Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.03.2024, Az.: 13 LC 116/23

Antrag gegen die Ausweisung aus dem Bundesgebiet sowie ein damit verbundenes Einreise- und Aufenthaltsverbot; Anforderungen an das Vorliegen eines Ausweisungsinteresses

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.03.2024
Aktenzeichen
13 LC 116/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 13332
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0306.13LC116.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 10.05.2023 - AZ: 5 A 3710/21

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die durch das Rückführungsverbesserungsgesetz vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54) geschaffenen neuen schwerwiegenden Ausweisungsinteressen in § 54 Abs. 2 Nr. 2a und 9 AufenthG stellen weder die Auffangfunktion des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG (= § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F.) infrage noch bedingen sie höhere Anforderungen an das Vorliegen dieses Ausweisungsinteresses.

  2. 2.

    Die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung hängt nicht davon ab, ob eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie besteht.

  3. 3.

    Eine sog. inlandsbezogene Ausweisung kann mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie zu vereinbaren sein und ist auch dann nicht unverhältnismäßig, wenn der von ihr betroffene Ausländer aufgrund Passlosigkeit und ungeklärter Staatsangehörigkeit auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden kann, eine Verschlechterung seines bisherigen Aufenthaltsstatus nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mangels rechtmäßigen Aufenthalts nicht eintritt und auch keine Titelerteilungssperre im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG herbeigeführt werden kann. Ihre spezialpräventive Wirkung besteht maßgeblich in der richtungsweisenden Entscheidung für das Nichtvorliegen der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und der damit verbundenen Verhinderung einer aufenthaltsrechtlichen Verfestigung für absehbare Zeit. Ihre generalpräventive Wirkung ist losgelöst von der Situation des von der Ausweisung konkret betroffenen Ausländers zu beurteilen.

  4. 4.

    Eine Abschiebungsandrohung ohne Bestimmung eines konkreten Ziellandes, welches eines der in Art. 3 Nr. 3 der Rückführungsrichtlinie genannten Länder sein muss, erfüllt nicht alle konstitutiven Merkmale einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie.

  5. 5.

    Im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie muss nach deren Art. 3 Nr. 6 ein Einreise- und Aufenthaltsverbot immer mit einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie einhergehen.

  6. 6.

    Ein Mitgliedstaat kann zwar auch noch nach Ablauf der Umsetzungsfrist (vgl. Art. 20 Abs. 1 UAbs. 1 der Rückführungsrichtlinie) beschließen, von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Ausnahme Gebrauch zu machen (sog. Opt-Out); dies darf jedoch keine nachteiligen Folgen für diejenigen Personen haben, die zuvor bereits in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie gefallen sind.

  7. 7.

    Im nationalen Recht existiert auch nach dem Inkrafttreten des Rückführungsverbesserungsgesetzes vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54) keine Rechtsgrundlage, auf die der Erlass einer von einem Einreise- und Aufenthaltsverbot unabhängigen isolierten Titelerteilungssperre gestützt werden kann.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer - vom 10. Mai 2023 teilweise geändert und neu gefasst.

Die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots im Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich im Berufungsverfahren gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet sowie ein damit verbundenes Einreise- und Aufenthaltsverbot.

Der Kläger ist eigenen Angaben zufolge 1979 in Beirut, Libanon, geboren und dort aufgewachsen. Sein im Jahr 2017 verstorbener Großvater väterlicherseits, F., geb. 1923, ist als türkischer Staatsangehöriger im Register des Standesamts Batman eingetragen. Am 10. September 1990 reiste der Kläger mit seinem Vater, G. A., geb. 1941, und drei Brüdern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Mutter sowie weitere Geschwister des Klägers, die aufgrund später erfolgter Einbürgerungen mittlerweile zum Teil die libanesische Staatsangehörigkeit besitzen, blieben im Libanon zurück, wo sie auch heute noch leben; weitere Familienangehörige des Klägers leben im Bundesgebiet sowie in der Türkei.

Der Kläger und die seinerzeit mit ihm ins Bundesgebiet eingereisten Familienangehörigen erhielten infolge einer Meldung als Asylsuchende zunächst Aufenthaltsgestattungen. Als sie erklärt hatten, keine Asylanträge gestellt zu haben, stellte das seinerzeitige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ihre Asylverfahren mit Bescheid vom 21. Juni 1993 ein. Nachdem der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet im weiteren Verlauf wegen Passlosigkeit geduldet worden war, erhielt er aufgrund eines Erlasses des Innenministeriums für Nordrhein-Westfalen vom 4. März 1996 ("Altfallregelung") erstmals am 7. November 1996 eine für sechs Monate gültige Aufenthaltsbefugnis, welche fortlaufend, zuletzt am 2. November 2004 befristet bis zum 1. November 2005 verlängert wurde. Nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes wurde die dem Kläger erteilte Aufenthaltsbefugnis am 28. Januar 2005 bis zum 27. Januar 2007 als Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG verlängert. Den vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Verlängerungsantrag lehnte die Beklagte unter Verweis auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts sowie ein bestehendes Ausweisungsinteresse mit Bescheid vom 26. Oktober 2007 ab. In dem Bescheid setzte die Beklagte dem Kläger zudem eine Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat nach Zustellung der Verfügung und drohte ihm die zwangsweise Abschiebung in sein Heimatland bzw. in einen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Da die Staatsangehörigkeit des Klägers zurzeit ungeklärt sei, könne die Abschiebungsandrohung ohne Bezeichnung des konkreten Zielstaats ergehen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 25. Juni 2009 - 7 A 5870/07 - ab. Den dagegen gerichteten Zulassungsantrag des Klägers verwarf das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. September 2009 - 11 LA 390/09 -. Der Aufenthalt des Klägers wurde seitdem wegen Passlosigkeit fortlaufend geduldet; eine unselbstständige Erwerbstätigkeit wurde ihm erlaubt. Am 13. März 2012 beantragte der Kläger erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie erstmalig die Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose. Die Beklagte lehnte diese Anträge des Klägers mit Bescheid vom 11. Oktober 2012 ab und verwies zur Begründung wiederum auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts und ein bestehendes Ausweisungsinteresse; der Kläger habe überdies nicht nachgewiesen, dass er staatenlos sei. Auf die hiergegen erhobene Klage hin hob das Verwaltungsgericht Hannover den Bescheid mit Urteil vom 22. Dezember 2021 - 5 A 1570/21 - auf, soweit die Beklagte darin die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose abgelehnt hat, und verpflichtete sie insoweit zur Neubescheidung; im Übrigen wies es die Klage ab. Auf den Zulassungsantrag der Beklagten hin ließ der Senat mit Beschluss vom 20. Oktober 2023 - 13 LA 35/22 - die Berufung gegen den stattgebenden Teil des Urteils zu; den Zulassungsantrag des Klägers lehnte der Senat ab. Über die Berufung der Beklagten (13 LB 207/23) hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag entschieden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Gerichtsakte nebst Beiakten verwiesen.

Der Kläger hat während seines Aufenthalts im Bundesgebiet weder einen Schulabschluss erworben noch eine Berufsausbildung absolviert. Dennoch kann er lesen und schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er - mit Ausnahme kurzer Zeiträume, in denen er einer Beschäftigung nachgegangen ist - im Wesentlichen aus dem Bezug von Sozialleistungen. Im Rahmen einer - während der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausgeübten - Tätigkeit als Lagerhelfer erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, bei dem er sich Verletzungen am rechten Fuß zuzog, die trotz erfolgter Operation Beeinträchtigungen bei ihm hinterlassen haben. Aus diesem Grund verfügt der Kläger inzwischen über einen festgestellten Grad der Behinderung von 30.

Der Kläger ist im Bundesgebiet bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er ist unter anderem wie folgt verurteilt worden:

1. Amtsgericht Frankfurt am Main, Strafbefehl: Verurteilung wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 EUR.

2. Amtsgericht Hannover, Strafbefehl: Verurteilung wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 EUR.

3. Amtsgericht München, Urteil: Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

4. Amtsgericht Hannover, Urteil: Verurteilung wegen Betrugs - unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts München - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5. Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil: Verurteilung wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten, deren Vollstreckung im - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten - Berufungsverfahren durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - "unter Zurückstellung nicht unerheblicher Bedenken" zur Bewährung ausgesetzt wurde.

6. Amtsgericht Hamburg, Strafbefehl: Verurteilung wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 7 EUR.

7. Amtsgericht Hannover, Strafbefehl: Verurteilung wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Kokain) in 40 Fällen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 EUR.

8. Amtsgericht Tiergarten, Strafbefehl: Verurteilung wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 EUR.

9. Amtsgericht München, Urteil: Verurteilung wegen Diebstahls in 4 Fällen in Tatmehrheit mit 42 Fällen des Computerbetrugs in Tatmehrheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten und Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie der Einziehung von Wertersatz in Höhe von 13.048,21 EUR.

10. Amtsgericht Hannover, Urteil: Verurteilung wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gegen diese Verurteilung zunächst eingelegte Berufung nahm der Kläger mit Schreiben vom 25. November 2022 zurück, nachdem im Berufungsverfahren vom Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie H. unter dem 18. Oktober 2022 ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten zur - dort bejahten - Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Klägers sowie zur Frage einer etwaigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erstattet worden war.

11. Amtsgericht Hannover, Urteil: Verurteilung wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das gegen diese Verurteilung zunächst eingelegte Rechtsmittel nahm der Kläger mit Schreiben vom 12. Februar 2024 zurück.

Wegen der der Verurteilung unter Nr. 9 zugrunde liegenden Tat befand sich der Kläger seit dem 18. Juni 2018 zunächst in der Justizvollzugsanstalt I. -J. in Untersuchungshaft. Ab dem 28. Mai 2019 wurde er in der Entziehungsanstalt, K. -Klinikum, Klinikum I. -L., untergebracht. Diese Unterbringung erklärte das Landgericht München mit Beschluss vom 25. Juni 2020 für erledigt, da keine hinreichend konkrete Aussicht mehr bestehe, den Kläger durch die Behandlung in der Entziehungsanstalt zu heilen oder zumindest für eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und so von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgingen. Der Kläger sei nicht nur mit Kokain rückfällig geworden, was er trotz positiver Testergebnisse vom 21./22. April 2020 und vom 15. Mai 2020 geleugnet habe, sondern sei gegenüber dem Klinikpersonal auch unter anderem durch wiederholte Beleidigungen und Bedrohungen unangemessen aufgetreten und habe sich auf die Therapieinhalte nur oberflächlich eingelassen. Das Gericht lehnte in dem Beschluss zudem die Aussetzung des Vollzugs der Reststrafe zur Bewährung ab; angesichts der nach wie vor bestehenden Suchterkrankung fehle jeglicher Anhaltspunkt für eine positive Prognose im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 StGB. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 10. Juli 2020 zurück. Am 8. Juli 2020 wurde der Kläger über die Justizvollzugsanstalt I. der Justizvollzugsanstalt M. zum Zwecke des Antritts seiner Freiheitsstrafe zugeführt. In dem ihn betreffenden Vollzugsplan vom 18. Februar 2021 wird unter anderem ausgeführt: "Es besteht eine Drogenproblematik. Eine Therapie wurde zuletzt abgebrochen. Kontakt zur hiesigen Drogenberatung wurde nicht aufgenommen. Gef. sei mit ca. 120 000 Euro verschuldet. Auch zur Schuldnerberatung wurde kein Kontakt aufgenommen.". Am 21. April 2021 wurde der Kläger aus der Haft entlassen. Er steht nach vollständiger Verbüßung der Strafe bis zum 21. April 2026 unter Führungsaufsicht. Die Führungsaufsicht reichte im Verlauf des Verfahrens mehrere Stellungnahmen ein und wies insbesondere darauf hin, dass der Kläger regelmäßig Kontakt halte und die Auflagen und Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht einhalte. Wegen weiterer Einzelheiten zum Verlauf der Führungsaufsicht wird auf die zur Gerichtsakte sowie auf die zur Gerichtsakte 13 LB 207/23 gereichten Stellungnahmen der Führungsaufsicht verwiesen.

Zuvor bereits, namentlich mit Schreiben vom 12. Juni 2020, hörte die Beklagte den Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung sowie zum Erlass eines befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots an. Der Kläger meldete sich daraufhin - aus der Unterbringung in der Entziehungsanstalt heraus - telefonisch bei der Beklagten und teilte ihr ausweislich eines dazu gefertigten Gesprächsvermerks vom 25. Juni 2020 mit, dass er im Falle einer Abschiebung in jedem Fall wieder in das Bundesgebiet einreisen werde. Die Beklagte habe noch 7 Monate Zeit ihn abzuschieben. Nach seiner Entlassung werde er sich einen gefälschten Pass besorgen und im Bundesgebiet "untertauchen".

Mit Bescheid vom 9. April 2021, zugestellt am 14. April 2021, wies die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und ordnete ihm gegenüber ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, welches sie ab dem Zeitpunkt der beabsichtigten Abschiebung/Ausreise auf 6 Jahre befristete. Da die Staatsangehörigkeit des Klägers gegenwärtig ungeklärt sei, könne der Kläger sich nicht auf den besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG berufen. Bei ihm lägen, da er durch das Amtsgericht München wegen Diebstahls in 4 Fällen in Tatmehrheit mit 42 Fällen des Computerbetrugs in Tatmehrheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden sei, gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a lit. d) AufenthG zwei besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen vor. Ein besonders schweres oder schweres Bleibeinteresse bestehe bei ihm nicht, da er weder familiäre noch sonstige Bindungen im Bundesgebiet habe. Zwar hätten er und die türkische Staatsangehörige, Frau B., angegeben, islamisch verheiratet zu sein. Hierzu habe der Kläger jedoch weder Nachweise vorgelegt noch habe er eine solche Ehe zuvor erwähnt. Aus den im Einzelnen aufgeführten Straftaten des Klägers und seinem gesamten Verhalten im Bundesgebiet werde deutlich, dass er nicht gewillt sei, die geltenden Gesetze zu beachten. Er lebe nach seinen eigenen Regeln und verfüge über eine erhebliche kriminelle Energie. Da weitere Straftaten durch den Kläger zu befürchten seien, sei die Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen geboten. Sie sei auch durch generalpräventive Gründe gerechtfertigt, um andere Ausländer erfolgreich von vergleichbaren Rechtsverstößen abzuschrecken. Angesichts der vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten überwiege das öffentliche Interesse, ihn auszuweisen, sein privates Interesse am Verbleib im Bundesgebiet. Zugunsten des Klägers sei zwar sein fast 31-jähriger Aufenthalt im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Der Kläger habe seine Lebensgrundlage jedoch nicht im Bundesgebiet gefunden und sei in den hiesigen Lebensverhältnissen nicht verwurzelt, was sich vor allem an seinen Straftaten zeige. Art. 6 Abs. 1 GG könne mangels Nachweises einer islamischen Vermählung nicht berücksichtigt werden. Auch im Falle einer bestehenden familiären Lebensgemeinschaft überwiege jedoch das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung angesichts seiner erheblichen Verstöße gegen die Rechtsordnung. Die Ausweisung sei auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig. Der Kläger sei im Libanon geboren, habe dort die ersten Jahre seines Lebens verbracht und beherrsche die arabische Sprache. Verwandte lebten im Libanon und in der Türkei. Eine Reintegration könne ihm zugemutet werden. Eine vollständige Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sei hingegen nicht gelungen. Es sei zudem nur eine Frage der Zeit, wann mit der Begehung weiterer Straftaten zu rechnen sei. Zudem sei die Aufenthaltsbeendigung trotz Art. 8 EMRK möglich, wenn die zugrundliegende Straftat, wie hier, besonders schwer wiege. Die Ausweisung sei geeignet, erforderlich und unter Abwägung aller Belange angemessen. Das nach § 11 AufenthG zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot sei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles auf 6 Jahre ab dem Zeitpunkt der erfolgten Ausreise (Abschiebung) zu befristen.

