezogen auf das hier streitgegenständliche Objekt - einen erheblichen Erfahrungsvorsprung, da die Antragstellerin die fraglichen Räume bereits seit vielen Jahren unstreitig reinigt. Die dort gewonnenen Erfahrungen haben in die Kalkulation einfließen können. Die Antragstellerin kenne das zu reinigende xxx Klinikum genau und wisse daher, welches Einsparpotenzial dort im Einzelnen vorhanden sei. Durch diese Ortskenntnis habe sie gegenüber den Mitbewerbern erhebliche Vorteile. Die Kalkulation der Antragstellerin sei nachvollziehbar. Da die Reinigungsleistungen der Antragstellerin im vergangenen Vertragsverhältnis schon bei einem niedrigeren Stundenverrechnungssatz nicht zu Beanstandungen geführt haben (der für den Bereich Hygiene zuständige Arzt der Auftraggeberin hatte der Antragstellerin unstreitig mehrfach positive Referenzen ausgestellt), sei nicht ersichtlich, warum die Antragstellerin unter Zugrundelegung der in diesem Vergabeverfahren angebotenen leicht erhöhten Stundensätze mangelhaft arbeiten werde.

3

Nachdem die Auftraggeberin auf der Grundlage des Beschlusses des Oberlandesgerichts Celle die Angebotswertung erneut durchgeführt hatte, teilte sie der Antragstellerin mit Schreiben vom 18.06.2003 mit, dass die vorliegenden Angebote nochmals geprüft und gewertet worden seien. Man habe dabei die vom Senat geäußerte Rechtsauffassung beachtet. Man habe sich jedoch abermals für die Beigeladene entschieden und wolle ihr den Zuschlag aus wirtschaftlichen Gründen am 03.07.2003 erteilen. Diese Entscheidung rügte die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 19.06.2003 gegenüber der Auftraggeberin. Da die Auftraggeberin der Rüge nicht abhalf, rief die Antragstellerin mit Antrag vom 20.06.2003, eingegangen per Fax am selben Tage, erneut die Vergabekammer an.

4

Die Antragstellerin weist darauf hin, dass ihr nicht bekannt sei, welche Beweggründe die Auftraggeberin dazu veranlasst hätten, abermals der Beigeladenen den Vorzug zu geben. Sie weist jedoch darauf hin, dass der Vergabesenat in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Celle am 08.04.2003 in dem zweitinstanzlichen Verfahren 13 Verg 4/03 der Auftraggeberin gegenüber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe, dass die Frage der Zuverlässigkeit bereits zu Gunsten der Antragstellerin entschieden sei. Es komme nur noch auf die letzten Wertungsphasen an, insbesondere also, ob die Monatskalkulation und der Stundenverrechnungssatz schlüssig dargelegt seien. Diese Überlegungen seien auch in den Beschluss vom 24.04.2003 eingeflossen. Somit sei nicht ersichtlich, aus welchem Grunde sich die Auftraggeberin abermals für die unstreitig teureren Leistungen der Beigeladenen entschieden habe.

5

Obwohl sie, die Antragstellerin, die Auftraggeberin mit Schreiben vom 28.04.2003 aufgefordert habe, unverzüglich erneut in die Auswertung der Angebote einzutreten und dies erneut am 14.05.2003 anmahnte, habe die Auftraggeberin nicht reagiert. Stattdessen habe die Antragstellerin aus zuverlässiger Quelle zwischenzeitlich erfahren, dass die Beigeladene die streitgegenständlichen Reinigungsarbeiten offenbar im Wege eines freihändigen Verfahrens bis März 2004 ausführen solle. Ein die streitgegenständlichen Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen betreffender weiterer freihändiger Vertrag sei bis zum 30.06.2003 befristet gewesen.

6

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist sowie ggf. die Auftraggeberin anzuweisen, erneut in die Wertung der Angebote einzutreten und dabei die von der Vergabekammer geäußerte Rechtsauffassung zu beachten,

  2. 2.

    der Auftraggeberin zu untersagen, ab dem 01.07.2003 die Arbeiten gemäß Ausschreibung A 06/02 - Reinigung/Desinfektion ZOP im Klinikum (offenes Verfahren EG-weit) von der Firma xxx (Beigeladene) ausführen zu lassen, ferner die streitgegenständlichen Arbeiten - abgesehen von der Antragstellerin - freihändig an andere Unternehmen zu vergeben oder vom eigenen Personal ausführen zu lassen.

7

Wegen der Eilbedürftigkeit hat die Antragstellerin darum gebeten, ohne vorherige mündliche Verhandlung zu entscheiden, hilfsweise die Ladungsfrist auf 3 Tage abzukürzen.

