Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.02.2000, Az.: 3 MD 6/21

Ersetzen von Rechtsgrundlagen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.02.2000
Aktenzeichen
3 MD 6/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41995
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.10.2021 - AZ: 10 B 2912/21

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Einbehaltung von Dienstbezügen eines Probebeamten kann nicht auf § 38 Abs. 2 NDiszG gestützt werden. Das Disziplinargericht, das die auf § 38 Abs. 2 NDiszG gestützte Verfügung überprüft, kann dieser Rechtsgrundlage auch nicht durch § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG ersetzen.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 10. Kammer (Einzelrichter) - vom 4. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 17.465,76 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin verfolgt die Einbehaltung von 50 Prozent der Dienstbezüge des Antragstellers weiter.

Der am … 1997 geborene Antragsteller wurde mit Wirkung vom 4. Oktober 2019 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeikommissar ernannt. Seine regelmäßige Probezeit endet am 3. Oktober 2022.

Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 4. Juni 2021 die Ausübung des Dienstes mündlich verboten hatte, leitete sie am 4. Juni 2021, schriftlich mit Verfügung vom 28. Juni 2021 bestätigt ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Sie warf ihm vor, am 31. Mai 2021 Herrn E. einen Schlag gegen den Kopf versetzt und ihn erheblich verletzt zu haben, als dieser mit Handschellen fixiert neben dem Streifenwagen gelegen habe und von mehreren Polizeibeamten festgehalten worden sei. Es bestehe der Verdacht, dass er seine Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verletzt habe. Zugleich setzte sie das Disziplinarverfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens aus.

Nach Anhörung des Antragstellers ordnete die Antragsgegnerin mit Verfügung vom
21. Juli 2021 seine vorläufige Dienstenthebung „gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Niedersächsisches Disziplinargesetz“ an.

Mit Verfügung vom 19. August 2021 ordnete sie - nach der Anhörung des Antragstellers - „gemäß § 38 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsisches Disziplinargesetz“ die Einbehaltung von 50 Prozent der Dienstbezüge des Antragstellers an. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, mit Verfügung vom 21. Juli 2021 sei gegen ihn die vorläufige Dienstenthebung gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1, alternativ Nr. 2 NDiszG ausgesprochen worden, da zu erwarten sei, dass im vorliegenden Disziplinarverfahren voraussichtlich auf seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 BeamtStG erkannt werde bzw. weil zwingende dienstliche Gründe dieses erforderlich machten (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 NDizG). Da er derzeit nicht mehr zur Dienstverrichtung herangezogen werde und voraussichtlich auf die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe erkannt werde, behalte sie nunmehr 50 Prozent seiner monatlichen Bezüge ein. Bei der Höhe der Bemessung habe sie seine Erklärung zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen vom 15. Juli 2021 zugrunde gelegt. Seinem Interesse am weiteren Erhalt der vollen Dienstbezüge zur Bestreitung der Kosten für die allgemeine Lebensführung bzw. zur Vermeidung einer finanziellen (Mehr)Belastung im Sinne einer angemessenen Versorgung durch den Dienstherrn stehe im Hinblick auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung das öffentliche Interesse an einer Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge im Sinne der Wirtschaftlichkeit und Funktionsfähigkeit der Verwaltung sowie dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums gegenüber. Er werde derzeit nicht zur Dienstausübung herangezogen. Zudem werde im vorliegenden Verfahren voraussichtlich auf Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe erkannt werden. Sein persönliches Interesse am weiteren Erhalt der vollen Dienstbezüge müsse deshalb in der Abwägung zurückstehen.

