Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.02.2000, Az.: 4 M 38/00

ambulante Hilfe; stationäre Hilfe; unverhältnismäßige Mehrkosten; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.02.2000
Aktenzeichen
4 M 38/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41519
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 13 B 3030/99

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers (Sozialhilfeträgers) ist nicht begründet.

2

Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 5 (Verfahrensmangel), Nr. 4 (Divergenz) und Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses) sind nicht gegeben.

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1. Die gerügten Verfahrensmängel, das Verwaltungsgericht sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, habe wesentliche Teile des Sachvortrages des Antragstellers unberücksichtigt gelassen und seine Aufklärungspflicht nicht erfüllt, liegen  nicht vor, jedenfalls beruht die Entscheidung nicht auf ihnen.

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a) Die Frage, ob sich der Antragsteller und der Antragsgegner (Hilfeempfänger) - abweichend von der einstweiligen Anordnung vom 13. September 1996 (3 B 2736/96) in der Fassung des hier angefochtenen Beschlusses - im Jahre 1997 auf eine (befristete) "Übergangsregelung" hinsichtlich Art und Höhe der Leistungen für die häusliche Pflege geeinigt haben und ob diese (wegen der vom Antragsteller selbst behaupteten Befristung) gegenwärtig noch gilt, ist für die Entscheidung unerheblich. Denn selbst wenn es zutrifft, dass sich der Antragsgegner in dieser "Übergangsregelung" (befristet) damit einverstanden erklärt hat, dass für die Vollzeitpflegekraft mit einem zeitlichen Einsatz von 38,5 Stunden in der Woche statt der Vergütungsgruppe BAT VII (jetzt VIII) ein Stundensatz von 24,-- DM gelten solle, kann dies dem Begehren des Antragstellers, die einstweilige Anordnung dahin zu ändern, dass er nur noch die (um 50 v. H. erhöhten) Kosten einer stationären Pflege des Antragsgegners nach der Pflegestufe III (netto monatlich 873,41 DM) zu übernehmen habe, nicht zum Erfolg verhelfen. Auch die "Übergangsregelung" betrifft Leistungen zur Aufrechterhaltung der häuslichen Pflege, modifiziert allenfalls die Vergütung der Vollzeitpflegekraft nach Nr. 1 des Beschlusses vom 13. September 1996 und lässt dessen Nrn. 2 und 3 unberührt. Das Begehren des Antragstellers in diesem Verfahren auf Änderung der einstweiligen Anordnung (über das vom Verwaltungsgericht vorgenommene Maß hinaus) geht aber nicht dahin, an die Stelle der vorläufigen gerichtlichen Regelung die "Übergangsregelung" treten zu lassen, sondern dahin, den Antragsgegner künftig auf (wesentlich kostengünstigere) stationäre Pflege verweisen zu dürfen. Im Übrigen will auch der Antragsgegner (Schriftsatz vom 12. Januar 2000, Seite 2) ausdrücklich an der "Übergangsregelung", die nach seiner Auffassung in "Dauerbestandkraft" erwachsen ist, festhalten, so dass es für einen darauf gerichteten Antrag des Antragstellers auf Änderung der einstweiligen Anordnung an einem Rechtschutzbedürfnis fehlte.  

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b) Das Verwaltungsgericht brauchte auf der Grundlage seiner Auffassung ferner nicht aufzuklären, ob die häusliche Gemeinschaft des Antragsgegners mit seiner volljährigen Tochter fortbesteht oder endgültig aufgehoben ist. Denn es hat allein entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass jedenfalls - unstreitig - die häusliche Gemeinschaft des Antragsgegners mit seinem volljährigen Sohn weiter besteht.