Hiergegen hat der Kläger am 11. Mai 2021 Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover erhoben. Dort wurde von ihm geltend gemacht, dass die Beklagte im Rahmen ihrer Ausweisungsentscheidung und der von ihr angestellten Prognose über das Bestehen einer Wiederholungsgefahr nicht berücksichtigt habe, dass die relevanten Straftaten in den Jahren 2017 und 2019 begangen bzw. abgeurteilt worden seien. Bei diesen sei er - der Kläger - wegen seiner Drogenabhängigkeit, die aufgrund seiner verzweifelten Bemühungen um eine Aufenthaltserlaubnis entstanden sei, vermindert schuldfähig gewesen. Eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich dieser im Zusammenhang mit der Drogenabhängigkeit stehenden Straftaten bestehe nicht, da er, der seine Straftaten bereue und der aus seinem Gefängnisaufenthalt gelernt habe, nach erfolgreicher Therapie nicht mehr drogenabhängig sei. Die Gefahr der Begehung nicht drogenbezogener Straftaten durch ihn bestehe ebenfalls nicht, da diese Straftaten viele Jahre zurücklägen. Die Beklagte habe es versäumt, den konkreten Sachverhalt zu berücksichtigen, welcher den Verurteilungen zugrunde gelegen habe. Auch das Nachtatverhalten sowie den - partiell von der Suchterkrankung beeinflussten - Verlauf von Haft und Therapie habe sie nicht hinreichend gewürdigt. Bemerkenswert sei, dass die Beklagte bei ihrer Prognose seine Verschuldung und seine Ablehnung eines Insolvenzverfahrens erwähne, obgleich aus unerlaubten Handlungen folgende Schulden einem solchen nicht zugänglich seien. Es habe der Beklagten oblegen, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob sich aus den in der Vergangenheit begangenen Straftaten tatsächlich eine Wiederholungsgefahr ergebe. Eine solche Annahme entbehre unter Berücksichtigung seines Verhaltens jeglicher Grundlage. Die Beklagte lasse in ihre Prognoseentscheidung überdies irrelevante und zudem nicht erwiesene Behauptungen einfließen. Das gelte sowohl im Hinblick auf ein vorgeblich am 9. Juli 2015 gegenüber Mitarbeitern der Beklagten gezeigtes bedrohliches und beleidigendes Verhalten als auch für vermeintliche Äußerungen anlässlich eines Anrufs am 25. Juni 2020 sowie für angeblich penetrante Anrufe, die er am 14. März 2022 bei einem Sachbearbeiter der Beklagten getätigt habe. Die Beklagte habe bei ihrer als unverhältnismäßig anzusehenden Ausweisungsentscheidung auch nicht hinreichend beachtet, dass sie einen Teil der Schuld trage, er als Kleinkind ins Bundesgebiet eingereist sei, sich dort langjährig aufgehalten habe und möglicherweise als faktischer Inländer anzusehen sei. Auch sei völlig außer Acht gelassen worden, dass er seit Dezember 2004 nach islamischem Recht mit Frau B. verheiratet sei, wie sich auch aus einer von ihr stammenden eidesstattlichen Versicherung vom 17. Januar 2023 nebst Hochzeitsbildern ergebe. Nach Art. 13 Abs. 4 EGBGB unterfalle diese Ehe als sog. "hinkende Ehe" dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es ihm aufgrund seiner Staatenlosigkeit gerade nicht möglich, die Ehe in der Türkei fortzuführen. Schließlich hat der Kläger zahlreiche Unterlagen vorgelegt, welche seine Erwerbstätigkeit zwischen 2013 und 2015 und während weiterer kurzer Zeiträume betreffen und aufgrund fehlenden Aufenthaltstitels erfolglos gebliebene Bemühungen um eine Arbeitsstelle zeigen sollen. In einem Schreiben des Klägers vom 22. Januar 2023 heißt es, dass er den Shisha-Shop im Jahr 2013 aufgrund seiner Duldung nicht auf eigenen Namen, sondern auf den Namen eines Freundes registriert habe. Der Kläger hat außerdem Auskünfte der Rentenversicherung für sich und Frau B. sowie weitere Unterlagen vorgelegt. Darunter befinden sich auch Unterlagen, die seinen Arbeitsunfall und seine Behinderung betreffen sowie ein psychosomatischer Erstbericht des N. vom 12. Mai 2022, wonach er unter einer posttraumatischen Verbitterungsstörung, einer anhaltenden Schmerzstörung, einer psychischen und Verhaltensstörung durch Kokain, Abhängigkeitssyndrom, nach Suchtanamnese gegenwärtig abstinent, einer psychischen und Verhaltensstörung durch Nikotin, nach Suchtanamnese schädlicher Gebrauch, sowie abnormen Gewohnheiten und Störung der Impulskontrolle leide.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid unter Wiederholung und Vertiefung von dessen Begründung verteidigt. Die Ausweisung sei, unabhängig davon, ob diese am Maßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG zu messen sei oder nicht, rechtmäßig. Die Ausweisung sei sowohl aus spezial- als auch generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. Es drohten gegenwärtig ernsthafte und konkrete neue strafrechtliche Verfehlungen durch den Kläger, dessen Staatsangehörigkeit nach den Stellungnahmen des in A-Stadt ansässigen Generalkonsulats der Republik Türkei vom 4. Februar 2022 und vom 11. März 2022 nach wie vor ungeklärt sei. Dafür sprächen nicht nur die in der Vergangenheit vom Kläger begangenen Straftaten, sondern auch sein im Übrigen gezeigtes Verhalten. Am 9. Juli 2015 habe sich der Kläger bedrohlich und beleidigend gegenüber ihren Mitarbeitern verhalten, sodass ihm gegenüber ein Hausverbot habe ausgesprochen werden müssen. Dass der Kläger nach Mai 2018 zunächst keine weiteren im Bundeszentralregister verzeichneten Straftaten begangen habe, sei allein darauf zurückzuführen, dass er sich ab dem 18. Juni 2018 in Haft und in einer Entziehungsanstalt befunden habe. Allerdings habe der Kläger auch dort das Klinikpersonal beschimpft und bedroht. Er habe während der Unterbringung erneut Kokain konsumiert und dies trotz positiven Drogentests geleugnet. Wegen seines inakzeptablen Verhaltens und der nicht bestehenden Therapierbarkeit sei die Unterbringung in der Entziehungsanstalt letztlich beendet worden. Im Rahmen der Anhörung zum hier angefochtenen Bescheid habe der Kläger ihr am 25. Juni 2020 telefonisch mitgeteilt, dass er sich einen falschen Pass besorgen und in jedem Fall erneut in das Bundesgebiet einreisen werde. Nach Erlass des Bescheides habe der Kläger am 5. Oktober 2021 in einem von ihm vor dem Verwaltungsgericht Hannover geführten Verfahren (5 A 1570/21) den dort zuständigen Richter mit der Begehung einer gegen ihn gerichteten rechtswidrigen Tat gegen dessen körperliche Unversehrtheit bedroht, weswegen er inzwischen rechtskräftig wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt worden sei. In der dort geführten Hauptverhandlung habe der Kläger sich verbal aggressiv und schwer begrenzbar gezeigt. Am 14. März 2022 sei zudem einer ihrer Mitarbeiter wiederholt und penetrant vom Kläger angerufen und mehrfach beleidigt worden. Am 13. und 14. April 2023 habe der Kläger bei einem ihrer Mitarbeiter erneut massiven Telefonterror ausgeübt. Er habe unter anderem wieder angegeben, dass er sich einen falschen Pass besorgen und ins Ausland reisen werde. Er sei zudem weitere Male beleidigend geworden und habe Bedrohungen ausgesprochen. Wegen dieser Vorfälle habe sie dem Kläger unter dem 21. April 2023 ein Hausverbot erteilt. Aus alledem ergebe sich, dass die vom Kläger angesprochene Therapie keine Gewähr für dessen dauerhafte Straflosigkeit biete. Er habe sich mit seinen Straftaten nicht ausreichend auseinandergesetzt und habe sein Verhalten nicht geändert. Stattdessen gebe er ihr, der Beklagten, die Schuld hierfür sowie für seine psychische Erkrankung und seine Suchterkrankung. Der Kläger sei nicht in der Lage oder nicht gewillt, die Rechtsordnung zu achten. Er werde sein Fehlverhalten im Zusammenhang mit Eigentums- und Vermögens- sowie Beleidigungsdelikten fortsetzen. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die nach Angaben des Klägers seit dem 22. Dezember 2004 mit Frau B. nach islamischem Recht geschlossene Ehe ihn künftig von der Begehung weiterer Straftaten abhalten werde, da dies bereits in der Vergangenheit nicht gelungen sei. Durchgreifende Bleibeinteressen bestünden nicht. Insbesondere ergäben sich solche nicht aus der nach wie vor nicht hinreichend belegten und aus im Einzelnen benannten Gründen unglaubhaften Behauptung des Klägers, seit 2004 nach islamischem Recht verheiratet zu sein. Unabhängig davon werde die im Bundesgebiet nach islamischem Recht vorgenommene Trauung zweier ausländischer Staatsangehöriger von der deutschen Rechtsordnung nicht als Ehe im zivilrechtlichen Sinne anerkannt. Sie entfalte deshalb auch keinen Grundrechtsschutz nach Art. 6 Abs. 1 GG. Da Frau B. keine deutsche, sondern türkische Staatsangehörige sei, stehe insoweit auch kein besonders schweres Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG im Raum. Nach Aktenlage sei zudem davon auszugehen, dass Frau B. und der Kläger ein gemeinsames Leben in der Türkei führen könnten. Im Hinblick auf seine aufenthaltsrechtliche Historie, die von ihm begangenen Straftaten und die Sicherung seines Lebensunterhalts durch Sozialleistungen könne der Kläger sich weder auf die Rechtsstellung eines faktischen Inländers noch auf eine anderweitig schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet berufen.

Das Verwaltungsgericht Hannover - 5. Kammer - hat die Klage mit Urteil vom 10. Mai 2023, zugestellt an die Beteiligten jeweils am 26. Mai 2023, abgewiesen. Die an § 53 Abs. 1 AufenthG zu messende Ausweisung sei rechtmäßig. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG werde dem Kläger nicht zuteil, da er kein türkischer Staatsangehöriger sei. Auch sei der Anwendungsbereich von § 53 Abs. 3a und 4 AufenthG nicht eröffnet. Die Beklagte sei ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass der weitere Aufenthalt des Klägers sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiven Gründen gegenwärtig eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG darstelle und den für eine Ausweisung sprechenden Interessen überwiegendes Gewicht zukomme. Die strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers erfüllten die Anforderungen an besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1, 1a lit. d) und Abs. 2 Nr. 1, 3, 4 und 9 AufenthG. Der Kläger sei zwar in den Jahren 2007 und 2017 wegen Betäubungsmittelstraftaten verurteilt worden, sei abhängig von Betäubungsmitteln gewesen, habe bisher keine Therapie gemacht und scheine nur über ein teilweise vorhandenes Problembewusstsein zu verfügen. Vor dem Hintergrund eines ärztlichen Berichts über dessen Drogenfreiheit und die sonstigen vielfachen Erkenntnisse sei aber trotz der geringen Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen, dass er erneut Straftaten aus dem Bereich der Betäubungsmittel- oder der Beschaffungskriminalität begehen werde. Es sei jedoch anzunehmen, dass er auch künftig Straftaten im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte begehen werde. Der Kläger habe durch seine Straftaten eine erkennbare kriminelle Energie sowie die Bereitschaft gezeigt, sich über Normen und Gesetze hinwegzusetzen. Er sei seit seiner Volljährigkeit zunächst mit Diebstählen, später wiederholt mit Beleidigungen und Betrugsstraftaten strafrechtlich aufgefallen. Die der Entscheidung des Amtsgerichts München zugrundeliegenden Betrugsstraftaten hätten zahlreiche Personen finanziell in erheblicher Weise geschädigt. Die Verurteilungen des Klägers wegen Diebstahls, Betrugs und Steuerhinterziehung zeugten von einem verfestigten Verhaltensmuster des Klägers, sich auf Kosten anderer unrechtmäßig finanzielle Vorteile zu verschaffen. Noch höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut Ehrdelikte begehen werde. Dafür sprächen nicht nur die Persönlichkeit des Klägers, die bei ihm diagnostizierte Verbitterungsstörung sowie seine Neigung, seinen Unmut in unsachlicher Weise zu äußern und damit andere Personen zu verunglimpfen, zu bedrohen und zu beleidigen. Soweit sich diese Taten auch gegen Mitarbeiter der Polizei, der Behörden und der Justiz und damit auch gegen den Staat und seine Einrichtungen richteten und deren Arbeit beeinträchtigten, berührten sie zugleich ein Grundinteresse der Gesellschaft. Es sei auch nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger sein Verhalten geändert habe oder dass durch seine Haft eine Zäsur eingetreten sei. Die bestehende Wiederholungsgefahr sei vielmehr im Verlauf des Verfahrens wiederholt bestätigt worden und habe zu einer weiteren Verurteilung wegen Bedrohung geführt. Die 11 im Bundeszentralregister eingetragenen Straftaten des Klägers begründeten auch ein generalpräventives Ausweisungsinteresse, welches mangels Ablaufs der Tilgungsfristen des § 46 BZRG andauere. Der Kläger habe durch seine Straftaten nicht nur die Grundrechte verschiedener Betroffener verletzt, sondern habe auf die Arbeit der staatlichen Institutionen eingewirkt. Es bedürfe einer wirksamen und sichtbaren Sanktion, um andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Den spezial- und generalpräventiven Ausweisungsinteressen des Klägers stehe kein besonderes geschütztes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 AufenthG entgegen. Er sei nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und sei vollziehbar ausreisepflichtig. Er lebe auch nicht in familiärer Lebensgemeinschaft mit deutschen Familienangehörigen. Seine Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland seien als einfache Bleibeinteressen gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG in die Abwägung einzustellen. Zugunsten des Klägers sei insoweit zwar sein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet zu berücksichtigen, der jedoch nur zeitweise durch eine Aufenthaltserlaubnis legalisiert gewesen sei. Der Kläger habe es aber nicht geschafft, sich in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren oder über einen längeren Zeitraum einer gesicherten Arbeit nachzugehen. Die nach islamischem Ritus geschlossene Ehe mit Frau B. sei zwar glaubhaft dargelegt, stehe aber ohne staatliche Anerkennung nicht unter dem Schutz von Art. 6 GG. Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK ergebe sich kein gleichrangiges privates Interesse des Klägers daran, von der Ausweisung verschont zu bleiben. Mangels drohender Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet fehle es schon an einem Eingriff in die Rechte des Art. 8 Abs. 1 EMRK. Ungeachtet dessen könne der Kläger sich nicht auf eine Rechtsstellung als faktischer Inländer berufen, weil eine schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet aufgrund seines überwiegend illegalen Aufenthalts, seiner wiederholten Straftaten, seiner Aussage, sich im Bundesgebiet gefangen zu fühlen, und die wiederholte Ankündigung, das Bundesgebiet mit einem gefälschten Pass zu verlassen, nicht entstanden sei. Das durch die durchgehende Straffälligkeit des Klägers sowie die erhebliche Gefahr erneuter Straftaten begründete Ausweisungsinteresse überwiege die Bleibeinteressen des Klägers auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich im Falle des Klägers angesichts seiner zumindest ungeklärten Staatsangehörigkeit um eine rein inlandsbezogene Ausweisung handele. Der Kläger sei zwar gegenwärtig nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, welche durch die Ausweisung zum Erlöschen gebracht werden könne. Er werde im Bundesgebiet ohnehin nur wegen Passlosigkeit geduldet. Auch sei in absehbarer Zeit nicht mit einem Wegfall des tatsächlichen Abschiebungshindernisses zu rechnen, sodass die Ausweisung nicht der Aufenthaltsbeendigung diene. Auch könnten gegen ihn aufgrund der Ausweisung keine Maßnahmen nach § 56 AufenthG angeordnet werden, da kein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG gegeben sei. Die damit auch nach Ansicht der Beklagten allein inlandsbezogen wirkende Ausweisung sei gleichwohl möglich und werde von einem Ausweisungsinteresse getragen, da das Ziel, die weitere Verfestigung des Aufenthalts eines bereits vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers zu verhindern, durch die mit den Nebenentscheidungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG einhergehende Titelerteilungssperre erreicht werde. Auch Unionsrecht stehe der Ausweisung nicht entgegen. Die Ausweisung stelle schon keine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) dar, sodass sie nicht an dieser zu messen sei. Auch das auf 6 Jahre ab dem Tag der beabsichtigten Abschiebung/Ausreise befristete Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie die damit einhergehende und ab Bestands-/Rechtskraft des Bescheides zu laufen beginnende Titelerteilungssperre seien nicht zu beanstanden. Mit der zugleich ergangenen Ausweisung seien die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG erfüllt. Auch die Befristungsentscheidung, die sich deutlich unterhalb der in § 11 Abs. 5 AufenthG vorgesehenen Höchstfrist von 10 Jahren bewege, begegne keinen Bedenken. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei schließlich mit Unionsrecht, insbesondere der Rückführungsrichtlinie vereinbar. In dessen Art. 3 Nr. 6 sei der Begriff "Einreiseverbot" als "die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht" definiert. Eine solche Rückkehrentscheidung stelle die gegenüber dem Kläger ergangene, bestandskräftige Abschiebungsandrohung vom 26. Oktober 2007 dar. Diese erfülle zwar nicht die unionsrechtlichen Anforderungen, weil sie ohne Zielstaatsbestimmung ergangen sei, und sie sei demzufolge nicht wirksam im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dass infolge der Staatenlosigkeit des Klägers auf absehbare Zeit ihm gegenüber keine wirksame Rückkehrentscheidung ergehen könne, habe allerdings nicht zur Folge, dass das Unionsrecht nun dem Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegenstehe. Nach dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. November 2022 - C-69/21 - bezögen sich die mit der Rückführungsrichtlinie geschaffenen Normen und Verfahren nur auf den Erlass von Rückkehrentscheidungen und deren Vollstreckung. Der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie sei dagegen nicht eröffnet, wenn aus tatsächlichen Gründen keine Rückkehrentscheidung ergehen könne, da die Richtlinie nicht zum Ziel habe, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu harmonisieren. Entsprechend regele die Rückführungsrichtlinie weder die Art und Weise, in der Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht zuzuerkennen sei, noch die Folgen, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aus dem illegalen Aufenthalt Drittstaatsangehöriger ergäben, gegenüber denen keine Entscheidung über die Rückführung in ein Drittland erlassen werden könne. Eine Verpflichtung, einem illegal im Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn ihm gegenüber eine Rückkehrentscheidung in einen Drittstaat erlassen werden könne, begründe die Rückführungsrichtlinie nach der ausdrücklichen Feststellung des Gerichtshofs nicht. Nur eine solche Verpflichtung hätte indes im Widerspruch zu der mit dem Einreise- und Aufenthaltsverbot einhergehenden Titelerteilungssperre gestanden. Wie das Einreise- und Aufenthaltsverbot selbst regele auch die Titelerteilungssperre in dieser Fallgruppe lediglich die von der Rückführungsrichtlinie nicht berührten Folgen, die sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aus dem illegalen Aufenthalt des Klägers ergäben, und die Art und Weise, in der Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht zuzuerkennen sei. Angesichts dessen ergäben sich auch aus dem Urteil der Vierten Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 3. Juni 2021 - C-546/19 - keine unionsrechtlichen Einwände gegen ein mit der inlandsbezogenen Ausweisung ausgesprochenes Einreise- und Aufenthaltsverbot (mehr). Während die Vierte Kammer davon ausgegangen sei, dass die Rückführungsrichtlinie auf jedweden illegalen Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen anwendbar sei und es zugleich Art. 6 der Rückführungsrichtlinie zuwiderliefe, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befänden und ggf. einem Einreiseverbot unterlägen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr bestehe, sei die Große Kammer des Gerichtshofs von beiden Prämissen ausdrücklich abgerückt. Deshalb sei auch die auf diesen Prämissen beruhende Auffassung der Vierten Kammer des Gerichtshofs nicht mehr tragfähig, dass die Rückführungsrichtlinie einem Einreise- und Aufenthaltsverbot entgegenstehe, das ein Mitgliedstaat gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen verhängt habe, gegen den eine wirksame Rückkehrentscheidung nicht (mehr) bestehe. Dies gelte jedenfalls dann, wenn, wie hier, eine Rückkehrentscheidung aus tatsächlichen oder zwingenden rechtlichen Gründen auf absehbare Zeit nicht ergehen könne. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger am 5. Juni 2023 eingelegte Berufung. Zu deren Begründung trägt der Kläger vor, dass die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung nicht vorlägen. Es bestehe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für künftige Straftaten im Bereich der Eigentums-, Vermögens- und Ehrdelikte. Das Verwaltungsgericht habe zwar zutreffend angenommen, dass keine hinreichende Wahrscheinlichkeit mehr für Betäubungsmittelstraftaten bestehe, habe dann aber verkannt, dass es sich bei den Eigentums- und Vermögensdelikten um Beschaffungskriminalität gehandelt habe, die mit bestehender Drogenabstinenz nicht mehr zu befürchten sei. Insoweit müsse auch berücksichtigt werden, dass er - der Kläger - gemeinsam mit Herrn Dr. O. im Bereich des Großhandels mit internationalen Lebensmitteln Pläne für eine wirtschaftliche Selbstständigkeit habe, die er umzusetzen beabsichtige, sobald ausländerrechtlich hierfür die Voraussetzungen vorlägen. Da die Ehrdelikte erkennbar im Zusammenhang mit der nunmehr seit 15 Jahren andauernden, ungeklärten ausländerrechtlichen Situation sowie der bei ihm diagnostizierten Verbitterungsstörung stünden, sei aufgrund seiner Therapiebemühungen nach Klärung der ausländerrechtlichen Situation auch insoweit eine Wiederholung nicht mehr zu befürchten. Aus diesen Erwägungen heraus sei auch eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen unzulässig. Bei einer Abwägung überwiege zudem sein Bleibeinteresse. Er sei bereits als faktischer Inländer anzusehen und sei in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Er sei während seines Aufenthalts im Bundesgebiet auch durchaus erwerbstätig gewesen und sei nicht zuletzt durch die Verletzung seines Fußes und die ungeklärte ausländerrechtliche Situation an der Aufnahme einer Beschäftigung gehindert. Er verfüge auch über zahlreiche Bindungen im Bundesgebiet, auch zu deutschen Staatsangehörigen. Er habe den Willen, sich rechtstreu zu verhalten und therapieren zu lassen. Unzutreffend sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, sein Aufenthalt, der bei ihm als Staatenloser nicht beendet werden könne, sei nur teilweise durch eine Aufenthaltserlaubnis legalisiert. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass auch ein geduldeter Aufenthalt einen rechtmäßigen Aufenthalt darstellen könne und seine Aufenthaltserlaubnis im Jahr 2007 habe verlängert werden müssen. Dass er, der sich ausreichend um die Aufklärung seiner Staatsangehörigkeit bemüht habe, geäußert habe, sich einen anderen Pass zu besorgen und in 100 Länder reisen zu wollen, stelle ersichtlich einen kompensatorischen Ausspruch im Rahmen seiner Verbitterungsstörung dar, wegen derer er auf eigene Initiative eine Therapie begonnen habe. Ausweislich des Entlassungsbriefs des S. Klinikums vom 31. August 2023 habe er eine Teilstabilisierung erreicht, die mit dem Erlernen kompensatorischer Verhaltensmuster einhergegangen sei. Um die Therapie fortsetzen und weitere Fortschritte machen zu können, sei allerdings zunächst die Klärung der ausländerrechtlichen Situation notwendig. Weiterhin stelle die Ehe mit Frau B. einen Umstand dar, der im Rahmen seines Bleibeinteresses zu berücksichtigen sei. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt, wonach die Ehe als "hinkende Ehe" ebenfalls den Schutz von Art. 6 GG genieße oder zumindest im Rahmen des Ermessens Berücksichtigung finden müsse. Daneben unterfalle die persönliche Bindung im Rahmen des ehelichen Zusammenlebens jedenfalls faktisch dem Wertungsgehalt des Art. 8 EMRK, was gänzlich unberücksichtigt geblieben sei. Das Verwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau § 53 Abs. 3 AufenthG mittelbar anwendbar sei, weil anderenfalls die in Deutschland geborene und aufgewachsene türkische Staatsangehörige genötigt sei, ihr Recht nach ARB 1/80 aufzugeben, um die Ehe anderenorts weiterzuleben, was bereits faktisch nicht gehe. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Ausweisung als rein inlandsbezogene Ausweisung ins Leere gehe. Sie verfolge keinen legitimen Zweck und sei zur Zweckerreichung ungeeignet. Als erheblicher Eingriff in seine Psyche sei sie nicht gerechtfertigt. Einer rein inlandsbezogenen Ausweisung stehe zudem die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Juni 2021 - C-546/19 - entgegen, wonach es Art. 1 und 6 der Rückführungsrichtlinie zuwiderliefe, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befänden und ggf. einem Einreiseverbot unterlägen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung bestehe. So liege es hier. Die Rückkehrentscheidung aus dem Bescheid vom 26. Oktober 2007 sei rechtswidrig, weil sie im Vorwege ergangen sei und der Zielstaat in der Rückkehrentscheidung nach Inkrafttreten der Rückführungsrichtlinie nicht mehr offen gelassen werden dürfe. Gegenteiliges ergebe sich nicht aus der Entscheidung der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2022 - C-69/21 -, wo lediglich zum Ausdruck gebracht worden sei, dass keine Pflicht zur Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe. Gleiches gelte für das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot, welches mindestens mittelbar eine Rückkehrentscheidung darstelle. Insbesondere das unmittelbar greifende Aufenthaltsverbot könne nicht wirksam verfügt werden, da er das Bundesgebiet aufgrund seiner Staatenlosigkeit nicht verlassen könne. Die Verfügung sei deshalb insgesamt nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 und 5 VwVfG nichtig. Zu berücksichtigen sei auch, dass er durch das verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot weiter kriminalisiert werde, wodurch sich der Druck auf ihn erhöhen werde, ohne dass er sich dem entziehen könne. Der Bescheid sei weiterhin auch nach § 44 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 37 VwVfG nichtig. Es sei unklar, ob die Verfügung sofort gelten solle oder erst mit einer beabsichtigten Abschiebung oder Ausreise. Während die Ausreise unmöglich sei und damit nie eintreten werde, wäre der Eintritt des Zeitpunkts der beabsichtigten Abschiebung unklar und damit inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Unabhängig davon wäre eine Frist von 6 Jahren zu lang. Eine solche Fristbestimmung werde weder seiner aktuellen Gefährlichkeit noch seinen persönlichen Bindungen im Bunddesgebiet gerecht. Da er mangels Möglichkeit zur Ausreise keine Entfristung erreichen könne, verliere die Verfügung mangels Zeitablaufs nie ihre Wirkung, was auch gegen das Übermaßverbot verstoße. Vorgelegt hat der Kläger zudem weitere Unterlagen, darunter auch ein klinisch-psychologischer Abschlussbericht vom 20. Dezember 2023 über einen stationären Aufenthalt in der Klinik am U. in V. vom 17. Oktober 2023 bis zum 14. November 2023, in dem unter anderem ausgeführt wird, dass bei ihm infolge eines langjährigen Aufenthaltsverfahrens eine psychische Reaktion auf eine anhaltende schwere Belastung mit anhaltender Persönlichkeitsveränderung vorliege und er unter einer rezidivierenden depressiven Episode leide; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vom Kläger vorgelegten Unterlagen verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer - vom 10. Mai 2023 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass dieser nichtig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Bescheid sei rechtmäßig. Insbesondere sei das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger auch künftig im Bereich der Eigentums-, Vermögens- und Ehrdelikte Straftaten begehen werde. Dies könne nicht durch eine Drogenabstinenz entkräftet werden. Der Kläger lasse unberücksichtigt, dass er während des Gerichtsverfahrens wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten und wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt worden sei. Diese Verurteilung habe den Kläger zudem nicht davon abgehalten, mit Beleidigungen und Bedrohungen erneut in strafrechtlich relevanter Weise in Erscheinung zu treten. Das Verwaltungsgericht habe die Wiederholungsgefahr im Bereich der Eigentums-, Vermögens- und Ehrdelikte außerdem nicht mit der Drogenabhängigkeit des Klägers begründet, sondern mit der strafrechtlichen Historie des Klägers sowie dem daraus ableitbaren verfestigten Verhaltensmuster, sich auf Kosten anderer unrechtmäßige Vorteile zu sichern. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Bewährungshelferin des Klägers mitgeteilt habe, dass bisherige ambulante Therapieversuche nicht erfolgreich gewesen seien. Der Kläger habe, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt habe, auch keine besonders geschützten Bleibeinteressen, die das besonders schwere Ausweisungsinteresse überwögen. Gegenteiliges folge insbesondere nicht daraus, dass der Kläger nunmehr der Ansicht sei, die ihm einst erteilte Aufenthaltserlaubnis habe im Jahr 2007 verlängert werden müssen; der seinerzeitige Ablehnungsbescheid sei gerichtlich bestätigt worden. Der Ausweisungsentscheidung, die keine Rückkehrentscheidung darstelle, stehe auch Unionsrecht nicht entgegen. Mit der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 26. Oktober 2007 liege zudem eine rechtskräftig bestätigte Rückkehrentscheidung vor. Die materielle Rechtskraft führe dazu, dass die Abschiebungsandrohung nicht aufgehoben werden könne, da die Entscheidung bindend sei. Die Rechtskraft sei auch nicht zugunsten der Effektivität des Unionsrechts zu durchbrechen. Dies sei nur in Ausnahmefällen unionsrechtlich geboten. Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot, dessen Frist nach der Klarstellung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mit der Ausreise beginne und die ermessensfehlerfrei bestimmt worden sei, stelle entgegen der Ansicht des Klägers keine Rückkehrentscheidung dar. Es ergänze die Rückkehrentscheidung und müsse im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie mit einer solchen einhergehen. Hier liege eine Rückkehrentscheidung mit der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 26. Oktober 2007 vor. Davon abgesehen sei der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen vorliegend nicht eröffnet. Die Tatsache, dass der Kläger gegenwärtig aufgrund von Passlosigkeit geduldet werde, stehe dem Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht entgegen. Wegen der damit einhergehenden Titelerteilungssperre sei die Anordnung auch dann nicht wirkungslos, wenn es nie zu einer Ausreise des Klägers komme. Die in § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG normierte Titelerteilungssperre verhindere die Erteilung eines Aufenthaltstitels, was ein Mittel der Gefahrenabwehr darstelle. In Fällen, in denen ein Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert sei, sei hinsichtlich der isolierten Wirkung als Titelerteilungssperre der Beginn des Fristlaufs der Zeitpunkt der Bestandskraft der angefochtenen Verfügung. Die Vorschrift des § 11 Abs. 4 AufenthG ermögliche es, durch eine Verlängerung oder Verkürzung der Frist nachträglichen Sachverhaltsänderungen Rechnung zu tragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die beigezogene Gerichtsakte 13 LB 207/23 jeweils nebst Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers hat nur zum Teil Erfolg.

