Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.02.2000, Az.: 11 M 304/00

Abschiebungsschutz; Drogenhandel; Folter; PKK; Straftat

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.02.2000
Aktenzeichen
11 M 304/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41531
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 11 B 4577/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG greift auch in den Fällen des § 51 Abs. 3 AuslG ein, in denen der Ausländer keinen Abschiebungsschutz wegen drohender politischer Verfolgung genießt. Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Senats.

Gründe

1

Die Beschwerde hat, soweit sie mit Beschluss des Senats vom 26. Januar 2000 hinsichtlich der beabsichtigten Abschiebung des Antragstellers in die Türkei zugelassen worden ist, teilweise Erfolg.

2

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. November 1999 ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen gewesen, weil nach dem bislang vorliegenden Sachverhalt der angefochtene Bescheid insoweit rechtswidrig und deshalb ein über das öffentliche Interesse am Sofortvollzug hinaus gehendes privates Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland zu bejahen ist.

3

Der Antragsteller kann sich zwar nicht auf ein Abschiebungshindernis nach § 51 Abs. 1 AuslG berufen, weil er, wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, im Hinblick auf seine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten wegen Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge in zwei Fällen aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist (s. hierzu d. Beschl. d. Sen. v. 26.1.2000) und in einem solchen Fall § 51 Abs. 1 AuslG nach Absatz 3 dieser Vorschrift keine Anwendung findet. Doch greift auch in den Fällen des § 51 Abs. 3 AuslG der Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG ein (BVerwG, Urt. v. 30.3.1999 - 9 C 31/98 -, DVBl 1999, 1213, m.w.N.) Nach § 53 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden. In einem solchen Fall ist die Abschiebung auch nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 5. November 1950 unzulässig.

4

Hier besteht nach der derzeitigen Kenntnislage die konkrete Gefahr, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in die Türkei wegen des Verdachts, die PKK mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt zu haben, von den türkischen Sicherheitsbehörden verhört und dabei gefoltert wird.

5

Der Antragsteller ist vom Landgericht Hannover mit Urteil vom 10. Oktober 1997 (34 a 35/97) zu einer mehrjährigen Jugendstrafe verurteilt worden, weil er zusammen mit seinem Vater in einem erheblichen Umfang mit Drogen gehandelt hat. Ein Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Niedersachsen hat in einem Vermerk vom 22. Juni 1994, den der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Asylverfahren beim Verwaltungsgericht Chemnitz (A 7 K 30933/94) eingereicht hat, festgehalten, dass "über das türkische Generalkonsulat Hannover" bekannt geworden sei, dass dort eine Person Angaben über den Vater des Antragstellers gemacht habe, wonach dieser Gewinne aus dem Drogenhandel in Höhe von 50.000,-- DM bis 70.000,-- DM im Monat an die PKK abgebe und dass einer dessen Söhne Abdullah heiße. Auf welche Weise das Landeskriminalamt diese Informationen vom türkischen Generalkonsulat erhalten hat, hat der damalige Mitarbeiter des Landeskriminalamtes auf die telefonische Nachfrage des Berichterstatters des Verwaltungsgerichts Chemnitz nicht mehr angeben können. Weiterhin hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Chemnitz Auszüge aus der türkischen Zeitung "Milliyet" eingereicht, in denen über den Drogenhandel zwischen der Türkei und (u.a.) Deutschland berichtet wird; in einem Bericht vom 9. Juni 1994 ist ein Foto des Antragstellers abgebildet. Ferner sind im Asylverfahren Auszüge aus den Aussagen eines Zeugen in weiteren Strafverfahren (u.a.) gegen den Kläger vorgelegt worden, wonach dieser in einer polizeilichen Vernehmung ausgesagt hat, dass der Vater des Antragstellers die PKK mit monatlich 100.000,-- DM bis 150.000,-- DM unterstütze und dass der Antragsteller für seinen Vater "arbeite". Der Antragsteller selbst hat zwar in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz vom 30. Juni 1999 angegeben, dass er PKK-Sympathisant sei, diese jedoch nicht mit Geld unterstütze. Doch nach dem bisherigen Sachstand - die Auskunft des Auswärtigen Amtes auf die Anfrage des Verwaltungsgerichts Chemnitz, ob seitens der türkischen Behörden gegen den Antragsteller ermittelt wird, steht noch aus - bestehen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass die türkischen Behörden den Vater des Antragstellers konkret verdächtigen, die PKK mit erheblichen finanziellen Mitteln fortlaufend zu unterstützen, und dass sich dieser Verdacht auch auf den (offenbar in der türkischen Presse als Drogenhändler dargestellten) Antragsteller erstreckt, da der Antragsteller den Drogenhandel zusammen mit seinem Vater betrieben hat und das türkische Generalkonsulat in Hannover dementsprechend im Zusammenhang mit dem gegenüber seinem Vater geäußerten Verdacht auch den Antragsteller erwähnt hat. Aufgrund dessen besteht die konkrete Gefahr, dass die türkischen Sicherheitsbehörden den Antragsteller nach einer Rückkehr in die Türkei nicht nur verhören, sondern auch menschenrechtswidrig behandeln werden. Nach übereinstimmenden Berichten kommt es in der Türkei trotz gesetzlichen Verbots vor allem in den ersten Tagen nach einer Festnahme im Polizeigewahrsam besonders in Staatssicherheitssachen zu Folter oder sonstigen physischen oder psychischen Misshandlungen, um Geständnisse und Informationen über das politische Umfeld zu erlangen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 7.9.1999, S. 21 f.; Rumpf, Gutachten v. 2.5.1998 an VG Osnabrück; Kaya, Gutachten v. 20.2.1998 an VG Gelsenkirchen; s. auch Urt. d. Sen. v. 23.9.1999 - 11 L 2769/98 -).

6

Im Übrigen müsste der Antragsteller, auch wenn die türkischen Sicherheitsbehörden ihn nicht persönlich verdächtigen sollten, die PKK finanziell zu unterstützen, ernsthaft damit rechnen, als naher Angehöriger und enger "Mitarbeiter" seines Vaters, der jedenfalls nach dem bisher bekannten Sachverhalt in dem konkreten Verdacht steht, die PKK im großen Umfang finanziell zu unterstützen, in der geschilderten Art und Weise verhört und dabei mißhandelt zu werden (vgl. hierzu d. Urt. d. Sen. v. 28.10.1999 - 11 L 3050/98 -, m.w.N.).

7

Da bereits im Hinblick auf den Verdacht der türkischen Behörden bezüglich der (erheblichen) finanziellen Unterstützung der PKK die konkrete Gefahr der Folter nach § 53 Abs. 1 AuslG zu bejahen ist, kann dahingestellt bleiben, ob auch im Hinblick auf die Verurteilung eines Bruders des Antragstellers wegen dessen Beteiligung an einem Brandanschlag auf ein türkisches Vereinsheim bei einer Rückkehr des Antragstellers in die Türkei mit polizeilichen Übergriffen zu rechnen ist.

8

Der Senat hat die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren befristet, weil sowohl die Auskunft des Auswärtigen Amtes als auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Chemnitz im Asylverfahren - beides wird bei der Entscheidung der Widerspruchsbehörde zu berücksichtigen sein - noch nicht vorliegen und deshalb die bei der Entscheidung über die Abschiebung des Antragstellers nach dem oben Gesagten zu berücksichtigenden Gesichtspunkte gegenwärtig noch nicht vollständig geklärt sind.