8

Die Vergabekammer hat mit Verfügung vom 23.06.2003 der Auftraggeberin den Nachprüfungsantrag zu gestellt und vorab per Fax am gleichen Tage bekannt gegeben.

9

II.

Der auf § 115 Abs. 3 GWB gestützte Eilantrag der Antragstellerin ist zulässig. Er ist begründet, soweit die Antragstellerin damit verhindern will, dass die Auftraggeberin die zum streitbefangenen, noch nicht abgeschlossenen Vergabeverfahren gehörenden Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen über den durch das schwebende Nachprüfungsverfahren veranlassten, im Interesse des reibungslosen Krankenhausbetriebes und der Gesundheit und des Lebens der Patienten zu überbrückenden Zeitraums hinaus freihändig zu vergeben. Nur soweit dieser Zeitrahmen überschritten wird, ist die Antragstellerin durch die befristete freihändige Vergabe in ihren Rechten im Sinne des§ 97 Abs. 7 GWB verletzt, da eine nicht zwingend gebotene befristete freihändige Vergabe die ausgeschriebenen Leistungen faktisch verkürzt und gegen das Zuschlagsverbot gem. § 115 Abs. 1 GWB verstößt. Dagegen kann die Auftraggeberin nicht im Wege des § 115 Abs. 3 GWB verpflichtet werden, für die Dauer des nicht rechtskräftig abgeschlossenen Nachprüfungsverfahrens auf jegliche, diese Zeit überbrückende Vergabe der Reinigungs- und Desinfektionsleistungen zu verzichten. Sie kann ferner nicht verpflichtet werden, diese Überbrückung nur durch eine freihändige Vergabe an die Antragstellerin zu gewährleisten.

10

1.

Der Eilantrag ist zulässig. Gemäß § 115 Abs. 3 GWB kann die Vergabekammer auf besonderen Antrag eines Antragstellers in einem Vergabenachprüfungsverfahren mit weiteren vorläufigen Maßnahmen in das Vergabeverfahren eingreifen, wenn Rechte des Antragstellers aus § 97 Abs. 7 GWB im Vergabeverfahren auf andere Weise als durch den drohenden Zuschlag gefährdet sind. Derartige Anträge sind zulässig, da sie immer dann statthaft sind, wenn das Verfahren in der Hauptsache vor der Vergabekammer - wie im vorliegenden Fall - anhängig ist (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 04.03.2002, Az.: 1/SVK/019-02). Dem Antrag fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dieses wäre lediglich zu verneinen, wenn die Rechte des Antragstellers bereits durch das bestehende Zuschlagsverbot gem. § 115 Abs. 1 GWB ausreichend geschützt wären und der Antragsteller seine Rechtsposition durch eine Entscheidung nach § 115 Abs. 3 GWB nicht verbessern könnte (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 115, Rdn. 58). Im vorliegenden Fall ist eine Verbesserung der Rechtsposition der Antragstellerin jedoch grundsätzlich möglich. Zwar schützt das Zuschlagsverbot des § 115 Abs. 1 GWB, das mit der tatsächlichen, von der Vergabekammer bereits durchgeführten Zustellung des gestellten Nachprüfungsantrages kraft Gesetzes entsteht, die Antragstellerin vor einer wirksamen anderweitigen Zuschlagserteilung des ausgeschriebenen Auftrages durch die Auftraggeberin, da ein entgegen dieses gesetzliche Verbot erteilter Zuschlag - unabhängig von der Nichtigkeit gem. § 13 Satz 4 VgV - wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Gebot gemäß § 134 BGB nichtig wäre.

11

Dieser Schutz des allgemeinen Zuschlagsverbotes gem. § 115 Abs. 1 GWB greift jedoch hinsichtlich der von der Antragstellerin beanstandeten Praxis der Auftraggeberin nicht, die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens dadurch zuüberbrücken, dass sie freihändig jeweils zeitlich befristete Verträge über die Reinigung/Desinfektion im Bereich ZOP mit der Beigeladenen schließt, wodurch faktisch die ausgeschriebene und streitbefangene Auftragsmasse immer mehr verringert wird, ohne dass der Zuschlag im streitbefangenen Vergabeverfahren selbst erteilt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auf Grund der seit dem 15.08.2002 in dieser Sache mehrfach erfolgten Nachprüfungsanträge, die in einem Fall auch zweitinstanzlich entschieden wurden, sich mittlerweile von dem ursprünglich ausgeschriebenen dreijährigen Vertragszeitraum ab 01.10.2002 bereits mehr als 7 Monate erledigt haben, weil die Auftraggeberin zur Überbrückung der aufschiebenden Wirkung der Nachprüfungsanträge die streitgegenständlichen Leistungen vorübergehend freihändig zunächst an die Antragstellerin und dann, zunächst befristet bis 30.06.2003, an die Beigeladene vergeben hat. Auf telefonische Rückfrage der Vergabekammer bestätigte die Auftraggeberin den Vortrag der Antragstellerin, dass beabsichtigt ist, die Reinigungsarbeiten erneut für die Zeit vom 01.07.2003 bis Ende März 2004 freihändig an die Beigeladene zu vergeben.

