Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.09.2002, Az.: 7 B 3625/02

Alkohol; Betäubungsmittel; Cannabis; Drogenmissbrauch; Drogenscreening; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; Marihuana; regelmäßiger Konsum; ärztliches Gutachten

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.09.2002
Aktenzeichen
7 B 3625/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41916
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 15.11.2002 - AZ: 12 ME 700/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (NJW 2002, 2378 ff. [BVerfG 20.06.2002 - 1 BvR 2062/96]) ist die einmalige monatliche Einnahme von Cannabis lediglich ein gelegentlicher Konsum im Sinne der Anlage 4 Ziff. 9 zur FeV. Diese begründet keine hinreichende Anhaltspunkte für einen regelmäßigen Konsum, so dass die Anordnung eines Drogenscreenings nicht gerechtfertig ist.Ein regelmäßiger Konsum von Cannabis setzt eine tägliche oder nahezu tägliche Einnahme voraus.

Gründe

1

Das nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Begehren ist begründet. Das Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die angegriffene Verfügung des Antragsgegners rechtlich zu beanstanden ist.

2

Die Anordnung, ein auf sechs Drogenscreenings beruhendes ärztliches Gutachten vorzulegen (Schreiben des Antragsgegners vom 5. Februar 2002), war voraussichtlich rechtswidrig. Nach §§ 46 Abs. 3, 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens dann zu verlangen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG vorliegt. So liegt der Fall hier. Der Antragsteller wurde am 13. Oktober 2001 von Mitarbeitern des Zollkommissariats Brake in der Wohnung eines Freundes beim Konsum von Marihuana angetroffen.

3

Einschränkend gilt allerdings Folgendes: Beim Konsum von Cannabis fehlt gem. § 11 Abs. 1 iVm Anlage 4, Ziff 9.2. FeV die Fahreignung grds. nur dann, wenn eine regelmäßige Einnahme festgestellt werden kann (vgl. auch BR-Drs. 443/98, S. 261, abgedruckt bei: Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, Rn. 1 zu § 14 FeV). Bei einem gelegentlichem Gebrauch ist dagegen die Fahreignung nur ausnahmsweise nicht gegeben, etwa wenn der Konsum und das Führen von Fahrzeugen nicht getrennt werden kann oder zusätzlich ein Gebrauch von Alkohol vorliegt.  Für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens als vorbereitender Maßnahme ist nicht der Nachweis eines regelmäßigen Konsums erforderlich. Denn dann müsste gem. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV wegen feststehender Ungeeignetheit die Fahrerlaubnis ohne weiteres entzogen werden. Ausreichend ist, dass Tatsachen auf einen regelmäßigen Cannabisgebrauch hinweisen. Auch daran fehlt es hier.

4

Das BVerfG hat im Beschluss vom 20. Juni 2002 (- 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378 <2379>) unter Auswertung eingeholter Gutachten und anderer sachverständiger Äußerungen festgestellt, dass die körperlich-geistige Leistungsfähigkeit des Konsumenten in der Regel dann dauerhaft fahreignungsrelevant abgesenkt ist, wenn „über einen längeren Zeitraum erheblicher Drogenmissbrauch geübt worden ist.“ In dem vom BVerfG eingeholten über das Internet abrufbaren Gutachten von Prof. Dr. B. (vgl. a.a.O. www.bverfg.de, Rz. 33) ist ausgeführt, dass es an einer allgemein anerkannten Definition des Begriffes „regelmäßiger Einnahme“ fehle. Es wird darin aber berichtet, dass in einem Protokoll über ein Expertengespräch in der Bundesanstalt für Straßenwesen am 18. März 1998 ein solcher als „täglich oder gewohnheitsmäßig, ohne dass Missbrauch oder Abhängigkeit vorliegt“ beschrieben werde (vgl. auch die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand: Februar 2000, S. 43 „täglich oder gewohnheitsmäßig“) . Auch andere in dem Gutachten von Prof. Dr. B. erwähnte wissenschaftliche Stellungnahmen gehen von einem nahezu täglichen Konsum aus. Es  gibt hiernach - vor allem innerhalb der Landesverwaltungen - allerdings auch die Auffassung, dass schon bei einem deutlich geringerem Konsum von einem gewohnheitsmäßigem Gebrauch auszugehen sei (vgl. auch Erlass des Nds. Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr vom 19. Dezember 1997, S. 5). Angesichts des Umstandes, dass das BVerfG (a.a.O. <S. 2379>) festgestellt hat, dass die Gefahren, die von Cannabiskonsumenten für den Straßenverkehr ausgehen, in früheren Jahren eher überschätzt worden sind, erscheint dem Gericht die offenbar ganz überwiegende fachwissenschaftliche Auffassung jedenfalls für das einstweilige Rechtsschutzverfahren als vorzugswürdig.

