Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 19.09.2002, Az.: 4 B 3551/02

aufschiebende Wirkung; Aufzuchtstall; Baugenehmigung; Drittschutz; Geruchsbelästigung; Nachbar; Nachbarschutz; Nachbarwiderspruch; Richtlinienabstand; Rücksichtnahmegebot; Schweinemaststall; öffentlicher Belang

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
19.09.2002
Aktenzeichen
4 B 3551/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43666
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

I. Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 23. Juli 2002 gegen die dem Beigeladenen zu 1) durch den Antragsgegner unter dem 12. April 2000 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Schweinemaststalles mit 960 Plätzen auf dem südöstlich des zu Wohnzwecken genutzten Grundstück ..- Straße .. der Antragsteller liegenden Flurstück ../.. der Flur .. der Gemarkung ... (Baugrundstück).

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Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, dass am 12. April 2000 dem Beigeladenen zu 1) bereits eine Baugenehmigung für einen Ferkelaufzuchtstall mit 940 Plätzen auf dem nördlich ihres Grundstücks liegenden Flurstück ../.. der Flur .. der Gemarkung ... erteilt worden sei. Seit der Nutzung des Aufzuchtstalles seien auf ihrem Grundstück störende Gerüche wahrnehmbar. Durch den Bau und die Nutzung des Schweinemaststalles werde ihr Grundstück noch stärkeren und unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen ausgesetzt. Das im Baugenehmigungsverfahren für den Schweinemaststall erstellte Gutachten der Landwirtschaftskammer Weser-Ems vom 24. Februar 2000 berücksichtige den Ferkelaufzuchtstall nicht. Der Richtlinienabstand für den Ferkelstall betrage 130 m. Nach Angaben des Antragsgegners betrage der Abstand zwischen ihrem Wohnhaus und dem Ferkelstall 140 m. Tatsächlich liege der Stall nur 124 m entfernt und somit innerhalb des Richtlinienabstandes. Für den Schweinmaststall sei ein halbierter Richtlinienabstand zu ihrem Wohngrundstück von 130 m errechnet worden. Tatsächlich betrage der Abstand nur 128 m. Ihr Grundstück liege im Verhältnis zu dem geplanten Schweinemaststall in einer Hauptwindrichtung. Auch sei der Emissionsschwerpunkt der Hofstelle nicht richtig gewählt worden. Dieser hätte zumindest mittig des Stallgebäudes an der Längsseite angenommen werden müssen oder an der nördlichen Seite. Zudem hätten die Stallanlagen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurft und es sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen gewesen.

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Der Antragsgegner und der Beigeladene zu 1) treten dem Antragstellervorbringen entgegen.

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II. Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die vom Gericht zu treffende Entscheidung orientiert sich grundsätzlich am Ergebnis einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich sind. Ist dieses nicht der Fall, ist eine Abwägung zwischen den Interessen an der vorläufigen Aussetzung der Baugenehmigung bzw. deren Ausnutzung vorzunehmen.

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Davon ausgehend werden die Antragsteller durch die dem Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung wahrscheinlich nicht in ihren Rechten verletzt, so dass die vorläufige Ausnutzung der Baugenehmigung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hinzunehmen ist.

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Der Erfolg einer Nachbarklage und damit auch eines Antrages nach § 80 a Abs. 3 iVm. § 80 Abs. 5 VwGO setzt nicht nur die Rechtswidrigkeit der einem Nachbarn erteilten Baugenehmigung voraus, sondern vor allem, dass die Genehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Nicht jede Norm des öffentlichen Baurechts ist potentiell drittschützend. Drittschutz vermitteln sollen nur solche Vorschriften, die zumindest auch der Rücksichtnahme auf individuelle Interessen und deren Ausgleich untereinander dienen (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1996 – 4 C 8.84 – BRS 40 Nr. 173).