12

2.

Der auf § 115 Abs. 3 GWB gestützte Eilantrag der Antragstellerin ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Ein Antrag nach § 115 Abs. 3 GWB kommt grundsätzlich in den Fällen in Betracht, in denen die Chancen des Antragstellers, den Auftrag zu erhalten, durch rechtswidrige Maßnahmen im Rahmen des Vergabeverfahrens gemindert werden (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 115 Rdn. 57).

13

Bei der Ermessensentscheidung der Vergabekammer, ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat sie den Entscheidungsmaßstab des§ 115 Abs. 2 Satz 1 GWB zu Grunde zu legen. Damit setzt ein positiver Antrag voraus, dass die beantragte Maßnahme unter Abwägung aller betroffenen Interessen zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin notwendig ist. Dabei können auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als zusätzlicher Abwägungsgesichtspunkt eine Rolle spielen (vgl. Boesen, a.a.O., Rdn. 59). Zwar regelt § 115 Abs. 3 Satz 2 GWB ausdrücklich nur, dass die Vergabekammer den Beurteilungsmaßstab des Abs. 2 Satz 1 zu Grunde zu legen hat. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass nicht auch zusätzlich der Gesichtspunkt der Erfolgsaussichten in der Hauptsache einzubeziehen ist (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 04.03.2002, Az.: 1/SVK/019-02). Da§ 115 Abs. 3 GWB eine vorläufige Sicherung von Rechten des Antragstellers bewirken soll, scheiden solche Maßnahmen im Eilverfahren aus, wenn im Hauptsacheverfahren Rechte des Antragstellers nicht verletzt sind oder voraussichtlich nicht verletzt sind. Wie jedes Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes - § 115 Abs. 3 GWBähnelt den Regelungen in §§ 935, 940 ZPO und 123 VwGO - bedarf es für einen erfolgreichen Antrag eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs. Scheidet ein Anordnungsanspruch erkennbar oder überwiegend wahrscheinlich aus, verbietet sich eine Anordnung gem. § 115 Abs. 3 GWB.

14

Im vorliegenden Fall ist jedoch - vorbehaltlich der abschließenden Entscheidung im anhängigen Nachprüfungsverfahren - überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin nicht nur einen Anordnungsgrund, sondern auch einen Anordnungsanspruch hat. Das mit dem Nachprüfungsantrag verfolgte Ziel der Antragstellerin beruht auf der unstreitigen Tatsache, dass die Antragstellerin die streitbefangenen, ausgeschriebenen Dienstleistungen zum niedrigsten Angebotspreis angeboten hat, sowie auf der Vermutung, damit das wirtschaftlichste Angebot gem. § 97 Abs. 5 GWB, § 25 Nr. 3 VOL/A abgegeben zu haben, sodass ihr nach Auffassung der Antragstellerin zwingend der Zuschlag zu erteilen wäre. Diese Einschätzung erweist sich - vorbehaltlich der abschließenden Entscheidung in diesem Nachprüfungsverfahren - als überwiegend realistisch, da der Vergabesenat des OLG Celle im Beschwerdeverfahren 13 Verg 4/03 mit Beschluss vom 24.04.2003 festgestellt hat, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Vergabesenat hat der Auftraggeberin dabei nicht nur aufgegeben, erneut in die Wertung der Angebote einzutreten und dabei die vom Senat geäußerte Rechtsauffassung zu beachten. Der Vergabesenat hat in den Entscheidungsgründen darüber hinaus deutlich gemacht, dass die Antragstellerin nicht nur den preislich niedrigsten Stundenverrechnungssatz für die streitbefangenen Leistungen angeboten hat, sondern dass sie die diesbezügliche Kalkulation der Antragstellerin auch für nachvollziehbar und plausibel hält und einen Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin wegen eines unangemessenen Angebotspreises gem. § 25 Nr. 2 Abs. 2, 3 VOL/A nicht für gerechtfertigt hält. Der Vergabesenat hat ferner betont, dass davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin trotz des niedrigen Preises die ausgeschriebenen Leistungen ordnungsgemäß erbringen kann. Insbesondere das Einsparpotenzial auf Seiten der Antragstellerin betont, dass sich daraus ergebe, dass diese auf Grund ihrer langjährigen Tätigkeit und der damit verbundenen Ortskenntnis für die Auftraggeberin gegenüber den anderen Bewerbern einen erheblichen Vorteil habe, der sich auch in der Kalkulation niederschlage.

