Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.05.2000, Az.: 12 M 1819/00

Abschiebung; Abschiebungsaussetzung; Asyl; Asylprozess; Asylverfahren; Ausschluss; Aussetzung; Beschwerde; Beschwerdeausschluss; Rechtsmittel; Rechtsmittelausschluss; Statthaftigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.05.2000
Aktenzeichen
12 M 1819/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 42015
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 20.04.2000 - AZ: 12 B 1578/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wendet sich ein im Asylverfahren erfolglos gebliebener Asylbewerber, gegen den eine auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes ergangene bestandskräftige Abschiebungsandrohung vorliegt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an das Verwaltungsgericht, um die Verpflichtung der Ausländerbehörde zu erstreiten, von Abschiebungsmaßnahmen auf der Grundlage der asylverfahrensgesetzlichen Abschiebungsandrohung gegen ihn abzusehen, handelt es sich auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgrichtes vom 25. September 1997 (- 1 BVerwG C 6.97 -, NVwZ 1998, 299 [BVerwG 25.09.1997 - BVerwG 1 C 6/97]) um eine Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist als nicht statthaft zu verwerfen, da Entscheidungen nach dem Asylverfahrensgesetz gemäß § 80 AsylVfG vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden können, damit ist auch ein Antrag auf Zulassung der Beschwerde nicht statthaft. Um eine Entscheidung nach dem Asylverfahrensgesetz handelt es sich bei dem angefochtenen Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt hat, die Antragsteller in die Bundesrepublik Jugoslawien abzuschieben, bevor rechtskräftig über ihre Klage (12 A 3110/98) entschieden worden ist, mit der die Antragsteller begehren, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, gemäß §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Bei der Beurteilung, welche Streitigkeiten dem Asylverfahrensgesetz zuzurechnen sind, folgt der Senat dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. September 1997 (1 BVerwG C 6.97 --, NVwZ 1998, 299 [BVerwG 25.09.1997 - BVerwG 1 C 6/97]), das darauf abhebt, ob die angefochtene oder begehrte Maßnahme oder Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im Asylverfahrensgesetz hat (aaO, S. 300). Diese Bewertung ist -- soweit nicht Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die es in Wahrnehmung der ihm vom Asylverfahrensgesetz übertragenen Aufgaben getroffen hat (diese Maßnahmen finden stets ihre rechtliche Grundlage im Asylverfahrengesetz), inmitten stehen -- mithin bei Maßnahmen und Entscheidungen anderer Behörden nach dem Gefüge und dem Sinnzusammenhang der einzelnen Regelungen zu beurteilen. Dabei sind die verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen im Hinblick auf die "Verzahnung" der Aufgaben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit denen der Ausländerbehörden bei der Aufenthaltsbeendigung (§§ 34 ff., 41 ff. AsylVfG) heranzuziehen. In der Regel endet die Zuständigkeit des Bundesamtes mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung und der Unterrichtung der Ausländerbehörde abgesehen von den von §§ 34a, 43a AsylVfG erfassten Konstellationen. Die Abschiebung obliegt der Ausländerbehörde. Über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) entscheiden die Ausländerbehörden, wobei die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung abgesehen von § 43 Abs. 3 AsylVfG in § 55 AuslG geregelt sind.