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Soweit die Antragsteller einwenden, dass für das Vorhaben eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung und eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich gewesen seien, kann offen bleiben, ob sie überhaupt einen öffentlich-rechtlich geschützten Anspruch auf Durchführung des „korrekten Verfahrens“ haben. Für die Beurteilung eines Widerspruchs bzw. einer Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist der der Bekanntgabe der Baugenehmigung (Große-Suchsdorf, Lindorf, Schmaltz, Wiechert, NBauO, 7. Aufl., § 72, RdZiff. 139). Nach Anhang 1 der 4. Bundesimmissionsschutzverordnung - 4. BImSchV - über genehmigungsbedürftige Vorhaben in der im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung geltenden Fassung war der Rindviehbestand auf der Hofstelle des Beigeladenen zu 1) bei der Frage, ob eine Genehmigung nach BImSchG erforderlich ist, nicht zu berücksichtigen (Ziff. 7.1 Anhang). Eine Berücksichtigung auch dieser Viehbestände ist erst nach der zum 3. August 2001 in Kraft getretenen Neufassung der 4. BImSchV durch das Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl. S. 1950) geboten. Änderungen der Rechtslage zulasten des Bauherrn während des Widerspruchsverfahrens sind jedoch im Rahmen eines Nachbarwiderspruchs bzw. Klageverfahrens nicht zu berücksichtigen (vgl. Große-Suchsdorf u.a. aaO.). Da eine Genehmigungspflicht nach BImSchG im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung nicht bestand, da die dafür maßgebenden Tierplatzzahlen gem. Ziff. 7.1 Anhang zur 4. BImSchV nicht erreicht wurden, war auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 3 Abs. 1 UVPG in der bei Erteilung der Genehmigung geltenden Fassung nicht durchzuführen. Auch wurden die dafür nach Ziff. 24 Anhang zu Nr. 1 der Anlage zu § 3 UVPG maßgeblichen Tierplatzzahlen nicht erreicht.

