Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 17.09.2002, Az.: 12 A 34/01
Bestandsregister; höhere Gewalt; Kennzeichnung; Kürzung; Ohrmarke; Prüfbericht; Rind; Rindfleischerzeugerprämie; Sanktion; Sonderprämie; Verlust der Ohrmarken
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 17.09.2002
- Aktenzeichen
- 12 A 34/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43651
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 10 Abs 4 EWGV 3887/92
- Art 10 Abs 5 EWGV 3887/92
- Art 11 Abs 3 EWGV 3887/92
- Art 8 EWGV 3886/92
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Verlust beider Ohrmarken führt zur Kürzung der Sonderprämie für Rindfleischerzeuger, ohne dass es auf ein Verschulden oder sonst vorwerfbares Verhalten des Landwirtes ankommt.
Tatbestand:
I. Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung einer ihm von dem Beklagten gewährten Sonderprämie für männliche Rinder für das Jahr 1999.
Der Kläger beantragte die Gewährung einer Sonderprämie für männliche Rinder (Rindersonderprämie 1999) jeweils als Einmalprämie für Bullen am 7. Mai 1999 für sechs männliche Rinder, am 10. Juni 1999 für vier weitere Rinder und am 8. Dezember 1999 für weitere acht, somit für insgesamt achtzehn männliche Rinder.
Der Beklagte führte nach den Angaben im Prüfbericht vom 13. März 2000 am 6. März 2000 auf dem Betrieb des Klägers eine "Vor-Ort-Kontrolle" der Rindviehbestände durch. Nach den Angaben in diesem Prüfbericht seien im Betrieb des Klägers insgesamt 61 Rinder, davon 34 männliche Rinder, vorgefunden worden. Das Bestandsregister sei aktuell und vollständig geführt, 58 Tiere seien korrekt gekennzeichnet gewesen. Bei zwei seit dem 01.01.1998 geborenen Tieren seien beide Ohrmarken verloren bzw. ausgerissen. In den Bemerkungen heißt es:
"Zu K2 u. K3: lfd Nr. 19 u. 20 sind im BR vollständig eingetragen und Pässe auch. Beide Tiere sind Deutsche Angus, die am 30.9.99 vom Händler B. V A zugegangen sind. Aufgrund des vollständig BR sind diese Tiere den OM zuzuordnen. Außerdem waren bereits diese Tiere im BR durch "V" gekennzeichnet. Betriebsl . gibt an, die OM seien bestellt, jedoch immer noch nicht eingetroffen.
lfd Nr. 18: Diese OM ist erst gestern verloren gegangen. Tier durch verbliebene OM und Alter zweifelsfrei identifiziert."
Mit Schreiben vom 11. März 2000 an den Beklagten wies der Kläger darauf hin, dass bei den beanstandeten Tieren die Ohrmarken zwar fehlten, er habe die Ohrmarken aber bereits beim VIT/Verden bestellt. Am Tag der Kontrolle sei dann das Fehlen der jeweils zugehörigen zweiten Ohrmarke eingetreten.
Mit Bescheid vom 2. Juni 2000 gab der Beklagte dem Antrag des Klägers auf Gewährung der beantragten Sonderprämie für Rindfleischerzeuger 1999 für 18 Rinder in Höhe von insgesamt 2.871,16 DM statt. Den Hinweisen und Anlagen zu diesem Bescheid lässt sich entnehmen, dass die Sonderprämie aufgrund der Beanstandungen im Rahmen der Vor-Ort-Kontrolle um 6,25 % gekürzt worden sei.
Zur Begründung seines gegen diese Kürzung eingelegten Widerspruchs gab der Kläger an, dass er für beide Bullen, bei denen die Ohrmarken nicht vorgefunden worden seien, die ersten Ohrmarken am 2. März 2000 nachbestellt habe. Am Tage der Kontrolle seien die jeweils zweiten Ohrmarken abgefallen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2000 wies die Bezirksregierung Weser-Ems den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus: Maßgebend für die Kürzung der Prämie sei allein das Nichtvorhandensein der Ohrmarken. Der vom Kläger angeführte Sachverhalt führe zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.
