Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 15.09.2003, Az.: 203-VgK-13/2003

Vergabeverfahren über die Lieferung von Dienstkleidung (Thermo-Unterwäsche); Rügepflicht bei im Nachprüfungsverfahren ergänzend vorgetragenen Ausschlussgründen; Ausschluss eines Angebots von der Wertung wegen fehlender Unterschrift; Zwingender Angebotsausschluss oder Erfordernis eines Aufklärungsgesprächs bei geringfügiger Abweichung von den Verdingungsunterlagen; Irrtümliche Vorlage eines abweichenden Musters bei Vorgabe des Verzichts auf einen Eingriff bei Thermo-Unterhosen; Ausschluss wegen mangelnder Zuverlässigkeit auf Grund von Lieferschwierigkeiten bei einzelnen kurzfristigen freihändigen Vergaben im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
15.09.2003
Aktenzeichen
203-VgK-13/2003
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 32224
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOL-Vergabeverfahren Lieferung Thermo-Unterwäsche

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOARin Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Conrad
auf die mündliche Verhandlung vom 11.09.2003
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Auftraggeber wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten und diese unter Berücksichtigung des Angebotes der Antragstellerin und der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Auftraggeber.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 2.564,-- EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Der Auftraggeber hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, wenn die Antragstellerin dies beantragt. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragstellerin notwendig.

Begründung

1

I.

Der Auftraggeber - ihm obliegt u.a. der Einkauf und die Versorgung der niedersächsischen xxx mit Dienstkleidung - hat mit Bekanntmachung vom 13.02.2003 die Lieferung von Thermo-Unterwäsche (ca. 10 000 Unterhemden und ca. 3500 Unterhosen) unter dem Vorbehalt der Bereitstellung von Haushaltsmitteln in entsprechender Höhe im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Die 1. Lieferung sollte zum Juli/August 2003 erfolgen. Der Vertragszeitraum sollte bis zum 31.12.2004 reichen. Ferner wurden zwei Optionen auf die Lieferung von weiteren 17 700 Thermo-Unterhemden und ca. 6600 Stück Thermo-Unterhosen ausgeschrieben. Die 1. Option betrifft den Vertragszeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2005, die 2. Option den Vertragszeitraum 01.01.2006 bis 30.06.2006.

2

Der Zuschlag soll laut Bekanntmachung im Vergabefall auf das wirtschaftlichste Angebot unter Berücksichtigung von Preis, gestalterischen und ästhetischen Aspekten, Passform, Funktionalität, Qualität und Verarbeitung der Angebotsmuster und der Lieferzuverlässigkeit sowie nach Prüfung der Referenzen im Rahmen einer Bewertungsmatrix erteilt werden. Nebenangebote/Alternativvorschläge wurden zugelassen.

3

Mit der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes wurde den Bietern unter anderem als Anlage ein Angebotsvordruck übersandt, den die Bieter zu verwenden hatten. Eine Unterschriftszeile enthielt dieser Vordruck nicht. Im Schreiben zur Angebotsaufforderung heißt es jedoch:

"Sofern Sie ein Angebot abgeben wollen, bitten wir . . . mir ein bemustertes kostenloses Angebot - mit Nettopreisen - auf beigefügtem Vordruck zu übersenden. Das Angebot sowie etwaige Ergänzungen und Berichtigungen sind vom Bewerber rechtsverbindlich zu unterschreiben,. . . Wird das Angebotsschreiben nicht unterschrieben, gilt das Angebot als nicht abgegeben."

4

Insgesamt beteiligten sich acht Bieterunternehmen am Vergabeverfahren, die zum Teil neben ihren Hauptangeboten auch mehrere Nebenangebote abgaben. Die Antragstellerin beteiligte sich mit einem Hauptangebot für den voraussichtlichen Bedarf für den Vertragszeitraum bis 31.12.2004, das mit einer Angebotssumme von 281.147,70 EUR abschloss. Während das Angebotsanschreiben vom 28.04.2003 die beigefügte Referenzliste und die Eigenerklärung zur Fertigungs- und Liefergarantie über den gesamten Vertragszeitraum wie auch eine Eigenerklärung zum Nachweis der Zuverlässigkeit gem.§ 7 Nr. 5 lit. c VOL/A unterschrieben wurden, fehlt eine solche Unterschrift auf dem eigentlichen Angebot, das dem Angebotsanschreiben der Antragstellerin ausdrücklich als Anlage beigefügt wurde. Das Fehlen der Unterschrift im Angebot der Antragstellerin wie auch bei zwei weiteren Bietern wurde vom Auftraggeber in einer in der Vergabeakte enthaltenen Niederschrift über die Öffnung, Prüfung und Wertung von Angeboten (VOL) vermerkt. Der Vergabeakte ist zu entnehmen, dass der Auftraggeber offenbar das Angebot der Antragstellerin wegen der fehlenden Unterschrift von der weiteren Wertung ausschloss. Es befindet sich dort jedenfalls keine Bewertung des Angebots der Antragstellerin. Mit Informationsschreiben gem. § 13 VgV vom 04.06.2003 teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot ausgeschlossen werde, weil es nicht den Bewerbungsbedingungen gemäß im Angebotsschreiben unterschrieben ist. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag am 19.06.2003 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

5

Mit Schreiben vom 10.06.2003, das mit dem Betreff "Einspruch/Beantragung einer Nachprüfung des Verfahrens bei der zuständigen Vergabekammer" überschrieben war, rügte die Antragstellerin gegenüber dem Auftraggeber die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes. Sie wies darauf hin, dass im vom Auftraggeber mit den Verdingungsunterlagen zur Verfügung gestellten Vordruck "Angebot" weder der Platz noch die Aufforderung "Unterschrift" mit räumlicher Zuordnung vorhanden sei. In der Anlage übersandte die Antragstellerin dazu einen zweifelsfreien Vordruck des Beschaffungsamtes der BMI zum Vergleich. Ferner machte die Antragstellerin geltend, dass ihr Angebot unterschrieben sei, weil das Angebotsanschreiben, das sich eindeutig auf den ausgefüllten Vordruck "Angebot" beziehe, rechtsverbindlich unterschrieben sei.

