Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.12.2008, Az.: 1 ME 93/08
Befugnis des Verwaltungsgerichts zur Änderung einer geltenden Anordnung hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung einer Nachbarklage bei deren Abweisung wegen Unbegründetheit; Zulässigkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung trotz Klageabweisung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 05.12.2008
- Aktenzeichen
- 1 ME 93/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 29420
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:1205.1ME93.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 08.04.2008 - AZ: 1 B 677/06
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 80 Abs. 7 VwGO
- § 124a Abs. 4 S. 6 VwGO
Fundstelle
- NdsVBl 2009, 209-210
Amtlicher Leitsatz
Weist das Verwaltungsgericht eine Nachbarklage als unbegründet ab, ist es nicht mehr befugt, die bis dahin geltende Anordnung zu ändern, dass die Nachbarklage aufschiebende Wirkung entfaltet. Es bleibt unentschieden, ob es trotz Klagabweisung die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung anordnen dürfte.
Aufschiebende Wirkung nach Klagabweisung
Gründe
Die Antragstellerin führt einen Obstanbaubetrieb an der Buxtehuder Straße in D. und wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für 9 Reihenhäuser auf dem südwestlich benachbarten Grundstück. Die insoweit erhobene Klage der Antragstellerin ist mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stade vom 8. April 2008 abgewiesen worden (1 A 1850/04). Auf den Antrag der Klägerin ist die Berufung mit Beschluss des Senats vom 24. September 2008 zugelassen worden (1 LB 214/08).
Die hier zur Entscheidung anstehende Beschwerde der Antragstellerin richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. April 2008. Dieser Beschluss erging in dem Verfahren 1 B 677/06, dem der Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO der Beigeladenen vom 6. März 2006 zugrunde liegt. Dieser Abänderungsantrag richtete sich auf die Abänderung des Senatsbeschlusses vom 21. Oktober 2003 (1 ME 227/03) und die Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 7. August 2002 (2 B 616/02). Der Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2003 erging auf die Beschwerde des Antragstellers vom 8. August 2003 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. Juli 2003 (2 B 1986/02). Dieser Beschluss des Verwaltungsgerichts erging wiederum auf den Abänderungsantrag der Beigeladenen gemäß § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des Beschlusses vom 7. August 2002 (2 B 616/02) und lehnte - in Abänderung des Beschlusses vom 7. August 2002 (2 B 616/02) - den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Mit dem Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2003 wurde der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. Juli 2003 (2 B 1986/02) geändert und der Antrag der Beigeladenen (nach § 80 Abs. 7 VwGO) in Änderung des Beschlusses vom 7. August 2002 den Eilrechtsschutz der Antragstellerin bzw. ihres Rechtsvorgängers abzulehnen, wurde abgelehnt. Damit dauerte die aufschiebende Wirkung des Beschlusses vom 7. August 2002 seit dem Beschluss des Senates vom Oktober 2003 fort.
Die Antragstellerin begehrt mit ihrer Beschwerde nunmehr die Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts über den Abänderungsantrag der Beigeladenen vom 6. März 2006, wodurch im Falle ihres Obsiegens nur die mit Beschluss vom 8. Februar 2002 angeordnete aufschiebende Wirkung "wieder aufleben" würde und gerade nicht "neu" angeordnet würde. Einem Wiederaufleben der aufschiebenden Wirkung steht aber § 80b VwGO entgegen. Wie sich aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. April 2008 (1 B 677/06) ergibt, wurde dieser nach Verkündung des klagabweisenden Urteils in der dazugehörigen Hauptsache gefasst. Zu diesem Zeitpunkt - nach Verkündung des klagabweisenden Urteils - dauerte die aufschiebende Wirkung der Klage wegen des Senatsbeschlusses vom 21. Oktober 2003 - 1 ME 227/03 - noch an. Erst anschließend hat das Verwaltungsgericht seinen Beschluss vom 8. Februar 2002 geändert, ohne dies gesondert zu tenorieren, und den entgegenstehenden Beschluss des Senats vom 21. Oktober 2003 abgeändert.