Der Antragsteller hat am 30. August 2021 bei dem Verwaltungsgericht Oldenburg gegen die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von 50 Prozent seiner Dienstbezüge um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Mit Verfügung vom 17. September 2021 hat die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller ein Entlassungsverfahren „gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BeamtStG, § 31 Abs. 3 S. 1 NBG“ eingeleitet. Zugleich hat sie das Disziplinarverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das beamtenrechtliche Entlassungsverfahren ausgesetzt. Das beamtenrechtliche Entlassungsverfahren hat sie im Hinblick auf das bei der Staatsanwaltschaft Aurich unter dem Aktenzeichen 210 Js 14641/21 geführte Strafverfahren gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 NDiszG, § 31 Abs. 3 Satz 1 NBG ausgesetzt.

Mit Beschluss vom 4. Oktober 2021 hat das Verwaltungsgericht die Einbehaltung der Dienstbezüge ausgesetzt und im Übrigen den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung) abgelehnt.

Gegen die Aussetzung der Einbehaltung von Dienstbezügen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde, der der Antragsteller entgegentritt.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung, 50 Prozent der Dienstbezüge des Antragstellers einzubehalten, begegnet ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 58 Abs. 2 NDiszG.

Gemäß § 38 Abs. 2 NDiszG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde in den Fällen des § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge des Beamten einbehalten werden. Nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG kann diese Klagebehörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Eine Einbehaltung der Dienstbezüge im Falle des § 38 Abs. 1 Nr. 2 NDiszG, wenn ein Verbleiben des Beamten im Dienst den Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würde und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht, ist dagegen nicht vorgesehen. Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und/oder der Einbehaltung von Dienstbezügen ist gemäß § 58 Abs. 2 NDiszG auf Antrag des Beamten auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit besteht.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen im Sinne des § 58 Abs. 2 NDiszG liegen vor, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen der Anordnungen nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 NDiszG erfüllt sind, (mindestens) ebenso groß ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl. zum Bundes- und Landesrecht auch Nds. OVG, Beschluss vom 13.5.2005 - 3 ZD 1/05 -, juris Rn. 4; Beschluss vom 17.3.2006 - 19 MD 8/06 -; Beschluss vom 12.2.2008 - 20 ZD 11/07 -; Beschluss vom 16.6.2016 - 6 ZD 1/16 -; Beschluss vom 13.3.2017 - 6 ZD 1/17 -; Beschluss vom 10.1.2018 - 3 ZD 7/17 -; Beschluss vom 11.1.2018 - 6 ZD 3/17 -, juris Rn. 4; Beschluss vom 9.2.2018 - 3 ZD 10/17 -, juris Rn. 24; Beschluss vom 25.11.2019 - 3 ZD 5/19 -; Beschluss vom 2.2.2021 - 3 ZD 12/20 -). Demnach sind ernstliche Zweifel im Sinne des § 58 Abs. 2 NDiszG gegeben, wenn offen ist, ob die Anordnungen nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 NDiszG rechtmäßig oder rechtswidrig sind (vgl. zum Bundes- und Landesrecht: Bay. VGH, Beschluss vom 13.11.2008 - 16b DS 08.704 -, juris Rn. 28; Beschluss vom 11.4.2012 - 16b DC 11.985 -, juris Rn. 24; Nds. OVG, Beschluss vom 16.6.2016 - 6 ZD 1/16 -; Beschluss vom 9.2.2018, a. a. O., Rn. 24; Beschluss vom 25.11.2019 - 3 ZD 5/19 -, Beschluss vom 2.2.2021 - 3 ZD 12/20 -), wobei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (vgl. zum Bundes- und Landesrecht: BVerwG, Beschluss vom 22.7.2002 - BVerwG 2 WDB 1.02 -, juris Rn. 5; Bay. VGH, Beschluss vom 13.11.2008, a. a. O., Rn. 28; Nds. OVG, Beschluss vom 10.1.2018 - 3 ZD 7/17 -; Beschluss vom 11.1.2018, a. a. O., Rn. 4; Beschluss vom 9.2.2018, a. a. O., Rn. 24; Beschluss vom 25.11.2019 - 3 ZD 5/19 -; Beschluss vom 2.2.2021 - 3 ZD 12/20 -). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen sind also zu bejahen, wenn der Verfahrensausgang offen ist oder wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Verbleib des Betreffenden im Beamtenverhältnis besteht. Oder anders ausgedrückt: nur dann, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (= mindestens 51 Prozent) für den Ausspruch der Höchstmaßnahme besteht, sind ernstliche Richtigkeitszweifel zu verneinen und der Aussetzungsantrag abzulehnen (Nds. OVG, Beschluss vom 9.2.2018, a. a. O., Rn. 25 ff., m. w. N.; Beschluss vom 20.3.2019 - 3 ZD 10/18 -; Beschluss vom 25.11.2019 - 3 ZD 5/19 -; Beschluss vom 2.2.2021 - 3 ZD 12/20 -).