6

Ergänzend machte die Antragstellerin geltend, dass die Ausschreibung entgegen § 18 a VOL/A nicht die vorgeschriebene Angebotsfrist von mindestens 52 Tagen einhält und dass weder in der Vergabebekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen die Vergabekammer gem. § 32 a VOL/A benannt wurde. In Reaktion auf das Rügeschreiben teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit Schreiben vom 11.06.2003 die Anschrift der zuständigen Vergabekammer mit. Mit Schreiben vom 16.06.2003, eingegangen per Telefax am gleichen Tage, hat die Antragstellerin unter Verwendung des identischen Textes des Rügeschreibens die Vergabekammer angerufen und die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt.

7

Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens weist sie ferner darauf hin, dass sie in ihrem Anschreiben auf das bemusterte Angebot verwiesen habe. An keiner Stelle der Ausschreibungsunterlagen habe sie einen Hinweis gefunden, nachdem gerade der Vordruck mit den beiden Positionen - und zwar genau dieses Blatt - unterschrieben werden musste. Insoweit durfte der Auftraggeber ihrer Meinung nach das Angebot nicht wegen der angeblich fehlenden Unterschrift von der Wertung ausschließen.

8

Soweit der Auftraggeber behaupte, dass ihr Angebot wegen mangelnder Zuverlässigkeit auszuschließen sei, weist sie darauf hin, dass es ihrer Meinung nach keine Veranlassung gebe, dass sie den Auftrag nicht einwandfrei ausführen könne. Sie habe dem Auftraggeber über lange Jahre mangelfreie Waren geliefert. Eine einmalige mangelhafte Lieferung war bei weitem nicht kennzeichnend. Entsprechendes gelte auch für die angeblichen Lieferverzüge.

9

Rückschlüsse auf eine Unzuverlässigkeit der Antragstellerin lassen sich ihrer Meinung nach nicht belegen.

10

Schließlich weist die Antragstellerin darauf hin, dass der Auftraggeber zur Wertung der Angebote eine Matrix verwendet habe, die nicht mit der Matrix auf Seite 2 des Anschreibens übereinstimme. Der Auftraggeber habe die Bewertungsfaktoren bezüglich der Kriterien Passform und Lieferzuverlässigkeit/Referenzen geändert. Insoweit müsse er die Wertung wiederholen.

11

Soweit der Auftraggeber ein Prüfergebnis betreffend einen Flammversuch vorgelegt habe, dürfe dies nicht gegen sie verwendet werden, da die von ihr angebotene Thermounterwäsche zu 75 % aus Baumwolle und Polyamid, 25 % reiner Baumwolle und 5 % Nylon bestehe. Der Gesichtspunkt des Flammschutzes sei ohnehin ggf. in einer Wertung zu berücksichtigen.

12

Die Antragstellerin beantragt,

den Auftraggeber zu verpflichten, den Ausschluss der Antragstellerin rückgängig zu machen und das Angebot der Antragstellerin wie auch die übrigen Angebote unter Berücksichtigung der aus den Entscheidungsgründen ersichtlichen Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten.

13

Der Auftraggeber beantragt,

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 16.06.2003 kostenpflichtig zurückzuweisen,

  2. 2.

    die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Vergabestelle nach den §§ 128 Abs. 4 GWB, 80 Abs. 2 VwVfG für notwendig zu erklären,

14

Ferner hat der Auftraggeber beantragt, ihm gem. § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB zu gestatten, den Zuschlag für den streitbefangenen Lieferauftrag nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe des entsprechenden Beschlusses der Vergabekammer zu erteilen.

15

Der Auftraggeber hält den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig. Die Antragstellerin sei ihren Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 und 2 GWB nicht nachgekommen. Das Schreiben der Antragstellerin vom 10.06.2003 erfülle nicht die Anforderungen an ein Rügeschreiben. Die Antragstellerin habe dem Auftraggeber nicht Gelegenheit geben wollen, vermeintliche Vergaberechtsverstöße im laufenden Vergabeverfahren selbst abzustellen, sondern habe unmissverständlich bereits auf die bevorstehende Anrufung der Vergabekammer hingewiesen. Zumindest seien aber die Rügen bezüglich der vermeintlichen Formverstöße in den Verdingungsunterlagen nicht rechtzeitig gem. § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB erfolgt, da sowohl die Angebotsfrist wie auch das Fehlen der Angabe der zuständigen Vergabekammer für jeden Bieter bei Bearbeitung des Angebotes erkennbar war und somit nach Auffassung der Antragstellerin spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist 08.05.2003 hätte gerügt werden müssen. Der Antragstellerin fehle auch bereits die Antragsbefugnis, da ihr Angebot wegen fehlender Unterschrift zwingend habe ausgeschlossen werden müssen. Jedenfalls sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Das Angebotsanschreiben selbst sei nicht Bestandteil des Angebotes, was sich schon daraus ergebe, dass im Angebotsanschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass das Angebot als Anlage dem Anschreiben beigefügt ist. Die Rüge der vermeintlich zu kurzen Angebotsfrist sei auf einen Rechenfehler der Antragstellerin zurückzuführen. Abzustellen sei auf den maßgeblichen Tag der Absendung der Bekanntmachung; hier 13.03.2003. Bis zum Schlusstermin für den Angebotseingang am 08.05.2003 hätte dem Bieter mit 56 Tagen sogar mehr Zeit zur Verfügung gestanden als gesetzlich vorgesehen. Die fehlende Angabe der Vergabekammer in der Bekanntmachung und den Verdingungsunterlagen sei für den Bieter unschädlich, zumal der Auftraggeber unverzüglich auf das Schreiben der Antragstellerin vom 10.06.2003 reagiert und die volle Anschrift der zuständigen Vergabekammer mitgeteilt habe. Die Antragstellerin sei damit in die Lage versetzt worden, wie geschehen, rechtzeitig einen Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer zu stellen.