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c) Ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist auch nicht darin zu sehen, dass das Verwaltungsgericht nicht aufgeklärt hat, welche "anderen Kräfte" der Antragsgegner anstelle einer Vollzeitpflegekraft beschäftigt und ob er in der Vergangenheit die ihm gewährten Leistungen vollständig zur Bezahlung von Pflegekräften ausgegeben bzw. diese Ausgaben hinreichend belegt hat. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, die einstweilige Anordnung vom 13. September 1996 im wesentlichen aufrechtzuerhalten und den Änderungsantrag des Antragstellers überwiegend abzulehnen, auf der Grundlage der Rechtsauffassung getroffen, dass die dem Antragsgegner zugesprochenen Leistungen notwendig sind, um seinen Pflegebedarf zu decken. Dem Umstand, dass der Antragsgegner in der Vergangenheit eine qualifizierte (examinierte) Pflegekraft nicht eingestellt hat, hat das Verwaltungsgericht bereits dadurch Rechnung getragen, dass es den Antragsteller nur noch verpflichtet hat, die Kosten für eine Vollzeitpflegekraft nach der Vergütungsgruppe BAT VIII statt VII zu übernehmen. Dieser Verpflichtung widerspricht es nicht, wenn der Antragsgegner anstelle einer (angelernten) Pflegekraft im selben zeitlichen Umfang mehrere solcher Pflegekräfte beschäftigt, vor allem dann, wenn es ihm nicht gelingt, eine Pflegekraft zu gewinnen, die bereit ist, ihn 38,5 Stunden in der Woche zu pflegen.

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Nicht aufzuklären brauchte das Verwaltungsgericht, ob der Antragsgegner in der Vergangenheit die erbrachten Leistungen vollständig zur Bezahlung von Pflegekräften ausgegeben und die Ausgaben hinreichend belegt hat. Denn der Anspruch auf die notwendigen Leistungen, die das Verwaltungsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochen hat, besteht unabhängig davon, ob sie immer vollständig zweckbestimmt verwendet worden sind, und erst recht unabhängig davon, ob und wie der Hilfeempfänger ihre Verwendung nachweisen muss. Wenn der Antragsteller begründete Zweifel an der zweckbestimmten Verwendung der Leistungen hat, kann er - gegebenenfalls nach entsprechender Änderung der einstweiligen Anordnung, wenn darüber Streit entsteht - auf anderem Wege versuchen, die zweckentsprechende Verwendung sicherzustellen, etwa dadurch, dass er Beträge unmittelbar an die Pflegekräfte überweist. Abgesehen davon hat sich der Antragsgegner im Schriftsatz vom 12. Januar 2000 (S. 4) bereit erklärt, die Nachweise künftig wieder so wie früher "vereinbart" zu führen.

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d) Das Verwaltungsgericht hat bis zu seiner Entscheidung nicht Anlass gehabt aufzuklären, ob der Sohn des Antragsgegners wie bisher als nahestehende Person (vor allem nachts) Pflegeleistungen übernimmt und Nr. 3 des Beschlusses vom 13. September 1996 aufrecht zu erhalten oder zu ändern ist. Den Vortrag des Antragsgegners im Schriftsatz vom 12. Januar 2000, seinem Sohn flössen "keine geldlichen Zuwendungen" zu, es seien "alles Fremdpflegekräfte", aus dem der Antragsteller (Schriftsatz vom 20. Januar 2000) wohl Zweifel an der weiteren Pflegetätigkeit des Sohnes des Antragsgegners herleiten will, hat das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigen können.

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e) Schließlich brauchte das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nicht aufzuklären, wie viele Bewohner von Pflegeheimen im Bereich des Antragstellers wie der Antragsgegner 61 Jahre alt oder jünger sind. Denn die Frage, ob einem Pflegebedürftigen nach § 3 a Sätze 2 und 3 BSHG zuzumuten ist, anstelle der gewünschten und mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbundenen ambulanten Hilfe eine geeignete stationäre Hilfe in Anspruch zu nehmen, richtet sich immer nach den Umständen des Einzelfalles. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen (§ 3 a Satz 3 BSHG). Nicht entscheidungserheblich ist daher, wie viele andere Personen, die im Alter des Antragsgegners oder jünger sind, in Pflegeheimen betreut werden. Die Größe dieses Personenkreises sagt nichts über die persönlichen und familiären Verhältnisse der einzelnen Personen und nichts darüber aus, ob einzelnen von ihnen ebenfalls zugemutet worden ist, gegen ihren Willen aus der eigenen Wohnung in ein Pflegeheim umzuziehen.

