Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.05.2000, Az.: 4 O 1198/00

Erstattung; Rentennachzahlung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.05.2000
Aktenzeichen
4 O 1198/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41555
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 3 A 1197/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wenn "im Rahmen eines Erstattungsverfahrens" nach den §§ 102 ff. SGB X, also bei der nachträglichen Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe durch Berücksichtigung einer Rentenzahlung, der rückwirkende Zufluss von Einkommen (der Rente) berücksichtigt wird, so sind zugleich auch nachträglich die mit der Erzielung dieses Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben zu berücksichtigen.

Gründe

1

Das "wahre" Begehren der Klägerin bzw. ihrer inzwischen volljährigen Söhne Ci. und Ce. ist darauf gerichtet, die Beklagte zu verpflichten, den Betrag von 3.964,07 DM, den die LVA R.-P. an die Beklagte wegen der für Ci. und Ce. gewährten laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt erstattet hat (nämlich 2.331,17 DM für Ci. und 1.632,90 DM für Ce.), an sie, die Klägerin bzw. ihre Söhne, "auszukehren". Dieses Begehren könnte auf die Erklärung gestützt werden, die der Vertreter der Beklagten in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. Februar 1998 in dem Verfahren 3 A 1732/96 vor dem (damaligen) Einzelrichter abgegeben hat. Die Niederschrift über diesen Termin lautet:

2

Nach Vortrag des Sachverhalts, wie er sich aus den Akten ergibt, wies das Gericht darauf hin, dass durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen, insbesondere eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich ist, aufgrund derer die Auskehrung der im Erstattungswege an die Beklagte zugeflossenen Beträge im vorliegenden Verfahren durchgesetzt werden könnte. Es wurde weiter darauf hingewiesen, dass Überwiegendes dafür spricht, dass der Berücksichtigung der Aufwendungen gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG nicht der Gesichtspunkt des vergangenen Bedarfs (§ 5 BSHG) entgegenstehen dürfte. Dieser Gesichtspunkt ist nur dann einschlägig, wenn es um die Deckung einer gegenwärtigen Notlage geht. Im Rahmen eines Erstattungsverfahrens, in dem Aufwendungen geltend gemacht werden, die in der Vergangenheit getätigt worden sind, kann diesem Gesichtspunkt dagegen keine Bedeutung zukommen. Im Hinblick darauf, dass die Beklagte mit Schriftsatz vom 08.10.1997 sich grundsätzlich dazu bereit erklärt hat, dass sie die Aufwendungen für die Vaterschaftsanerkennung als einkommensmindern berücksichtigen würde, erklärte der Vertreter der Beklagten auf Anregung des Gerichts:

3

Für den Fall, dass die Klägerseite die Aufwendungen vollständig und schlüssig nachvollziehbar belegt (Anträge in Verfahren in der Türkei, gerichtliche Entscheidung, Kostenrechnung der Rechtsanwältin usw.), ist die Beklagte bereit, über die Auskehrung der von der LVA R.-P. erstatteten Beträge neu zu entscheiden.

4

Mit dieser Bereitschaftserklärung hat die Beklagte - abweichend von der Regel, dass im Falle unrechtmäßiger Erstattung einer Rentennachzahlung der Anspruch auf Erfüllung des Rentenanspruchs gegenüber dem Rentenversicherungsträger geltend zu machen ist und nicht "Auskehrung" des Erstattungsbetrages vom Träger der Sozialhilfe verlangt werden kann (Urt. d. Sen. v. 29. April 1998 - 4 L 7103/96 - m. w. N.) - die Möglichkeit eröffnet, die Rückabwicklung der Erstattung ohne Einschaltung des Rentenversicherungsträgers unmittelbar beim Sozialhilfeträger zu erreichen. Die Voraussetzungen, unter denen sich die Beklagte hierzu bereit erklärt hat, sind erfüllt: Die Klägerin hat mit den Unterlagen, die sie der Beklagten mit Schreiben vom 12. März 1998 vorgelegt hat, "vollständig und schlüssig nachvollziehbar belegt", dass sie für das gerichtliche Verfahren in der Türkei auf Feststellung der Vaterschaft Aufwendungen mindestens in Höhe des hier geltend gemachten Betrages gehabt hat. Allein nach der Quittung der türkischen Rechtsanwältin vom 2. Dezember 1993 hat die Klägerin an diese für ihre Tätigkeit in dem gerichtlichen Verfahren - umgerechnet - über 4.000,-- DM (35 Mio. TL) gezahlt. Auf Belege über weitere Aufwendungen für Rechtsanwälte und für den Aufenthalt der Klägerin in der Türkei kommt es nicht mehr an.