Der Kläger hat am 4. Januar 2001 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen und führt insbesondere an, dass er das Fehlen der Ohrmarken nicht zu vertreten habe. Es verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, ausschließlich auf das formale Nichtvorhandensein der Ohrmarken am Tag der Vor-Ort-Kontrolle abzustellen. Allein die mangelhafte Ausführung der Ohrmarken habe zum Verlust geführt, dies dürfe ihm nicht angelastet werden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 2. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 13. Dezember 2000 zu verpflichten, ihm die Sonderprämie für Rindfleischerzeuger 1999 ungekürzt zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die selbständig im Wege der Anfechtungsklage anfechtbare Kürzung der dem Kläger im Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 13. Dezember 2000 gewährten Sonderprämie für Rindfleischerzeuger 1999 um 6,25 % ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs.1 Satz 1 VwGO).
Die Kürzung der dem Kläger gewährten Sonderprämie für die im Jahr 1999 beantragten 18 Tiere um 6,25 % beruht auf Art. 10 Abs. 4 Unterabsatz 2 i.V.m. Unterabsatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (Amtsblatt EG Nr. L 391/36 vom 31. Dezember 1992) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 1678/98 der Kommission vom 29. Juli 1998 (Amtsblatt EG Nr. L 212 vom 30. Juli 1998) -VO (EG) Nr. 3887/92-. Danach wird bei der Gewährung der Sonderprämie für männliche Rinder (Art. 8 der Verordnung <EWG> Nr. 3886/92) der Gesamtbetrag der in den letzten 12 Monaten vor der Vor-Ort-Kontrolle gestellten Anträge - "sofern im Rahmen einer Vor-Ort-Kontrolle festgestellt wird, dass die Anzahl der auf dem Betrieb festgestellten, für eine Gemeinschaftsbeihilfe in Betracht kommenden Tiere nicht der Anzahl der im Register geführten beihilfefähigen Tiere oder der Anzahl der im Betrieb vorhandenen Pässe der beihilfefähigen Tiere entspricht," - entsprechend gekürzt außer in Fällen höherer Gewalt. Es wird keine Prämie gewährt, wenn die bei der Vor-Ort-Kontrolle festgestellte Differenz mehr als 20 % der Anzahl der vorhandenen beihilfefähigen Tiere beträgt oder bei zwei Kontrollen innerhalb eines Kalenderjahres jedesmal eine Differenz von wenigstens 3 % und wenigstens zwei Tieren festgestellt wird. Dabei gilt nach Art. 10 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 3887/92 in der genannten Fassung ein Rind als festgestellt, wenn es u.a. gemäß Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 mit Ohrmarken gekennzeichnet ist. Weiter heißt es in der genannten Vorschrift: "Ein Rind, das eine der beiden Ohrmarken verloren hat, gilt jedoch als festgestellt, wenn es durch die Erfüllung aller anderen in Unterabsatz 1 genannten Bedingungen eindeutig identifiziert werden kann. Darüber hinaus wird die Gemeinschaftsbeihilfe für Rinder, die fehlerhaft in das Register eingetragen wurden oder deren Pässe durch das Verschulden des Antragstellers fehlerhafte Angaben über das Geburtsdatum, Geschlecht, Umsetzungen oder das Todesdatum enthalten, nur dann nach Maßgabe der Abs. 2, 3 und 4 gekürzt, wenn solche Fehler bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten festgestellt werden."
Nach diesen Regelungen war die dem Kläger zu gewährende Sonderprämie um 6,25 % zu kürzen. Zum Zeitpunkt der Vor-Ort-Kontrolle befanden sich auf dem Betrieb des Klägers 34 männliche Rinder. Bei zwei Tieren waren die beiden Ohrmarken herausgerissen, so dass nur 32 Tiere ordnungsgemäß mit den Doppelohrmarken gekennzeichnet waren. Da bei zwei Tieren beide Ohrmarken fehlten, gelten diese Tiere als "nicht festgestellt" im Sinne des Art. 10 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 3887/92.