1.Gegenstand des Berufungsverfahrens ist zum einen der bereits vor dem Verwaltungsgericht gestellte und im Berufungsverfahren weiterverfolgte Hauptantrag, (unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung) den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 aufzuheben, und zum anderen der erstmals im Berufungsverfahren verfolgte Hilfsantrag, der auf die Feststellung der Nichtigkeit dieses Bescheides bzw. der darin enthaltenen Verwaltungsakte gerichtet ist. Letzteres stellt zwar eine Klageänderung in Gestalt einer Klageerweiterung dar; diese ist jedoch im Berufungsverfahren aufgrund der rügelosen Einlassung der Beklagten im Schriftsatz vom 16. August 2023 (Blatt 228 ff. der Gerichtsakte) zulässig (vgl. §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 91 Abs. 1 Alt. 1 und Abs. 2 VwGO).

2. Die Berufung ist zulässig. Diese ist nach vollumfänglicher Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft (vgl. §§ 124 Abs. 1, 124a Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO). Außerdem ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (vgl. § 124a Abs. 2 und 3 VwGO).

3. Die Berufung ist aber lediglich zum Teil begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die mit dem Hauptantrag (a.) weiterverfolgte Anfechtungsklage, soweit sich diese gegen die im Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 enthaltene Ausweisung richtet, zu Recht abgewiesen, denn die Ausweisung ist rechtmäßig. Die gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot gerichtete Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht hingegen zu Unrecht abgewiesen; insoweit ist der Bescheid im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die mit dem Hilfsantrag (b.) verfolgte Nichtigkeitsfeststellungsklage ist, soweit sich diese auf die im angegriffenen Bescheid enthaltene Ausweisung bezieht, unzulässig; soweit sie sich auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot bezieht, ist hierüber angesichts des insoweit erfolgreichen Hauptantrags nicht mehr zu entscheiden.

a. Der Hauptantrag ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

aa. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

aaa. Maßgeblich für deren rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 21; Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 38). Der Entscheidung sind daher das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54), zugrunde zu legen.

bbb. Die Ausweisung des Klägers findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG.

Nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

ccc. Die Ausweisung des Klägers ist hingegen nicht an den erhöhten Anforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG zu messen, wonach ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Denn es ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass der Kläger, was hier allein in Betracht zu ziehen ist, als ehemaliger (vgl. zum Erlöschen von - etwaig bestehenden - assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechten durch wirksame, aber nicht sofort vollziehbare Ausweisung: Senatsbeschl. v. 28.1.2021 - 13 ME 355/20 -, juris Rn. 18 ff.) Inhaber eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (ARB 1/80) in den Anwendungsbereich des § 53 Abs. 3 AufenthG fällt. Für die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 3 AufenthG von vorneherein unerheblich ist nach dessen eindeutigem Wortlaut hingegen, ob, wie der Kläger geltend gemacht hat, die türkische Staatsangehörige, Frau B., die er nach eigenen Angaben am 22. Dezember 2004 im Bundesgebiet nach islamischem Ritus geheiratet hat, über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt.

(1) Dass der Kläger Inhaber eines durch die Ausweisungsentscheidung der Beklagten erloschenen assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gewesen ist, ist nicht ersichtlich.

Danach hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht, weiterhin eine unselbständige Erwerbstätigkeit bei dem gleichen Arbeitgeber auszuüben, nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl zu bewerben und nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Türkische Staatsangehörige, die sich auf die in Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 vorgesehenen Rechte berufen wollen, müssen mithin drei Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen Arbeitnehmer sein, dem regulären Arbeitsmarkt im Aufnahmemitgliedstaat angehören und dort - über einen gewissen Zeitraum - einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.5.2018 - BVerwG 1 C 17.17 -, juris Rn. 13 f. m.w.N.).

Ungeachtet der Frage, ob der Kläger, was, wie ausgeführt, Voraussetzung für das Entstehen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ist und von ihm angesichts seines Vorbringens zu einer bestehenden Staatenlosigkeit gerade in Abrede gestellt wird, türkischer Staatsangehöriger ist, erfüllt er die Voraussetzungen für ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 schon deshalb nicht, weil nicht zu erkennen ist, dass er einer ordnungsgemäßen Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber für mindestens drei Jahre nachgegangen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.7.2017 - BVerwG 1 C 28.16 -, juris Rn. 33). Etwaige Beschäftigungszeiten unterhalb von drei Jahren beim gleichen Arbeitgeber könnten dem Kläger hingegen allenfalls ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 vermittelt haben, welches zur Fortführung der Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber berechtigt, aber mit Aufgabe eben dieser Beschäftigung geendet hätte (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.5.2018 - BVerwG 1 C 17.17 -, juris Rn. 22 sowie Urt. v. 30.7.2013 - BVerwG 1 C 9.12 -, juris Rn. 11). Da die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zudem eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraussetzt (vgl. Senatsbeschl. v. 18.12.2018 - 13 ME 495/18 -, V.n.b., Umdruck S. 3), kommt es insoweit von vorneherein nur auf Beschäftigungszeiten an, in denen der Kläger ab dem 7. November 1996 zunächst Inhaber von fortlaufend verlängerten Aufenthaltsbefugnissen und daran anknüpfend ab dem 28. Januar 2005 Inhaber einer bis zum 27. Januar 2007 gültigen Aufenthaltserlaubnis war. Beschäftigungszeiten, in denen der Kläger lediglich im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG gewesen ist, können hingegen nicht Grundlage für eine assoziationsrechtlich ordnungsgemäße Beschäftigung sein (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 18.9.2019 - 3 B 202/19 -, juris Rn. 13; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 15.4.2011 - 11 S 189/11 -, juris Rn. 46). Dies zugrunde gelegt lässt sich weder dem Vorbringen des Klägers noch den übrigen Akteninhalten entnehmen, dass der Kläger zwischen dem 7. November 1996 und dem 27. Januar 2007 einer ordnungsgemäßen Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber für mindestens drei Jahre nachgegangen ist (vgl. dazu vor allem Blatt 41, 61, 100 ff., 104, 127 f., 129, 168, 183 f., 205, 231, 239 ff., 276 ff., 280, 362 und 471 der Beiakte 1). Soweit der Kläger in einem in den Akten befindlichen Lebenslauf vom 10. Februar 2020 (Blatt 1064 der Beiakte 1) angegeben hat, von 2000 bis 2008 als Lieferant, Fahrer und Lagerarbeiter gearbeitet zu haben, liegen hierzu weder hinreichende Nachweise vor, noch stimmt dies mit den Angaben aus den übrigen Akteninhalten überein. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dies beim gleichen Arbeitgeber erfolgt ist und es sich hierbei um eine - im Einklang mit aufenthalts- und arbeitserlaubnisrechtlichen Bestimmungen stehende (vgl. dazu Vorläufiges psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H. v. 18.10.2022, Blatt 15R der Beiakte 6: "...daneben habe er auf dem Markt oder mit dem Vater im Gartenbau schwarz gearbeitet..." sowie Kurzidem, in: BeckOK, Ausländerrecht, EWG-Türkei, Art. 6 Rn. 18 (Stand: 1.10.2023): "... eine Beschäftigung unter Verstoß gegen zwingende sozialversicherungsrechtliche Melde- und Beitragspflichten (Schwarzarbeit) [führt] nicht zu einer ordnungsgemäßen Beschäftigung ...") - ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gehandelt hat.

(2) Der Kläger hat auch nicht die Voraussetzungen für ein - mangels abgeschlossener Berufsausbildung (vgl. Art. 7 Satz 2 ARB 1/80) allein in Betracht zu ziehendes - assoziationsrechtliches Arbeitsmarktzugangsrecht und das damit einhergehende Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt (vgl. Kurzidem, in: BeckOK, Ausländerrecht, EWG-Türkei, Art. 7 Rn. 1 (Stand: 1.10.2023)).

Danach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben, und freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Entstehung eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 hängt danach unter anderem davon ab, dass der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörende türkische Arbeitnehmer während des gesamten Zeitraums von mindestens drei Jahren, in dem der Familienangehörige bei ihm im Bundesgebiet gelebt, also mit ihm eine grundsätzlich ununterbrochene tatsächliche Lebensgemeinschaft gebildet hat, durchgehend beschäftigt gewesen ist, wobei eine bloße vorübergehende Unterbrechung der Beschäftigung mit Blick auf die Zugehörigkeit des türkischen Arbeitsnehmers zum regulären Arbeitsmarkt ggf. unbeachtlich sein kann (vgl. Senatsbeschl. v. 22.2.2018 - 13 LA 28/18 - V.n.b. Umdruck S. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.4.2017 - OVG 11 S 6.17 -, juris Rn. 5; Kurzidem, in: BeckOK, Ausländerrecht, EWG-Türkei, Art. 7 Rn. 3 ff. (Stand: 1.10.2023)).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 weder von seinem Vater (2.1) noch von der türkischen Staatsangehörigen, Frau B., die er nach eigenen Angaben im Bundesgebiet am 22. Dezember 2004 nach islamischem Ritus geheiratet hat (2.2), abgeleitet.