16

Der Auftraggeber stellt mit Datum vom 24.07.2003 einen Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags gem. § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB. Er begründet seinen Antrag im Wesentlichen mit der aus seiner Sicht gegebenen Dringlichkeit, die Einsatzkräfte der niedersächsischen xxx noch vor dem im Herbst zu erwartenden xxx-Transport mit Thermounterwäsche auszustatten. Dies sei zum Schutze der Gesundheit der Einsatzkräfte vor dem Hintergrund der im Herbst zu erwartenden Minusgrade unbedingt erforderlich. Eine rechtzeitige Ausstattung der xxxbediensteten sei jedoch ohne die Vorabgestattung des Zuschlages nicht mehr möglich, da die Vergabekammer mit Verfügung vom 08.07.2003 die Frist für die abschließende Entscheidung in dem anhängigen Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche Fünfwochenfrist hinaus bis zum 19.09.2003 verlängert habe. Weiterhin sei eine notwendige Produktionszeit für die Thermounterwäsche beim Lieferanten von ca. 9 bis 10 Wochen zu berücksichtigen, sodass eine Zuschlagserteilung Mitte/Ende September unter allen Umständen zu spät kommen würde. Den Auftraggeber träfe auch kein Verschulden an der entstandenen Dringlichkeitssituation. Sein Zeitplan sei ausreichend bemessen gewesen, insbesondere hätte er nicht mit der nun vorliegenden erheblichen Verlängerung der Entscheidungsfrist bis zum 19.09.2003 rechnen müssen. Die jüngsten Bedenken des OLG Celle gegen eine "extrem knappe" Zeitkalkulation (Beschl. vom 17.01.2003, 13 Verg. 2/03 - "Bahnbetriebswerk") würden deshalb in diesem Zusammenhang nicht tragen. ImÜbrigen habe der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin aus den bereits in der Antragserwiderung des Auftraggebers vom 26.06.2003 vorgetragenen Gründen auch keine Aussicht auf Erfolg.

17

Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens übersendet er ferner eine Dokumentation der Brandschutzuntersuchung "THERMOMAN", bei dem die Leistungsfähigkeit von Thermounterwäsche verglichen wurde. Die Testergebnisse zeigen Ihrer Meinung nach eindeutig, dass die von der Antragstellerin für den xxxeinsatz bereitzustellende Thermounterwäsche von entscheidungsrelevanter Bedeutung sein kann.

18

Mit Beschluss vom 28.07.2003 gestattete die Vergabekammer dem Auftraggeber den Zuschlag für das streitbefangene Vergabeverfahren - Lieferung von Thermo-Unterwäsche - zu erteilen. Der von der Antragstellerin dagegen erhobenen Beschwerde vor dem OLG Celle wurde mit Beschluss vom 19.08.2003, Az. 13 Verg 20/2003, stattgegeben. Der Vergabesenat wies in den Entscheidungsgründen darauf hin, dass das Angebot der Antragstellerin dem Unterschriftserfordernis des § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A genügt. Ferner stellt der Vergabesenat klar, dass die Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit nachgekommen sei. Durch ihr Schreiben vom 10.06.2003 an den Auftraggeber musste dieser den vorgetragenen Einwand prüfen und ggf. den Vergabefehler korrigieren. Er durfte sich nicht auf den Standpunkt stellen, dass er nicht angesprochen sei. Ferner weist der Vergabesenat in seinem Beschluss darauf hin, soweit der Auftraggeber nunmehr erkläre, dass das Angebot wegen mangelnder Zuverlässigkeit ausgeschlossen werde, liege kein Sachverhalt vor, bei dem sich die Unzuverlässigkeit oder die Begründetheit von vornherein erschließt.

19

Nachdem das OLG das Verbot auf Erteilung des Zuschlages wiederhergestellt hatte, führte der Auftraggeber aus, dass die Antragstellerin nicht zuverlässig sei, da sie in der Vergangenheit wiederholt Waren nicht termingerecht geliefert habe bzw. mangelhafte Ware geliefert habe. Es sei seiner Meinung nach zu befürchten sei, dass die Antragstellerin den Auftrag nicht ordnungsgemäß erfüllen könne. Er habe deshalb die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 24.07.2003 vom weiteren Vergabeverfahren ausschließen müssen.

20

Ferner geht der Auftraggeber davon aus, dass die Antragstellerin nicht antragsbefugt sei, da sie von Anfang an keine echte Chance auf den Zuschlag habe.

