Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.05.2000, Az.: 11 L 1278/00

Aufenthaltsdauer; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltszweck; Ausreisegrund; Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung; Rückkehr; vorübergehender Grund

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.05.2000
Aktenzeichen
11 L 1278/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41559
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 4 A 1470/97

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Auslegung des § 44 Abs. 1 Nr 2 AuslG.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag des Klägers bleibt ohne Erfolg. Unter den in der Antragsschrift dargelegten Gesichtspunkten bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

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Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats liegen ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor, wenn erhebliche Gründe dafür geltend gemacht werden, dass das angefochtene Urteil einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Derartige Zweifel hat der Kläger hier nicht dargelegt. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei entschieden, dass die dem Kläger, einem türkischen Staatsangehörigen, am 22. November 1990 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erloschen ist.

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Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erlischt eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist. Dieser Erlöschungsgrund entspricht § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG 1965, so dass auf die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückgegriffen werden kann (vgl. GK-AuslR, § 44 AuslG Rdnr. 26). Ob die Voraussetzung des § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt ist, beurteilt sich nicht (allein) nach dem inneren Willen des Ausländers, sondern aufgrund einer Würdigung der gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalls (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.12.1988, Buchholz 402.24, § 9 AuslG Nr. 4 = InfAuslR 1989, 114 [BVerwG 30.12.1988 - BVerwG 1 B 135.88]). Je länger die Abwesenheit vom Bundesgebiet dauert und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- oder Erholungsaufenthalt im Ausland hinausgeht, desto mehr deutet darauf hin, dass die Abwesenheit nicht nur vorübergehender Natur ist. Die in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG festgelegte Höchstgrenze von sechs Monaten kann dabei durchaus ein Beurteilungskriterium bilden (vgl. Renner, AuslR, 7. Aufl., § 44 AuslG Rdnr. 9; Hailbronner, AuslR, § 44 AuslG Rdnr. 11). Der Ausländer kann das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung nicht dadurch vermeiden, dass er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten mehr oder weniger kurzfristig in das Bundesgebiet zurückkehrt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.12.1988, a.a.O.). Auch hindert die Ausreise zu einem zeitlich völlig unbestimmten Zweck und die Absicht, irgendwann in das Bundesgebiet zurückzukehren, das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht (BVerwG, Beschl. v. 4.5.1993 - 1 B 220.92 -). Anhaltspunkte für die Beurteilung des Ausreisegrundes als vorübergehend oder dauerhaft können neben Dauer und Zweck der Abwesenheit auch die Einstellung oder die Aufrechterhaltung von Beziehungen im Bundesgebiet sein. So sind Anzeichen für einen auf längere Zeit angelegten Auslandaufenthalt etwa Aufgabe von Arbeitsplatz und Wohnung, Mitnahme von Hausrat, Abbruch von familiären Kontakten oder die einwohnerpolizeiliche Abmeldung (vgl. GK-AuslR, § 44 AuslG Rdnr. 36; Hailbronner, a.a.O., § 44 Rdnr. 9; Renner, AuslR in Deutschland, 1999, S. 597). Die Absicht des Ausländers, nicht auf unabsehbare Zeit im Ausland zu bleiben, muss somit in objektiv nachprüfbarer Weise zum Ausdruck kommen.