(2.1) Der Kläger war nicht Inhaber eines von seinem Vater abgeleiteten assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass der Vater des Klägers, wie für eine Ableitung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erforderlich, als Stammberechtigter türkischer Staatsangehöriger ist, obwohl ihm von der Stadt Essen ein Reiseausweis für Staatenlose ausgestellt wurde (Blatt 745 der Beiakte 1), kann der Kläger, ohne dass es insoweit auf seine eigene Staatsangehörigkeit ankommt (vgl. EuGH, Urt. v. 19.7.2012 - C-451/11 -, juris Rn. 65), von diesem kein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ableiten. Da das tatsächliche Zusammenleben des türkischen Arbeitnehmers mit dem Familienangehörigen auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes des Familienangehörigen erfolgt sein muss, kann es insoweit von vorneherein nur auf Zeiträume des tatsächlichen Zusammenlebens des Klägers mit seinem Vater in der Zeit vom 7. November 1996 bis zum 27. Januar 2007 ankommen, in denen der Kläger zunächst Inhaber von fortlaufend verlängerten Aufenthaltsbefugnissen und daran anknüpfend ab dem 28. Januar 2005 Inhaber einer bis zum 27. Januar 2007 gültigen Aufenthaltserlaubnis gewesen ist. Die Ordnungsgemäßheit des Wohnsitzes entspricht insoweit der Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, was das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen voraussetzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.1995 - BVerwG 1 C 11.94 -, juris Rn. 31; Bayerischer VGH, Beschl. v. 18.8.2016 - 10 ZB 16.1225 -, juris Rn. 7; Kurzidem, in: BeckOK, Ausländerrecht, EWG-Türkei, Art. 7 Rn. 13 (Stand: 1.10.2023)). Da Kinder des Stammberechtigten nach dem im ARB 1/80 selbst nicht definierten Begriff des Familienangehörigen in Anlehnung an Art. 2 Nr. 2 lit. c) der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) grundsätzlich nur vor Vollendung des 21. Lebensjahres und danach nur im Falle der Unterhaltsgewährung erfasst werden (vgl. Bayerischer VGH, Urt. v. 10.6.2022 - 10 B 22.244 -, juris Rn. 26 f.), ergeben sich insoweit im Falle einer hier weder geltend gemachten noch hinreichend nachgewiesenen Unterhaltsgewährung weitere Einschränkungen daraus, dass der Kläger 2000 das 21. Lebensjahr vollendet hat. Gemessen daran ist für den Senat nicht ersichtlich, dass beim Kläger die Voraussetzungen für ein von seinem Vater abgeleitetes assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vorliegen. Von einem aus den vorgenannten Gründen erst ab dem 7. November 1996 relevanten tatsächlichen Zusammenleben des Klägers mit seinem Vater kann nach Aktenlage allenfalls bis zum Umzug des Klägers nach A-Stadt im Laufe des Jahres 2000 ausgegangen werden. Dass der Kläger in dieser Zeit mit seinem Vater eine ununterbrochene tatsächliche Lebensgemeinschaft gebildet hat, lässt sich der Akte allerdings schon nicht hinreichend entnehmen. Diese enthält vielmehr mehrere Hinweise darauf, dass der Kläger die tatsächliche Lebensgemeinschaft mit seinem Vater in dieser Zeit wiederholt unterbrochen hat (vgl. dazu etwa Blatt 84 f., 87, 112 f., 115, 127 f., 130, 133 und 135 der Beiakte 1). Aber auch wenn davon ausgegangen wird, dass der Kläger mit seinem Vater ab dem 7. November 1996 bis ins Jahr 2000 mindestens drei Jahre eine grundsätzlich ununterbrochene tatsächliche Lebensgemeinschaft gebildet hat, lässt sich für den Senat weder anhand des Vorbringens des Klägers noch aus den übrigen Akteninhalten entnehmen, dass der Vater des Klägers in diesem Zeitraum überhaupt, geschweige denn durchgehend einer Beschäftigung nachgegangen ist und damit im Bundesgebiet dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat.

(2.2) Auch ein von der türkischen Staatsangehörigen, Frau B., abgeleitetes assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 scheidet aus. Das gilt unabhängig davon, ob die im Bundesgebiet nach islamischem Ritus erfolgte "Eheschließung", wovon schon nicht auszugehen ist (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.aa.eee.(2.1) dieses Urteils), als wirksam anzusehen ist. Selbst wenn hiervon ausgegangen und überdies angenommen wird, dass der Kläger mit Frau B. seit der "Eheschließung" eine grundsätzlich ununterbrochene tatsächliche Lebensgemeinschaft gebildet und diese, wofür keine hinreichenden Anhaltspunkte bestehen (vgl. etwa Schreiben des Klägers v. 19.3.2019, Blatt 832 der Beiakte 5: "Meine Frau ist aus gesundheitlichen Gründen verhindert zu Arbeiten..." [sic!]), in diesem Zeitraum im Bundesgebiet dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat, hätte die Ehe und damit die Stellung des Klägers als Familienangehöriger im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 (vgl. Kurzidem, in: BeckOK, Ausländerrecht, EWG-Türkei, Art. 7 Rn. 4 (Stand: 1.10.2023)) frühestens seit der "Eheschließung" am 22. Dezember 2004 bestanden. Da der Kläger aber nur bis zum 27. Januar 2007 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis gewesen ist, fehlt es bereits deshalb an einem - von einem ordnungsgemäßen Wohnsitz getragenen - tatsächlichen Zusammenleben des Klägers mit Frau B. als Stammberechtigte im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren.

ddd. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass die Ausweisung des Klägers den Anforderungen des § 53 Abs. 3a AufenthG oder des § 53 Abs. 4 AufenthG genügen muss.

eee. Die - demnach allein maßgeblichen - Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG liegen hier vor.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ((1)), wobei die Gefährdung auf spezial- ((1.1)) und generalpräventiven Gründen ((1.2)) beruht, und auch unter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt ((2)).

(1) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG wegen der Verwirklichung eines besonders schwerwiegenden und mehrerer schwerwiegender Ausweisungsinteressen die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, denn er ist mit Urteil des Amtsgerichts München wegen Diebstahls in 4 Fällen in Tatmehrheit mit 42 Fällen des Computerbetrugs in Tatmehrheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Ob der Kläger hierdurch weitere besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen, wie etwa das des § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. d) AufenthG verwirklicht hat, kann dahinstehen, da dies nicht zu einer typisierten Verstärkung des Ausweisungsinteresses führt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 38).

Dass der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts Hannover wegen Betrugs nach § 263 StGB zulasten des Sozialamts der Stadt Hannover - im Wege einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung durch das Amtsgericht München mit Urteil zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist, begründet kein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG, da die Freiheitsstrafe von einem Jahr - ausweislich der Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts Hannover (Blatt 341 der Gerichtsakte: "Das Gericht hielt eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten für tat- und schuldangemessen.") - nicht für den Betrug als solches festgesetzt worden ist (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 54 AufenthG, Rn. 22). Die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Hannover begründet allerdings ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Denn insoweit genügt es, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist.

Weitere schwerwiegende Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG begründen auch die Verurteilungen des Klägers durch das Amtsgericht Frankfurt mit Urteil wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten auf Bewährung, durch das Amtsgericht Hannover mit Urteil wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung sowie durch das Amtsgericht Hannover mit Urteil wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Dass der Kläger ausweislich der Feststellungen in den Entscheidungen des Amtsgerichts München und des Amtsgerichts Hannover als Täter den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht hat, erfüllt jeweils das schwerwiegende Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG.

Die weiteren Verurteilungen des Klägers durch das Amtsgericht Frankfurt am Main mit Strafbefehl und das Amtsgericht Hannover mit Strafbefehl jeweils wegen Beleidigung zu Geldstrafen (40 bzw. 70 Tagessätze) sowie durch das Amtsgericht Hamburg mit Strafbefehl wegen versuchter Steuerhinterziehung und schließlich durch das Amtsgericht Tiergarten mit Strafbefehl wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall, ebenfalls jeweils zu Geldstrafen (150 bzw. 120 Tagessätze), begründen weitere schwerwiegende Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG, der § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F. entspricht. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse unter anderem auch dann schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er hingegen immer beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 - juris Rn. 52 und v. 14.11.2018 - 13 LB 160/17 -, juris Rn. 40 jeweils m.w.N. zu § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F.). Da vorsätzliche Straftaten, wie die eingangs dieses Absatzes genannten, vom Kläger begangenen, grundsätzlich keine geringfügigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften darstellen, erfüllen diese in der Regel - und so auch hier - jeweils das schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG. Für den Senat besteht auch keine Veranlassung, den so - in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F. - bestimmten Anwendungsbereich des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG mit Blick auf etwaige Wertungswidersprüche zu den anderen in § 54 AufenthG benannten Ausweisungsinteressen teleologisch zu reduzieren (vgl. dazu sowie zum Folgenden: Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 - juris Rn. 53 m.w.N. und v. 14.11.2018 - 13 LB 160/17 -, juris Rn. 41 zu § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F.; Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BR-Drs. 642/14 (B), S. 25 f.; Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 18/4199, S. 6; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.10.2016 - 2 O 26/16 -, juris Rn. 9 ff.; VG Göttingen, Urt. v. 28.6.2017 - 1 A 241/16 -, juris Rn. 45; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 54 AufenthG Rn. 97). Die in den Katalogen der Absätze 1 und 2 des § 54 AufenthG konkretisierten Ausweisungsinteressen sind vom Bundesgesetzgeber jeweils alle als besonders schwerwiegend (Abs. 1) bzw. schwerwiegend (Abs. 2) bewertet worden. Die zugrundeliegenden Handlungen sind aber ersichtlich nicht gleicher Art und auch nicht in gleicher Weise sanktioniert oder pönalisiert. Angesichts der teilweise erheblichen Unterschiede erscheint es kaum möglich, bereits bei der Bestimmung des tatbestandlichen Anwendungsbereiches der in den Katalogen der Absätze 1 und 2 des § 54 AufenthG konkretisierten Ausweisungsinteressen ein Gleichgewicht herzustellen (vgl. zu dieser Forderung: Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 18/4199, S. 6). Der Senat sieht hierfür auch keine Notwendigkeit. Das Anliegen, in § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F. die Wörter "einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen" zu streichen, fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 18/5420, S. 13 und 15). § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F. ist vielmehr ausdrücklich eine Auffangfunktion zur Begründung eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses zugedacht worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BT-Drs. 18/4097, S. 52). Zudem ergibt erst die nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG vorzunehmende Abwägung unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob das Interesse an der Ausreise letztendlich überwiegt. Im Rahmen dieser Abwägung ist auch einem Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG (bzw. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F.) das den Umständen des Einzelfalles angemessene Gewicht zu verleihen (so auch Fleuß, in: BeckOK, Ausländerrecht, § 54 AufenthG Rn. 310 (Stand: 1.1.2024)). Hieran hat sich auch aufgrund des am 27. Februar 2024 in Kraft getretenen Rückführungsverbesserungsgesetzes vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54) nichts geändert. Hierdurch sind zwar unter anderem zwei neue schwerwiegende Ausweisungsgründe geschaffen worden (vgl. § 54 Abs. 2 Nr. 2a und 9 AufenthG), die sich auf rechtskräftige Verurteilungen wegen dort näher bezeichneter vorsätzlicher Straftaten beziehen und die insoweit jeweils einschränkend formulieren "Verurteilungen zu Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen bleiben außer Betracht". Die Gesetzgebungsmaterialien enthalten allerdings keinen Hinweis darauf, dass damit auch an das Vorliegen eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG (bzw. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F.) strengere Anforderungen einhergehen sollten und die § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG (bzw. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG a.F.) beigemessene Auffangfunktion entfallen sollte; das gesetzgeberische Anliegen ging vielmehr ausdrücklich dahin, die Ausweisungsgründe erweitern zu wollen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksacken 20/9463, 20/9642 -, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), BT-Drs. 20/10090, S. 3). Danach bleibt es also auch weiterhin möglich, rechtskräftige Verurteilungen, die, wie hier, nicht die Anforderungen anderer benannter Ausweisungsinteressen erfüllen, als schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG zu qualifizieren und sie mit einem ihnen angemessenen Gewicht in die Abwägung nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG einzustellen.

(1.1) Sämtliche dieser vom Kläger verwirklichten Ausweisungsinteressen begründen - in spezialpräventiver Hinsicht - eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufgrund der vom Verhalten des Klägers ausgehenden (Wiederholungs-)Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen.

Die nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG erforderliche Feststellung, dass der Aufenthalt eines Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, bedarf einer Prognose zur Wiederholungsgefahr. Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, juris Rn. 15; Urt. v. 4.10.2012 - BVerwG 1 C 13.11 -, juris Rn. 18; Senatsurt. v. 6.5.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn. 38; Senatsbeschl. v. 20.6.2017 - 13 LA 134/17 -, juris Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.4.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 28; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 10.3.2011 - 8 LB 153/09 -, juris Rn. 55 ff. jeweils m.w.N.).

Gemessen daran geht der Senat - auch unter Berücksichtigung der im Verfahrensverlauf sowie durch die Anhörung in der mündlichen Verhandlung und die beigezogenen Strafakten und Verwaltungsvorgänge der Beklagten bekannt gewordenen Persönlichkeit des Klägers und seiner Entwicklung und Lebensumstände - davon aus, dass der Kläger mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch künftig Straftaten gegen das Eigentum, das Vermögen, die Ehre und den individuellen Rechtsfrieden natürlicher Personen (vgl. zum Schutzgut der Bedrohung: Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 241 Rn. 2) sowie aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität begehen wird.