21

Auch entsprächen die von ihr angebotenen Thermounterhosen nicht der technischen Leistungsbeschreibung des Auftraggebers und würden somit eine unzulässige Änderung bzw. Ergänzung der Verdingungsunterlagen darstellen. Der Auftraggeber erklärt, dass er nach der hilfsweisen Wertung des Angebotes der Antragstellerin festgestellt habe, dass das von ihr eingereichte Angebotsmuster einen Hoseneingriff habe, obwohl in den technischen Lieferbedingungen für die Funktionsunterhosen unmissverständlich vorgegeben worden sei, dass ein Eingriff nicht angeboten werden solle.

22

Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

23

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 11.09.2003 Bezug genommen.

24

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Der Auftraggeber hat das Angebot der Antragstellerin zu Unrecht nicht berücksichtigt. Wie das OLG Celle in seinem Beschluss vom 19.08.2003 gem.§ 115 Abs. 2 Satz 2 GWB festgestellt hat, ist das Angebot der Antragstellerin nicht wegen fehlender Unterschrift von der Wertung auszuschließen. Vielmehr genügt das Angebot dem Unterschriftserfordernis des § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A. Aber auch der von der Auftraggeberin erstmalig im Zuge des Nachprüfungsverfahrens vorgetragene Ausschluss wegen mangelnder Zuverlässigkeit gem. § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A ist nicht gerechtfertigt. Die von dem Auftraggeber ins Feld geführten Lieferschwierigkeiten bei einzelnen kurzfristigen freihändigen Vergaben im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehungen sind nicht geeignet, der Antragstellerin die Zuverlässigkeit für den streitbefangenen Auftrag abzusprechen, zumal etwaige unpünktliche Teillieferungen nie von dem Auftraggeber abgemahnt wurden. Ferner durfte der Auftraggeber das Angebot der Antragstellerin nicht ohne weiteres wegen Abweichungen von den Verdingungsunterlagen gem. § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A i.V.m. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A ausschließen. Das Angebot der Antragstellerin korrespondiert mit den Verdingungsunterlagen. Die Tatsache, dass das von ihr mitgesandte Muster für die Thermo-Unterhosen irrtümlich einen Eingriff aufwies und damit vom eigenen Angebot abwich, war für den Auftraggeber allenfalls Anlass, aufkommende Zweifel über das Angebot durch ein Aufklärungsgespräch gem.§ 24 Nr. 1 VOL/A mit der Antragstellerin zu erörtern. Dies umso mehr, als der Auftraggeber das Angebot der Beigeladenen für den Zuschlag favorisiert, obwohl diese im Gegensatz zur Antragstellerin sogar entgegen den Vorgaben der Verdingungsunterlagen ausdrücklich Thermo-Unterhosen mit Eingriff angeboten hat.

25

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Auftraggeber handelt es sich um ein xxxzentrum des Landes xxx, dem unter anderem der Einkauf und die Versorgung der niedersächsischen xxx mit Dienstkleidung obliegt, und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftragübersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Lieferauftrag für Dienstbekleidung für die niedersächsische xxx und damit um einen Lieferauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1, Abs. 2 GWB, für den gem.§ 2 Nr. 3 der am 01.02.2001 in Kraft getretenen Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 200.000,-- EUR gilt. Der Wert des ausgeschriebenen Auftrags überschreitet nach dem Ergebnis der Ausschreibung deutlich den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.

26

Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bewerberin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie vorträgt, die Auftraggeberin habe ihr Angebot von der Wertung ausgeschlossen, obwohl dieses entgegen der Darstellung des Auftraggebers unterschrieben sei und auch die nunmehr vom Auftraggeber ins Feld geführten Ausschlussgründe Unzuverlässigkeit und Abweichungen des Angebotes von den Verdingungsunterlagen nicht vorlägen. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen oder die Darlegungslast dürfen nichtüberspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 107, Rn. 677). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat zumindest schlüssig vorgetragen, dass die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes durch den Auftraggeber vergaberechtswidrig erfolgte. Eine über die Schlüssigkeit hinausgehende Darstellung des Rechtsschutzbedürfnisses ist nicht erforderlich. Das tatsächliche Vorliegen der Rechtsverletzung ist vielmehr eine Frage der Begründetheit (vgl. Vergabekammer Südbayern, Beschluss v. 13.12.1999 - 11/99).

27

Die Antragstellerin hat den streitbefangenen Ausschluss ihres Angebotes auch unverzüglich und damit rechtzeitig im Sinne des§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gerügt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Werden beim Durcharbeiten des Leistungsverzeichnisses Ungenauigkeiten festgestellt, liegt bereits positive Kenntnis vor (vgl. Byok/Jaeger, a.a.O., § 107 Rn. 681). Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von§ 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2002, Az.: Verg 9/00).

28

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs war die Antragstellerin gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB lediglich verpflichtet, den ihr durch den Auftraggeber mit Informationsschreiben gem. § 13 VgV vom 04.06.2003 bekannt gegebenen Ausschlussgrund zu rügen. In diesem Informationsschreiben heißt es:

"Ihr Angebot wird ausgeschlossen, weil es nicht den Bewerbungsbedingungen gemäß im Angebotsschreiben unterschrieben ist."

