Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.05.2000, Az.: 9 L 2479/99
Frontmeterlänge; Frontmetermaßstab; Gebühr; Hinterlieger; Hinterliegergrundstück; nicht befahrbarer Wohnweg; Nichtbefahrbarkeit; Straßenreinigung; Straßenreinigungsgebühr; Wohnweg
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.05.2000
- Aktenzeichen
- 9 L 2479/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41975
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 11.02.1998 - AZ: 1 A 2626/94
Rechtsgrundlagen
- § 52 StrG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ist ein Stichweg, der nicht der gemeindlichen Straßenreinigungspflicht unterliegt, nicht uneingeschränkt dem öffentlichen Straßenverkehr gewidmet (hier: 3 m breiter und 56 m langer "befahrbarer Gehweg"), sind die Eigentümer der daran angrenzenden Grundstücke als sog. Hinterlieger für die Straße straßenreinigungsgebührenpflichtig, in die der Stichweg einmündet (im Anschluss an die Urteile des Senats vom 24.1.1990 - 9 L 43/89 - dng 1990, 198 und vom 20.11.1989 - 9 L 24/89 - NSt-N 1990, 150).
2. Zur Bemessung der Frontmeterlänge bei einem Hinterliegergrundstück.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu Straßenreinigungsgebühren.
Er ist Eigentümer eines mit einem Reihenhaus bebauten Grundstücks sowie eines dazugehörigen, etwas abgesetzt, nämlich am Ende eines Wendehammers liegenden Garagengrundstücks. Der Kläger erreicht sein Grundstück über einen Stichweg von 3 m Breite und ca. 45 m Länge mit einem abschließenden, kleineren Wendehammer (Gesamtlänge ca. 56 m). Der zum Grundstück des Klägers führende Weg hat -- ebenso wie drei weitere abzweigende Wege -- keine eigene Straßen- bzw. Wegebezeichnung. Das Reihenhausgrundstück grenzt mit seiner (Schmal-)Seite von 10 m an den Stichweg an. Die zur gereinigten Straße parallel verlaufende Längsseite ist 27 m lang. Der Stichweg ist von der Beklagten als "befahrbarer Gehweg" gewidmet worden. Die abzweigenden Wege sind -- nach einem im Straßenverzeichnis aufgenommenen Zusatz ("außer Stichstraßen") von der städtischen Straßenreinigung ausgenommen.
Der Kläger ist bis Mitte des Jahres 1993 nicht zur Zahlung von Straßenreinigungsgebühren herangezogen worden. Der Rat der Beklagten änderte seine Straßenreinigungssatzung mit Wirkung vom 1. Juli 1993 um die sog. Hinterlieger-Regelung, die es nunmehr -- erstmals -- ermöglichte, neben den Eigentümern von Anliegergrundstücken auch die Eigentümer von Hinterliegergrundstücken zur Zahlung von Straßenreinigungsgebühren heranzuziehen. § 7 der Satzung lautet wie folgt:
Bemessungsgrundlage
(1) Die Höhe der Gebühren bestimmt sich nach der Frontlänge des Grundstücks -- auf volle oder halbe Meter abgerundet -- und nach der Reinigungsklasse, zu der die Straße nach dem Straßenverzeichnis gehört.
(2) Frontlänge im Sinne des Absatzes 1 ist die Grundstücksseite, mit der das Grundstück an der zu reinigenden Straße anliegt. Grundstücke, die an mehreren zu reinigenden Straßen oder mehreren Abschnitten derselben zu reinigenden Straße angrenzen, sind mit allen Frontlängen zu veranlagen.
Bei Grundstücken, die nicht mit der gesamten der Straße zugewandten Grundstücksseite an die Straße angrenzen, werden -- zusätzlich zu den Frontmetern nach Satz 1 -- auch die Frontmeter gemäß Abs. 3 Sätze 1 und 2, für den nicht anliegenden Teil der Grundstücksseite berechnet.
(3) Bei Grundstücken, die nicht an den von der Stadt zu reinigenden Straßen liegen, durch sie aber erschlossen werden (Hinterliegergrundstücke), gilt als Frontlänge die Länge der Grundstücksseite, die der zu reinigenden Straße zugewandt ist. Zugewandte Grundstücksseiten sind diejenigen Abschnitte der Grundstücksbegrenzungslinie, die zu der Straßengrenze oder deren in gerader Linie gedachten Verlängerung in einem Winkel bis einschl. 45 Grad verlaufen.