5

Der damals 18-jährige Antragsteller hat bei seiner polizeilichen Vernehmung am 8. November 2001 angegeben, dass er seit seinem 16. Lebensjahr anlässlich von Feiern etwa einmal im Monat Haschisch oder Gras zu sich nehme. Dies ist nach dem Vorstehenden lediglich ein gelegentlicher Cannabiskonsum. Von einem regelmäßigen Drogenmissbrauch ist dieses Verhalten weit entfernt. Darüber hinaus gehende Anhaltspunkte, die auf einen nahezu täglichen Gebrauch schließen lassen, sind in Würdigung des Berichts des Zollkommissariats Brake vom 13. Oktober 2001 und der Angaben des Antragstellers bei der polizeilichen Vernehmung am 8. November 2001 nicht erkennbar. Die noch vorgefundene Menge Cannabis war mit 1,2 g nicht ungewöhnlich groß. Der Konsum erfolgte an einem Samstagnachmittag vor dem geplanten Besuch einer Feier.  

6

Selbst wenn man dem nicht folgte, würde sich der Bescheid des Antragsgegners voraussichtlich als rechtswidrig erweisen..

7

Die drei negativen Urinkontrollen in der Zeit von Anfang bis Mitte April belegen nämlich hinreichend, dass der Antragsteller vor und während dieser Zeit nicht nahezu täglich Cannabis konsumiert haben kann. Cannaboide lassen sich bei häufigem Konsum noch über längere Zeit nachweisen. Die weiteren angeordneten drei Kontrollen waren danach entbehrlich. Sie hätten nicht mehr als einen die Fahreignung grds. nicht ausschließenden gelegentlichen Konsum  belegen können. Einen Nachweis der Cannabisabstinenz, wie ihn offenbar der Antragsgegner für erforderlich hält, musste der Antragsteller dagegen nicht führen.

8

Die Anordnung des medizinisch-psychologischen Gutachtens (Schreiben vom 13. Juni 2002) war danach voraussichtlich ebenfalls rechtswidrig. Ein solches kann bei einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis nur dann angeordnet werden, wenn weitere Tatsachen Zweifel an der Fahreignung begründen (§ 14 Abs. 1 Satz 4 FeV). Hier fehlt es an Tatsachen, die es naheliegend erscheinen lassen, dass der Antragsteller den Cannabiskonsum und das Fahren nicht hinreichend sicher trennen kann. Anhaltspunkte für den vom Antragsgegner befürchtete Mischkonsum mit Alkohol fehlen. Der Antragsteller hat bei seiner polizeilichen Vernehmung am 8. November 2001 angegeben, sehr wenig Alkohol zu trinken. Im übrigen sind entsprechende Zweifel in dem Schreiben vom 13. Juni 2002 nicht,  wie in § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV vorausgesetzt, dargelegt worden.

9

Schließlich spricht auch die Verweigerung der dem Antragsteller am 19. Juli 2002 angebotenen Haaranalyse nicht gegen die Fahreignung des Antragstellers. Wie ausgeführt, brauchte er den Nachweis der Abstinenz von Cannabisprodukten nicht führen.

10

Das Gericht weist abschließend noch auf Folgendes hin: Der Antragsteller gehört wohl zu den Personen, bei denen wegen ihres jugendlichen Alters auch ein gelegentlicher Konsum von Cannabis zu einer dauerhaften Verminderung der körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit  führen kann (vgl. BVerfG a.a.O). Dies müsste ggfs. mit einer den Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV genügenden Begründung  durch eine Anordnung zur Einholung eines entsprechenden medizinisch-psychologischen Gutachtens näher aufgeklärt werden.

11

Die Nebenentscheidungen folgen aus den § 154 Abs. 1 VwGO, § 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG.

Sonstiger Langtext

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Rechtsmittelbelehrung

13

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses bei dem

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Verwaltungsgericht Oldenburg,

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Schloßplatz 10, 26122 Oldenburg,

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schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingeht.

17

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.

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Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 EUR übersteigt. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem

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Schloßplatz 10, 26122 Oldenburg,

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schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingeht.

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Der Beschwerdeführer muss sich von einem Rechtsanwalt oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt oder einer nach § 67 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 VwGO zur Vertretung berechtigten Person als Bevollmächtigten vertreten lassen.