5

Die Beklagte ist aufgrund der zitierten Bereitschaftserklärung auch gehindert, die Auskehrung des Erstattungsbetrages nunmehr wieder aus denselben Gründen zu verweigern, aus denen sie dies schon in den Bescheiden getan hat, die in dem Verfahren 3 A 1732/96 angefochten gewesen sind. Sie kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dem Begehren der Klägerin stehe § 5 BSHG (der Kenntnisgrundsatz) entgegen, weil sie die Aufwendungen erst bekannt gegeben habe, nachdem sie sie mit Hilfe eines Darlehens gedeckt habe. Denn Grundlage der Bereitschaftserklärung der Beklagten vom 24. Februar 1998 ist gerade die vorher geäußerte Rechtsauffassung des Einzelrichters, dass "im Rahmen eines Erstattungsverfahrens" der Berücksichtigung von Aufwendungen gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG, die in der Vergangenheit getätigt worden seien, der Gesichtspunkt des vergangenen Bedarfs (§ 5 BSHG) nicht entgegenstehe. Es widerspräche der Bereitschaftserklärung und wäre treuwidrig (§ 242 BGB analog), wenn sich die Beklagte nunmehr gleichwohl wieder auf § 5 BSHG beriefe. Darüber hinaus trifft die Rechtsauffassung des Einzelrichters auch zu: Es geht hier nämlich nicht darum, dass die Beklagte nach den §§ 11, 12, 21 Abs. 1 a Nr. 7 BSHG nachträglich Aufwendungen übernehmen soll, die mit Darlehen eines Dritten bereits gedeckt worden sind, bevor der Sozialhilfeträger von dem Bedarf Kenntnis erlangt hat. Es geht vielmehr darum, "im Rahmen eines Erstattungsverfahrens" nach den §§ 102 ff. SGB X, also bei der nachträglichen Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe durch Berücksichtigung einer Rentennachzahlung, nicht nur den rückwirkenden Zufluss von Einkommen (der Rente), sondern zugleich auch nachträglich die mit der Erzielung dieses Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben zu berücksichtigen. In der Erklärung vom 24. Februar 1998 und schon vorher mit Schriftsatz vom 8. Oktober 1997 hat sich die Beklagte bereit erklärt, im Rahmen dieser "Rückabwicklung" des Sozialhilfefalles die notwendigen Aufwendungen zum Zwecke der Vaterschaftsfeststellung einkommensmindernd zu berücksichtigen. Die Klägerin hat die Aufwendungen für die Rechtsanwältin in dem gerichtlichen Verfahren in der Türkei belegt. Die Aufwendungen waren auch notwendig. Denn ohne sie hätte die Klägerin die Vaterschaftsfeststellung nicht erreicht und ohne die Vaterschaftsfeststellung hätte die LVA die Halbwaisenrenten für die Söhne der Klägerin nicht bewilligt. Auf ein anderes, billigeres Verfahren hat die Beklagte die Klägerin nicht hingewiesen, als diese ihre Reise in die Türkei zum Zwecke der Durchführung eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens angekündigt hat; ein solches billigeres Verfahren hat die Beklagte bis jetzt nicht benannt, es ist auch nicht ersichtlich.

6

Nach allem ist die Beklagte an ihre Erklärung vom 24. Februar 1998 gebunden und demnach verpflichtet, den von der LVA R.-P. erstatteten Rentenbetrag auszukehren. In dem beabsichtigten Klageverfahren wird darauf hinzuwirken sein, dass anstelle der Klägerin ihre Söhne Ci. und Ce. als Kläger in das Verfahren eintreten. Der Prüfung im Hauptsacheverfahren kann auch vorbehalten bleiben, ob die LVA R.-P. der Beklagten - wie sie mit Schriftsatz vom 17. April 1999 vorgetragen hat - für Ce. nur 934,63 DM erstattet und die weitere Rentennachzahlung von 698,27 DM bereits an die Klägerin ausgezahlt hat.