29

Die erst im Zuge des Nachprüfungsverfahrens vom Auftraggeber ergänzend vorgetragenen Ausschlussgründe Unzuverlässigkeit und Abweichungen des Angebots von den Verdingungsunterlagen konnte und brauchte die Antragstellerin dagegen nicht zu rügen. Die Antragstellerin hat den Angebotsausschluss wegen vermeintlich fehlender Unterschrift bereits mit Einschreiben vom 10.06.2003, dem Auftraggeber bereits vorab am 11.06.2003 per Fax übersandt, unverzüglich gerügt und insbesondere dem Auftraggeber vorgehalten, dass im Vordruck "Angebot" der Platzbedarf für Unterschriften nicht berücksichtigt sei und die Zuordnung/Aufforderung für Unterschriften fehle. Das Angebot sei ordnungsgemäß unterschrieben, weil die Unterschrift auf dem Angebotsanschreiben vorhanden sei. Diese Rüge erfolgte unverzüglich und damit rechtzeitig im Sinne des § 13 VgV. Der Ordnungsgemäßheit der Rüge steht entgegen der Auffassung des Auftraggebers nicht entgegen, dass das Rügeschreiben mit "Einspruch/Beantragung einer Nachprüfung des Verfahrens bei der zuständigen Vergabekammer" überschrieben war. Wie auch der Vergabesenat des OLG Celle mit seinem im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bezüglich der Wiederherstellung des Zuschlagsverbotes in diesem Nachprüfungsverfahren ergangenen Beschluss vom 19.08.2003 festgestellt hat, musste der Auftraggeber aufgrund dieses Schreibens den dort vorgetragenen Einwand prüfen und ggf. den Vergabefehler korrigieren. Er durfte sich nicht auf den Standpunkt stellen, dass nicht er, sondern die Vergabekammer angesprochen sei (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 19.08.2003, Az.: 13 Verg 20/03).

30

2.

Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt, weil der Auftraggeber das Angebot der Antragstellerin zu Unrecht von der Wertung ausgeschlossen hat. Ein Ausschluss ist weder unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das Unterschriftserfordernis gem. § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A (im Folgenden a) noch wegen Abweichungen von den Verdingungsunterlagen gem. § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A i.V.m. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A (im Vorliegenden b) gerechtfertigt. Auch die Voraussetzungen für einen Ausschluss wegen mangelnder Zuverlässigkeit der Antragstellerin gem. § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A (im Folgenden c) liegen nicht vor.

31

a)

Wie der Vergabesenat des OLG Celle im Rahmen des in dieser Angelegenheit ergangenen Beschlusses vom 19.08.2003 - Az.: 13 Verg 20/03 - gem.§ 115 Abs. 2 Satz 2 GWB im Eilverfahren bezüglich der Wiederherstellung des Verbots des Zuschlags festgestellt hat, genügt das Angebot der Antragstellerin dem Unterschriftserfordernis des § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A. Nach § 21 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A müssen die Angebote unterschrieben sein. Die Unterschrift hat so zu erfolgen, dass zweifelsfrei der gesamte Angebotsinhalt mit abgedeckt wird (vgl. Kulartz in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage,§ 25 Rn. 13; Beck'scher VOB-Kommentar/Prieß, A § 21, Rn. 7, m.w.N.). Die Antragstellerin hat zwar unstreitig den mit dem Wort "Angebot" überschriebenen Vordruck, den der Auftraggeber den Bietern mit den Verdingungsunterlagen übersandt hatte, nicht unterschrieben. Die Antragstellerin hatte jedoch stattdessen das Angebotsanschreiben unterschrieben. Dieses wiederum nimmt ausdrücklich Bezug auf das bemusterte Angebot der Antragstellerin, was für die Erfüllung des Unterschriftserfordernisses genügt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass auf dem Vordruck selbst keine Unterschriftszeile vorgesehen ist (vgl. OLG Celle, a.a.O.).

32

b)

Der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin ist auch nicht wegen Abweichungen von den Verdingungsunterlagen gem. § 21 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A i.V.m. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A gerechtfertigt. Der Auftraggeber stützt seine Auffassung im Zuge des Nachprüfungsverfahren nunmehr unter anderem darauf, dass die Antragstellerin unstreitig ein in ihrem eigenen Angebot und auch den Verdingungsunterlagen abweichendes Muster einer Funktionsunterhose dem Angebot vorgelegt hat. In den Verdingungsunterlagen sind "Technische Lieferbedingungen für Funktionsunterhose, Kurzbeschreibung, Ausgabe Januar 2003" enthalten. Auf Seite 1 ist dort unter "Ausführung" vermerkt: "Unterhose ohne Eingriff". Auf Seite 2 dieser Lieferbedingungen heißt es: "Angebotsmuster: Ein Kleidungsstück eines jeden angebotenen Artikels in der Größe 6". Die Antragstellerin hat entsprechend den Vorgaben in den Verdingungsunterlagen eine Unterhose ohne Eingriff angeboten. Sie hat jedoch unstreitig ein davon abweichendes Muster, nämlich eine Unterhose mit Eingriff, dem Angebot beigefügt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung diesen Irrtum eingeräumt und damit erklärt, dass auf der Abbildung des Etiketts der Verpackung des Musters beide Modelle, also sowohl mit als auch ohne Eingriff, abgebildet sind und der Vergabekammer ein entsprechendes, verpacktes Muster vorgelegt.