In tatbestandlicher Hinsicht ist für die Rechtmäßigkeit von Anordnungen nach § 38
Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 NDiszG erforderlich, dass „im Disziplinarverfahren“ voraussichtlich auf Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt ist. Denn vorliegend besteht die Besonderheit, dass der Antragsteller als Beamter auf Probe im Dienst des Landes Niedersachsen steht. Gegen einen Beamten auf Probe kann im Disziplinarverfahren gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 NDiszG nur ein Verweis oder eine Geldbuße ausgesprochen werden. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe sieht das Niedersächsisches Disziplinargesetz hingegen nicht vor.

Mit ihrer Beschwerde hat die Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt, dass die Voraussetzungen der § 38 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 NDiszG nicht vorliegen. Stattdessen hat sie die Ansicht vertreten, die Einbehaltung der Dienstbezüge könne auf § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG gestützt werden. Das Verwaltungsgericht hätte unter Zugrundlegung dieser anderen Ermächtigungsgrundlage die angefochtene Anordnung der Einbehaltung der Dienstbezüge aufrechterhalten können (und müssen). Dem folgt der beschließende Senat nicht.

Die Antragsgegnerin hat sich auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2019 (- BVerwG 2 B 19.18 -, juris Rn. 24) berufen. Dort hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:

„Es ist als allgemeiner Grundsatz anerkannt, dass die zur Kontrolle des Verwaltungshandelns berufenen Gerichte in ihrer Bewertung der Rechtslage, namentlich in der Frage, anhand welcher Rechtsnormen das Verwaltungshandeln zu überprüfen und aufgrund welcher Rechtsnormen es als rechtmäßig erachtet werden kann, unabhängig von der Rechtsauffassung der Verwaltung sind. Dies kommt bereits in dem römisch-rechtlichen Rechtssatz,iura novit curia‘ zum Ausdruck. Im geltenden Verwaltungsprozessrecht findet er seinen Niederschlag in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach das Verwaltungsgericht einen angefochtenen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid (nur) aufhebt, (wenn und) soweit er rechtswidrig ist (und den Kläger in seinen Rechten verletzt). Kommt das Gericht zu der Erkenntnis, dass der Verwaltungsakt zu Unrecht auf die von der Behörde herangezogene Rechtsnorm gestützt ist, ist das Gericht gemäß § 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet zu prüfen, ob (und ggf. in welchem Umfang) der Bescheid mit Blick auf eine andere Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden kann, sofern der Bescheid durch die Berücksichtigung der anderen Rechtsnorm und die dadurch geänderte Begründung nicht in seinem Wesen verändert wird. Bei gebundenen Verwaltungsakten schadet eine inhaltlich fehlerhafte Begründung (auch) zur zugrunde liegenden Rechtsgrundlage daher grundsätzlich nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1982 - 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356 <357 f.>, vom 27. Oktober 1983 - 3 C 64.82 - BVerwGE 68, 143 <150> und vom 19. August 1988 - 8 C 29.87 - BVerwGE 80, 96 <97 f.>; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 23 f.). Bei einer solchen Konstellation bedarf es auch keiner (richterlichen) Umdeutung, so dass die Bestätigung des Behördenhandelns nicht davon abhängt, ob die Voraussetzungen für eine Umdeutung erfüllt sind (BVerwG, Urteil vom 19. August 1988 - 8 C 29.87 - BVerwGE 80, 96 <97 f.>). Auch § 39 Abs. 1 VwVfG normiert für Verwaltungsakte lediglich eine formelle Begründungspflicht; aus der Regelung folgt keine Pflicht zur objektiv richtigen Begründung mit der Folge eines Rechtswidrigkeitsverdikts, falls die von der Behörde genannte Rechtsnorm nicht die materiell-rechtlich richtige ist, um ihren Entscheidungsausspruch zu tragen (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 30).“

Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Gericht zwar gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Bescheid mit Blick auf eine andere Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden kann. Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des unzutreffend begründeten belastendenden Bescheides ist jedoch, dass der Bescheid durch die Berücksichtigung der anderen Rechtsnorm und die dadurch geänderte Begründung nicht in seinem Wesen verändert wird. Daran fehlt es hier.

Die Antragsgegnerin hat in der angefochtenen Verfügung vom 19. August 2021 die Einbehaltung von 50 Prozent der Dienstbezüge des Antragsgegners auf „§ 38 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsisches Disziplinargesetz“ gestützt. Die Regelung in § 38 Abs. 2 NDiszG eröffnet ebenso wie § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG die Möglichkeit („kann“) gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung, die Dienstbezüge des Beamten bis zu 50 Prozent einzubehalten. Die ursprünglich gewählte Rechtsgrundlage des § 38 Abs. 2 NDizG und die in zutreffender Weise zu wählende Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG sind dennoch nicht „überwiegend inhalts- und teilweise wortgleich und beziehen sich lediglich auf unterschiedliche Personengruppen“ (so Beschwerdebegründung - BB - vom 25.10.2021, S. 3 [Bl. 86/GA]).

§ 38 Abs. 2 NDiszG setzt seinem Wortlaut nach voraus, dass ein Fall des § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG vorliegt. Danach ist die vorläufige Dienstenthebung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis nur gleichzeitig mit oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens möglich. Zudem muss in diesem Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amtes erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (§ 14 Abs. 2 Satz 1 NDiszG). In einem solchen Fall kann nur durch die Entfernung des Beamten die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ob die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die angemessene Disziplinarmaßnahme im Einzelfall ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens (§ 14 Abs. 1 Satz 2 NDiszG) unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten (§ 14 Abs. 1 Satz 3 NDiszG) und des Umfangs, in dem der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beschädigt hat (§ 14 Abs. 1 Satz 4 NDiszG) und ist von dem zuständigen Disziplinargericht (§ 41 NDiszG) aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung zu treffen. Der Begriff „voraussichtlich“ in § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG bedeutet, dass eine summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhalts geboten ist. Das Gericht muss nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Beamte nach dem Abschluss des Disziplinarverfahrens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden wird. Vielmehr muss aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung des dem Beamten vorgeworfenen Sachverhalts (lediglich) überwiegend wahrscheinlich sein, dass gegen ihn die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme verhängt wird. Die Höchstmaßnahme muss also nach der gebotenen überschlägigen Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlicher sein als eine unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung. Hält sich die Wahrscheinlichkeit der Dienstenthebung hingegen mit derjenigen des Verbleibs im Beamtenverhältnis die Waage, ist die Anordnung unzulässig (Nds. OVG, Beschluss vom 9.2.2018, a. a. O., Rn. 29, m. w. N.; Beschluss vom 20.3.2019 - 3 ZD 10/18 -; Beschluss vom 25.11.2019 - 3 ZD 5/19 -).