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Nach diesen Maßstäben spricht Überwiegendes dafür, dass der Kläger aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausgereist ist. Dies ergibt sich bereits aus den eigenen Angaben des Klägers, der mit einer Landsmännin verheiratet ist und mit dieser zwei Kinder (geb. 10.10.1989 und 27.5.1992) hat. Es ist unstreitig, dass der damals 22-jährige Kläger Anfang März 1993 die gemeinsame Wohnung in S. (Am H. 129 a) verließ und am 7. März 1993 auf dem Luftweg in die Türkei reiste. Grund für den Weggang des Klägers soll ein "Zerwürfnis" mit seiner Ehefrau gewesen sein. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts erklärte der Kläger dazu ergänzend, dass er seinerzeit zu dem Entschluss gekommen sei, sein Leben einmal selbst in die Hand zu nehmen. Das Leben, das er geführt habe, sei nichts für ihn gewesen. Er habe damals schon eine Freundin gehabt, die ihm von Side in der Türkei vorgeschwärmt habe. Er habe dann ein paar Sachen zusammengepackt und sei einfach "abgehauen". In der Türkei habe er einen Job als Animateur im Club A. angenommen, den er aber mit der Zeit "etwas langweilig" gefunden habe. Er habe dort eine deutsche Familie kennen gelernt, die er in M. besucht habe. Aus dem Ausreisestempel in seinem Reisepass ergibt sich, dass er am 1. Juni 1993 die Türkei auf dem Luftweg verlassen hat. Ob er allerdings - wie er behauptet - anschließend in M. als Regisseur gearbeitet hat, bleibt unklar. In der anwaltlichen Aufstellung vom 18. Dezember 1997 wird als Aufenthaltsort vom 2. Juni bis zum 8. August 1993 R. am N. angegeben, wo eine Freundin von ihm leben soll, die er in S. kennen gelernt habe. Diese Freundin habe ein Kind von ihm, das am 30. April 1994 geboren sei. Diese letztere Angabe des Klägers stimmt mit den Feststellungen in den Verwaltungsvorgängen des Beklagen überein. Vom 8. August bis zum 5. Oktober 1993 will er sich in der Türkei aufgehalten haben, anschließend bis zum 9. April 1994 abwechselnd in M. und R. am N. sowie in der Folgezeit bis Anfang Januar 1996 abwechselnd in F./Spanien und R. am N.. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat der Kläger weiter erklärt, dass er nach seinem Weggang aus S. nur losen Kontakt zu seiner Familie gehalten habe. Er habe sich lediglich hin und wieder nach dem Befinden seiner Verwandten erkundigt, ohne seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Ähnlich hatte sich der Kläger bereits in der Vernehmung am 3. September 1999 vor der Polizeiinspektion S. im Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Unterhaltspflichtverletzung eingelassen: "Ich hatte den Drang, nach neuen Erkenntnissen, mein Leben auf andere Weise zu verwirklichen. Zu diesem Zweck bin ich durch Deutschland und andere Länder gezogen, auch um dort zu arbeiten. In erster Linie waren es aber Kulturreisen, die ich unternommen hatte. Gelebt habe ich in der Zeit von gelegentlichen Jobs als Animateur oder Regisseur in Clubs. Weder meine Familie noch irgendwelche Freunde wussten, wo ich war. Ich wollte ganz einfach mein wirkliches Ich finden." Diese Darstellungen des Klägers stimmen im wesentlichen mit den Angaben seiner Ehefrau überein. Sie stellte am 10. Januar 1994 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht Strafanzeige gegen ihren Ehemann. Dabei gab sie an, dass ihr Ehemann seit dem 7. März 1993 spurlos verschwunden sei und seitdem kein Unterhalt für sie und die gemeinsamen Kinder mehr zahle. Im Rahmen des Verfahrens auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis trug die Ehefrau des Klägers mit anwaltlichem Schreiben vom 4. Februar 1994 ergänzend vor, ihr Ehemann sei gegenwärtig in der Türkei. Sein Wohnsitz in S. habe er allerdings nicht aufgegeben; auch bestehe weiterhin Kontakt zwischen den Eheleuten. Ihr Ehemann werde voraussichtlich in Kürze zu seiner Familie zurückkehren. Dies geschah aber nach den Angaben des Klägers in den anwaltlichen Schriftsätzen  vom 26. Juni und 30. Juli 1997 erst Anfang Juni 1997.

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Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht aus diesen Umständen die Schlussfolgerung gezogen hat, dass der Zweck des Aufenthaltes des Klägers in der Türkei, etwas Anderes kennen zu lernen, wenn auch nicht auf Dauer angelegt, so doch zeitlich völlig unbestimmt und damit auf unabsehbare Zeit ausgerichtet gewesen sei. Auch sei die Beendigung seines Aufenthalts in der Türkei Anfang Juni 1993 nicht von vornherein geplant gewesen, sondern habe sich vielmehr "ergeben". Damit ist nach der Rechtsprechung des BVerwG (aaO) der Grund der Ausreise des Klägers als nicht vorübergehender Natur i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG zu bewerten.