33

Auch wenn das Muster nach dem Wortlaut der Lieferbedingungen ausdrücklich mit dem angebotenen Kleidungsstück korrespondieren musste, liegen entgegen der Auffassung des Auftraggebers die Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschluss gem. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d VOL/A nicht vor. Der dort geregelte Ausschluss von Angeboten mit Änderungen an den Verdingungsunterlagen soll sicherstellen, dass das Angebot den ausgeschriebenen Leistungen und sonstigen Verdingungsunterlagen entspricht (vgl. Daub/Eberstein, a.a.O., § 25, Rn. 17). Der durch dieöffentliche Ausschreibung eröffnete Wettbewerb der Bieter kann grundsätzlich nur gewährleistet werden, wenn Änderungen an den Verdingungsunterlagen ausgeschlossen werden, weil andernfalls die Vergleichbarkeit der Angebote leidet. Die Vergabestelle soll auch nicht entgegen ihres ausdrücklichen Willens mit versteckten Nebenangeboten konfrontiert werden (vgl. Noch in: Müller-Wrede, VOL/A, § 25, Rn. 26). Diese sind gem. § 21 Nr. 2 VOL/A ausdrücklich auf besonderer Anlage zu kennzeichnen. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin ausdrücklich - konform mit den Verdingungsunterlagen - die Funktionsunterhosen ohne Eingriff angeboten hat. In dem mit "Angebot" überschriebenen, mit den Verdingungsunterlagen vom Auftraggeber vorgegebenen Vordruck hat die Antragstellerin eingetragen:

"3500 Thermo-Unterhosen grün gemäß beigefügter TL B 25 Ausgabe 12/02 Art. Nr. 87035."

34

Die Antragstellerin hat daher in ihrem Angebot ausdrücklich und ohne Abweichung auf die mit den Verdingungsunterlagen übersandten "Technischen Lieferbedingungen für Funktionsunterhose Kurzbeschreibung", Ausgabe Januar 2003, S. 1, Bezug genommen, wo ausdrücklich Unterhosen ohne Eingriff gefordert wurden. Der Auftraggeber hat zur Erläuterung dieser Anforderung erklärt, dass auch weibliche xxxkräfte die Thermo-Unterhosen für ihre Einsätze nutzen und es bereits in der Vergangenheit zu massiven Beschwerden gekommen sei. Von einem Hoseneingriff sollte deshalb ausdrücklich Abstand genommen werden. Die Antragstellerin ist von dieser Vorgabe in ihrem Angebot jedoch nicht, wie dargelegt, abgewichen. Die Tatsache, dass sie irrtümlich ein falsches Muster beigefügt hatte, das im Übrigen die gleiche Verpackung wie die von ihr angebotene und vom Auftraggeber geforderte Ausführung und sogar eine gemeinsame Abbildung als Etikett aufwies, war zwar geeignet, beim Auftraggeber entsprechende Zweifel über die Beschaffenheit des Angebotes zu wecken. Ein zwingender Angebotsausschluss lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Vielmehr wäre der Auftraggeber gehalten gewesen, gem. § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A die damit verbundenen Zweifel in einem Aufklärungsgespräch mit der Antragstellerin aufzuklären. Gemäß § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A darf der Auftraggeber nach Öffnung der Angebote bis zur Zuschlagserteilung mit den Bietern über ihre Angebote nur verhandeln, um Zweifel über die Angebote oder die Bieter zu beheben. Verhandlungen zur Behebung von Zweifeln über die Angebote sind grundsätzlich zugelassen. Dabei müssen sich die Aufklärungsgespräche jedoch auf die reine Aufklärungüber die zweifelhaften Punkte beschränken. Eine nachträgliche Einholung wesentlicher Preisangaben oder sonstiger geforderter Angebotsangaben und -erklärungen ist ebenso wenig von § 24 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A gedeckt wie eine nachfolgende Veränderung der zweifelhaften Angebotspunkte selbst (vgl. Kulartz in: Daub/Eberstein, a.a.O., § 24, Rn. 7, m.w.N.). Die im Rahmen des Aufklärungsgesprächs geführten Verhandlungen dürfen nicht zu einer Änderung des eindeutigen Inhalts des schriftlichen Angebotes führen (vgl. OLG, Beschluss v. 22.05.2003, Az.: 13 Verg 10/03). Im vorliegenden Fall hätte das Aufklärungsgespräch den Irrtum über das fehlerhafte Muster aufgeklärt. Das eindeutige, unter Bezug auf die Verdingungsunterlagen verbindlich abgefasste Angebot der Antragstellerin wäre dadurch nicht abgeändert worden. Ein Ausschluss wegen Abweichung von den Verdingungsunterlagen kommt daher nicht in Betracht.

35

Dagegen hat der Auftraggeber nach der vorliegenden Vergabeakte Anlass dafür, diese Frage bezüglich der Wertbarkeit des Angebotes der von ihm für den Zuschlag derzeit favorisierten Beigeladenen zu prüfen. Im Angebot der Beigeladenen vom 06.05.2003, eingegangen beim Auftraggeber am 19.05.2003, heißt es unter "Technische Beschreibung Funktionsunterwäsche" ausdrücklich im Gegensatz zum Angebot der Antragstellerin ausdrücklich:

"Gummizug im Bund, Eingriff, Beinabschlussbündchen."

36

Wenn die Frage, ob das Produkt mit Eingriff oder ohne Eingriff beschafft wird, für den Auftraggeber so wichtig war, wie von ihm im Zuge des Nachprüfungsverfahrens schriftlich wie auch in der mündlichen Verhandlung dargelegt, ist er gehalten, zumindest zu prüfen, ob das Angebot der Beigeladenen gem. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. d von der Angebotswertung auszuschließen ist. Dabei hat der Auftraggeber sowohl diese Prüfung wie auch die anderen Stufen des Verfahrens und die Begründung der einzelnen Entscheidungen in einem den Anforderungen des§ 30 VOL/A genügenden Vergabevermerk in der Vergabeakte zu dokumentieren.