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Nachbarschutz können die Antragsteller nach Maßgabe des in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB verankerten Rücksichtnahmegebotes geltend machen. Ein öffentlicher Belang steht einem privilegierten Vorhaben entgegen (§ 35 Abs. 1 BauGB), wenn es schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Vorliegend ist nicht feststellbar, dass die von der geplanten Stallanlage ausgehenden Immissionen auf dem Antragstellergrundstück Gefahren oder erhebliche Belästigungen hervorrufen und damit für die Antragsteller nicht mehr zumutbar sind. Für die Beurteilung der Geruchsimmissionen wurde im Baugenehmigungsverfahren ein Gutachten der Landwirtschaftskammer Weser-Ems vom 23. Februar 2000 eingeholt. Die dortigen Feststellungen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Der Gutachter ist unter Berücksichtigung des vorhandenen Tierbestandes auf der Hofstelle und der geplanten 960 Mastschweineplätze von rd.143 Großvieheinheiten als Emissionspotential ausgegangen (S. 5 Gutachten). Dieses entspricht nach der Grafik Bild 21 der VDI 3471 (Emissionsminderung Tierhaltung – Schweine) einem Richtlinienabstand von 260 m. Für die Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen für die Nachbarschaft bietet diese VDI-Richtlinie regelmäßig einen Anhaltspunkt. Die Richtlinie beruht auf der Erkenntnis, dass sich Geruchsbelästigungen durch eine räumliche Trennung von Wohnbebauung und Tierhaltung vermeiden oder vermindern lassen. Sie enthält in Abhängigkeit von der Bestandsgröße und weiteren Einflussfaktoren eine Abstandsregelung, die unter anderem danach differenziert, ob ein Wohnbauvorhaben in einem dörflich geprägten Gebiet bzw. im Außenbereich oder in einem sonstigen Baugebiet verwirklicht werden soll. Sie ist damit eine brauchbare und im Allgemeinen unverzichtbare Entscheidungshilfe für die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geruchsbelastungen aus der Schweinehaltung (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 – 4 C 19.90BRS 55 Nr. 175; Nds. OVG, Urteil vom 25. Juli 2002 – 1 LB 980/01 V.n.b. m. w. N.). Da das Grundstück der Antragsteller im Außenbereich liegt, konnte der Richtlinienabstand gem. Ziff. 3.2.3.2 VDI Richtlinie 3471 halbiert werden. Der Gutachter ist von einem tatsächlichen Abstand zwischen dem Emissionsschwerpunkt und dem schutzwürdigen Wohnbereich der Antragsteller von 132 m ausgegangen (Tabelle S. 8 Gutachten). Ob dieser Abstand tatsächlich 128 m beträgt – wie die Antragsteller vortragen – kann offen bleiben. Auch kann offen bleiben, ob der Emissionsschwerpunkt an der südöstlichen Gebäudeecke des geplanten Stallneubaus korrekt gewählt ist. Zwar spricht einiges dafür, da der Gutachter der Landwirtschaftskammer Weser-Ems den gemeinsame Emissionsschwerpunkt der Hofstelle nach dem Berechnungsmodus des Flächenschwerpunktsatzes errechnet hat (S. 7 Gutachten). Selbst wenn maßgeblich die Abluftschächte des Stallgebäudes wären, die mindestens 1,5 m über Firsthöhe liegen müssen und somit der Emissionsschwerpunkt um ca. 8 m näher an das Antragstellergrundstück heranrücken würde, wäre der aus Immissionsschutzgründen erforderliche Mindestabstand zwischen dem Vorhaben und dem Antragstellergrundstück noch deutlich eingehalten. Da der halbierte Richtlinienabstand von 130 m gegenüber einem südlich des Baugrundstücks liegenden Wohngrundstück nicht eingehalten wurde, hat die Landwirtschaftskammer Weser-Ems eine Sonderbeurteilung unter Berücksichtigung der Windhäufigkeiten durchgeführt (S. 8f Gutachten). Diese Sonderbeurteilung gelangt zu dem Ergebnis, dass die nach Auffassung des Gutachters der Landwirtschaftskammer Weser-Ems im Außenbereich maßgebliche Geruchsbelastung von 1 GE/m³ in 10 % der Jahresstunden-Grenzwert auf keinem der umliegenden Wohngrundstücke erreicht wird. Die betreffende Isoplethe (Anhang 3 zum Gutachten) verläuft ca. 40 m vor dem Wohngrundstück der Antragsteller. Deren Grundstück liegt nordwestlich des Baugrundstückes und damit außerhalb einer Hauptwindrichtung. Es kann hier auch dahinstehen, ob der von der Landwirtschaftskammer angenommene Grenzwert zutreffend ist oder ob nicht für den Außenbereich ein Grenzwert von 3 GE/m³ < 5 % der Jahresstunden anzunehmen ist. Selbst wenn dieses der Fall wäre, führte der hier angenommene Grenzwert von 1 GE/m³ < 10 % der Jahresstunden eher zu einem für die Antragsteller günstigeren Ergebnis, da der Grenzwert von 3 GE/m³ <  der Jahresstunden eher zu zu geringen Abständen führt (vgl. Urteil der Kammer vom 25. Januar 2001 – 4 A 2471/99; Nds. OVG, Beschluss vom 15. März 1996 – 7 M 1985/94 – V.n.b.). Der Ferkelaufzuchtstall nördlich des Antragstellergrundstücks war in dem Gutachten nicht zu berücksichtigen. Durch den Betrieb des Aufzuchtstalles kann es nicht zu einer Kumulation mit den Immissionen aus dem Schweinestall kommen, sofern der Aufzuchtstall als 100 Punkte-Stall entsprechend der VDI 3471 betrieben wird. Die Ställe liegen bezogen auf das Antragstellergrundstück in etwa gegensätzlichen Richtungen. Ausgehend von einem 100-Punkte-Stall beträgt der Richtlinienabstand für den Ferkelstall nach der VDI 3471 130 m. Nach den Feststellungen des Antragsgegners beträgt der tatsächliche Abstand zwischen dem Wohngrundstück der Antragsteller und dem Ferkelstall 140 m. Diese Annahme entspricht den Abständen, die  dem Katasterauszug Maßstab 1 : 2500 (Bl. 42 Gerichtsakte) zu entnehmen sind. Selbst wenn die Angaben der Antragsteller zutreffen sollten, wonach der Abstand lediglich 124 m beträgt, sind für ihr Grundstück durch den Ferkelstall keine unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigungen zu erwarten. Aufgrund der Außenbereichslage ihres Grundstücks kann der Richtlinienabstand auch insoweit halbiert werden, d.h. 65 m Abstand sind ausreichend. Allerdings ist sicherzustellen, dass der Ferkelaufzuchtstall auch als 100-Punkte-Anlage betrieben wird. Aufgrund von Beschwerden der Antragsteller wurden mehrere Ortstermine durch den Antragsgegner unter Beteiligung u.a. der Landwirtschaftskammer Weser - Ems durchgeführt, um die Geruchsbeeinträchtigungen durch den Ferkelaufzuchtstall festzustellen. Am 29. Juli 2002 wurden in einem Abstand von ca. 120 m von dem Stall wahrnehmbare Geruchsschwaden festgestellt. Zwar waren nach Änderung des Lüftungssystems anlässlich einer Ortsbesichtigung am 13. August 2002 in 100 m Entfernung keine Gerüche wahrnehmbar. In dieser Entfernung wurden jedoch am 2. September 2002 wiederum Gerüche festgestellt, so dass möglicherweise die Abluftanlage oder sonstige Betriebseinrichtungen und Abläufe zu ändern sind, damit hinsichtlich des Ferkelaufzuchtstalles tatsächlich von einem 100-Punkte-Stall auszugehen ist. Nach der Genehmigungslage war der Aufzuchtstall für die Immissionsberechnung nicht zu berücksichtigen, so dass die Baugenehmigung für den Schweinemaststall unter Berücksichtigung nachbarschaftlicher Belange der Antragsteller rechtmäßig erteilt wurde.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) waren nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, da er einen erfolgreichen Antrag gestellt hat. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG und orientiert sich der Höhe nach an dem Streitwertkatalog des Nds. OVG für Bausachen (Nds. VBl. 2002, S. 192; dort Ziff. 8 a, 18 b).