Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.02.2000, Az.: 9 M 4526/99
Beitragspflicht; Buchgrundstück; Erschließungsbeitrag; Grundstücksteilung; Missbrauch; wirtschaftliche Einheit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.02.2000
- Aktenzeichen
- 9 M 4526/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41846
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - AZ: 1 B 3024/99
Rechtsgrundlagen
- § 42 S 2 AO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten bei einer Grundstücksteilung zur Vermeidung von (Erschließungs-)Beitragspflichten
Gründe
Der auf die Zulassungsgründe des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, er sei so zu behandeln, als ob die Flurstücke 58/1 und 58/2 der Flur 20, die bis September 1998 das im Eigentum des Antragstellers stehendes Flurstück 58 bildeten und von denen seither das Flurstück 58/1 an der Ecke M-Straße/B-Straße im Eigentum der Ehefrau des Antragstellers steht, ein in seinem Eigentum stehendes und durch die M-Straße erschlossenes Grundstück wäre. Das Verwaltungsgericht begründet dieses Ergebnis damit, dass die Übertragung des Flurstücks auf die Ehefrau einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten darstelle und deshalb gemäß §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 2 c NKAG i.V.m. § 42 Satz 2 AO der Beitragsanspruch so entstehe, wie er bei einer wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen würde. Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten liege hier vor, weil der Antragsteller mit der unentgeltlichen Übertragung des Eigentums am Flurstück 58/1 auf seine Ehefrau allein das Ziel verfolgt habe, die Entstehung von Erschließungsbeitragspflichten zu verhindern.
Diese Beurteilung ist auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller behaupteten Motive für die grundbuchrechtliche Verselbständigung und Übertragung des Flurstücks 58/1 vertretbar. Denn die Auflassung (9. Juli 1998) und die Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch (9. September 1998) erfolgten nach den vom Antragsteller auch im Zulassungsverfahren nicht bestrittenen Angaben der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid erst, nachdem der Antragsteller in der Gemeindeverwaltung der Antragsgegnerin erfahren hatte, dass für sein Grundstück ein Erschließungsbeitrag für die M-Straße anfallen werde, weil das Grundstück an diese Erschließungsanlage angrenze. Dem wollte sich der Antragsteller entziehen, indem er das an die Straße angrenzende 82 m² große Flurstück 58/1, das wegen seines trapezförmigen Zuschnitts allein einer selbständigen Bebauung oder anderweitigen vergleichbaren Nutzung faktisch entzogen ist, unentgeltlich auf seine Ehefrau übertrug. Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Übertragung und der in der Gemeindeverwaltung erteilten Auskunft liegt auf der Hand. Wirtschaftliche Gründe oder sonst beachtliche (nicht-abgabenrechtliche) Gründe für die Eigentumsübertragung sind nicht ersichtlich (zu den Gründen vgl. auch Klein/Orlopp, Abgabenordnung, Kommentar, 5. Aufl. 1995, § 42 Anm. 4). Das Vorbringen des Antragstellers, seine Ehefrau sei aufgrund eines Gelübdes verpflichtet, an der Straße eine Stele zu errichten, er wolle aber auf seinem Grundstück keine Kreuzstätte haben und habe deshalb seiner Ehefrau das Flurstück 58/1 hierfür übertragen, ist nicht überzeugend. Denn die Stele könnte auch ohne Grundstücksabtretung an derselben Stelle errichtet werden und der Eindruck, die Kreuzstätte stehe auf dem Grundstück des Antragstellers, wird ungeachtet der Eigentumsverhältnisse am Flurstück 58/1 auch jetzt vermittelt. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Übertragung des Eigentums am Flurstück 58/1 habe ausschließlich den Zweck gehabt, das Entstehen einer Beitragspflicht für das Grundstück des Antragstellers zu verhindern, ist mithin nach dem gegenwärtigen Sachstand nicht zu beanstanden. Der Antragsteller ist deshalb in Anwendung des § 42 AO so zu behandeln, als ob die Übertragung des Flurstücks 58/1 auf seine Ehefrau nicht erfolgt sei. Dies hat zur Folge, dass das Flurstück 58/2 und das Flurstück 58/1, das nur in Zusammenhang mit dem Flurstück 58/2 baulich angemessen genutzt werden darf, erschließungsbeitragsrechtlich als ein noch im Eigentum des Antragstellers stehendes und durch die M-Straße erschlossenes Grundstück zu behandeln sind, weil das Festhalten am Buchgrundstücksbegriff sonst zu der nicht hinnehmbaren Konsequenz führen würde, dass der Antragsteller für sein Grundstück nicht zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen werden könnte, obwohl sich für ihn das Vorliegen nicht eines, sondern mehrerer Buchgrundstücke baurechtlich in keiner Weise hinderlich auswirkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1986 - 8 C 9.86 -, NVwZ 1987, 420 = DVBl. 1987, 630).
Eine Zulassung der Beschwerde wegen Abweichens der angefochtenen Entscheidung von der in der Antragsschrift zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn das Verwaltungsgericht hat keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass im Erschließungsbeitragsrecht stets von einem anderen als dem bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff im Sinne des Grundbuchrechts auszugehen sei. Es hat vielmehr in Übereinstimmung mit der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen, dass hier ausnahmsweise ein Abweichen vom formellen Grundstücksbegriff geboten ist. Mit seiner Anwendung der Vorschrift des § 42 AO, aufgrund derer es die (fiktive) Eigentümeridentität hinsichtlich der Flurstücke 58/1 und 58/2 bejaht hat, weicht es ebenfalls nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Dies schon deshalb nicht, weil sich die Beantwortung der Frage, ob ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 42 AO vorliegt, nach irreversiblem Landesrecht richtet (BVerwG, Beschl. v. 14.1.1997 - 8 B 247.96 -, NVwZ 1998, 76).