Wird ein Hinterliegergrundstück durch mehrere Straßen erschlossen, so ist die Gebühr nach der Straße zu berechnen, von der aus das Grundstück seine hauptsächliche Erschließung erhält. Hauptsächlich erschlossen wird das Grundstück durch die Straße, zu der unmittelbar der Weg führt, an dem das Grundstück seinen Hauptzugang hat. Bei gleicher Erschließungssituation zu mehreren Straßen wird die Gebühr für alle Straßen berechnet und durch die Anzahl der erschließenden Straßen geteilt."
Mit Wirkung vom 1. Juli 1993 setzte die Beklagte eine monatliche Straßenreinigungsgebühr des Klägers von 28,80 DM fest. Dabei legte sie für das Reihenhausgrundstück eine Frontlänge von 27 m und für das Garagengrundstück eine solche von 3 m zugrunde, die sie jeweils mit dem Gebührensatz von 0,96 DM multiplizierte (27 m + 3 m = 30 m x 0,96 DM = 28,80 DM). Widerspruch und Klage blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Straßenreinigungsgebührenbescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist als sog. Hinterlieger für die Reinigung des M. Weges straßenreinigungsgebührenpflichtig.
Rechtliche Grundlage für die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren in Niedersachsen ist § 52 NStrG. Nach Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift sind Art, Maß und räumliche Ausdehnung der ordnungsgemäßen Straßenreinigung von der Gemeinde durch Verordnung nach dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz zu regeln. § 52 Abs. 3 Satz 1 regelt: "Führen die Gemeinden die Straßenreinigung durch, so gelten für die der Reinigung unterliegenden Straßen die Eigentümer der anliegenden Grundstücke als Benutzer einer öffentlichen Einrichtung im Sinne des kommunalen Abgabenrechts." Nach Satz 2 können die Gemeinden in der Straßenreinigungsgebührensatzung den Eigentümern der anliegenden Grundstücke die Eigentümer der übrigen durch die Straße erschlossenen Grundstücke und die Inhaber besonders bezeichneter dinglicher Nutzungsrechte gleichstellen. Der vom Landesgesetzgeber eingeräumten Möglichkeit der Gleichstellung von "Eigentümern der anliegenden Grundstücke" mit den "Eigentümern der übrigen durch die Straße erschlossenen Grundstücke" hat die Beklagte durch ihre zum 1. Juli 1993 in Kraft getretene geänderte Straßenreinigungssatzung Rechnung getragen. Mit Urteil vom 24. August 1994 (9 K 5140/93 -- NSt-N 1995, 15 = Nds.VBI 1995, 62) hat der Senat eine gegen diese Straßenreinigungssatzung gerichtete Normenkontrollklage abgewiesen. Er hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerwG festgestellt, dass es nicht dem Gleichheitssatz widerspricht, dass Eigentümer von Anliegergrundstücken und Eigentümer von Hinterliegergrundstücken aufgrund des Frontmetermaßstabes gebührenrechtlich gleich behandelt werden (vgl. dazu u.a. BVerwG, Beschl. v. 9.12.1993 -- 8 NB 5.93 -- KStZ 1994, 152 = NSt-N 1995,4; Beschl. v. 8.12.1986 -- 8 B 74.86 -- KStZ 1987, 72 = Buchholz 401.84 (Benutzungsgebühren) Nr. 60; Beschl. v. 19.3.1981 -- 8 B 10.81 -- KStZ 1981, 110 = Buchholz 401.84 (Benutzungsgebühren) Nr. 42; ferner BVerfG, Beschl. v. 17.2.1982 -- 1 BvR 863/81 u.a. -- ZKF 1982, 213). Der kommunale Satzungsgeber sei befugt, das objektive Interesse der Eigentümer anliegender und der Eigentümer hinterliegender, aber erschlossener Grundstücke an der Reinigung der Straße sowie den ihnen durch die Reinigungsleistung vermittelten Vorteil grundsätzlich gleich zu bewerten. Ausgangspunkt war dabei die Erwägung, dass die Straßenreinigungsgebühr nicht das Entgelt für die Durchführung der Reinigung einer bestimmten Straßenstrecke vor dem jeweiligen einzelnen Grundstück ist, für die dann auch die Gebührenpflicht des einzelnen Grundstückseigentümers entsteht. Vielmehr wird durch die Gebühr der besondere Vorteil abgegolten, der dem Grundstückseigentümer dadurch erwächst, dass die an seinem Grundstück vorbeiführende Straße in ihrer gesamten Länge durch die Gemeinde in einen sauberen Zustand versetzt wird. Dieser besondere Vorteil kommt nicht nur dem Eigentümer des an die zu reinigende Straße angrenzenden Grundstücks zu, sondern auch den Eigentümern der sog. Hinterliegergrundstücke. Anliegende und erschlossene Grundstücke werden also insoweit gleich behandelt.