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Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegen halten, dass er sich im Ausland durchgehend nie länger als zwei bis drei Monate aufgehalten habe und regelmäßig nach Deutschland zurückgekehrt sei und hier gelebt habe. Dass er nicht auf Dauer im Ausland habe bleiben wollen, werde auch daran deutlich, dass er für das Wohnhaus in S., das seine Eltern erworben hätten, regelmäßig den auf ihn entfallenden Anteil an den Darlehensraten auch während der zeitweiligen Trennung von seiner Ehefrau und seinen Kindern gezahlt habe. Diese Argumente führen aber zu keiner vom Verwaltungsgericht abweichenden Beurteilung. Insbesondere trifft die vom Kläger im Zulassungsverfahren aufgestellte Behauptung, dass die Rückkehr zu seiner Familie nach Deutschland von vornherein festgestanden habe, ausweislich des oben wiedergegebenen Akteninhalts einschließlich seiner eigenen früheren Erklärungen nicht zu. Wenn auch anhand der Eintragungen im Reisepass und der Einlassungen des Klägers nicht feststellbar ist, dass er sich länger als vier bis fünf Monate durchgehend im Ausland aufgehalten hat, so hat er andererseits jedenfalls nicht belegt oder glaubhaft dargetan, dass er bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach S. im Juni 1997 über Besuchsaufenthalte hinausgehend längere Zeit in Deutschland verbracht hat. So meldete er sich erst am 22. Januar 1995 in M. unter der Anschrift I.-straße  bei "W." an. Dabei soll es sich nach Mitteilung der Landeshauptstadt M. vom 8. Februar 1996 lediglich um eine "Schlafgelegenheit" gehandelt haben. Die Befragung der Vermieter am 21. Februar 1995 ergab, dass sich der Kläger zuletzt vor ca. zwei Wochen in M. aufgehalten habe, jetzt wieder als Animateur in F. tätig sei und voraussichtlich im Mai wieder für kurze Zeit nach Deutschland kommen werde. Anfang 1995 ermittelte die Personenfahndung, dass der Kläger sich in S. aufhalte und nur für ein paar Tage nach M. komme. Am 18. Januar 1996 wurde der Kläger wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz im M. festgenommen. Er verließ am 24. Februar 1996 die Bundesrepublik Deutschland und kehrte seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts zufolge erst vier oder fünf Monate später aus F. zurück. Seitdem sei er nicht mehr im Ausland gewesen. Belege über seinen zeitweiligen Aufenthalt in R. am N. hat der Kläger nicht vorgelegt. Auch widersprechen sich die im Laufe der Zeit zu Ort und Dauer seiner jeweiligen Aufenthalte abgegebenen Erklärungen zumindest teilweise. Nach alledem drängt sich der Eindruck auf, dass der Kläger im Zeitraum von Anfang März 1993 bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1996 oder 1997 seinen Lebensmittelpunkt im Ausland, zunächst in der Türkei und dann in F., hatte. Dort war er als Animateur in Ferienclubs tätig. Auch ging er während dieses Zeitraums in Deutschland keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang unwidersprochen vorgetragen, dass für den Kläger nach einer Auskunft der Stadt M. dort in den Jahren 1995 und 1996 keine Steuerkarten ausgestellt worden seien. Der Kläger zahlte für seine Ehefrau und seine Kinder während dieses Zeitraums auch keinen Unterhalt, so dass diese auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen waren. Dass der Kläger seine Wohnung in S. nicht aufgegeben und sich dort auch polizeilich nicht abgemeldet hatte, fällt gegenüber den anderen Indizien, die für eine nicht nur vorübergehende Ausreise des Klägers sprechen, nicht entscheidungserheblich ins Gewicht.

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Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass die Rechtssache nicht die von dem Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung hat. Soweit der Kläger sich auf das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG beruft, ist darauf hinzuweisen, dass er von der Türkei aus ein Sichtvermerksverfahren betreiben kann, um wieder in die Bundesrepublik zu seiner Familie einreisen zu können. Es ist nicht erkennbar, dass dies für ihn unzumutbar wäre.