2

Auf dieser Grundlage hält es der Senat nicht für richtig, auf den subjektiven Willen des Gesetzgebers abzuheben (vgl. hierzu etwa: Hess. VGH, Beschl. v. 11.12.1997 -- 12 TG 4190/97 --, NVwZ-Beilage 1998, 46; Beschl. v. 3.2.1999 -- 3 TZ 4241/98 --). In dem Gesetzgebungsverfahren (BT-Drs. 12/2062, 12/2100, 12/2718) hat es der Gesetzgeber bewusst den Regelungen des allgemeinen Ausländerrechtes überlassen, die vollziehbare Ausreisepflicht durchzusetzen. Mithin kann dem Gesetzgebungsverfahren nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, die (für das Asylverfahren) beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung gebiete eine Auslegung dahin, dass alle Rechtsstreitigkeiten um die Vollstreckung von asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohungen unabhängig von der Kompetenzzuweisung oder einer materiell-rechtlichen Regelung im Asylverfahrensgesetz Rechtsstreitigkeiten im Sinne von § 80 AsylVfG seien (vgl. BVerwG, aaO, S. 300 f.). Indessen ist -- auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (aaO) -- eine Differenzierung geboten. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes (aaO, S. 300), die Ausländerbehörde entscheide eigenständig über die Duldungsvoraussetzungen gemäß §§ 55 Absätze 2 bis 4 AuslG, ist nicht hinreichend differenziert. Die Aufgabenverteilung zwischen dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Ausländerbehörden hat nämlich zur Folge, dass die Ausländerbehörden nicht für die Prüfung aller Abschiebungshindernisse zuständig sind, die zur rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG führen können. Gemäß §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 3 AsylVfG hat vielmehr allein das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach Stellung eines Asylantrages auch darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 AuslG vorliegen, wobei die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG die Ausländerbehörde bindet (vgl. BT-Drs. 12/2062, S. 34 u. 12/2718, S. 61). Die Ausländerbehörde ist beim Vollzug der Abschiebung an die positive oder negative Entscheidung des Bundesamtes gemäß § 42 AsylVfG gebunden hat und hat insoweit lediglich die Duldung zu erteilen oder zu versagen, nur im Falle der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat sie -- nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 AsylVfG -- eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 -- BVerwG 9 C 58.96 --, NVwZ 1998, 524).

3

Bei der hiernach gebotenen Auslegung des § 80 AsylVfG im Hinblick auf die Zuständigkeitsaufteilung zwischen dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Ausländerbehörden ergibt sich (vgl. König, Der Streit um die Anwendbarkeit des § 80 AsylVfG -- Wann liegt eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz vor?, NVwZ 2000, 268 (273 f.)):

4

Beruft sich ein Asylbewerber gegenüber der Ausländerbehörde darauf, zu seinen Gunsten lägen Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Absätze 1, 2 und 4 AuslG vor um eine Duldung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung zu erlangen, und begehrt er zur Sicherung dieses Anspruches die Aussetzung der im Asylverfahren angedrohten Abschiebung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes so ist für die Entscheidung, ob insoweit ein Abschiebungshindernis vorliegt, ausschließlich das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zuständig, und zwar auch dann, wenn seine zugleich mit der Ablehnung des Asylantrags getroffene negative Feststellung bestandskräftig geworden ist. Der Asylbewerber muss sich, wenn er neue Tatsachen geltend macht, in das Asylfolgeverfahren begeben. Solange das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seine frühere Entscheidung nicht aufgehoben hat, ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG an seine negative Feststellung gebunden. Sie ist deswegen gehindert, die Duldung zu erteilen, die auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 AuslG gestützt ist; die vom Ausländer begehrte Maßnahme ergeht aufgrund des Asylverfahrensgesetzes, wenn es um das "Ob" der generellen Zulässigkeit und nicht nur um das "Wie" und "Wann", also um die Art und Weise oder den Zeitpunkt der Abschiebung geht. Im Rahmen von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG -- geht es um sog. zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse -- kommt dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zwar nur die Aufgabe zu, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben oder Freiheit des Ausländers und damit die Tatbestandsvoraussetzungen festzustellen, an diese Feststellung ist aber die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG ebenfalls gebunden; nur für die Entscheidung der Rechtsfolge nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 AsylVfG ist die Ausländerbehörde in eigener Verantwortung zuständig, wobei sie allerdings im Falle einer positiven Feststellung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Vorschrift des § 41 Abs. 1 AsylVfG zu beachten hat, wonach für die ersten drei Monate eine gesetzliche Duldung vorgesehen ist.