Unabhängig davon, ob etwaig nach wie vor im Erziehungsregister zulasten des Klägers eingetragene Verurteilungen (Blatt 1378 f. der Beiakte 1) unter anderem wegen Diebstahls in mehreren Fällen einem Verwertungsverbot nach §§ 51 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 4 BZRG unterliegen (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 23.9.2009 - BVerwG 1 B 16.09 -, juris Rn. 3), ist festzustellen, dass der Kläger mit Eigentums- und Vermögensdelikten immer wieder, auch innerhalb laufender Bewährungszeiten und zuletzt mit zunehmendem Unrechtsgehalt, strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und durch die von erheblicher krimineller Energie getragenen (u.a. Verwendung von Aliaspersonalien, serielle Begehungsweise zur Verschaffung einer Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Gewicht, Erschleichen und Ausnutzen des Vertrauens alkoholisierter Personen, Einsatz von Gewalt und qualifizierten Nötigungsmitteln zur Ermöglichung der Wegnahme) Taten empfindliche Schäden bei den Opfern verursacht hat. Auch wegen Betäubungsmittelstraftaten und wegen Straftaten gegen die Ehre und den individuellen Rechtsfrieden natürlicher Personen ist der Kläger bereits mehrfach, ebenfalls teilweise innerhalb laufender Bewährungszeiten, strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Kläger bezog in der Zeit von Januar 2003 bis Januar 2005 vom Sozialamt der Stadt A.-Stadt - trotz vorhandenen Guthabens auf seinem Bankkonto in Höhe von mehreren zehntausend Euro - Hilfe zum Lebensunterhalt und führte hierdurch eine Überzahlung in Höhe von 16.840,70 EUR herbei. Er wurde deshalb durch das Amtsgericht Hannover mit Urteil wegen Betrugs - unter Einbeziehung des zuvor ergangenen Urteils des Amtsgerichts München - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung (Bewährungszeit 3 Jahre) verurteilt, wobei das Gericht für den Betrug als solchen eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten als tat- und schuldangemessen erachtet hatte. Vor dieser Verurteilung, wegen begangener Beleidigungen war der Kläger mit Strafbefehlen des Amtsgerichts Frankfurt am Main und des Amtsgerichts Hannover zu Geldstrafen in Höhe von 40 Tagessätzen zu je 20 EUR und in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt worden. Im ersten Fall hatte der Kläger beim Ordnungsamt der Stadt Frankfurt am Main angerufen, um sich über eine Abschleppmaßnahme zu beschweren und die dortige Sachbearbeiterin im Verlauf des Gesprächs als "Hure" und "alte Fotze" beschimpft. Im zweiten Fall hatte der Kläger einer Politesse aus Verärgerung über die Aufnahme der Daten seines verkehrswidrig abgestellten Kraftfahrzeugs auf die Schuhe gespuckt und sie mit den Worten beschimpft, sie könne seinen "Schwanz lutschen". Ebenfalls bereits vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Hannover, hatte der Kläger - ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Erlaubnis zu sein - im Hauptbahnhof I.-Stadt zum Zwecke des gewinnbringenden Verkaufs fünf Plomben mit insgesamt 4,0 Gramm Kokaingemisch mit sich geführt. Er saß deswegen mehrere Wochen in Untersuchungshaft und wurde letztlich durch das Amtsgericht München mit - später durch das Amtsgericht Hannover einbezogenem - Urteil zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung verurteilt. Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht zugunsten des Klägers, dass dieser zumindest den Besitz der Drogen eingeräumt habe, wenngleich er wahrheitswidrig behauptet habe, dass diese zum Eigenkonsum bestimmt gewesen seien. Auch die mitgeführte Rauschgiftmenge habe sich in Grenzen gehalten. Zulasten des Klägers berücksichtigte das Gericht, dass dieser mit einem hoch süchtig machenden Rauschgift Geschäfte habe machen wollen und dass er strafrechtlich bereits oftmals - wenngleich nicht einschlägig - in Erscheinung getreten sei. Der Kläger habe gezeigt, dass er derzeit nicht in der Lage oder willens sei, straffrei zu leben. Es sei deshalb gegen ihn eine empfindliche Freiheitsstrafe von 8 Monaten auszusprechen, wobei auch berücksichtigt werde, dass der Kläger sich bereits seit längerer Zeit in Untersuchungshaft befunden habe. Die Freiheitsstrafe könne zur Bewährung ausgesetzt werden, da die Prognose durchaus günstig sei. Der Kläger habe unter der Untersuchungshaft als Ausländer besonders gelitten. Er sei beeindruckt und habe sicher seine Lehren aus der Inhaftierung gezogen. Statt sich diese Verurteilungen und die in Untersuchungshaft verbrachte Zeit zur Warnung dienen zu lassen, beging der Kläger innerhalb der auf der Grundlage der Verurteilung durch das Amtsgericht Hannover festgesetzten Bewährungszeit von 3 Jahren weitere Vermögensdelikte. So trat er durch einen weiteren Betrug zulasten eines Restaurantinhabers strafrechtlich in Erscheinung, indem er diesem - unter Angabe anderer Personalien - die Lieferung von 100 Wasserpfeifen und einer größeren Menge Shisha-Tabak zu einem Gesamtpreis von 6.500 EUR anbot, den Kaufpreis entgegennahm, die Ware in der Folge jedoch nicht, wie von vorneherein beabsichtigt, lieferte. Er wurde deshalb vom Amtsgericht Frankfurt am Main mit Urteil wegen Betrugs zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung im - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten - Berufungsverfahren durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main "unter Zurückstellung nicht unerheblicher Bedenken" erneut zur Bewährung (Bewährungszeit 4 Jahre) ausgesetzt wurde. Ebenfalls innerhalb der auf der Grundlage der Verurteilung durch das Amtsgericht Hannover festgesetzten Bewährungszeit, wurde der Kläger mit einem Vermögensdelikt im weiteren Sinne (vgl. zu dieser Einordnung: Ibold, in: BeckOK, Abgabenordnung, § 370 Rn. 12 (Stand: 1.10.2023)) straffällig, als er bei der Einreise aus der ehemaligen Freizone Hamburg in das übrige Zollgebiet der Gemeinschaft 463,75 Kilogramm (sic!) unverzollten und unversteuerten Wasserpfeifentabak der zuständigen Zollstelle gegenüber - trotz vorheriger Befragung - nicht anmeldete und so versuchte, Einfuhrabgaben in Höhe von 34.926,73 EUR zu verkürzen. Der Kläger wurde deshalb vom Amtsgericht Hamburg mit Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 7 EUR verurteilt. Im Zeitraum von Januar 2016 bis zum 7. Oktober 2016, also teilweise innerhalb der auf der Grundlage des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main bis zum 3. April 2016 festgesetzten Bewährungszeit, trat der Kläger mit weiteren Betäubungsmittelstraftaten in Erscheinung, als er in 40 Fällen unerlaubt Betäubungsmittel (Kokain) erwarb. Er wurde deswegen mit Strafbefehl des Amtsgerichts München zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt. Am brach der Kläger in einem Hotel mit einem unbekannten Werkzeug eine verschlossene Schublade hinter dem Barbereich auf und entwendete eine dort abgelegte Geldbörse mit 316,68 EUR sowie eine silberfarbene Kette. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn wegen dieser Tat mit Strafbefehl wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 EUR. Den Schaden von 316,68 EUR zahlte der Kläger zwar nach Begehung der Tat an das Hotel zurück und entschuldigte sich. Gleichwohl wurde er bereits kurz darauf erneut straffällig, indem er sich im Zeitraum von Februar 2018 bis Juni 2018 wiederholt - bei einer begangenen Tat durch Wegstoßen des Geschädigten - Zugang zu ihm nicht gehörenden EC-Karten nebst dazugehörigen PINs verschaffte und diese anschließend nutzte, um Geld von den Konten der Geschädigten abzuheben bzw. mit diesen Verfügungen zu tätigen. Hierdurch entstand diesen ein Schaden von insgesamt 13.048,21 EUR. Das Amtsgericht München verurteilte den Kläger deswegen mit Urteil wegen Diebstahls in 4 Fällen in Tatmehrheit mit 42 Fällen des Computerbetrugs in Tatmehrheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten und ordnete die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 13.048,21 Euro sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht zugunsten des Klägers unter anderem, dass er geständig, einsichtig und reumütig gewesen sei, die Taten aufgrund von Spielsucht und Kokainabhängigkeit im Sinne von Beschaffungskriminalitätstaten begangen habe und zum Zeitpunkt der Begehung einiger Taten eine intoxikationsbedingte Verminderung der Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB nicht auszuschließen gewesen sei. Zulasten des Klägers berücksichtigte es, dass dieser strafrechtlich bereits vielfach, auch einschlägig in Erscheinung getreten sei, teilweise einen erheblichen materiellen Schaden verursacht habe und der Kläger als Serientäter eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt habe und im Hinblick auf den Raub eine Eskalation in Bezug auf die sonstige Tatbegehung vorliege. Der Kläger war wegen dieser Taten am 18. Juni 2018 zunächst in Untersuchungshaft genommen worden. Ab dem 28. Mai 2019 wurde er in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Nachdem dies, worauf sogleich noch näher einzugehen sein wird, für gescheitert und die Unterbringung mit Beschluss des Landgerichts München vom 25. Juni 2020 (Blatt 1081 ff. der Beiakte 1) für erledigt erklärt worden war, befand er sich ab dem 8. Juli 2020 bis zur vollständigen Verbüßung der ihm gegenüber verhängten Freiheitsstrafe bis zum 21. April 2021 in einer Justizvollzugsanstalt. In diesem Beschluss lehnte das Landgericht München wegen des Fehlens jeglicher Anhaltspunkte für eine positive Prognose im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 StGB auch die Aussetzung des Vollzugs der Reststrafe zur Bewährung ab. Eine gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde blieb erfolglos (Blatt 147 ff. der Beiakte 5). Nur wenige Monate nach seiner Entlassung aus der Haft, wurde der Kläger erneut straffällig, indem er aus Verärgerung über den seiner Ansicht nach langsamen Fortgang eines von ihm geführten Verwaltungsstreitverfahrens gegenüber einer Justizangestellten am Telefon äußerte, dass er den zur Entscheidung berufenen Richter bis ins Koma verprügeln werde, wobei der Kläger von einer Übermittlung an den Richter ausging. Das Amtsgericht Hannover verurteilte den Kläger deswegen mit Urteil wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung (Bewährungszeit 3 Jahre). Die gegen diese Verurteilung zunächst eingelegte Berufung nahm der Kläger mit Schreiben vom 25. November 2022 zurück, nachdem im Berufungsverfahren vom Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie H. unter dem 18. Oktober 2022 ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten (Blatt 1 ff. der Beiakte 6) zur - dort bejahten - Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Klägers sowie zur Frage einer etwaigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erstattet worden war. Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht Hannover in seinem Urteil zugunsten des Klägers, dass er sich aufgrund seiner ungeklärten ausländerrechtlichen Situation in einem gewissen Erregungszustand befunden haben möge. Im Übrigen spreche nichts für ihn. Zu seinen Lasten berücksichtigte es, dass der Kläger strafrechtlich bereits erheblich in Erscheinung getreten sei und ihm auch verbale Aggressivität nicht fremd sei. Als verbal aggressiv und nur schwer begrenzbar habe der Kläger sich auch im Hauptverhandlungstermin präsentiert. Überdies sei eine Bedrohung als Mittel gegenüber der Justiz, einen zügigeren Verfahrensfortgang zu erreichen, nicht tolerabel und müsse sowohl aus spezial- als auch generalpräventiven Gründen empfindlich bestraft werden. Dem Kläger werde "mit Bedenken Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt". Die Sozialprognose könne noch gerade als günstig im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB angesehen werden. Es bestehe die Erwartung, dass der Kläger sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lasse und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs nicht mehr straffällig werde. Diese Prognose bewahrheitete sich in der Folge nicht. Nur wenige Monate später, also innerhalb der auf der Grundlage der Verurteilung durch das Amtsgericht Hannover festgesetzten Bewährungszeit, trat der Kläger wiederum, und zwar einschlägig, strafrechtlich in Erscheinung, indem er aus Verärgerung über den seiner Ansicht nach langsamen Fortgang von ihm geführter Verwaltungsstreitverfahren sowie über die Ablehnung einer vergleichsweisen Einigung mehrmals bei einem Prozessvertreter der Beklagten anrief, diesem auf dessen Anrufbeantworter sprach und hierbei - ausweislich der Urteilsfeststellungen - Nachrichten folgenden Inhalts hinterließ (Blatt 160R f. der Beiakte 7):

"Dabei behauptete der Angeklagte, der Zeuge T. würde ihn misshandeln. Ferner betitelte er den Zeugen T. unter anderem als 'Hurensohn', 'giftigen Beamten', 'dreckiges Schwein', 'dreckige Sau' und 'dreckigen Hund'. Ferner bezeichnete der Angeklagte den Zeugen als 'dreckigen Homosexuellen' und als 'Schwuchtel'. Der Angeklagte gab an, den Zeugen an dessen Dienstanschrift in der Osterstraße 'besuchen und misshandeln' und ihn 'packen und misshandeln' zu wollen. Auch kündigte er an, den Zeugen 'quälen' zu wollen. Zudem betonte der Angeklagte mehrfach, dass er den Zeugen ficken werde. Er gab an, den Zeugen vor dem Dienstgebäude zu packen, mitzunehmen und ihm wehtun zu wollen. Des Weiteren sagte er: 'Ich werde Ihre Mutter quälen. Ich werde sie quälen und Ihre Mutter'. Er werde die Mutter des Zeugen sowie dessen Familie ficken."

Nachdem der Prozessvertreter der Beklagten aufgrund der Vielzahl der Anrufe seine telefonische Erreichbarkeit unterbunden hatte, äußerte der Kläger gegenüber einer Mitarbeiterin der Beklagten unter anderem, dass der Prozessvertreter der Beklagten ein "Trottel" und "Wichser" sei. Das Amtsgericht Hannover verurteilte den Kläger deswegen mit Urteil wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung es wiederum zur Bewährung aussetzte. Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Gericht zugunsten des Klägers, dass er sich geständig eingelassen und den Zeugen damit eine Aussage sowie Konfrontation mit ihm erspart habe. Auch könne für den Kläger berücksichtigt werden, dass er sich aufgrund seiner ungeklärten ausländerrechtlichen Situation in einem gewissen Erregungszustand befunden haben möge. Im Übrigen spreche nichts für ihn. Zu seinen Lasten berücksichtigte es, dass der Kläger strafrechtlich bereits erheblich in Erscheinung getreten sei und ihm auch verbale Aggressivität nicht fremd sei. Überdies seien Beleidigungen und Bedrohungen als Mittel gegenüber der Verwaltung, einen zügigeren Verfahrensfortgang zu erreichen, nicht tolerabel und müssten sowohl aus spezial- als auch generalpräventiven Gründen empfindlich bestraft werden. Dem Kläger werde "mit erheblichen Bedenken zum wiederholten Male Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt". Die Sozialprognose könne noch gerade als günstig im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB angesehen werden. Es bestehe die Erwartung, dass der Kläger sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lasse und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs nicht mehr straffällig werde. Zur weiteren Begründung führte das Amtsgericht Hannover im Urteil das Folgende aus (Blatt 161R der Beiakte 7):

"Diese prognostische Zukunftsbeurteilung hat das Gericht auf der Grundlage einer Gesamtbewertung von Tat und Täterpersönlichkeit getroffen, wobei alle vorstehend geschilderten Umstände, die sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ins Gewicht fallen, Berücksichtigung gefunden haben. Der Angeklagte lebt in geregelten Verhältnissen und war und ist stets um Arbeit bemüht. Zudem - und das war ausschlaggebend - hat sich seine Bewährungshelferin im Hauptverhandlungstermin vom 15.01.2024 für die Bewilligung einer zweiten Bewährung ausgesprochen. Der Angeklagte nehme seine Gesprächstermine bei ihr regelmäßig war. Er zeige sich zudem bemüht, seine psychosoziale Situation zu verbessern. Ab Januar 2022 habe der Angeklagte einige ambulante Termine in der Psychiatrie des Klinikums der Region A-Stadt in R.-Stadt wahrgenommen. Insbesondere aufgrund von Schlafstörungen, Depressionen, Gereiztheit und Impulsivität habe er sich vom 24.07.2023 bis zum 31.08.2023 - also nach der hiesigen Tat - in einer teilstationären psychiatrischen Tagesklinik des Klinikums S. aufgehalten. Die Klinik habe die Fortsetzung der therapeutischen Behandlung empfohlen, jedoch darauf verwiesen, dass für eine Therapiefähigkeit mit ausreichend positiver Prognose der Abschluss des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht um den Aufenthaltsstatus des Angeklagten erforderlich sei. In Bezug auf die Rehabilitation seiner Fußverletzung habe sich der Angeklagte vom 17.10.2023 bis zum 14.11.2023 in einer teilstationären Rehabilitationsmaßnahme mit psychotherapeutischen Elementen befunden. Auch hier sei eine weiterführende psychotherapeutische Behandlung aufgrund der fortbestehenden Stressbelastung und dem anhaltenden Belastungserleben empfohlen worden. Diese positiven Ansätze hat das Gericht zu Gunsten des Angeklagten gewürdigt und ihm mit der Bewilligung einer zweiten Bewährung die Chance gegeben zu zeigen, dass er trotz aller Belastungen weiß, sich adäquat zu verhalten und seine Aggressionsproblematik weiter aufzuarbeiten. Hierzu und nicht zuletzt auch zur Rechtfertigung der Bewährungsentscheidung war es erforderlich, dem Angeklagten im Rahmen der Bewährungsauflagen die Teilnahme an einem Antiaggressionstraining beim Männerbüro A-Stadt e.V. aufzugeben." (sic!)