37

c)

Auch die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Antragstellerin wegen mangelnder Zuverlässigkeit gem. § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A liegen nicht vor. Die Vergabeakte selbst enthält keinen den Anforderungen des § 30 VOL/A genügenden Vermerk, der über eine etwaige Unzuverlässigkeit der Antragstellerin Aufschluss geben könnte. Dies ist allerdings insofern konsequent, als der Auftraggeber das Angebot der Antragstellerin bereits auf der 1. Wertungsstufe wegen vermeintlich fehlender Unterschrift ausgeschlossen hatte. Die Prüfung der Eignung gem. § 25 Nr. 2 VOL/A und damit auch die Prüfung der Zuverlässigkeit erfolgt erst auf der 2. Wertungsstufe. Der Auftraggeber hat daher erstmals im Zuge des laufenden Nachprüfungsverfahrens sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2003 geltend gemacht, seit Gründung des Auftraggebers vor ca. zwei Jahren im Rahmen von laufenden Geschäftsbeziehungen bei freihändigen Bestellungen des Auftraggebers in fünf von elf Fällen nicht vollständig termingerecht geliefert hat. Sie hat der Vergabekammer eine entsprechende Auflistung mit Datum 03.09.2003 über Lieferungen mit Lieferverzögerungen vorgelegt. Daraus ergibt sich unter anderem, dass unter der Bestellnummer 1164 am 20.01.2003 1566 Hemden zum Liefertermin 29.01.2003 bestellt wurden. Danach sei lediglich eine Einzellieferung von 108 Hemden fristgerecht, nämlich am 24.01.2003 erfolgt, während die übrigen Teillieferungen sich vom 05.02.2003 bis zum 11.06.2003 hingezogen haben. Die Summe der zu dieser Bestellnummer aufgelisteten Einzellieferungen korrespondiert allerdings nicht mit der in der Spalte zuvor eingetragenen Auftragsmenge von 1566 Hemden, weshalb die Antragstellerin auf die Widersprüchlichkeit dieser Auflistung hingewiesen hat. Sie hat ferner darauf hingewiesen, dass diese freihändig erfolgten Bestellungen immer sehr kurzfristig erfolgt seien und daher nicht mit einem Auftrag in der Größenordnung der streitbefangenen Ausschreibung vergleichbar sei. Hier sei die Antragstellerin nicht allein auf ihre Lagerbestände angewiesen und könne aufgrund der Ausschreibung bei Einhaltung der vergaberechtlichen Fristen ohne weiteres für eine bedarfsgerechte Produktion und Lagerhaltung sorgen. Terminschwierigkeiten, wie sie die Antragstellerin im Falle von kurzfristigen freihändigen Bestellungen teilweise einräumt, seien in diesem Fall nicht zu besorgen.

38

Unstreitig hat der Auftraggeber in keinem Fall gegenüber der Antragstellerin Mahnungen bezüglich verspäteter Lieferungen aufgrund von freihändigen Vergaben ausgesprochen. Die Antragstellerin hat ferner erklärt, dass sie stets bei Eingang von freihändigen Bestellungen telefonische Rücksprache mit dem Auftraggeber, konkret mit der Mitarbeiterin Frau xxx, genommen und die Liefermodalitäten abgestimmt hat. Dabei habe sie, die Antragstellerin, den Auftraggeber stets darauf hingewiesen, wenn sie die bestellten Produkte aufgrund von Lagerengpässen nicht in der im Zuge der freihändigen Bestellung gesetzten Frist liefern konnte. Unstreitig erfolgten die kurzfristigen freihändigen Bestellungen nicht auf der Grundlage eines schriftlichen Rahmenvertrages zwischen der Antragstellerin und dem Auftraggeber, der diese etwa zur ausreichenden Lagerhaltung verpflichtet hätte. Deshalb und insbesondere aber aufgrund der Tatsache, dass verspätete Teillieferungen aufgrund der freihändigen Bestellungen nicht von dem Auftraggeber bei der Antragstellerin abgemahnt wurden, sind diese Lieferschwierigkeiten nicht geeignet, der Antragstellerin die Zuverlässigkeit für den streitbefangenen, ausgeschriebenen Auftrag abzusprechen.

39

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, ob die vom Auftraggeber in der Aufstellung vom 03.09.2003 aufgeführten Teillieferungen mit dem jeweiligen Datum tatsächlich den dortigen Bestellnummern und Lieferterminen zuzuordnen sind. Diese Auflistung korrespondiert in weiten Bereichen nicht mit einer entsprechenden Liste, die die Antragstellerin der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung am 11.09.2003 vorgelegt hat. Vor allen Dingen korrespondiert die Liste des Auftraggebers aber in einigen Fällen nicht mit den von ihm selbst im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lieferscheinen der Antragstellerin. So weist die Auflistung des Auftraggebers für die Bestellung Nr. 1164 vom 20.01.2003 mit Liefertermin 29.01.2003 eine Einzellieferung vom 24.02.2003 von 317 Hemden auf. Ausweislich der Lieferscheine wurden an diesem Tag auf diese Bestellnummer aber nur zwei Lieferungen à 43 und 54 Hemden geliefert. 46 Hemden folgten am 15.05.2003, 22 Hemden am 06.06.2003. Im Übrigen will die Antragstellerin von der unter Nr. 1164 bestellten Gesamtmenge von 1566 Hemden 437 fristgerecht am 22.01.2003 geliefert haben. Zwei weitere Lieferungen von 78 und 665 Hemden seien am 10.02., also nur 11 Tage nach Fristablauf erfolgt. Am 11.02. seien schließlich Lieferungen von 233 und 155 Hemden erfolgt. Auch bezüglich der Bestellnummer 1163 vom 20.01.2003 mit Liefertermin 29.01.2003 stimmen die vom Auftraggeber vorgelegten Lieferscheine der Antragstellerin teilweise nicht mit der Auflistung des Auftraggebers vom 03.09.2003 überein. So weist die Auflistung eine verspätete Teillieferung vom 24.04.2003 über 144 Hemden aus, während der Lieferschein unter diesem Datum lediglich 30 Hemden ausweist. Die Antragstellerin will bezüglich dieser Bestellung von insgesamt 525 Hemden immerhin 238 fristgerecht am 22.01.2003 geliefert haben. 239 seien am 10.02. geliefert worden und 47 Hemden am 02.04.