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2. Die vom Antragsteller geltend gemachte Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dem Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 14. März 1997 (FEVS 48, 86) rechtfertigt die Zulassung der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen Divergenz schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht damit nicht von einer Entscheidung "des" (im Rechtszug übergeordneten) Oberverwaltungsgerichts abgewichen wäre. Das Verwaltungsgericht hat sich im Gegenteil ausdrücklich der Rechtsprechung des beschließenden Senats zu § 3 a BSHG (Urt. v. 28. 8. 1996 - 4 L 1845/96 -, Nds. RPfl. 1997, 129 = btprax 1997, 117 = NDV-RD 1997, 85) angeschlossen.

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3. Schließlich ist die Beschwerde nicht nach § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da der Senat nicht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses hat. Er weist das Rechtsmittel des Antragstellers aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers im Zulassungsverfahren ist nur das Folgende zu ergänzen: 

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Der Senat hat zwar in dem Beschluss vom 30. November 1992 (4 M 5616/92) und in dem Beschluss vom 19. Dezember 1996 (4 M 5829/96), in denen es auch schon jeweils um die Zumutbarkeit des Wechsels des Antragsgegners in ein Pflegeheim gegangen ist, mit darauf abgestellt, dass auch noch die Tochter des Antragsgegners zur häuslichen Gemeinschaft gehört hat. Er schließt sich aber in vollem Umfang der Wertung des Verwaltungsgerichts an, dass allein die Haushaltsgemeinschaft des Antragsgegners mit seinem volljährigen Sohn ein gewichtiger familiärer Umstand im Sinne des § 3 a Satz 3 BSHG ist, der bei der Prüfung der Zumutbarkeit des Wechsels in eine geeignete stationäre Einrichtung angemessen zu berücksichtigen ist. Es braucht deshalb dem Vortrag des Antragsgegners, seine Tochter beabsichtige, nach Abschluss ihrer Ausbildung durch das nunmehr angestrebte zweite Staatsexamen in die elterliche Wohnung zurückzukehren, nicht weiter nachgegangen zu werden.

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Eine teilweise Unrichtigkeit des angefochtenen Beschlusses ergibt sich auch nicht aus dem bereits erwähnten Vortrag des Antragsgegners in dem Schriftsatz vom 12. Januar 2000, seinem Sohn flössen finanzielle Zuwendungen nicht zu. Damit ist nicht gesagt, dass sein Sohn als nahestehende Person Pflegetätigkeiten nicht mehr ausübt und deshalb    Nr. 3 des Beschlusses vom 13. September 1996 aufzuheben wäre. Der Vortrag kann auch bedeuten, dass der Sohn des Antragsgegners seine Pflegetätigkeiten nicht von finanziellen Zuwendungen seines Vaters an ihn abhängig macht, sondern seinem Vater ermöglicht, die für seine Pflegetätigkeiten gewährte Pflegebeihilfe zur Bezahlung von "Fremdpflegekräften" zu verwenden, wie es der Antragsgegner auch mit dem ihm gewährten Pflegegeld tut. Sollte der Sohn des Antragsgegners entgegen dieser Annahme seine Pflegetätigkeiten eingestellt haben und der Antragsgegner gleichwohl auf Vollzug der Nr. 3 des Beschlusses vom 13. September 1996 bestehen, kann der Antragsgegner mit dieser - neuen - Begründung eine teilweise Änderung der einstweiligen Anordnung beantragen. Der Senat sieht  jedenfalls nicht begründeten Anlass, in diesem Verfahren, in dem bisher nur um die Zumutbarkeit des Wechsels des Antragsgegners in ein Pflegeheim gestritten worden ist,  der Vermutung des Antragstellers nachzugehen, eine bestimmte Äußerung des Antragsgegners im Zulassungsverfahren sei so auszulegen, als habe sein Sohn seine Pflegetätigkeiten eingestellt. Ein solcher neuer Streit um die Aufrechterhaltung der Nr. 3 des Beschlusses vom 13. September 1996 wäre vielmehr in einem gesonderten Änderungsverfahren zu klären.

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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages  des Antragstellers ist der Antrag des Antragsgegners, ihm für die Verteidigung gegen dieses Rechtsmittel Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, gegenstandslos.