Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.02.2000, Az.: 4 L 41/00

besondere Gründe; Erziehungsurlaub; Kündigungsschutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.02.2000
Aktenzeichen
4 L 41/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41520
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 13 A 2782/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei einer Betriebsstilllegung nach Konkurs des Arbeitgebers überwiegt das Interesse der Schwangeren bzw. Mutter im Erziehungsurlaub an einer Fortsetzung des Kündigungsschutzes wegen einer bevorstehenden, aber noch nicht selbst Schutzwirkungen entfaltenden weiteren Schwangerschaft das Interesse des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht bereits deswegen, weil der beitragsfreie Krankenversicherungsschutz anders nicht aufrechterhalten werden kann.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet.

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Nach § 124 Abs. 2 VwGO (i.d.F. des 6. VwGO-Änderungsgesetzes vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626) ist die Berufung nur zuzulassen,

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1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

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3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

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Diese Zulassungsgründe liegen nicht vor.

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Insbesondere liegt die ausdrücklich geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht vor. Dieser Zulassungsgrund ist dem Revisionsrecht in § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in der Fassung des 6. VwGO-Änderungsgesetzes nachgebildet (BT-Drucks. 12/8553 S. 14). Die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend wohl: Beschl. v. 2.12.1961 - VIII B 78.61 -, BVerwGE 13, 90 -91 ff.-; Beschl. v. 9. 11. 1979 - 4 N 1.78 -, BVerwGE 59, 87-92 ff.-) zur Zulassung der Revision lässt sich deshalb unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Berufungsverfahrens als Tatsacheninstanz auf die Regelung des neu geschaffenen Berufungszulassungsgrundes übertragen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache danach nur dann zu, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss (Senat, Beschl. v. 26. 11. 1998 - 4 L 4220/98 -). In der Rechtsprechung des Senats ist aber auch geklärt, dass Umstände, die in den besonderen persönlichen Verhältnissen des Rechtsschutzsuchenden liegen, typischerweise als Frage des Einzelfalls allgemeiner Beantwortung entzogen sind (Beschl. v. 23. April 1999 - 4 L 3929/98 -; Beschl. v. 2. Juli 1999 - 4 L 2710/99 -, V. n. b.). Der unbestimmte Rechtsbegriffs der "besonderen Fälle"  in § 9 Abs. 3 Satz 1 MSchG und § 18 Abs. 1 Satz 2 BErzGG ist unter Berücksichtigung der Verwaltungsvorschriften zum Kündigungsschutz nach § 18 BErzGG (vgl. Anhang 24 bei Zmarzlik u. a. MSchG, 7. Aufl.), nach den Interessen der Mutter bzw. Schwangeren und des jeweiligen Arbeitgebers auszufüllen. Als Einzelfallentscheidung ist die Abwägung ihrer Natur nach regelmäßig grundsätzlicher Klärung nur insoweit zugänglich, als ein Umstand geltend gemacht wird und vorliegt, der für die Interessenabwägung von besonderem Gewicht ist, so dass er auch in anderen Fällen ausschlaggebende Bedeutung zu gewinnen vermag. Als solchen Umstand hebt die Antragsschrift die zum Zeitpunkt der Zustimmungserteilung bevorstehende Geburt des zweiten Kindes hervor. Die gesetzliche Schutzkonzeption des Mutterschutzgesetzes  und des Bundeserziehungsgeldgesetzes macht den Schutz und den Zeitpunkt, von dem an die Schwangere oder Mutter ihn in Anspruch nehmen kann, aber nicht von der Zahl der vorangegangenen Geburten abhängig. Der Schutz der gesetzlichen Regelungen, der durch die Geburt des zweiten Kindes ausgelöst wird, ist deshalb an die gleichen Fristen und formalen Anforderungen gebunden, wie bei einer Schwangeren oder Mutter, die wegen der Geburt ihres ersten Kindes den gesetzlichen Schutzvorschriften unterfällt. Die bevorstehende Geburt des zweiten Kindes der Klägerin konnte deshalb nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG ein Kündigungsverbot erst 6 Wochen vor dem durch die Geburt am 1. August 1998 begründenden Erziehungsurlaubsanspruch auslösen. Zu diesem Zeitpunkt - nämlich unter dem 3. März 1998 - war die Kündigung bereits erklärt; sie wäre selbst dann vor Beginn der Schutzfrist ausgesprochen worden, wenn man nicht auf die erste Kündigung abstellte, sondern auf die Mitteilung im Schriftsatz vom 12. Juni 1998, diese werde aufrechterhalten.

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung wäre auch dann nicht erfolgreich, wenn man in der Antragsschrift den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sinngemäß geltend gemacht sähe.  

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Es bestehen nämlich "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils" nicht. Bei der Beurteilung, ob ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, kommt es nicht darauf an, ob die von dem Gericht für seine Entscheidung angeführten Gründe zutreffen (so aber VGH Mannheim, Beschl. v. 9. Juni 1997 - NC 9 S 20/97 -, NVwZ 1998, 196); notwendig sind vielmehr ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des von ihm gefundenen Ergebnisses (Senat, Beschl. v. 9. Juni 1998 - 4 L 2618/98 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 23. Okt. 1998 - 12 M 4769/98 -, V. n. b.; Hamb. OVG, Beschl. v. 20. Febr. 1997, DVBl 1997, 1333; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21. April 1997, DVBl 1997, 1327; Hess. VGH, Beschl. v. 15. Juli 1997, HessJMBl 1997, 818; Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 124 Rdnr 7 a; Seibert, DVBl 1997, 932 -934-).  Zur Begründung dieser Beurteilung verweist der Senat entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung und wiederholt diese deshalb nicht. Lediglich ergänzend merkt der Senat im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin in der Antragsschrift an, dass die besonderen Kündigungsschutzregelungen des Mutterschutzgesetzes und des Bundeserziehungsgeldgesetzes auf einen Ausgleich der Interessen zwischen Arbeitgeber und der Schwangeren bzw. Mutter gerichtet sind. Die Klägerin lässt in ihrer Antragsschrift selbst vortragen, dass die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beigeladenen ruhen und wegen des Konkurses nach Ende der Erziehungsurlaubszeit nicht werden wieder aufleben können. Ihr hervorgehobenes und erkennbares Interesse besteht deshalb darin, auch nach Ablauf der durch die Geburt ihres ersten Kindes ausgelösten Zeit des Erziehungsurlaubs am 5. Juni 2000 bis zum Ablauf der 3-Jahres-Frist nach der Geburt des zweiten Kindes am 31. Juli 2001 beitragsfrei Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen zu können. Damit liegt der Schwerpunkt der zu schützenden Interessen auf einer Rechtsbeziehung außerhalb des Arbeitsverhältnisses. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob diese grundsätzlich geringeres Gewicht haben, sie führen im vorliegenden Fall - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - nicht zu einer Interessenabwägung, die es geboten erscheinen ließe, den Umstand der konkursbedingten Betriebsstillegung bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zurücktreten zu lassen und die Kündigung erst zum Ende der durch die Geburt des zweiten Kindes ausgelösten Zeit des Erziehungsurlaubs zuzulassen.