Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 03.09.2002, Az.: 4 B 3342/02

Nutzungsuntersagung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
03.09.2002
Aktenzeichen
4 B 3342/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43565
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

I. Durch Bescheid vom 8. Juli 2002 untersagte der Antragsgegner den Antragstellern die Nutzung des auf ihrem Grundstück befindlichen Carports mit Holzlager. Zugleich ordnete er an, das Gebäude leer zu räumen. Hierfür gewährte er eine Abwicklungsfrist von einem Monat nach Zustellung des Bescheides. Bezüglich der Nutzungsuntersagung und der Räumungsverfügung ordnete er die sofortige Vollziehung an. Des Weiteren forderte er die Antragsteller unter Gewährung einer Frist von 2 Monaten nach Rechtskraft dieser Verfügung auf, den Carport mit Holzlager und Satteldach zu beseitigen. Für den Fall der nicht fristgerechten Befolgung dieser Aufforderungen drohte der Antragsgegner Zwangsgelder an, und zwar jeweils 250 € für die Aufgabe der Nutzung und für die Räumung des Carports und des Holzlagers sowie 250 € für die Beseitigung der baulichen Anlage.

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Gegen diese Bescheid erhoben die Antragsteller Widerspruch, über den noch nicht entschieden wurde. Am 6. August 2002 haben die Antragsteller um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtschutzes nachgesucht.

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II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu bewertende Antrag hat keinen Erfolg. Er kann sich nur auf die im Bescheid vom 8. Juli 2002 ausgesprochene Nutzungsuntersagung mit Räumungsanordnung sowie den hierauf bezogenen Teil der Zwangsgeldandrohung beziehen, denn hinsichtlich der Beseitigungsanordnung fehlt es an einer Anordnung der sofortigen Vollziehung.

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Der nach § 80 Abs. 1 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet. Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat ein Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung einer Verfügung im öffentlichen Interesse gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO besonders angeordnet hat. Das Verwaltungsgericht kann nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ganz oder teilweise wieder herstellen. Dabei ist aufgrund einer Abwägung der sich gegenüberstehenden öffentlichen oder privaten Interessen darüber zu entscheiden, ob die angefochtene Verfügung trotz des eingelegten Widerspruchs sofort oder erst nach ihrer bestandskräftig gewordenen Bestätigung vollzogen werden darf. Die Abwägung fällt hier zu Ungunsten der Antragsteller aus.

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Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung, die ihre Rechtsgrundlage in § 89 Abs. 1 NBauO findet, ist dann stets höher zu bewerten, wenn die beanstandete Nutzung ohne die erforderliche Baugenehmigung aufgenommen worden ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Mai 1987 - 6 OVG B 10/87 - NVwZ 1989, 170 = Nds.Rechtspflege 1987, 264 = BRS 47 Nr. 199; Beschluss vom 14. September 1984 - 6 B 77/84 - BRS 42 Nr. 226; Beschluss vom 26. Januar 1994 - 1 M 560/93 -Nds.Rechtspflege 1994, 169). In diesen Fällen ist die sofortige Vollziehung der Verfügung grundsätzlich im überwiegenden öffentlichen Interesse ohne Rücksicht darauf geboten, ob die Bauaufsichtsbehörde zur Begründung der Nutzungsuntersagung auch auf die materielle Baurechtswidrigkeit abgestellt hat und ob die bauliche Anlage bzw. deren Nutzung genehmigt werden kann oder nicht. Denn zum einen besteht an der Beachtung und strikten Durchführung eines formellen Genehmigungsverfahrens ein gewichtiges öffentliches Interesse, das soweit reicht, dass bis zum Abschluss dieses Verfahrens selbst materiell rechtmäßige Baumaßnahmen nicht begonnen werden dürfen (§ 78 Abs. 1 der Niedersächsischen Bauordnung - NBauO -). Zum anderen stünde ansonsten derjenige, der das gesetzlich vorgeschriebene Baugenehmigungsverfahren nicht beachtet, mit der (noch nicht erlaubten) tatsächlichen Nutzung der baulichen Anlage besser da als derjenige, der gesetzestreu den Ausgang des Baugenehmigungsverfahrens abwartet und damit unter Umständen erhebliche Nachteile, jedenfalls aber Wartezeiten auf sich nimmt. Dies ist nicht hinzunehmen, zumal dadurch auch andere Bauherren dazu verleitet werden könnten, ihre geplanten Baumaßnahmen oder Nutzungen ohne die erforderliche Baugenehmigung zu beginnen, wenn sie nicht mit wirksamen Sofortmaßnahmen der Bauaufsichtsbehörde zu rechnen hätten. Im übrigen kann das Genehmigungsverfahren auch nicht etwa in das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO verlagert werden, wofür es schon wegen seines Charakters als Eilverfahren ungeeignet ist.