Diese überaus zahlreichen, über viele Jahre hinweg und mehrfach während laufender Bewährungszeiten begangenen und für verfestigte Verhaltensmuster sprechenden Straftaten und die ihnen zugrundeliegenden Umstände lassen erwarten, dass der Kläger, der sich von den ihm gegenüber verhängten Geld- und Freiheitsstrafen in der Vergangenheit in keiner Weise hat beeindrucken lassen, auch künftig Straftaten gegen das Eigentum, das Vermögen, die Ehre und den individuellen Rechtsfrieden natürlicher Personen sowie aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität begehen wird. Umstände, die in ausreichendem Maße auf eine positive Entwicklung beim Kläger hindeuten und für einen grundlegenden Wandel in seiner persönlichen Lebensführung sprechen, sind für den Senat - trotz des positiv zu würdigenden Verhaltens des Klägers im Rahmen der Führungsaufsicht (vgl. unter anderem Bericht der Führungsaufsicht v. 5.3.2024, Seite 1 = Blatt 431 der Gerichtsakte: "Herr A. nimmt weisungsgemäß die monatlichen Termine war. Nach Bedarf werden auch Termine darüber hinaus durchgeführt. ... Herr A. erhielt darüber hinaus im Januar 2024 die Weisung, ein Antiaggressionstraining beim Männerbüro A-Stadt e.V. wahrzunehmen (25 Einzeltermine). Ein Erstgespräch ist dort bereits erfolgt." [sic!] sowie Bericht der Führungsaufsicht v. 6.2.2024, Seite 1 = Blatt 402 der Gerichtsakte: "Zum AJSD hält Herr A. weiterhin regelmäßig Kontakt und hält sich an die ihm auferlegten Auflagen und Weisungen.") sowie eingeleiteter Therapiebemühungen zur Behandlung seiner Persönlichkeitsstörungen (dazu sogleich) - nicht erkennbar. Insoweit vermag sich der Senat ausdrücklich nicht der - sich erkennbar nur zu Teilbereichen der klägerischen Delinquenz verhaltenden - günstigen Sozialprognose im Urteil des Amtsgerichts Hannover anzuschließen. Die letzten strafrechtlich abgeurteilten Verfehlungen des Klägers im Bereich der Eigentums-, Vermögens- und Betäubungsmittelkriminalität liegen zwar bereits mehrere Jahre zurück. Dieser Zeitraum muss aber ins Verhältnis zur vorangegangenen langjährigen Delinquenz des Klägers gesetzt werden. Außerdem muss beachtet werden, dass der Kläger sich innerhalb der Zeit, in der es zu keinen weiteren strafrechtlichen Verurteilungen wegen Eigentums-, Vermögens- und Betäubungsdelikten gekommen ist, für fast 3 Jahre (Juni 2018 bis zum April 2021) nicht "auf freiem Fuß" befunden hat. Überdies hat der Kläger mit seinem Verhalten, das, wie vorstehend ausgeführt, zum Teil weitere strafrechtliche Verurteilungen in anderen Deliktsbereichen zur Folge hatte, wiederholt eindrücklich dokumentiert, dass er - nach wie vor - nicht bereit ist, sich an die geltenden Gesetze zu halten und vielmehr nach seinen eigenen Regeln zu leben gedenkt. Letzteres ist unter anderem auch durch das Verhalten des Klägers während der Unterbringung in der Entziehungsanstalt (dazu sogleich) sowie im Strafvollzug (Blatt 258 der Beiakte 5: "Disziplinarisch trat der Gefangene in der hiesigen Justizvollzugsanstalt einmal im September 2020 wegen Verweigerung des zugewiesenen Haftraums in Erscheinung. In der vorherigen Justizvollzugsanstalt I.-Stadt wurde er im Juli 2020 wegen Verstoßes gegen das Maskentragegebot, wiederholter Nichtbefolgung von Anweisungen, Bedrängung eines Bediensteten sowie Beleidigung von zwei Bediensteten disziplinarisch geahndet.") deutlich geworden. Gleiches gilt auch für die fortwährend - und sogar in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat mehrfach - wiederholte Ankündigung des Klägers, dass er sich, falls er mit seinem gerichtlich verfolgten Anliegen, einen Reiseausweis für Staatenlose zu erhalten, nicht obsiegen sollte, einen gefälschten Pass besorgen und im Bundesgebiet "untertauchen" werde (Schreiben des Klägers v. 11.10.2023, Blatt 250 der Gerichtsakte; Schreiben des Klägers v. 16.10.2023, Blatt 263 der Gerichtsakte; Vermerk der Beklagten v. 25.6.2020, Blatt 873 der Beiakte 1). Bei der Bewertung der Wiederholungsgefahr kann auch nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass gerade Betäubungsmittelstraftaten häufig unentdeckt bleiben und dementsprechend oft keine strafrechtlichen Verurteilungen nach sich ziehen (vgl. BKA, Rauschgiftkriminalität, Bundeslagebild 2022, S. 6), was sich im Falle des Klägers bestätigt, der nach eigenen Angaben (Schreiben des Klägers v. 19.3.2019, Blatt 833 der Beiakte 5: "Seit dem Jahr 2013 habe ich täglich 3-5 Gramm Kokain konsumiert."; s. auch Gutachterliche Stellungnahme des K. -Klinikums v. 30.9.2019, Blatt 81 der Beiakte 5; Entlassungsbrief des S. Klinikums v. 31.8.2023, Blatt 234 ff. der Gerichtsakte) vom Jahr 2013 bis zum Jahr 2018 (nahezu) täglich mehrere Gramm Kokain konsumiert hat, aber nur wegen eines Bruchteils der insoweit im Raum stehenden Betäubungsmittelstraftaten verurteilt worden ist; auch der (Kokain-)Rückfall des Klägers während seiner Unterbringung in der Entziehungsanstalt im April 2020 (dazu sogleich) blieb für den Kläger in strafrechtlicher Hinsicht folgenlos. Gegen eine positive Prognose ins Feld zu führen ist vor allem aber auch, dass der Kläger die seiner Delinquenz zugrundeliegenden Ursachen bislang nicht in einer Art und Weise ausgeräumt hat, die erwarten lässt, dass er künftig entsprechende Straftaten nicht mehr begehen wird. Insbesondere kann, anders als der Kläger geltend gemacht hat, nicht angenommen werden, dass die von ihm begangenen Eigentums- und Vermögensdelikte allein als indirekte Beschaffungskriminalität zur Finanzierung seiner Drogenabhängigkeit einzuordnen sind und dass deren Begehung - ebenso wie Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - künftig nicht mehr drohen, weil er seine Drogenabhängigkeit inzwischen durch eine erfolgreiche Therapie überwunden hat. Das trifft in mehrfacher Hinsicht nicht zu. Zum einen ergeben sich unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Historie des Klägers, seinen eigenen Angaben zum Beginn seiner Drogenabhängigkeit (Entlassungsbrief des S. Klinikums v. 31.8.2023, Blatt 235 der Gerichtsakte: "Von 2013 bis 2018 Kokainabhängigkeit") sowie der im Urteil des Amtsgerichts München angesprochenen Zusammenhänge der vom Kläger begangenen Taten auch zu einer bei ihm bestehenden Spielsucht keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Delikte in ihrer Gesamtheit oder auch nur überwiegend im Sinne indirekter Beschaffungskriminalität zur Finanzierung einer Drogenabhängigkeit begangen worden sind; die vom Kläger - auch bereits vor dem Jahr 2013 begangenen - Vermögens- und Eigentumsdelikte sprechen vielmehr dafür, dass bei ihm insoweit ein verfestigtes, persönlichkeitsbedingtes Verhaltensmuster vorliegt, sich auf Kosten anderer unrechtmäßig finanzielle Vorteile zu verschaffen. Zum anderen kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die - für seine Straffälligkeit mitursächliche - Drogenabhängigkeit inzwischen durch eine erfolgreiche Therapie überwunden hat (vgl. zum Vorliegen einer Wiederholungsgefahr in solchen Fällen: Fleuß, in: BeckOK, Ausländerrecht, § 53 AufenthG Rn. 24 m.w.N. (Stand: 1.10.2023)); dasselbe gilt für die bisher überhaupt nicht therapierte Spielsucht des Klägers (Blatt 1061 der Beiakte 1: "Ich habe den Laden 'verbrannt'. Jeden Tag habe ich den Umsatz vom Shisha-Shop im Casino und für Cocain verspielt und verkonsumiert, weil ich den Streß mit der Ausländerbehörde nicht mehr ertragen konnte. Das waren ein paar Tausend Euro am Tag"; Sitzungsprotokoll des Amtsgerichts München v. 17.4.2019, Blatt 848 der Beiakte 5: "Mein Problem ist, ich spiele viel. Das Problem mit dem Spielen hat mich so weit gebracht."). Soweit der Kläger auf die Überwindung seiner Drogenabhängigkeit durch eine erfolgreiche Drogentherapie verwiesen hat, nimmt er offenbar Bezug auf die während der Unterbringung in der Entziehungsanstalt begonnene Drogentherapie. Diese ist jedoch erfolglos verlaufen. Das Landgericht München hatte, wie schon angeführt, die Unterbringung des Klägers mit Beschluss vom 25. Juni 2020 für erledigt erklärt, nachdem es keine hinreichend konkrete Aussicht mehr gesehen hatte, den Kläger durch die Behandlung in der Entziehungsanstalt zu heilen oder zumindest für eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und so von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten, die auf seinen Hang zurückgehen, abzuhalten. Anlass hierfür war nicht nur, dass der Kläger während seiner Unterbringung in der Entziehungsanstalt mit Kokain rückfällig geworden war, was er trotz positiver Testergebnisse vom 21./22. April 2020 und vom 15. Mai 2020 geleugnet hatte, sondern auch, dass er sich partiell nicht an dort geltende Regeln gehalten (Blatt 1084 der Beiakte 1 zum Besitz mehrerer illegaler Handys), das Klinikpersonal wiederholt beleidigt sowie bedroht (Blatt 1086 f. der Beiakte 1) und sich auf die Therapieinhalte nur oberflächlich eingelassen hatte (Blatt 1087 f. der Beiakte 1). Andere, erfolgreich verlaufene Therapiebemühungen des Klägers sind nicht ersichtlich (JVA M., Vollzugsplan v. 18.2.2021, Blatt 1095 der Beiakte 1: "Es besteht eine Drogenproblematik. Eine Therapie wurde zuletzt abgebrochen. Kontakt zur hiesigen Drogenberatung wurde nicht aufgenommen."; Schreiben der JVA M. v. 7.1.2021, Blatt 259 der Beiakte 5: "Mit der externen Suchtberatung nahm der Gefangene bisher keinen Kontakt auf"; Vorläufiges psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H. v. 18.10.2022, Blatt 2 der Beiakte 6) und wurden vom Kläger auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht geschildert. Nicht einmal im Hinblick auf eine tatsächlich über längere Zeit eingehaltene oder aktuell bestehende Drogenabstinenz des Klägers liegen dem Senat für eine entsprechende Überzeugungsbildung ausreichende Nachweise vor. Denn die insoweit vom Kläger vorgelegten Berichte (Entlassungsbrief des S. Klinikums v. 31.8.2023, Blatt 234 ff. der Gerichtsakte; Psychosomatischer Erstbericht des N. v. 12.5.2022 [Beiakte 3]), in denen von einer gegenwärtigen Drogenabstinenz die Rede ist, beruhen augenscheinlich allein auf den Angaben des Klägers ("Suchtanamnese"), die der Senat schon wegen des von ihm - trotz mehrerer positiver Tests - geleugneten (Kokain-)Rückfalls in der Entziehungsanstalt nicht als glaubhaft erachtet. Auch aus dem vom Kläger beigebrachten Ergebnis eines am 17. August 2021 mittels 5 cm langer Haarprobe durchgeführten Drogenscreenings (Blatt 1193 ff. der Beiakte 1) ergeben sich insoweit keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Drogenabstinenz, wenn es darin lediglich heißt, dass die Untersuchungsergebnisse der Haaranalytik keinen Anhaltspunkt für eine gewohnheitsmäßige Aufnahme von Kokain und andere Drogen durch den Kläger in einem Zeitraum von etwa 5 Monaten ergeben haben, sich ein gelegentlicher Konsum jedoch nicht ausschließen lässt. Auch die hohe Verschuldung des Klägers, deren tatsächliches Ausmaß ihm angesichts seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat, "lediglich" mit 12.000 EUR verschuldet zu sein, nicht vollumfänglich bekannt zu sein scheint (Psychiatrisches Gutachten v. 6.12.2018, Seite 12 und 14 f. [Beiakte 5]: "Danach habe er begonnen Schulden zu machen. Momentan habe er ca. 200.000 Euro bei verschiedensten Menschen schulden. Diese würden ihm ziemlich Druck machen." und "Er habe anfangs versucht mit Glücksspiel seine Sucht zu finanzieren ... Er habe dadurch Schulden im Wert von 150.000 Euro angesammelt."; JVA M., Vollzugsplan v. 18.2.2021, Blatt 1095 der Beiakte 1: "Gef. sei mit ca. 120 000 Euro verschuldet."; Schreiben der Schuldnerberatung v. 24.3.2023, Blatt 428 der Beiakte 5: "Die Gesamtverschuldung des Schuldners beläuft sich auf 80.833,56 € bei einer Gläubigeranzahl von insgesamt 6."), könnte diesen dazu verleiten, erneut Eigentums- und Vermögensdelikte zu begehen, zumal der Kläger insoweit immer wieder selbst betont hat, auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht oder nur schwer Fuß fassen zu können. Er hat sich zwar nach eigenen Angaben in ein Privatinsolvenzverfahren begeben (Bericht der Führungsaufsicht v. 12.1.2024, Blatt 384R der Gerichtsakte). Bis er insoweit, vorbehaltlich der Erfüllung der dazu erforderlichen Voraussetzungen, ganz oder zumindest teilweise (vgl. § 302 InsO) von einer Restschuldbefreiung profitieren kann, wird aber noch einige Zeit vergehen. Die der weiteren Delinquenz des Klägers (Straftaten gegen die Ehre und gegen den individuellen Rechtsfrieden natürlicher Personen) zugrundeliegenden Ursachen, die, anders als der Kläger geltend gemacht hat, schon ausweislich der aufgezeigten strafrechtlichen Historie nicht allein in seiner "ungeklärten ausländerrechtlichen Situation" erblickt werden können, sieht der Senat - entgegen der Auffassung im Urteil des Amtsgerichts Hannover - ebenfalls nicht als ausreichend ausgeräumt an. Der Kläger, der nach den vorliegenden Unterlagen an verschiedenen, seine Delinquenz (mit-)begünstigenden Persönlichkeitsstörungen leidet (Psychosomatischer Erstbericht des N. v. 12.5.2022 [Beiakte 3]: "Diagnosen: Posttraumatische Verbitterungsstörung (ICD-10: F.43.8) ... Psychische und Verhaltensstörung durch Kokain...Abnorme Gewohnheiten und Störung der Impulskontrolle"; Entlassungsbrief des S. Klinikums v. 31.8.2023, Blatt 234 ff. der Gerichtsakte: "Diagnose/n: ...V.a. Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus (ICD 10: F60.30)"; Vorläufiges psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H. v. 18.10.2022, Blatt 17R: "... ist diagnostisch von einer - dissozialen Persönlichkeitsakzentuierung bzw. dem Verdacht einer dissozialen Persönlichkeitsstörung auf der Grundlage einer früh einsetzenden Störung des Sozialverhaltens F 60.1 ... auszugehen."), mag zwar erste Schritte unternommen haben, um seine psychosoziale Situation zu verbessern; den vorliegenden Unterlagen lässt sich jedoch nichts dafür entnehmen, dass hier schon nennenswerte Therapieerfolge erzielt werden konnten. Für eine Wiederholungsgefahr in sämtlichen der vom Kläger bislang verwirklichten Deliktsbereiche spricht zudem, dass der Kläger sich mit den von ihm begangenen Straftaten und dem anderen Menschen zugefügten Leid noch nicht hinreichend auseinandergesetzt hat, was sich insbesondere auch daran zeigt, dass er sein Fehlverhalten teilweise in Abrede stellt, bagatellisiert bzw. die Schuld hierfür bei anderen sucht (Schreiben des Klägers v. 30.1.2024, Blatt 378 der Gerichtsakte: "Ich habe noch nie nur eine Fliege geschädigt!" sowie Schreiben des Klägers v. 7.5.2021, Blatt 336R und 337R der Gerichtsakte 13 LB 207/23: "Wie bin ich ins Gefängnis gekommen? Wie ist die Kriminalität und Drogen gekommen? Ich habe gesehen, daß es einen Fehler gibt bei Euch, den Beamten, den Beamten der Ausländerbehörde. [...] Die Ausländerbehörde hat mich gezwungen, Drogen zu nehmen, um von den Problemen mit der Paßsache abschalten zu können, die von der Ausländerbehörde kamen"). Es kann, anders als das Amtsgericht Hannover im Urteil ausgeführt hat, auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in geordneten Verhältnissen lebt. Denn er ist, wie schon ausgeführt, hoch verschuldet. Schließlich ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger mittlerweile über ein geändertes soziales Umfeld verfügt, welches ihn nachhaltig von der Begehung weiterer Straftaten abhalten kann.

(1.2) Darüber hinaus gefährdet der weitere Aufenthalt des Klägers, allerdings nur im Hinblick auf einzelne der von ihm verwirklichten Ausweisungsinteressen (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.aa.eee.(1) dieses Urteils), auch in generalpräventiver Hinsicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 -, juris Rn. 23), des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 17 m.w.N.) und auch des erkennenden Senats (vgl. Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 41 ff. und v. 18.2.2021 - 13 LB 269/19 -, juris Rn. 41; Senatsbeschl. v. 7.12.2020 - 13 ME 384/20 -, V.n.b. Umdruck S. 6 f. und v. 21.7.2020 - 13 ME 213/20 -, V.n.b. Umdruck S. 3) ist geklärt, dass - abgesehen von den Fällen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2018 - BVerwG 1 C 16.17 -, juris Rn. 19; Senatsbeschl. v. 28.1.2021 - 13 ME 355/20 -, juris Rn. 30) - auch generalpräventive Gründe eine Ausweisung rechtfertigen können. Denn nach § 53 Abs. 1 AufenthG muss lediglich der weitere "Aufenthalt" eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bewirken. Vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers kann aber auch dann eine solche Gefahr ausgehen, wenn von ihm selbst keine Gefahr erneuter individueller Verfehlungen mehr droht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein zurückliegendes Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Verfehlungen zu begehen. Dabei müssen die den Ausweisungsanlass bildenden Verfehlungen des Ausländers nicht von besonderem Gewicht sein, um eine generalpräventiv motivierte Ausweisung rechtfertigen zu können. Ihnen muss allerdings die für eine generalpräventive Wirkung der Ausweisung erforderliche allgemeine verhaltenssteuernde Wirkung im Hinblick auf andere Ausländer zukommen. Außerdem muss das den Ausweisungsanlass bildende Fehlverhalten des Ausländers noch hinreichend aktuell sein, um hierauf eine generalpräventive Ausweisung stützen zu können (vgl. zu Vorstehendem: Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 44 ff. m.w.N.).

Gemessen daran kann auf die vom Kläger verwirklichten Ausweisungsinteressen nur zum Teil eine generalpräventiv motivierte Ausweisung gestützt werden (vgl. zum Erfordernis einer differenzierenden Bewertung für jedes einzelne mehrerer verwirklichter Ausweisungsinteressen: BVerwG, Urt. v. 12.7.2018 - BVerwG 1 C 16.17 -, juris Rn. 24 f.; Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 67).

Dem vom Kläger - aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht München (Diebstahl in 4 Fällen in Tatmehrheit mit 42 Fällen des Computerbetrugs in Tatmehrheit mit Raub) - verwirklichten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sowie den von ihm - aufgrund der Verurteilungen durch das Amtsgericht Hannover (Unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln (Kokain) in 40 Fällen), das Amtsgericht Tiergarten (Diebstahl im besonders schweren Fall), das Amtsgericht Hannover (Bedrohung) und das Amtsgericht Hannover (Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung) - verwirklichten schwerwiegenden Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 10 AufenthG kann nicht die Eignung für eine generalpräventiv motivierte Ausweisung abgesprochen werden. Denn, wie die Feststellungen in diesen Entscheidungen verdeutlichen, handelte es sich hierbei keineswegs um singuläres Fehlverhalten mit maßgeblicher individueller Prägung o.ä. (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.11.2020 - 10 ZB 20.1852 -, juris Rn. 7), das im Falle einer hieran anknüpfenden generalpräventiven Ausweisung nicht geeignet wäre, andere Ausländer von vergleichbaren Verfehlungen abzuhalten. Die vom Kläger begangenen Eigentums- und Vermögensdelikte sowie die Betäubungsmittelkriminalität zeichneten sich, wie in Fällen von Betäubungsmittelabhängigkeit und indirekter Beschaffungskriminalität durchaus typisch (vgl. Erhardt/Leineweber, Drogen und Kriminalität, BKA-Forschungsreihe Sonderband, 1993, S. 46 f., abrufbar unter www.bka.de, zuletzt abgerufen am 6.3.2024), vielmehr dadurch aus, dass der Kläger sich durch die von ihm begangenen Taten - zum Teil über viele Monate hinweg - immer wieder auf Kosten anderer Personen rechtswidrig finanzielle Mittel verschafft hat, um diese anschließend unter anderem zur Finanzierung seiner Betäubungsmittelabhängigkeit einzusetzen. Auch bei den vom Kläger aus Verärgerung über den seiner Ansicht nach langsamen Fortgang von ihm geführter Verwaltungsstreitverfahren begangenen Beleidigungs- und Bedrohungsdelikten zulasten von Justiz- sowie Behördenbeschäftigten weist der Sachverhalt - auch unter Berücksichtigung der generell zunehmenden Gewaltbereitschaft gegenüber im öffentlichen Dienst beschäftigten Personen (vgl. dazu im Hinblick auf Polizeivollzugsbeamte etwa: BKA, Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte, Bundeslagebild 2022, S. 50 ff., abrufbar unter www.bka.de, zuletzt abgerufen am 6.3.2024) - keine derartigen Besonderheiten auf, dass einer hieran anknüpfenden generalpräventiv motivierten Ausweisung keine Abschreckungswirkung beigemessen werden kann. Die Eignung der Ausweisung, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Verstöße gegen die Rechtsordnung abzuhalten, wird hier auch nicht dadurch infrage gestellt, dass der Kläger aufgrund der bei ihm seit vielen Jahren zu verzeichnenden Passlosigkeit und seiner im Streit stehenden Staatsangehörigkeit auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden kann, eine Verschlechterung seines bisherigen Aufenthaltsstatus nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG mangels rechtmäßigen Aufenthalts nicht eingetreten ist und bei ihm, wie noch auszuführen sein wird (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.bb. dieses Urteils), keine Titelerteilungssperre im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG herbeigeführt werden kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 92; s. zu den ersten beiden Aspekten auch: BVerwG, Urt. v. 9.5.2019 - BVerwG 1 21.18 -, juris Rn. 23). Im Hinblick auf den Kläger ist die Ausweisung, was für ihre von ihm in Abrede gestellte spezialpräventive Wirkung von Bedeutung ist, mit Blick auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG richtungsweisend und hindert damit eine künftige aufenthaltsrechtliche Verfestigung (vgl. auch Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 46). Unabhängig davon geht es bei generalpräventiv motivierten Ausweisungen ohnehin darum, anderen Ausländern deutlich zu machen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht reaktionslos hingenommen werden, sondern zur Ausweisung und damit bei ihnen - im Regelfall - zur Aufenthaltsbeendigung, zur Verschlechterung ihres Aufenthaltsstatus sowie ggf. weiteren nachteiligen Folgen führen können (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn 39).

Was diese vom Kläger verwirklichten Ausweisungsinteressen angeht, ist das generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse auch noch hinreichend aktuell.

Eine generalpräventiv gestützte Ausweisung kann nur an ein Ausweisungsinteresse anknüpfen, das noch aktuell, also zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung noch vorhanden ist; denn jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung und kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.2002 - BVerwG 1 C 6.01 -, juris Rn. 22; Urt. v. 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 18; Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 68).

Ist das den Ausweisungsanlass bildende Fehlverhalten strafrechtlich sanktioniert, bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze für die generalpräventive Ausweisung. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr gemäß § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen. Ist das den Ausweisungsanlass bildende Fehlverhalten hingegen nicht strafrechtlich sanktioniert, ist eine Anknüpfung an die konkreten Verjährungsfristen des Strafgesetzbuchs ausgeschlossen. Zur Anwendung gelangt dann allein der allgemeine Grundsatz, wonach durch wertende Betrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln ist, ob das Fehlverhalten bereits derart an Bedeutung verloren hat, dass es dem Ausländer nicht mehr entgegengehalten werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 19; Senatsurt. v. 9.11.2022 - 13 LB 148/22 -, juris Rn. 69).