5

Mithin handelt es sich auch um einen Rechtsstreit nach dem Asylverfahrensgesetz, wenn der Asylbewerber, dessen Begehren negativ beschieden worden ist, unter Berufung auf den nachträglichen Eintritt der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes neben einer Verpflichtungsklage, ggf. einer auf die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens gerichteten Klage, auf Feststellung der Voraussetzung des § 53 Abs. 6 AuslG vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Auch der Hinweis der Antragsgegnerin auf § 48 Abs. 3 AuslG ändert nichts daran, dass für die Frage der Einordnung als Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz oder als ausländerrechtliche Streitigkeit maßgeblich auf § 53 Abs. 6 AuslG abzustellen ist.

6

Bei Anwendung des aufgezeichneten Maßstabes zeigt sich, dass das Verwaltungsgericht hier eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz entschieden hat, da die Antragsteller, für die ein Asylfolgeverfahren noch bei dem Verwaltungsgericht anhängig ist (siehe oben), begehren, die Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, eine von dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verhängte Maßnahme nach §§ 34, 38 AsylVfG (Abschiebungsandrohung) nicht zu vollziehen, obwohl die Antragsgegnerin und deren Ausländerbehörde gemäß § 42 Abs. 1 AsylVfG an die Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gebunden ist, das festgestellt hat, dass zugunsten der Antragsteller (zielstaatsbezogene) Abschiebungshindernisse im Sinne von § 53 Abs. 6 AuslG, die von den Antragstellern auch im Folgeverfahren geltend gemacht werden, nicht bestehen.

7

Der Hinweis des Verwaltungsgerichtes, es habe die Rechtmäßigkeit der gegen die Antragsteller verhängten Ausweisungsverfügungen nebst Abschiebungsandrohungen in diesem Verfahren einerseits nicht zu beurteilen, andererseits komme aber "die Durchsetzung dieser Abschiebungsandrohung, also die tatsächliche Abschiebung nach den obigen Ausführungen bis zur Entscheidung über die von den Antragstellern zu dem Aktenzeichen 12 A 3110/98 erhobene Klage nicht in Betracht", ändert nichts daran, dass das Verwaltungsgericht eine Entscheidung aufgrund des Asylverfahrensgesetzes getroffen hat, da die eben bezeichneten Ausführungen nicht die Entscheidung tragende Erwägungen sind, sondern lediglich Hinweise, die das Verwaltungsgericht selbst formuliert hat. Der Senat äußert sich indessen nicht dazu, ob dieser Hinweis des Verwaltungsgerichtes rechtlich zutreffend ist, ob also die angefochtene Entscheidung die Antragsgegnerin hindern würde, auf einer anderen Rechtsgrundlage die Antragsteller abzuschieben (vgl. hierzu § 48 Abs. 3 AuslG).

8

Der Senat weist im Hinblick auf mögliche weitere ähnlich liegende Verfahren des Verwaltungsgerichtes vorsorglich darauf hin:

9

Nach dem Inhalt der Akten erscheint es äußerst zweifelhaft, ob die Antragsteller Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Roma sind, insofern hat das Verwaltungsgericht -- unzulänglicherweise -- den Akteninhalt nicht ausgewertet, sondern nach dem Inhalt der Entscheidung sich auf die bloße Behauptung der Antragsteller gestützt. Problematisch erscheint dem Senat auch die Vorgehensweise des Verwaltungsgerichtes, trotz einer im Hauptsacheverfahren ergangenen Entscheidung des Fachsenates (Beschl. v. 30.3.2000 -- 12 L 4192/99 --) in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ohne substantiierte Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Senates und ohne Verwertung aktueller Erkenntnismittel eine der Senatsentscheidung gegenteilige Auffassung im Hinblick darauf zu vertreten, dass die Kammer in dem Hauptsacheverfahren eine Entscheidung zur Situation der Roma im Kosovo noch nicht getroffen habe.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat weist darauf hin, dass gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG Gerichtskosten nicht anfallen und ein Streitwert nicht festzusetzen ist (die Festsetzung des Gegenstandswertes bedarf eines Antrags der Beteiligten, der zu beziffern ist).

11

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).