Die Einbehaltung von Dienstbezügen nach der zu wählenden Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG setzt hingegen weder die Einleitung eines Disziplinarverfahrens noch die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme - der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis - voraus. Stattdessen ist nach § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG die vorläufige beamtenrechtliche Dienstenthebung gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 NBG erforderlich. Nach § 31 Abs. 3 Satz 2 NBG kann die für die Entlassung eines Beamten auf Probe zuständige Stelle den Beamten mit oder nach der Einleitung des Entlassungsverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn voraussichtlich eine Entlassung erfolgen wird oder durch ein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Aufklärung des Sachverhalts wesentlich beeinträchtigt würde und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache nicht außer Verhältnis steht. Beamte auf Probe können gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG schon entlassen werden, wenn sie eine Handlung begehen, die im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit mindestens eine Kürzung der Dienstbezüge zur Folge hätte. Ihre Entlassung ist auch möglich, wenn sie sich in der Probezeit nicht bewährt haben (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG) oder wenn ihr Aufgabengebiet bei einer Behörde von der Auflösung dieser Behörde oder einer auf landesrechtlicher Vorschrift beruhenden wesentlichen Änderung des Aufbaus oder Verschmelzung dieser Behörde mit einer anderen oder von der Umbildung einer Körperschaft berührt wird und eine andere Verwendung nicht möglich ist (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BeamtStG).

Die ursprünglich gewählte Rechtsgrundlage des § 38 Abs. 2 NDizG unterscheidet sich danach wesentlich von der in zutreffender Weise zu wählenden Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG trotz der jeweils gleichen Rechtsfolge „Einbehaltung von Dienstbezügen von bis zu 50 Prozent“. Denn § 38 Abs. 2 NDizG setzt voraus, dass in einem Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Ein disziplinarisches Entlassungsverfahren unterscheidet sich - wie oben dargelegt - wesentlich von dem beamtenrechtlichen Entlassungsverfahren, wie es § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG voraussetzt. Die Aufrechterhaltung der angefochtenen Verfügung vom 19. August 2021 unter „Austausch“ der Rechtsgrundlagen des § 38 Abs. 2 NDizG und des § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG ist nicht möglich, denn diese disziplinarische Anordnung würde durch die geänderte Begründung in eine beamtenrechtliche Verfügung und damit in ihrem Wesen verändert werden.

Der Einwand der Antragsgegnerin kann überdies deshalb nicht durchgreifen, weil die Einbehaltung von Dienstbezügen nach § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG voraussetzt, dass der Beamte auf Grundlage des § 31 Abs. 3 Satz 2 NBG vorläufig des Dienstes enthoben worden ist. An dieser Voraussetzung fehlt es. Die Antragsgegnerin verfügte die vorläufige Dienstenthebung nicht auf Grundlage der vorgenannten dienstrechtlichen Vorschrift wegen einer beabsichtigten Entlassung des Beamten durch Verwaltungsakt nach § 31 NBG, sondern auf disziplinarrechtlicher Grundlage (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 NDiszG). Solange die Antragsgegnerin diese rechtliche Grundlage der vorläufigen Dienstenthebung nicht ändert, ist ihr ein Rückgriff auf § 31 Abs. 3 Satz 3 NBG für den Einbehalt von Dienstbezügen verschlossen. Bislang hat die Antragsgegnerin die Entlassung des Antragstellers gemäß § 31 Abs. 3 NBG in Verbindung mit § 23 Abs. 3 BeamtStG lediglich eingeleitet (vgl. Verfügung vom 17. September 2021).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 69 NDiszG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.

Beim Streitwert hinsichtlich der Einbehaltung von Dienstbezügen ist von dem zweifachen Jahresbetrag des Kürzungsbetrags der aktuellen Dienstbezüge auszugehen, der wegen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist (Nds. OVG, Beschluss vom 10.12.2014 - 20 ZD 5/14 -, juris Rn 51; Beschluss vom 2.2.2021 - 3 ZD 12/20 -). Insoweit ergibt sich ein Streitwert in Höhe von 17.465,76 EUR (Kürzungsbetrag von 1.455,48 EUR [Bl. 481/BA009] x 24 = 34.931,52 EUR : 2 = 17.465,76 EUR).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Satz 1 NDiszG in Verbindung mit § 152 Abs. 1 VwGO, § 71 NDiszG in Verbindung mit §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).