40

Unter Berücksichtigung dieser Unstimmigkeiten und der unstreitig sehr kurzfristig erfolgten Bestellungen sind die verspäteten Lieferungen jedenfalls nicht ohne Abmahnungen des Auftraggebers geeignet, den Vorwurf der Unzuverlässigkeit der Antragstellerin zu begründen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin die kurzfristigen Bestellungen im Gegensatz zur streitbefangenen, jetzt ausgeschriebenen Lieferleistung stets aus ihrem Lagerbestand decken musste, ohne dass sie aufgrund eines Rahmenvertrags dazu verpflichtet gewesen wäre. Unbestritten sind auch die in der Regel sehr kurzen Lieferfristen. So wurde die Bestellung Nr. 1164 über 1566 Hemden am 20.01.2003 getätigt. Als Lieferfrist wurde der 29.01.2003 gesetzt. Gleiches gilt für die Bestellung Nr. 1163 über 525 Hosen.

41

Gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A sind bei der Auswahl der Angebote, die für den Zuschlag in Betracht kommen, nur Bieter zu berücksichtigen, die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen. Die erforderliche Fachkunde der Antragstellerin wird auch vom Auftraggeber nicht angezweifelt. Der Begriff der Leistungsfähigkeit stellt auf den Betrieb des Bewerbers ab, nämlich ob dessen Umfang und seine Ausstattung sowie die Kapazitäten ausreichen, den konkret zu vergebenden Auftrag ohne Schwierigkeiten auszuführen. Ein Bieter ist leistungsfähig, wenn erüber das für die fach- und fristgerechte Ausführung erforderliche Personal und Gerät verfügt und in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen (vgl. Kulartz, a.a.O., § 25, Rn. 34). Die Zuverlässigkeit des Bewerbers richtet sich danach, ob er Gewähr dafür bietet, den Auftrag in sorgfältiger Art und Weise auszuführen. Die Prüfung der Zuverlässigkeit erfolgt im Wesentlichen auf der Grundlage einer Analyse des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens des Bieters (vgl. Kulartz, a.a.O., Rn. 35, m.w.N.). Zuverlässig ist ein Bieter, der seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen ist und aufgrund der Erfüllung früherer Verträge eine einwandfreie Ausführung einschließlich der Gewährleistung erwarten lässt (vgl. Heilbronner in: Byok/Jaeger, a.a.O., § 97, Rn. 172). Dabei können nach der Rechtsprechung Lieferrückstände zu einem bestimmten Stichtag nicht allein Grundlage für die Zuverlässigkeitsprüfung bilden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.05.2000, NZBau 2000, S. 540 ff., m.w.N.).

42

Aufgrund der widersprüchlichen Darstellung der verspäteten Teillieferungen sind die im Rahmen der kurzfristigen freihändigen Bestellungen unstreitig vorgekommenen Lieferengpässe in der Lagerhaltung der Antragstellerin nicht geeignet, ihr die Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit im Sinne des § 25 Nr. 2 VOL/A abzusprechen. Es spricht viel dafür, dass die Antragstellerin tatsächlich, wie von ihr vorgetragen, den Auftraggeber auf etwaige Lieferengpässe telefonisch hingewiesen hat. Anders ist nicht zu erklären, dass der Auftraggeber nicht nur auf Mahnungen bezüglich verspäteter Teillieferungen verzichtete, sondern innerhalb der laufenden Geschäftsbeziehungen ständig weitere kurzfristige Teilbestellungen bei der Antragstellerin tätigte.

43

Nach alledem war dem Nachprüfungsantrag daher stattzugeben.

44

III. Kosten

45

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in§ 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, sodass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw., in Ausnahmefällen, 50.000 Euro beträgt.

46

Es wird eine Gebühr in Höhe von 2.564 EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

47

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung 281.147,70 EUR. Dieser Betrag entspricht den Kosten nach dem Hauptangebot der Antragstellerin.

48

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 -1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 281.147,70 EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von 2.564 EUR.

49

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.

50

Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren i.S.d.§ 128 Abs.3 Satz 1 GWB unterlegen ist.

51

Die Erstattungspflicht bezüglich der Kosten der Antragstellerin, die dieser zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind, folgt aus § 128 Abs. 4 GWB i.V.m.§ 80 VwVfG. Danach war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von einem fachkundigen, erfahrenen Bieter wie der Antragstellerin grundsätzlich verlangen darf, dass er über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen, insbesondere der VOL/A verfügt, bedurfte er für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen Bieter ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.

52

Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306). Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdn. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdn. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.

53

Angesichts der oben erörterten Tatsache, dass der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

54

Der Auftraggeber wird aufgefordert, den Betrag von 2.564 EUR unter Angabe des Kassenzeichens

55

xxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

56

NORD/ LB(BLZ 250 500 00) Konto xxx

Gause,
Schulte,
Conrad