Der Kläger ist straßenreinigungsgebührenrechtlich von der Beklagten zu Recht als Hinterlieger eingestuft worden. Der Senat hat sich in seinem Urteil vom 24. Januar 1990 (9 L 43/89 -- dng 1990, 198) mit dem Begriff des Hinterliegers auseinandergesetzt. Er hat in Anknüpfung an die Rechtsprechung des früher für das Straßenreinigungsgebührenrecht zuständigen 3. Senats zunächst diejenigen Grundstücke als Hinterliegergrundstücke angesehen, die von der zu reinigenden Straße über andere Privatgrundstücke oder Privatwege zu erreichen sind (Hinterlieger im engeren Sinne). Zusätzlich hat er dann den Kreis der Hinterliegergrundstücke um die an nicht befahrbare öffentliche Wohnwege angrenzende Grundstücke erweitert und in diesen Kreis sodann auch die Anlieger privater unbefahrbarer Wohnwege einbezogen (Hinterlieger im weiteren Sinne). Als maßgeblich für die Gleichstellung hat der Senat angesehen, dass die betreffenden Grundstücke nicht direkt an einer zu reinigenden Straße liegen, sie aber auf eine Verbindung zu ihr durch eine weitere -- untergeordnete -- Verkehrsanlage angewiesen sind. Der Senat sieht keine Veranlassung für eine Korrektur dieser Rechtsprechung. Er knüpft weiterhin an den um die an nicht befahrbare öffentliche Wohnwege angrenzende Grundstücke erweiterten Hinterliegerbegriff ausdrücklich an.
Bei dem zum Grundstück des Klägers führenden (Stich-)Weg handelt es sich -- wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat -- auch um einen "nicht befahrbaren" Wohnweg im obigen Sinne. Den Gesichtspunkt der Befahrbarkeit hat der Senat in seinem Urteil vom 20. November 1989 -- 9 L 24/89 -- NSt-N 1990, 150, angesprochen. Im Fall eines an einen 75 m langen und 3,50 m breiten öffentlichen und nicht gereinigten Stichweg angrenzenden Grundstückes hat der Senat die Hinterliegereigenschaft mit der Begründung verneint, dass der Stichweg "rechtlich und tatsächlich befahrbar" bzw. er "mit der ganzen Straße unbeschränkt für den öffentlichen Straßenverkehr gewidmet" sei. Der betreffende Grundstückseigentümer sei nicht straßenreinigungsgebührenpflichtiger Hinterlieger, sondern -- wegen der nicht durchgeführten Reinigung der Straße vor seinem Grundstück -- straßenreinigungsgebührenfreier Anlieger der Stichstraße. Wenn bei entsprechender tatsächlicher Ausgestaltung des Stichweges die Beklagte erreichen wolle, dass dieser nicht befahren werde, müsse sie dies "durch eine eingeschränkte Widmung" zum Ausdruck bringen. Eine derartig eingeschränkte Widmung liegt hier vor. Der von der gereinigten Straße abzweigende Weg ist als "befahrbarer Gehweg" gewidmet. Er steht damit dem öffentlichen Straßenverkehr nicht unbeschränkt zur Verfügung. Dies rechtfertigt die Heranziehung des Klägers als straßenreinigungsgebührenpflichtiger Hinterlieger zur gereinigten Straße.