Hieran gemessen ist das an die vorgenannten Verfehlungen des Klägers anknüpfende generalpräventive Ausweisungsinteresse noch hinreichend aktuell. Sowohl bei der vom Kläger tateinheitlich begangenen Beleidigung (§ 185 StGB) und Bedrohung (§ 241 Abs. 1 StGB) als auch bei der begangenen Bedrohung (§ 241 Abs. 1 StGB), welche den Verurteilungen durch das Amtsgericht Hannover zugrunde liegen, ist die - als untere Grenze zu verstehende - einfache Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB) im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat noch nicht abgelaufen. Ebenfalls noch nicht abgelaufen ist die einfache Verjährungsfrist von dort 20 Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB) im Falle des vom Kläger begangenen Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB), auf dem die Verurteilung durch das Amtsgericht München fußt.

Bei den weiteren durch das Amtsgericht München abgeurteilten Taten, d.h. bei den vom Kläger zwischen Februar 2018 und Juni 2018 verwirklichten Straftatbeständen des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) und des Computerbetrugs (§ 263a Abs. 1 StGB) ist zwar bereits die einfache Verjährungsfrist von 5 Jahren (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB), aber noch nicht die absolute Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB von 10 Jahren abgelaufen. Selbiges gilt im Hinblick auf den - mit Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten abgeurteilten - Diebstahl in besonders schwerem Fall sowie in Bezug auf den unerlaubten Erwerb von Betäubungsmitteln (Kokain) in 40 Fällen im Zeitraum von Januar 2016 bis zum Oktober 2016, welcher der Verurteilung durch das Amtsgericht Hannover zugrunde liegt. Bei individueller Würdigung dieser vom Kläger begangenen Straftaten (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.aa.eee.(1.1) dieses Urteils) sowie unter Berücksichtigung des erheblichen Interesses daran, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Taten abzuhalten, erscheint es dem Senat geboten, den - durch das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist bestimmten - Fristenrahmen von 10 Jahren insoweit vollständig auszuschöpfen. Der Schutz von Vermögen und Eigentum vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter ist nicht nur ein rein wirtschaftliches Interesse, die im Grundgesetz (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) verbürgte Eigentumsgarantie ist vielmehr ein elementares Grundrecht und sein Schutz von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.8.2020 - 2 BvR 1985/19 -, juris Rn. 39 sowie Urt. v. 6.12.2016 - 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 216). Da Vermögens-, Eigentums- und Rauschgiftdelikte zudem einen erheblichen Anteil an der Gesamtkriminalität im Bundesgebiet ausmachen (vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik 2022, Ausgewählte Zahlen im Überblick, S. 31; Fälle der indirekten Beschaffungskriminalität werden in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht gesondert erfasst, vgl. dazu die Angaben unter dem Stichwort "Beschaffungskriminalität" abrufbar unter www.kriminalpolizei.de/service/praevention-kompakt.html, zuletzt abgerufen am 6.3.2024; s. zur Bedeutung der indirekten Beschaffungskriminalität bei der Finanzierung des Konsums von Drogenabhängigen allerdings: Erhardt/Leineweber, Drogen und Kriminalität, BKA-Forschungsreihe Sonderband, 1993, S. 45 f., abrufbar unter www.bka.de, zuletzt abgerufen am 6.3.2024), besteht auch deshalb ein besonderes Interesse, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Taten abzuhalten. Der hier bestehende Zusammenhang dieser Delikte zur - auch vom Europäischen Gerichtshof als "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urt. v. 23.11.2010 - C-145/09 -, juris Rn. 47 m.w.N.) erachteten - Rauchgiftsucht verstärkt dieses Interesse insoweit noch. Ein - als absolute Obergrenze aufzufassendes - Verwertungsverbot im Sinne des § 51 Abs. 1 BZRG steht dem vorliegend nicht entgegen (vgl. § 46 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) und Nr. 4 sowie Abs. 3 in Verbindung mit §§ 47 Abs. 1 und 3 Satz 1, 36 Satz 1 BZRG).

Im Hinblick auf die weiteren vom Kläger - aufgrund der Verurteilungen durch das Amtsgericht Frankfurt am Main (Beleidigung), das Amtsgericht Hannover (Beleidigung), das Amtsgericht München (unerlaubter Handel mit Betäubungsmitteln), das Amtsgericht Hannover (Betrug), das Amtsgericht Frankfurt am Main (Betrug) und das Amtsgericht München (Versuchte Steuerhinterziehung) - verwirklichten schwerwiegenden Ausweisungsinteressen ist die für eine generalpräventiv motivierte Ausweisung notwendige Aktualität des Ausweisungsinteresses hingegen nicht mehr gegeben, sodass sich insoweit Ausführungen zur Eignung für eine generalpräventiv motivierte Ausweisung erübrigen. Insoweit ist in allen Fällen die regelmäßig - und so auch hier - als obere Grenze zu verstehende absolute Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB (deutlich) abgelaufen.

(2) Die nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG gebotene Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses einerseits und des privaten Bleibeinteresses andererseits führt im vorliegenden Fall dazu, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung die privaten Interessen des Klägers überwiegt. Dies gilt unabhängig davon, ob ein spezial- und/oder ein generalpräventiv begründetes Ausweisungsinteresse zugrunde gelegt wird.

Die Ausweisung setzt nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Die Abwägung erfolgt dabei nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54 und 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" oder als "schwerwiegend". Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 26; Senatsurt. v. 6.5.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn 49).

(2.1) Gemessen daran kann sich der Kläger im Rahmen der Abwägung zu seinen Gunsten nicht auf in § 55 AufenthG explizit normierte besonders schwerwiegende oder schwerwiegende Bleibeinteressen berufen. Er war zu dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2023 - BVerwG 1 C 32.22 -, juris Rn. 13; Urt. v. 15.11.2007 - BVerwG 1 C 45.06 -, juris Rn. 24) nicht im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder einer Aufenthaltserlaubnis; sein Aufenthalt wird wegen Passlosigkeit vielmehr seit langer Zeit nur geduldet. Der Kläger lebt auch nicht mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft und übt auch weder ein Personensorge- noch ein Umgangsrecht im Hinblick auf einen ledigen Minderjährigen bzw. minderjährigen ledigen Deutschen aus. Auch sind bzw. ist im Falle des Klägers nicht im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen.

Ein bei der Abwägung nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 und Abs. 2 AufenthG zu berücksichtigendes schwerwiegendes Bleibeinteresse ergibt sich für den Kläger - über die in § 55 Abs. 2 AufenthG geregelten Fälle ("insbesondere") hinaus (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2023 - BVerwG 1 C 32.22 -, juris Rn. 15) - auch nicht aus einer durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Beziehung zu im Bundesgebiet lebenden Personen (vgl. Senatsbeschl. v. 14.6.2019 - 13 ME 92/19 -, V.n.b. Umdruck S. 15). Soweit der Kläger insoweit auf eine am 22. Dezember 2004 im Bundesgebiet nach islamischem Ritus vollzogene "Eheschließung" mit der türkischen Staatsangehörigen, Frau B., verweist, vermag dies, ungeachtet der von der Beklagten diesbezüglich angeführten Zweifel, den Schutz nach Art. 6 Abs. 1 GG schon deshalb nicht zu begründen, weil eine im Bundesgebet geschlossene sog. "Imam-Ehe" aufgrund der fehlenden Einhaltung der im Bundesgebiet geltenden Formvorschriften und wegen ihrer mangelnden Anerkennung auch nach türkischem Recht (vgl. dazu Art. 134 des türkischen Zivilgesetzbuchs v. 22.11.2001 sowie Rumpf/Odendahl, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei, S. 30, 69 (Stand: 1.6.2020); auf eine etwaige Anerkennung nach libanesischem Recht kommt es hier nicht an, da für eine libanesische Staatsangehörigkeit des Klägers keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen, vgl. auch Schreiben des Klägers v. 30.1.2024, Blatt 377 der Gerichtsakte: "Ich bin kein Türke und kein Libanese.") dessen Schutzbereich nicht unterfällt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.5.2014 - OVG 3 M 7.14 -, Rn. 10; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 1.2.2005 - 2 ME 1326/04 -, juris Rn. 5 ff.; Uhle, in: BeckOK, GG, Art. 6 Rn. 10b (Stand: 15.8.2023); Antoni, in: Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 5). Ungeachtet dessen knüpft der Schutz einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach Art. 6 Abs. 1 GG ohnehin nicht allein an das - hier schon nicht bestehende - formale Band der Ehe an. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern, mithin eine tatsächlich bestehende familiäre Lebensgemeinschaft (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.2014 - 1 BvR 2926/13 -, juris Rn. 23; Senatsbeschl. v. 7.10.2020 - 13 ME 351/20 -, V.n.b. Umdruck S. 3 f. und v. 9.8.2017 - 13 ME 167/17 -, juris Rn. 18 m.w.N.). Auch wenn es sich angesichts der Vielfalt der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ausgestaltungsmöglichkeiten der familiären Lebensgemeinschaft verbietet, schematische oder allzu enge Mindestvoraussetzungen für deren Vorliegen zu formulieren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.5.2013 - BVerwG 1 B 25.12 -, juris Rn. 4), fehlen insoweit hier jegliche Anhaltspunkte, aufgrund derer der Senat die Überzeugung gewinnen konnte, dass zwischen dem Kläger und der türkischen Staatsangehörigen, Frau B., eine - über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausreichende, von einer gemeinsamen Lebensführung getragene - familiäre Beistandsgemeinschaft besteht (vgl. dazu Bayerischer VGH, Urt. v. 30.6.2021 - 19 B 20.2085 -, juris Rn. 28 ff.). Aus diesem Grund kann sich der Kläger auch nicht auf den - aufgrund der Einbeziehung auch von nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften insoweit über Art. 6 Abs. 1 GG hinausgehenden - Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen (vgl. Senatsbeschl. v. 30.5.2023 - 13 ME 70/23 -, V.n.b. S. 4). Das Vorbringen des Klägers und auch die dazu vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Frau B. vom 17. Januar 2023 (Blatt 56 der Gerichtsakte) beschränken sich insoweit nämlich auf Ausführungen zur erfolgten "Eheschließung" im Jahr 2004, zum Bewohnen einer gemeinsamen Wohnung in näher genannten Zeiträumen sowie zu - nicht näher konkretisierten - "regelmäßigen" Besuchen während der Haftzeit des Klägers. In der eidesstattlichen Versicherung heißt es dazu lediglich wie folgt:

"Seit 2004 lebe ich zusammen mit meinem Mann immer in einer gemeinsamen Wohnung. Es gab nur eine Unterbrechung vom November 2017 bis 20. April 2021, als mein für ein halbes Jahr verschwunden war, kam er danach in Haft. Ich habe ihn regelmäßig in der Haft besucht. Seit dem 21. April 2021 wohnen wir wieder zusammen." (sic!)

Diese Angaben genügen nicht, um den Senat vom tatsächlichen Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft im vorgenannten Sinne zu überzeugen, zumal der angeführte - nicht näher erläuterte - "Kontaktabbruch", bevor der Kläger am 18. Juni 2018 in Untersuchungshaft genommen wurde, ersichtlich gegen das Vorliegen einer schutzwürdigen Verbindung spricht. Das Vorliegen einer solchen hat der Kläger auch auf ausdrückliche Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hin nicht ansatzweise glaubhaft vermitteln können. Hinzu kommt, dass die Angaben in der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres mit den übrigen Akteninhalten im Einklang stehen, wenn es darin unter anderem heißt, dass der Kläger vom Jahr 2005 bis zum Jahr 2009 unter der Adresse in A-Stadt bei einem Herrn P. gemeldet gewesen sei (Blatt 224 f., 276 ff., 288, 296, 336, 338 f., 342 ff., 350 ff., 356 der Beiakte 1), er zwischendrin, namentlich im Jahr 2007 ohne festen Wohnsitz und zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben gewesen sei (Blatt 11 der Beiakte 9), es zu einem Zusammenleben zwischen dem Kläger und Frau B. erst seit dem Jahr 2012 gekommen sei (Blatt 266 der Gerichtsakte 13 LB 207/23), der Kläger - im Geheimen - homosexuelle Kontakte unterhalten habe (Blatt 887 der Beiakte 1: "Der Beschuldigte ist dem Geschädigten bereits mehrere Jahre bekannt gewesen. Dabei entwickelte sich im Laufe der Zeit eine sexuelle Beziehung. Diese sexuelle Beziehung wurde nicht offen geführt, sondern war vielmehr 'geheim', da der Beschuldigte sich nicht outen wollte"; Blatt 10 der Beiakte 2 [Strafakte zum Verfahren 3023 Js 2655/18 249 Cs 88/18]: "Kneipen für Schwule im Q. Kiez"; Polizeiliches Vernehmungsprotokoll v. 23.8.2018, Blatt 437 der Beiakte 5: "Frage: Kam es zwischen Ihnen und ihm [Anm. d. Senats: dem Kläger] zu sexuellen Handlungen? Antwort: Ein bisschen. Nur ein bisschen Rumknutschen und Fummeln."), Frau B. am 11. Juni 2018 mitgeteilt habe, dass der Kläger zuletzt am 7. September 2017 (nicht im November 2017) bei ihr gewesen sei (Vermerk der Beklagten v. 11.6.2018, Blatt 783 der Beiakte 1; Psychiatrisches Gutachten v. 6.12.2018, Seite 10 [Beiakte 5]: "Er sei dort allerdings aufgrund eines Streits seit dem 08.09.2017 nicht mehr gewesen.") und diese den Kläger von Juli 2020 bis Januar 2021 nicht in der Justizvollzugsanstalt besucht habe (Schreiben der JVA M. v. 7.1.2021, Blatt 258 der Beiakte 5).

Der Senat geht allerdings - trotz seines nur zeitweise und schon vor langer Zeit beendeten rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet - davon aus, dass der Kläger sich jedenfalls auf das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen kann (vgl. zum Meinungsstand hinsichtlich der Eröffnung des Schutzbereichs: Hofmann, in: BeckOK, Ausländerrecht, EMRK, Art. 8 Rn. 20 ff. (Stand: 1.7.2022); s. dazu auch BVerwG, Urt. v. 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 28; Beschl. v. 30.6.2011 - BVerwG 1 B 32.10 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 1.3.2011 - BVerwG 1 B 2.11 -, juris Rn. 5). Dieses Recht umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - BVerwG 1 C 18.09 -, juris Rn. 14). Dem mit diesem Recht verbundenen Bleibeinteresse des Klägers ist im Rahmen der Abwägung jedoch nur ein geringes Gewicht beizumessen. Denn der Kläger, der eigenen Angaben zufolge 1979 im Libanon geboren und dort aufgewachsen ist, hält sich zwar bereits seit September 1990 und damit seit über 33 Jahren im Bundesgebiet auf, unterhält im Bundesgebiet nach eigenen Angaben zahlreiche Kontakte, auch zu deutschen Staatsangehörigen, und verfügt dort über mehrere - allerdings nicht auf seine Hilfe angewiesene - Familienangehörige. Der Kläger hat sich innerhalb dieses Zeitraums jedoch nur etwa 10 Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Er ist seit geraumer Zeit, namentlich seitdem die Beklagte seinen Antrag auf Verlängerung der ihm einst erteilten und bis zum 27. Januar 2007 gültigen Aufenthaltserlaubnis mit - rechtskräftig bestätigtem (vgl. VG Hannover, Urt. v. 25.6.2009 - 7 A 5870/07 - und Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 14.9.2009 - 11 LA 390/09 -) - Bescheid vom 26. Oktober 2007 abgelehnt hat, vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), genießt kein berechtigtes Vertrauen auf den Fortbestand eines Aufenthalts mehr und wird lediglich wegen Passlosigkeit und seiner im Streit stehenden Staatsangehörigkeit geduldet. Dem kann der Kläger angesichts der von diesen Entscheidungen ausgehenden Rechtskraftwirkung (vgl. § 121 Nr. 1 VwGO) nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gehabt habe (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.2011 - BVerwG 5 C 9.11 -, juris Rn. 20). Weder während seines rechtmäßigen noch seines unrechtmäßigen Aufenthalts ist es dem Kläger, der sich nach eigenen Angaben im Bundesgebiet gefangen fühlt und mehrfach mitgeteilt hat, dieses mit einem gefälschten Pass verlassen zu wollen bzw. in der Vergangenheit sogar verlassen zu haben (vgl. Sitzungsprotokoll des Amtsgerichts Hannover v. 29.6.2022, Blatt 65 der Beiakte 4; Vorläufiges psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H. v. 18.10.2022, Blatt 15R der Beiakte 6), gelungen, sich sozial und wirtschaftlich in die hiesigen Lebensverhältnisse zu integrieren. Er beherrscht zwar die deutsche Sprache. Er hat im Bundesgebiet aber weder einen Schulabschluss erworben, noch hat er eine Berufsausbildung absolviert. Auch respektiert der Kläger die Rechtsordnung nicht. Seine mangelnde Rechtstreue manifestiert sich darin, dass der Kläger seit vielen Jahren immer wieder strafrechtlich in Erscheinung tritt, obwohl er bereits mehrfach zu Geld- und Freiheitsstrafen (auf Bewährung) verurteilt worden ist und von 2018 bis 2021 sogar eine Haftstrafe verbüßt hat; auch ist damit zu rechnen, dass der Kläger weitere Straftaten begehen wird (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.aa.eee.(1.1) dieses Urteils). Seinen Lebensunterhalt bestreitet der hoch verschuldete Kläger seit geraumer Zeit, mithin auch schon vor dem Erleiden einer - seine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden (vgl. Bericht des N. v. 25.11.2021 [Beiakte 3]: "Liegt unfallbedingt noch eine Arbeitsunfähigkeit vor? Bei Herrn A. besteht, wie beschrieben, eine deutliche Schmerzhaftigkeit im Vorfußbereich beim Laufen. Hier liegt sicherlich für Herrn A. speziell eine Arbeitsunfähigkeit vor, da dieser ungelernt ist und letztendlich kaum sitzende Tätigkeiten durchführen kann. Sitzende Tätigkeiten wären sicherlich möglich.") - Fußverletzung im März 2020, im Wesentlichen aus dem Bezug von Sozialleistungen. Zeiträume, in denen der Kläger, was auf der Grundlage der ihm erteilten Duldungen möglich war, einer Beschäftigung nachgegangen ist und auf diese Weise eigenständig seinen Lebensunterhalt oder zumindest einen Teil davon gesichert hat, stellen sich unter Berücksichtigung seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet demgegenüber als vereinzelte und kurzzeitige Ausnahmen dar. Dies ist, anders als der Kläger geltend gemacht hat, keineswegs allein auf seine "ungeklärte ausländerrechtliche Situation" und damit verbundene Erschwernisse auf dem Arbeitsmarkt, sondern maßgeblich darauf zurückzuführen, dass der Kläger nicht über einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung verfügt, in eine - bislang nicht therapierte - Drogen- und Spielsuchtabhängigkeit geraten ist, seit vielen Jahren eine "kriminelle Laufbahn" eingeschlagen und ihm - etwa durch die Arbeit in einem Shisha-Shop - eröffnete Chancen nicht genutzt hat (Blatt 1061 der Beiakte 1: "Ich habe den Laden 'verbrannt'. Jeden Tag habe ich den Umsatz vom Shisha-Shop im Casino und für Cocain verspielt und verkonsumiert, weil ich den Streß mit der Ausländerbehörde nicht mehr ertragen konnte. Das waren ein paar Tausend Euro am Tag"). Auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger eingeräumt, dass er bei seinen Familienangehörigen im Bundesgebiet, von denen sehr viele selbstständig seien und zu denen er gute Kontakte pflege, arbeiten könne, dies aber nicht wolle, sondern vielmehr den Wunsch nach einer eigenen Selbstständigkeit habe. Auch wenn angesichts der Passlosigkeit des Klägers und seiner in Streit stehenden Staatsangehörigkeit in absehbarer Zeit nicht damit zu rechnen ist, dass der Kläger in die Türkei oder in den Libanon abgeschoben werden kann, ist davon auszugehen, dass ihm, was für die Gewichtung seines Bleibeinteresses sowie die Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in seine Rechte von Bedeutung ist, eine (Wieder-)Eingliederung in die Lebensverhältnisse dieser beiden Länder prinzipiell möglich und zumutbar wäre. Im Libanon ist der Kläger, wie schon ausgeführt, geboren und hat dort die ersten Jahre seines Lebens verbracht. Der Kläger beherrscht eigenen Angaben zufolge die arabische und türkische Sprache und verfügt in beiden Ländern noch über Familienangehörige, zu denen er Kontakte unterhält und die ihn dort trotz der unter anderem mit seiner Fußverletzung verbundenen Erschwernisse unterstützen können. Seinen Angaben zufolge ist er dorthin auch schon wiederholt vom Bundesgebiet aus hingereist, sodass davon auszugehen ist, dass er mit den Örtlichkeiten - nach wie vor- vertraut ist. In der Türkei wäre es dem Kläger, auch wenn es hierauf angesichts der nicht erkennbaren Schutzwürdigkeit dieser Verbindung nicht entscheidend ankommt, zudem möglich, gemeinsam mit der türkischen Staatsangehörigen, Frau B., die ihn im Bundesgebiet nicht von der Begehung von Straftaten hat abhalten können, gemeinsam zu leben.

