Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.05.2000, Az.: 4 L 3492/00

Alleinerziehende; Anrechnung; Betreuung; Dritter; Einkommen; Elternteil; Kind; Mahlzeit; Wohngeld

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.05.2000
Aktenzeichen
4 L 3492/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41821
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 5 A 4261/97

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird ein Kind nicht nur vom allein sorgeberechtigten Elternteil, sondern zeitweise ("überwiegend") auch von dem nicht sorgeberechtigten Elternteil betreut und während dieser Zeiten auch auf Kosten des letztgenannten beköstigt, ist dies bei der Ermittlung des wohngeldrechtlich maßgeblichen Familieneinkommens des sorgeberechtigten Elternteils und des Kindes gem. §§ 10 Abs. 2 WoGG (F. 1993), 8 Abs. 2 EStG i.V.m. § 1 Abs. 2 Sachbezugsverordnung (F. 1997) zu berücksichtigen. Darauf, ob der nicht sorgeberechtigte Elternteil die Betreuung des Kindes zur Erfüllung familienrechtlich geschuldeter Unterhaltsleistungen oder aus sonstigen Gründen erbringt, kommt es nicht an.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin zustehenden Wohngeldes.

2

Die Klägerin beantragte mit einem auf den 06. November 1996 datierten Formularantrag, bei der Beklagten eingegangen am 02. Januar 1997, Wohngeld für die Wohnung B.-Weg 29 in O.. Sie gab dazu unter anderem an, zu ihrem Haushalt gehörten ihre minderjährigen Kinder Jan und Malte, für die sie auch das Kindergeld erhalte. Auf Anforderung der Beklagten reichte die Klägerin einen Bescheid des Jugendamtes der Beklagten vom 23. Dezember 1996 nach, durch den die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihren Sohn Jan ab dem 01. Januar 1997 eingestellt wurden, weil die Klägerin bestätigt habe, dass der Vater ab 01. Januar 1997 ihre Kinder überwiegend betreue. Die Beklagte forderte darauf von der Klägerin die Vorlage eines Nachweises über etwaige Unterhaltszahlungen oder Angabe dazu "wie oft die Kinder beim Vater sind". Die Klägerin erklärte darauf, die Kinder seien bei ihr gemeldet, Unterhalt leiste der Vater nicht und die geforderten Angaben über die Zeiten der Betreuung durch ihn hätten nach ihrem Verständnis nichts mit ihrem Wohngeldantrag zu tun. Die Beklagte führte darauf unter dem 10. Februar 1997 aus, sie benötige die geforderten Angaben, um den Wert etwaiger Sachbezüge ermitteln zu können. Mit Schriftsatz vom 27. Februar 1997 machte die Klägerin geltend: Soweit der Vater die Kinder durch Gewährung von Naturalunterhalt außerhalb ihrer Wohnung versorge und betreue, könne ein Sachbezug nicht unterstellt werden. Der von ihr angemietete Wohnraum werde auch dann benötigt, wenn die Kinder "im Zuge eines geteilten Sorgerechts" nicht stets bei der Mutter, sondern teilweise auch beim Vater wohnten, denn sie könne keine halbe Wohnung mieten.

3

Die Beklagte gewährte der Klägerin durch Bescheid vom 14. März 1997 für die Zeit vom 01. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1997 Wohngeld in Höhe von 64,- DM monatlich . Sie berücksichtigte dabei die Kinder der Klägerin als Familienmitglieder und legte der Berechnung unter anderem monatliche Sachbezüge in Höhe von 182,68 DM zugrunde.

4

Den dagegen am 19. März 1997 erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom O5. September 1997 zurück und führte aus: Bei der Einkommensermittlung seien die in der Verdienstbescheinigung vom 17. Dezember 1996 ausgewiesenen - gleichbleibenden - Dienstbezüge und das ebenfalls bescheinigte Weihnachts- und Urlaubsgeld zu berücksichtigen. Da die Kinder der Klägerin nach eigenen Angaben überwiegend beim Vater betreut würden, seien 2/3 des nach der Sachbezugsverordnung für ein Mittagessen anzusetzenden Betrages als Einnahmen, die nicht in Geld bestünden, zu berücksichtigen.

5

Die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 22. Juli 1999 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

6

Die zulässige Klage sei unbegründet, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig.

7

Die Beklagte habe bei der Einkommensermittlung neben den in der Verdienstbescheinigung vom 17. Dezember 1996 angegebenen Einkünften der Klägerin rechtsfehlerfrei Einkünfte ihrer Kinder berücksichtigt.