Die für den Verlust einer Ohrmarke geltenden Regelungen des Art. 10 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 3887/92 sind hier nicht anzuwenden. Nach der zitierten Regelung ist die Sanktionsregelung nicht anzuwenden, wenn eine Identifizierung über andere Bedingungen möglich ist. Voraussetzung ist allerdings, dass nur eine Ohrmarke fehlt. Nach Art. 4 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 820/97 dürfen Ohrmarken mit Genehmigung der zuständigen Behörde ersetzt werden. Nach § 24 d Abs. 4 Viehverkehrsverordnung muss der Tierhalter bei Verlust einer Ohrmarke unverzüglich eine Ersatzohrmarke bestellen und das Tier erneut kennzeichnen. Kommt der Halter dieser Verpflichtung nach, sind die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 5 VO (EWG) Nr. 3887/92 erfüllt. Diese Regelung greift allerdings dann nicht, wenn dem Tier - wie im vorliegenden Verfahren - beide Ohrmarken fehlen.
Eine Kürzung bzw. unter den genannten Voraussetzungen auch der völlige Wegfall einer Prämie hängt ausschließlich von objektiven Voraussetzungen ab. Ein vorwerfbares oder schuldhaftes Verhalten des betroffenen Landwirts ist nicht Voraussetzung. Der europäische Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die strengen Sanktionsregelungen, die auf ein Verschulden nicht abstellen, nicht unverhältnismäßig sind. Diese Sanktionen sind für die Erreichung der mit den Regelungen verfolgten Ziele, Unregelmäßigkeiten und Betrügereien zu verhindern, angemessen und erforderlich (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 1993 - C-365/92 -, NVwZ 1994, 471). Zur entsprechenden Regelung in Art. 10 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3887/92 hat der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 16. Mai 2002 - RsC-63/00 - ausgeführt, dass der Beihilfesatz auch dann zu kürzen sei, wenn die Differenz zwischen der Zahl der angegebenen Tiere und der Zahl der bei der Kontrolle festgestellten Tiere nicht auf falschen Angaben des Antragstellers, sondern darauf beruhe, dass hinsichtlich einzelner Tiere die Prämienvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Dies laufe dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zuwider. Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-354/95 führt der Europäische Gerichtshof aus, dass diese Auslegung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zuwiderlaufe. Es könne angesichts des weiten Ermessens der Gemeinschaftsorgane auf diesem Gebiet nicht als ungerechtfertigt oder unverhältnismäßig angesehen werden, dass eine abschreckende und wirksame Sanktion verhängt werde. Dies gelte vor allem deshalb, weil je nach der Schwere der begangenen Unregelmäßigkeit abgestufte Sanktionen vorgesehen seien. Deshalb sei es weder ungerechtfertigt noch unverhältnismäßig, auch einem landwirtschaftlichen Betriebsinhaber, dem, wenn auch in gutem Glauben und ohne Betrugsabsicht, ein Irrtum unterlaufe, eine Sanktion auferlegt werde.
Auch ein Fall höherer Gewalt ist nicht anzunehmen. Was als höhere Gewalt angesehen werden kann, ist in Art. 11 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 3887/92 geregelt. Einer der beispielhaft aufgezählten Fälle liegt unzweifelhaft nicht vor. Unter besonderen Umständen, die im Einzelfall zu berücksichtigen sind und die zur Annahme des Falles einer höheren Gewalt führen können, sind vergleichbare Sachverhalte anzunehmen. Anhaltspunkte für eine solche Gleichstellung liegen hier nicht vor, es handelt sich im vorliegenden Fall um Umstände, die allein im Einflussbereich des Klägers liegen. Der Verlust von Ohrmarken ist nicht ein solcher ungewöhnlicher Umstand, dass er dem Betriebsinhaber nicht mehr zugerechnet werden kann, er ist, soweit es um den Verlust einer Ohrmarke geht, in den Beihilferegelungen auch angesprochen. Dass einem Tier gleichzeitig bzw. in einem Abstand von wenigen Tagen beide Ohrmarken ausgerissen werden, ist als Einzelfall zu werten und kein Fall höherer Gewalt.