15

Aus diesem Grunde ist überwiegend wahrscheinlich, dass eine ordnungsgemäße, den Beschluss des Vergabesenats des OLG Celle vom 24.04.2003 - Az. 13 Verg 4/03 - beachtende erneute Angebotswertung mit dem Ergebnis schließt, dass die Antragstellerin das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des § 25 Nr. 3 VOL/A abgegeben hat und ihr entsprechend der Zuschlag im streitbefangenen Vergabeverfahren zu erteilen ist. Es Ist damit überwiegend wahrscheinlich, dass der Nachprüfungsantrag Erfolg haben wird. Ein Anordnungsgrund und auch ein Anordnungsanspruch im oben beschriebenen Sinne liegen damit vor.

16

Gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 GWB hat die Vergabekammer aber außerdem den Beurteilungsmaßstab des Abs. 2 Satz 1 zu Grunde zu legen. Entsprechend § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB muss die beantragte Maßnahme unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin notwendig sein. Das Interesse der Antragstellerin liegt vorliegend darin, zu verhindern, dass ihre Position im Vergabeverfahren trotz eines etwaigen Erfolges im Nachprüfungsverfahren weiter dadurch geschmälert wird, dass der Auftragsgegenstand faktisch dadurch verringert wird, dass die Auftraggeberin freihändig, zeitlich befristet die streitgegenständlichen Reinigungs- und Desinfektionsleistungen zurÜberbrückung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens an die Antragstellerin vergibt. Dem steht grundsätzlich das Interesse der Auftraggeberin und auch derÖffentlichkeit entgegen, trotz des Suspensiveffektes des schwebenden Nachprüfungsverfahrens einen reibungslosen Betriebsablauf in der Klinik zu gewährleisten und die im Interesse der Gesundheit und des Lebens der Patienten dringend notwendigen Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen ausführen zu lassen.

17

Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass ein Auftraggeber bei dringenden, unaufschiebbaren Dienstleistungen wie im vorliegenden Fall, wie auch etwa bei Krankentransporten oder Schülerfreistellungsverkehren, berechtigt und ggf. faktisch gezwungen ist, diese Dienstleistungen zeitlich befristet, bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Nachprüfungsverfahrens freihändig gem. § 3 Nr. 3 lit. f VOL/A bzw. im Verhandlungsverfahren ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung gem. § 3 a Nr. 2 lit. d VOL/A zu vergeben. Die Alternative, die ausgeschriebenen Dienstleistungen während des schwebenden Nachprüfungs- oder zweitinstanzlichen Beschwerdeverfahrens gar nicht durchführen zu lassen, besteht für den Auftraggeber in diesen Fällen regelmäßig nicht. Auch über eigenes Personal zur vorübergehenden Durchführung der ausgeschriebenen Dienstleistungen verfügt ein Auftraggeber, wie im vorliegenden Fall, regelmäßig nicht.

18

Dieses Interesse des Auftraggebers und das öffentliche Interesse an dem reibungslosen Betriebsablauf in der Klinik und die Durchführung der für Gesundheit und Leben der Patienten unabdingbaren Hygienemaßnahmen überwiegen das Interesse der Antragstellerin, nach rechtskräftigem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens einen möglichst ungeschmälerten Auftrag zu erhalten, jedoch nur, soweit die Verzögerung des Zuschlags durch das Nachprüfungsverfahren oder ein sich daran anschließendes Beschwerdeverfahren veranlasst ist. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die von der Auftraggeberin beabsichtigte erneute Beauftragung der Beigeladenen für die Zeit vom 01.07.2003 bis Ende März 2004 überzogen und nicht gerechtfertigt. Die Vergabekammer war deshalb gem. § 115 Abs. 3 GWB gehalten, mit einer vorläufigen Maßnahme in das Vergabeverfahren einzugreifen und der Auftraggeberin aufzugeben, eine zur Überbrückung des schwebenden Nachprüfungsverfahrens erforderliche freihändige Vergabe von Dienstleistungen, die den streitbefangenen, ausgeschriebenen Auftragsgegenstand berühren, nur unter Vereinbarung einer auflösenden Bedingung freihändig zu vergeben, dass dieses befristete Vertragsverhältnis - sei es mit der Beigeladenen, mit der Antragstellerin oder einem sonstigen Unternehmen - automatisch beendet wird, sobald das Nachprüfungsverfahren rechtskräftig beendet ist und der Zuschlag erteilt werden kann.

19

III.

Die Kostenentscheidung für das Verfahren nach§ 115 Abs. 3 GWB bleibt dem Beschluss in der Hauptsache vorbehalten.

20

IV.

Entscheidungen der Vergabekammern nach § 115 Abs. 3 GWB sind gem. § 115 Abs. 3 Satz 3 GWB nicht selbstständig anfechtbar.

Gause
Schulte
Dr. Pade