Eine dem Beschwerdeantrag stattgebende Entscheidung würde zum Inhalt haben müssen, die aufschiebende Wirkung der Klage - wie bereits im Beschluss vom 8. Februar 2002 angeordnet - wieder/weiterwirken zu lassen. Das kann die Antragstellerin mit der Beschwerde nicht erreichen. Dem steht § 80b VwGO entgegen, da die darin gesetzte Frist für das maximale Fortwirken der aufschiebenden Wirkung mittlerweile abgelaufen ist. Das mit der Beschwerde verfolgte Ziel kann die Antragstellerin nur durch einen auf § 80b VwGO gestützten Antrag erreichen. Den hat sie nicht gestellt; eine Umdeutung der Beschwerde in einen solchen Antrag kommt nicht zuletzt deshalb nicht in Betracht, weil die anwaltlich vertretene Antragstellerin auf der Richtigkeit des eingeschlagenen prozessualen Weges beharrt. Eine isolierte Aufhebung des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 8. April 2008 wäre zwar in Betracht gekommen, weil dieses nicht mehr befugt war, sich zur Frage der aufschiebenden Wirkung verbindlich zu äußern. Das hat die Antragstellerin aber nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist gerügt und kann deshalb wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht zur Grundlage der Senatsentscheidung gemacht werden. Im Einzelnen ist dazu Folgendes auszuführen (vgl. zum Folgenden Bader, VwGO, 4. Aufl., § 80b Rdnr. 2; Sodan/Ziekow-Puttler, VwGO, 2. Aufl., § 80b Rdnr. 26; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80b Rdnr. 42; Posser/Wolff-Gersdor, VwGO, § 80b Rdnr. 24):
§ 80b Abs. 2 VwGO enthält eine abschließende Regelung über die Frage, wer bei einer Klagabweisung durch das Verwaltungsgericht über die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung zu entscheiden hat. Das gilt sowohl im Falle, dass die aufschiebende Wirkung schon durch Erhebung der Klage eingetreten ist (dann gilt § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO), als auch in dem hier gegebenen, dass die aufschiebende Wirkung erst von den Gerichten (oder der Behörde) angeordnet worden ist (dann gilt § 80b Absatz 1 Satz 2 VwGO). In jedem Fall ist gem. § 80b Abs. 2 VwGO das Rechtsmittelgericht, hier also das Oberverwaltungsgericht allein/ausschließlich zur Entscheidung berufen, ob die aufschiebende Wirkung nach Erlass des klagabweisenden Urteils fortdauern soll. § 80b Abs. 2 VwGO enthält eine gegenüber § 80 Absatz 5 und 7 VwGO speziellere Zuständigkeitsregelung. Damit wollte der Gesetzgeber die Entscheidungsbefugnis beim Rechtsmittelgericht konzentrieren und vermeiden, dass in der Zwischenzeit "divergierende" Entscheidungen ergehen. Diese drohen deshalb, weil das Rechtsmittelgericht wegen § 124a Abs. 4 Satz 6 VwGO erst mit der Einlegung des Zulassungsantrages Gericht der Hauptsache wird (Devolutiveffekt). Es widerspräche dem Anliegen des 6. VwGOÄndG, das Verwaltungsgericht für die Zeit zwischen Erlass des klagabweisenden Urteils und Stellung des Zulassungsantrages gleichwohl noch dazu berufen anzusehen, in Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGOüber die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung eine verbindliche Entscheidung zu treffen.
Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich insbesondere aus der Gesetzgebungsgeschichte. Nach dem Regierungsentwurf zum 6. VwGOÄndG (BT-Dr. 13/3993, Art. 1 Nr. 7) sollte § 80b Abs. 2 VwGO noch den folgenden Wortlaut haben:
"Das Gericht des ersten Rechtszuges kann in der klagabweisenden Entscheidung anordnen, daß die aufschiebende Wirkung fortdauert. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache diese Anordnung aufheben."
Zur Begründung (BT-Dr.13/3993, S. 12) wurde angeführt, das komme in Betracht, wenn die Klagabweisung nach Auffassung des VG nicht ganz zweifelsfrei sei und daher das Interesse an der aufschiebenden Wirkung fortdauere oder wenn sich im Verfahren schwierige Fragen gestellt hätten, welche erst geklärt werden sollten, ehe die aufschiebende Wirkung entfalle.
Diese Fassung des § 80b Abs. 2 VwGO ist im Gesetzgebungsverfahren gestrichen worden. Das heißt: Das Verwaltungsgericht soll noch nicht einmal dazu berufen sein, trotz klagabweisenden Urteils die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung anzuordnen. Darum geht es hier aber nicht; denn das Veraltungsgericht hat - im Gegenteil - angeordnet, die aufschiebende Wirkung solle nunmehr entfallen. Daher kommt es auf die Gegenstimme von Stüer (DVBl. 1997, 326, 334) nicht an, der meint, das Verwaltungsgericht dürfe unverändert die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung anordnen, nur dürfe das jetzt nicht mehr in dem Urteil geschehen. Einig sind sich aber, soweit ersichtlich, alle Kommentatoren in der Einschätzung: Den Fortfall der aufschiebenden Wirkung für die Zukunft darf das Verwaltungsgericht nach Urteilsverkündigung auf der Grundlage von § 80 Abs. 7 VwGO nicht mehr beschließen. Darüber ist allein auf der Grundlage von § 80b VwGO nach einem Antrag zu entscheiden, den der erstinstanzlich Unterlegene beim Rechtsmittelgericht zu stellen hat. Dieser Antrag ist bislang nicht gestellt worden.
Wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist es auch nicht möglich, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. April 2008 "isoliert" aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat darin zwar trotz fehlender Zuständigkeit die Senatsentscheidung vom 21.10.2003 - 1 ME 227/03 - abgeändert. Es läge auch ein schützenswertes Interesse der Antragstellerin vor, die damit getroffene Regelung aus der Welt zu schaffen. Die Antragstellerin hat dies aber weder fristgerecht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist noch jetzt gerügt. Noch jetzt beharrt sie darauf, dass über die Frage der aufschiebenden Wirkung im Rahmen der Beschwerde entschieden werden soll, und weigert sich, einen Antrag nach § 80b Abs. 2 VwGO zu stellen. Dieser kann allerdings noch jetzt gestellt werden; fristgebunden ist er nicht (vgl. BVerwG, B. v. 19.6.2007 - 4 VR 2.07 -, BVerwGE 129, 58 = UPR 2007, 352 = BauR 2008, 78 = NVwZ 2007, 1097).