Dieses Ergebnis bedeutet auch keine unzumutbare Schlechterstellung des Klägers im Verhältnis zu den Anliegern an gereinigten Straßen. Zutreffend ist zwar insoweit zunächst die Erwägung, dass der Kläger als Hinterlieger nach der Straßenreinigungssatzung der Beklagten zum einen für die Reinigung des 3 m breiten Weges verantwortlich ist, da dieser Weg nach dem im Straßenverzeichnis aufgenommenen Zusatz "außer Stichstraßen" von der Beklagten nicht gereinigt wird (§ 4 Abs. 2), der Kläger zum anderen aber als Hinterlieger zur gereinigten Straße gebührenpflichtig ist. Demgegenüber sind die Anlieger gereinigter Straßen wegen der von der Beklagten durchgeführten Straßenreinigung (nur) gebührenpflichtig, ohne dass sie -- zusätzlich -- insoweit eine Reinigungsverpflichtung trifft. Die Verantwortlichkeiten sind damit aber keineswegs ungleich verteilt. Denn auch die Anlieger einer gereinigten Straße trifft nach der Straßenreinigungssatzung der Beklagten eine Reinigungspflicht. Die städtische Reinigung erfasst nach dem Grundtatbestand des § 3 Abs. 1 Buchst. a der Straßenreinigungssatzung nur die Reinigung der Fahrbahnen einschließlich der Gossen und der dazu gehörigen Radwege und der öffentlichen Parkplätze, jedoch nicht auch die Reinigung der Gehwege. Auch bei gereinigten Straßen werden nach § 4 Abs. 1 der Straßenreinigungssatzung die Reinigung der Gehwege, die Beseitigung von Schnee sowie von Schnee- und Eisglätte auf den Gehwegen und die Freihaltung der Gossen von Schnee und Eis bei Tauwetter den Eigentümern der anliegenden Grundstücke auferlegt. Die dem Kläger überantwortete Reinigung des nur 3 m breiten Weges ist von der tatsächlichen Belastung her mit der Reinigung eines Gehweges jedenfalls im Regelfall vergleichbar.
Die vom Kläger zu zahlende Straßenreinigungsgebühr ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die in § 7 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 der Straßenreinigungssatzung der Beklagten für Hinterliegergrundstücke getroffene Bestimmung der Frontlänge hält der Senat nach erneuter Überprüfung weiterhin -- noch -- mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für vereinbar. Danach gilt die Länge der Grundstücksseite als die für die Berechnung der Straßenreinigungsgebühr maßgebliche Frontlänge, "die der zu reinigenden Straßen zugewandt ist". Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 24. August 1994 (aaO) "beachtliche Gründe" für eine denkbare andere Regelung angeführt. Angesichts des erforderlichen räumlichen Bezugs zu der zu reinigenden Straße sei es eher sachgerecht, bei der Bemessung der Gebühr als eines Gegenwertes für den durch die Straßenreinigung erbrachten Vorteil an die Grundstücksseite des Hinterliegergrundstücks anzuknüpfen, über die die Anbindung an das Verkehrsnetz stattfinde. Dies liege dem Merkmal der "Straßenfront" als Ansatz für den Frontmetermaßstab näher als eine bloß als "Frontlänge" gedachte parallel -- oder bis zu einem bestimmten Winkel -- verlaufende Seite des Hinterliegergrundstückes. Eine Anbindung zum abzweigenden Weg zugrunde gelegt, würde dies für den Kläger eine Frontlänge von nur 10 m, und nicht von 27 m, ergeben. Andererseits muss der Satzungsgeber nicht von Verfassungs wegen einer "absoluten Gerechtigkeit" Rechnung tragen (BVerfG, Beschl. v. 17.2.1982 -- 1 BvR 863/81 u.a. -- ZKF 1982, 213). Zwar ist einzuräumen, dass die von der Beklagten getroffene Regelung durchaus nicht nur in Einzelfällen zu Ergebnissen führt, die nicht unbedingt befriedigen. Darin liegt aber noch nicht ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Das Abgabenrecht kommt aus Gründen der Praktikabilität nicht umhin, sich mit einer Typengerechtigkeit zu begnügen, also auf das abzustellen, was sich an Konstellationen typischerweise ergibt (BVerwG, Beschl. v. 19.3.1981 -- 8 B 10.81 -- KStZ 1981, 110 = Buchholz 401.84 (Benutzungsgebühren) Nr. 42). Der -- schmale -- Reihenhauszuschnitt des Grundstücks des Klägers, der sich nur deswegen bei der Berechnung der zu zahlenden Straßenreinigungsgebühr erhöhend auswirkt, weil sein Grundstück mit der Längsseite "ungünstig" zur zu reinigenden Straße liegt, ist in diesem Sinne nicht eine typische Konstellation, der vom Satzungsgeber zwingend Rechnung getragen werden muss.