8

Maßgeblich für die Gewährung des Wohngeldes sei gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 WoGG der Gesamtbetrag des Jahreseinkommens der zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder. Die Kinder der Klägerin, die nach deren eigenen Angaben im Wohngeldantrag zu ihrem Haushalt gehörten, seien auch ungeachtet der - ungeklärten - Frage des Sorgerechts und der - ebenfalls ungeklärten - Frage des Betreuungsumfangs außerhalb des Haushalts ihre Familienmitglieder in wohngeldrechtlichem Sinne, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 2 WoGG. Denn das Kind eines Antragstellers gehöre selbst dann zu dessen Haushalt, wenn ein etwaiges gemeinsames Sorgerecht in der Weise ausgeübt werde, dass sich das Kind wechselweise in den Wohnungen beider Elternteile aufhalte und dort betreut werde. Mangels gegenteiliger Angaben - die entsprechende Anfrage des Gerichts habe die Klägerin nicht beantwortet - gehe das Gericht davon aus, dass ihr das Sorgerecht für ihre Kinder zustehe.

9

Hielten sich aber (nicht-) eheliche Kinder (in gleichem Umfang) im Haushalt des nicht sorgeberechtigten Elternteils und des Elternteils auf, dem das Sorgerecht zustehe und an den - wie hier - zudem das Kindergeld ausgezahlt werde, dann zählten die Kinder wohngeldrechtlich zum Haushalt des Elternteils, dem das Sorgerecht zustehe. Gründe für eine gegenteilige Annahme fehlten hier.

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Gem. § 9 WoGG sei deshalb für die Ermittlung des Familieneinkommens auf das Jahreseinkommen aller zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder, also auch der Kinder der Klägerin, abzustellen. Gemäß § 10 Abs. 1 WoGG gehörten zum Jahreseinkommen nicht nur alle Einnahmen in Geld, sondern auch Einnahmen in Geldeswert, und zwar ohne Rücksicht auf ihre Quelle oder darauf, ob sie steuerpflichtig seien. Dabei seien für Einnahmen, die nicht in Geld bestünden, wie Kost, Waren oder andere Sachbezüge, gem. § 10 Abs. 2 WoGG die nach § 8 Abs. 2 EStG anzusetzenden Werte maßgebend. Die Beklagte habe dementsprechend zu Recht auch Einnahmen der Kinder bei der Einkommensermittlung berücksichtigt. Die Klägerin habe gegenüber dem Jugendamt der Beklagten angegeben, ihre Kinder würden ab dem 01. Januar 1997 "überwiegend" durch den Vater betreut. Angaben zu Art und Umfang dieser Betreuung habe sie nicht gemacht, entsprechende Anfragen der Beklagten und des Gerichts seien unbeantwortet geblieben. Die Klägerin habe allerdings  weder ausdrücklich bestätigt noch ausdrücklich bestritten, dass ihre Kinder während der Betreuung durch den Vater auch beköstigt würden. Auch eine diesbezügliche Anfrage des Gerichts sei unbeantwortet geblieben. Zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts sehe sich das Gericht danach nicht veranlasst, denn die Pflicht zur Amtsaufklärung finde ihre Grenze bei der Mitwirkungspflicht der Prozessbeteiligten. Das Gericht lege seiner Entscheidung deshalb die Annahme der Beklagten zugrunde, wonach die Kinder der Klägerin im Haushalt des Vaters Mahlzeiten erhielten. Diese Mahlzeiten (= "Kost") seien nach der zwingenden gesetzlichen Regelung des § 10 Abs. 2 WoGG als Einnahmen der Kinder, die nicht in Geld bestünden, bei der Ermittlung des Familieneinkommens zu berücksichtigen. Darauf, ob der Vater die Betreuung seiner Kinder zum Zwecke der Erfüllung familienrechtlich geschuldeter Unterhaltsleistungen oder aus sonstigen Gründen erbringe, komme es nicht an (§ 10 Abs. 1 WoGG).

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Der Wert dieser "Sachbezüge" bestimme sich gemäß § 10 Abs. 2 WoGG i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG nach den "üblichen Endpreisen am Abgabeort". Im Hinblick darauf, dass dieser Wert in Fällen der vorliegenden Art mit sachgerechtem Aufwand kaum zutreffend ermittelt werden könne, halte es das Gericht für zulässig, auch insoweit auf die - gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG nur für Arbeitnehmer geltende - Sachbezugsverordnung zurückzugreifen und die dort geregelten Durchschnittswerte für Verpflegung anzusetzen. Nach § 1 Abs. 2 der Sachbezugsverordnung 1997 sei als Wert für das Mittag- oder Abendessen 137,- DM monatlich anzusetzen. Dieser Ansatz sei rechtlich nicht zu beanstanden.