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Entsprechendes gilt für die ebenfalls auf § 89 Abs. 1 NBauO beruhende Räumungsanordnung, die den Antragstellern die Umsetzung des Nutzungsverbots auch für die in der baulichen Anlage zur Zeit gelagerten Gegenstände aufgibt.

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Diese Grundsätze finden auch hier Anwendung, da für das vom Antragsgegner aufgegriffene Gebäude und seine Nutzung gemäß § 68 Abs. 1 NBauO eine Baugenehmigung erforderlich ist. Der Carport mit Holzlager zählt nicht zu den gem. § 69 Abs. 1 iVm. dem Anhang zur NBauO genehmigungsfreien baulichen Anlagen. Eine Baugenehmigung wurde hier aber weder für das Gebäude in seiner ursprünglichen Gestalt (Carport) noch für die Umgestaltung und Erweiterung der Anlage durch die Antragsteller erteilt.

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Besondere Gründe, die in seltenen Fällen eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigen können, dass bereits das Fehlen der erforderlichen Baugenehmigung ein Nutzungsverbot rechtfertigt (vgl. OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 8. Mai 1987 - 6 B 10/87 - und vom 26. Januar 1994 - 1 M 5660/93 -, a.a.O.), liegen hier nicht vor. Insbesondere ist die materielle Legalität der Baumaßnahme nicht ohne weiteres offensichtlich und außer Zweifel. Vielmehr ist nach überschlägiger Prüfung eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Baugenehmigung, die von den Antragstellern bisher auch nicht beantragt wurde, aus den im angefochtenen Bescheid und in der Gegenerklärung vom 13. August 2002 ausgeführten Gründen eher zweifelhaft. Für eine abschließende Bewertung der hiergegen von den Antragstellern vorgebrachten Argumente ist in dem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren kein Raum.

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Die angegriffene Verfügung leidet auch nicht erkennbar an Ermessensfehlern (§ 114 VwGO). Insbesondere war der Antragsgegner am Erlass von bauaufsichtlichen Maßnahmen nicht deshalb gehindert, weil zwischen der erstmaligen Aufnahme der Baulichkeiten auf dem Grundstück im März 1999 und der Verfügung mehr als 3 Jahre verstrichen sind. Bauaufsichtliche Eingriffsbefugnisse verwirken nicht. Der Antragsgegner hat auch nicht durch sein Verhalten erkennbar einen Vertrauenstatbestand gesetzt, der sein Eingriffsermessen auf Null reduzieren würde. Zudem hat er in der Gegenerklärung nachvollziehbar dargelegt, weshalb er nicht unmittelbar im Anschluss an die erste Bestandsaufnahme bauaufsichtliche Maßnahmen getroffen hat. Hierzu hat er auf die gerichtsbekannte Problematik des Erfordernisses einer Bestandsaufnahme mit anschließender rechtlicher Bewertung für eine Vielzahl von Grundstücken im Bereich des Zwischenahner Meeres verwiesen, die bei der gegebenen Personalsituation sehr zeitintensiv ist. Für den späteren Anbau (Holzlager) und das Satteldach kommt hinzu, dass diese Teile der baulichen Anlage erst nach der 1999 erfolgten Bestandsaufnahme errichtet und vom Antragsgegner erst bei der Überprüfung im Mai 2002 festgestellt wurden. Anschließend wurde nach der gebotenen Anhörung zeitnah die angefochtene Verfügung erlassen.

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Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich zugleich, dass auch der Anordnung der sofortigen Vollziehung das Zeitmoment nicht entgegengehalten werden kann. Zwar spricht eine längere Untätigkeit der Behörde in der Regel gegen eine besondere Dringlichkeit der Durchsetzung einer späteren bauaufsichtlichen Maßnahme. Dies gilt jedoch nach den Umständen des Einzelfalls hier nicht. Auch insoweit ist das vom Antragsgegner beschriebene Problem von Bedeutung, ein Konzept für ein einheitliches Vorgehen gegen ungenehmigte Baumaßnahmen im Bereich des Zwischenahner Meers zu erarbeiten, das eine umfassende Überprüfung der Verhältnisse in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für einen größeren räumlichen Bereich voraussetzte. Hätte der Antragsgegner ausschließlich das Grundstück der Antragsteller überprüft, hätte ihm möglicherweise ein systemloses Vorgehen und damit ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz entgegengehalten werden können.

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Die Kraft Gesetzes sofort vollziehbare und hier nur hinsichtlich der Nutzungsuntersagung des Räumungsgebotes zu überprüfende Zwangsgeldandrohung, auf die die Antragsteller nicht gesondert abstellen, rechtfertigt sich aus den im Bescheid genannten Bestimmungen.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.