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Die Klägerin begehrt nunmehr die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung und die Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten.

II.

13

Der Klägerin kann Prozesskostenhilfe für den beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt nicht beigeordnet werden, weil ein solcher Antrag nicht die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht hat.

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Nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 VwGO (i.d.F. des 6. VwGO-Änderungsgesetzes vom 1. November 1996, BGBl. I S. 1626) ist die Berufung nur zuzulassen,

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1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen,

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2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

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3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

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4. wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

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5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

20

Im vorliegenden Verfahren liegt ein Zulassungsgrund nicht vor. Insbesondere hat der beschließende Senat nicht "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils". Bei der Beurteilung, ob ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, kommt es nicht darauf an, ob die von dem Gericht für seine Entscheidung angeführten Gründe zutreffen; notwendig sind vielmehr ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des von dem Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses (OVG Lüneburg, B. v. 22.9.1997 - 12 M 4493/97 -, V.n.b.; ebenso: HambOVG, B. v. 20.2.1997 - Bs IV 19/97 -, DVBl. 1997, 1333 = NVwZ 97, 1231; VGH BW, B. v. 21.4.1997 - 8 S 667/97 -, VBlBW 1997, 380 = DVBl. 1997, 1327; HessVGH, B. v. 15.7.1997 - 13 TZ 1947/97 -, HessJMBl. 1997, 818).

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Urteil zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Antragsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

22

Dem Argument der Klägerin, zwar enthalte z.B. das Bundessozialhilfegesetz mit § 85 Abs. 1 Nr. 3 BSHG eine die Berücksichtigung häuslicher Ersparnisse ermöglichende und dem in § 31 SGB I festgelegten Gesetzesvorbehalt entsprechende Norm, im Wohngeldgesetz fehle eine solche Norm aber, kann nicht gefolgt werden. Gerade § 10 Abs. 2 WoGG regelt die Berücksichtigung von "Einnahmen, die nicht in Geld bestehen (Kost, Waren und andere Sachbezüge)".

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Wie die Klägerin zu der Meinung kommt, die Beköstigung ihrer Kinder durch den woanders wohnenden Vater werde vom eindeutigen Wortlaut des § 10 Abs. 2 WoGG nicht erfasst, ergibt sich aus ihrem Vorbringen nicht und ist auch sonst nicht ersichtlich.

24

Eine Zulassung der Berufung kommt auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Betracht. Die Klägerin hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob Wohngeldämter häusliche Ersparnisse, die aus einer auswärtigen Beköstigung der Kinder des anderen Elternteils ohne Sorgerechtsansprüche resultieren, ohne Rechtsgrundlage wohngeldrechtlich als Sachbezüge und damit als Einkommen wohngeldmindernd berücksichtigt werden dürfen". Diese Frage stellt sich nicht, da insoweit § 10 Abs. 2 WoGG einschlägig, eine Rechtsgrundlage also vorhanden ist.

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Entgegen der Meinung der Klägerin weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts auch weder von dem Urteil des Senats vom 9. Oktober 1991 - 4 L 1801/91 - (OVGE 42, 420 ff. = FEVS Bd. 42 S. 208 ff), noch von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 1997 - BVerwG 8 C 13.96 - (Buchholz 454.71 § 10 WoGG Nr. 9 = NDV-RD 1998, 27 = ZMR 1998, 113) ab.

26

Das Urteil des Senats betrifft die Frage, ob es bei der Ermittlung des Einkommens nach dem WoGG zu berücksichtigen ist, wenn jemand sich nicht darum bemüht, die Voraussetzungen für das Entstehen oder Fortbestehen (und damit letztlich auch die Durchsetzung) eines Unterhaltsanspruchs zu schaffen. Das Urteil behandelt mithin eine mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare und auf ihn auch nicht übertragbare andere Fallgestaltung und Rechtsfrage.

27

Dasselbe gilt für das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Es betrifft (in dem hier interessierenden Teil) die Frage, ob der Einkommensbegriff des § 10 Abs. 1 WoGG nur Einkünfte erfasst, die zur Deckung des Lebensunterhalts einschließlich der Wohnkosten tatsächlich zur Verfügung stehen, oder auch "nicht erfüllte Forderungen gegen Dritte". Um eine solche Unterscheidung geht es im vorliegenden Fall aber gerade nicht. Denn dass die Beköstigung der Kinder durch den Vater ein ihnen tatsächlich zugewandter wirtschaftlicher Vorteil - ein Sachwert i.S. des § 10 Abs. 2 WoGG - ist, ist offensichtlich.