(2.2) Dem - demnach gering zu gewichtenden - Bleibeinteresse des Klägers stehen im Rahmen der Abwägung zu seinen Lasten ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und mehrere schwerwiegende Ausweisungsinteressen im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 10 AufenthG gegenüber. Die Anzahl der vom Kläger begangenen Straftaten, die Art ihrer Begehung, deren Verübung über einen erheblichen Zeitraum hinweg und die durch sie verursachten Schäden (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.aa.eee.(1.1) dieses Urteils) bestätigen die nicht nur nach der gesetzlichen Typisierung, sondern auch im Einzelfall gebotene Annahme eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses sowie mehrerer schwerwiegender Ausweisungsinteressen und rechtfertigen es bei einer entsprechenden Gesamtbetrachtung, anzunehmen, dass sowohl aus spezial- als auch generalpräventiven Gründen ein dringendes Bedürfnis besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung den Kläger sowie andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.

(2.3) Die Abwägung der - so gewichteten - Interessen führt dazu, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung die privaten Interessen des Klägers überwiegt. Das gilt sowohl für den - gegenwärtig schon nicht absehbaren - Fall, dass der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet durch Abschiebung in den Libanon oder in die Türkei beendet wird, als auch - erst Recht - für den Fall, dass der Kläger aufgrund des seit langer Zeit bestehenden Abschiebungshindernisses auf unabsehbare Zeit im Bundesgebiet verbleiben wird. Im erstgenannten Fall liegt zwar infolge der Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor. Dieser Eingriff wäre allerdings aus den im Rahmen der Gewichtung des Bleibeinteresses einerseits und des Ausweisungsinteresses andererseits im Einzelnen genannten Gründen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Die Aufenthaltsbeendigung des Klägers steht in Einklang mit geltendem Recht und dient einem legitimen Ziel, nämlich der "Aufrechterhaltung der Ordnung" sowie der "Verhütung von Straftaten" (vgl. Hofmann, in: BeckOK, Ausländerrecht, EMRK, Art. 8 Rn. 37 (Stand: 1.7.2022)). Sie erweist sich mit Blick darauf als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" und verhältnismäßig (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - BVerwG 1 C 18.09 -, juris Rn. 15; OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn 46 ff.). Im zweitgenannten Fall findet mangels Abschiebung aus dem Bundesgebiet schon keine konkrete Beeinträchtigung der schützenswerten Bleibeinteressen des Klägers statt, sodass den - ohnehin schon gering zu gewichtenden - Interessen des Klägers ein noch geringeres Gewicht beizumessen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2023 - BVerwG 1 C 32.22 -, juris Rn. 20 f.; Urt. v. 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn 28; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 98). Denn aufgrund der gegenwärtig allein inlandsbezogenen Wirkungen der Ausweisung sind Bleibeinteressen im engeren Wortsinn in die Abwägung nicht einzustellen, sondern nur das Interesse, die Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden (vgl. Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 46). Insoweit ist allerdings für den Senat nicht erkennbar, dass sich die Rechtsstellung des seit vielen Jahren vollziehbar ausreisepflichtigen und nur wegen Passlosigkeit geduldeten Klägers, der nach der ihm zuletzt bis zum 10. Februar 2024 erteilten (Blatt 1551, 1553, 1586 der Beiakte 1) und nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung unverändert bis zum 16. Juli 2024 verlängerten Duldung keiner Wohnsitzauflage unterliegt und dem die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt ist, durch die Ausweisung in einer für die Abwägungsentscheidung ausschlaggebenden Weise ändern wird bzw. geändert hat (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Insbesondere ist bei ihm mangels rechtmäßigen Aufenthalts keine Verschlechterung seines bisherigen Aufenthaltsstatus nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG eingetreten. Bei ihm kann, wie noch auszuführen sein wird (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.bb. dieses Urteils), auch keine Titelerteilungssperre im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG herbeigeführt werden. Dass ihm Überwachungsmaßnahmen nach § 56 AufenthG drohen, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Es verbleibt mithin der für die Verneinung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG richtungsweisende Charakter der Ausweisung und das damit verbundene Hindernis für eine künftige aufenthaltsrechtliche Verfestigung, auch wenn die Anwendung dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nicht vom Bestand einer Ausweisungsentscheidung abhängig ist. Soweit sich die Rechtsstellung des Klägers im Bundesgebiet im Übrigen durch die Ausweisung verschlechtern sollte, wäre dies aufgrund des in spezial- und generalpräventiver Hinsicht bestehenden besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses aber auch als gerechtfertigt anzusehen und von ihm hinzunehmen. Aus den vorgenannten Gründen würde das öffentliche Interesse an der Ausweisung die privaten Interessen des Klägers im Falle dessen Verbleibs im Bundesgebiet im Übrigen auch dann ohne Weiteres überwiegen, wenn - entgegen der Auffassung des Senats - davon auszugehen wäre, dass der Kläger mit der türkischen Staatsangehörigen, Frau B., eine durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte nicht-eheliche Lebensgemeinschaft führt.

fff. Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht auch weder das - noch zu erörternde - Fehlen einer Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) noch die - im vorliegenden Fall veranlasste - Aufhebung des im angegriffenen Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 enthaltenen Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegen (vgl. zu beiden Aspekten die Ausführungen unter I.3.a.bb. dieses Urteils). Denn die Ausweisung, die selbst keine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie darstellt, unterfällt bereits nicht dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie, sodass ihre Voraussetzungen nicht durch diese bestimmt werden. Für die gegenwärtig allein inlandsbezogen wirkende und nicht mit einer Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie verbundene (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.bb.ddd.(1) dieses Urteils) Ausweisung gilt insoweit nichts Abweichendes. Die mit der Rückführungsrichtlinie geschaffenen gemeinsamen Normen und Verfahren beziehen sich nur auf den Erlass von Rückkehrentscheidungen und deren Vollstreckung. Die Rückführungsrichtlinie hat hingegen nicht zum Ziel, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu harmonisieren. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers hängt daher nicht davon ab, ob eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie besteht, zumal die Ausweisung des Klägers hier nach den Ausführungen im angegriffenen Bescheid auch nicht von vorneherein gezielt allein auf eine Verschlechterung seines aufenthaltsrechtlichen Status gerichtet war. Zwar hat der Europäische Gerichtshof zur Erläuterung des Regelungsgehalts der Rückführungsrichtlinie unter anderem darauf hingewiesen, es laufe dem Gegenstand dieser Richtlinie und dem Wortlaut ihres Art. 6 zuwider, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befänden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterlägen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr bestünde (vgl. EuGH, Urt. v. 3.6.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 55). Hieraus kann jedoch, wie sich aus der nach diesen Ausführungen ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urt. v. 22.11.2022 - C-69/21 -, juris Rn. 84) deutlich ergibt, nicht der Schluss gezogen werden, das Unionsrecht knüpfe die Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsentscheidung grundsätzlich an den Bestand einer Rückkehrentscheidung. Ziel der Rückführungsrichtlinie ist es gerade nicht, eine - dann gegebenenfalls auch auf Ausweisungen bezogene - Harmonisierung der Vorschriften über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu erreichen (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Urt. v. 16.11.2023 - BVerwG 1 C 32.22 -, juris Rn. 22 f.; Beschl. v. 24.10.2023 - BVerwG 1 B 15.23 -, juris Rn. 1; Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 39 ff.; Urt. v. 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 10 ff.; EuGH-Vorlage v. 9.5.2019 - BVerwG 1 C 14.19 -, juris Rn. 30; OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn. 54 f.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 102; Senatsbeschl. v. 14.12.2020 - 13 ME 525/20 -, V.n.b. Umdruck S. 3 f.).

bb. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 ist hingegen rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist deshalb aufzuheben.

aaa. Maßgeblich für dessen rechtliche Beurteilung ist (wiederum) die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.5.2023 - BVerwG 1 C 6.22 -, juris Rn. 10; Senatsurt. v. 6.5.2020 - 13 LB 190/19 - juris Rn. 53).

bbb. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot findet eine Rechtsgrundlage in § 11 AufenthG. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist unter anderem gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen, und zwar gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung (Abs. 2 Satz 1). Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet und das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Schengen-Staaten einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Abs. 1 Satz 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen (Abs. 2 Satz 3). Die Frist beginnt mit der Ausreise (Abs. 2 Satz 4). Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden (Abs. 3 Satz 1). Bei einer auf dieser Grundlage getroffenen Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich um einen einheitlichen Verwaltungsakt, der nicht zwischen der Anordnung des Verbots und dessen Befristung aufgespalten werden kann (vgl. Senatsurt. v. 6.5.2020 - 13 LB 190/19 - juris Rn. 53; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.11.2019 - 11 S 2996/19 -, juris Rn. 40).

ccc. Hier liegt zwar eine wirksame Ausweisungsentscheidung gegenüber dem Kläger vor, an die der Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots in tatbestandlicher Hinsicht anknüpfen kann (vgl. Senatsurt. v. 6.5.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn. 56).

ddd. Die Rechtswidrigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots folgt hier aber, ungeachtet der vom Kläger in Abrede gestellten Bestimmtheit (vgl. § 37 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG) der aus dem Tenor des Bescheides vom 9. April 2021 ersichtlichen ("...befristen wir ab dem Zeitpunkt der beabsichtigten Abschiebung/Ausreise auf 6 Jahre"), nach Ansicht der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hannover am 10. Mai 2023 ausreichend "klargestellten" (Blatt 169R der Gerichtsakte) Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, jedenfalls aus dem Fehlen einer als notwendig zu erachtenden Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie.

(1) Es fehlt vorliegend an einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie. Insbesondere stellt die Abschiebungsandrohung aus dem - rechtskräftig bestätigten (vgl. VG Hannover, Urt. v. 25.6.2009 - 7 A 5870/07 - und Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 14.9.2009 - 11 LA 390/09 -) - Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2007 eine solche nicht dar.

Denn diese Abschiebungsandrohung ist ausweislich der Begründung dieses Bescheids (Blatt 287 der Beiakte 1) aufgrund der in Streit stehenden Staatsangehörigkeit des Klägers bewusst ohne Zielstaatsbestimmung erlassen worden. Die darin enthaltene Angabe eines nicht bekannten "Heimatlandes" entfaltet, anders als die Bezeichnung eines konkreten Zielstaats, keinen Regelungscharakter. Sie stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar; Rechtsfolgen ergeben sich hieraus nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.7.2000 - BVerwG 9 C 42.99 -, juris Rn. 14). Damit erfüllt sie jedoch nicht alle konstitutiven Merkmale einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie. Nach Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie ist unter einer Rückkehrentscheidung nämlich "die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird", zu verstehen. Rückkehrverpflichtung bedeutet nach Art. 3 Nr. 3 der Rückführungsrichtlinie, dass die betreffende Person in ihr Herkunftsland, in ein Transitland oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren will und in dem sie aufgenommen wird, zurückkehren muss. Somit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie, dass die Auferlegung oder Feststellung einer Rückkehrverpflichtung eines der beiden Tatbestandsmerkmale einer Rückkehrentscheidung darstellt. Im Hinblick auf Art. 3 Nr. 3 der Rückführungsrichtlinie ist eine solche Rückkehrverpflichtung nicht ohne die Bestimmung eines Ziellandes, welches eines der in Art. 3 Nr. 3 der Rückführungsrichtlinie genannten Länder sein muss, vorstellbar (vgl. EuGH, Urt. v. 6.7.2023 - C-663/21 -, juris Rn. 46; Urt. v. 22.11.2022 - C-69/21 -, juris Rn. 53; Urt. v. 24.2.2021 - C-673/19 -, juris Rn. 39; Urt. v. 14.5.2020 - C-924/19, C-925/19 -, juris Rn. 115; OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn. 66; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, Rn. 128 ff., juris; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 7.12.2022 - 4 LB 233/18 OVG -, juris Rn. 75).

Die von der Beklagten angeführten Erwägungen zu einer nur ausnahmsweise aus Gründen des Unionsrechts gebotenen Durchbrechung der materiellen Rechtskraft der - die vorgenannte Abschiebungsandrohung bestätigenden - gerichtlichen Entscheidungen führen zu keiner anderen Bewertung. Denn die unvollkommene, ohne Zielstaatsbestimmung ergangene Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2007 ist keine rechtswidrige, sondern mangels Auferlegung oder Feststellung einer Rückkehrverpflichtung überhaupt keine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie. Eine durch Rechtskrafterwägungen schützenswerte Abschiebungsandrohung, von der im Wege der Verwaltungsvollstreckung ohne Weiteres Gebrauch gemacht werden kann, ist darin gerade nicht zu erblicken. Bevor diese vollstreckt werden kann, müsste vielmehr zunächst eine als Verwaltungsakt zu qualifizierende und weitere Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnende Konkretisierung um einen Zielstaat (Die Auferlegung einer Rückkehrverpflichtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie!) erfolgen. Erst bei dieser noch notwendigen Konkretisierung würden im Übrigen auch etwaige Einwendungen im Sinne des Art. 5 der Rückführungsrichtlinie geprüft werden können (vgl. zu dieser Verpflichtung: EuGH, Urt. v. 15.2.2023 - C-484/22 -, juris Rn. 23 ff.; Senatsbeschl. v. 20.11.2023 - 13 ME 195/23 -, juris Rn. 4 ff.), ohne dass dem Kläger unter Berufung auf die Bestands- bzw. Rechtskraft der Abschiebungsandrohung entgegengehalten werden könnte, er hätte seine Einwendungen schon im Verfahren gegen die Abschiebungsandrohung geltend machen können und müssen. Denn der allgemein aus der Bestands- bzw. Rechtskraft eines Verwaltungsaktes folgende Ausschluss von Einwendungen setzt gerade eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Bezeichnung eines konkreten Zielstaats in der Abschiebungsandrohung voraus (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.7.2000 - BVerwG 9 C 42.99 -, juris Rn. 14).

(2) Das Fehlen einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinieführt vorliegend zur Rechtswidrigkeit des im Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots und damit zu dessen Aufhebung. Denn ein solches muss im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie nach deren Art. 3 Nr. 6 immer mit einer Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie einhergehen (vgl. EuGH, Urt. v. 3.6.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 54; BVerwG, Beschl. v. 24.10.2023 - BVerwG 1 B 15.23 -, juris Rn. 1; Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 52 f.; OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn. 70; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 149).

Dem kann, anders als das Verwaltungsgericht auf Seite 21 f. des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, nicht entgegengehalten werden, dass der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie nicht eröffnet sei, weil gegenüber dem Kläger aus tatsächlichen Gründen keine Rückkehrentscheidung ergehen könne. Das trifft nicht zu, denn nach Art. 2 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie findet diese, vorbehaltlich hier nicht zum Tragen kommender Ausnahmen in Art. 2 Abs. 2 und 3 der Rückführungsrichtlinie (zu Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Rückführungsrichtlinie sogleich), Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. "Drittstaatsangehörige" sind nach Art. 3 Nr. 1 der Rückführungsrichtlinie "alle Personen, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 EG-Vertrag sind und die nicht das Gemeinschaftsrecht auf freien Personenverkehr nach Artikel 2 Absatz 5 des Schengener Grenzkodex genießen". Der Begriff "illegaler Aufenthalt" wird in Art. 3 Nr. 2 der Rückführungsrichtlinie definiert als "die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats". Hieraus geht hervor, dass jeder Drittstaatsangehörige, der sich, ohne die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befindet, schon allein deswegen dort illegal aufhältig ist und somit in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt. Demnach wird der Anwendungsbereich der Richtlinie allein unter Bezugnahme auf die Situation des illegalen Aufenthalts, in der sich ein Drittstaatsangehöriger befindet, definiert, unabhängig von den Gründen, die dieser Situation zugrunde liegen, oder den Maßnahmen, die gegen ihn getroffen werden können (vgl. EuGH, Urt. v. 3.6.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 43 ff.; Urt. v. 2.7.2020 - C-18/19 -, juris Rn. 25; Urt. v. 19.6.2018 - C-181/16 -, juris Rn. 39; Urt. v. 7.6.2016 - C-47/15 -, juris Rn. 45 ff.).

Nach Maßgabe dessen fällt der Kläger, und zwar unabhängig von der Richtigkeit seines Vorbringens zu einer bei ihm bestehenden Staatenlosigkeit (vgl. zur Einbeziehung auch von Staatenlosen in den Begriff des "Drittstaatsangehörigen": Lutz, in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Edit. 2022, RL 2008/115/EG Art. 3 Rn. 3), als illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältiger Drittstaatsangehöriger ohne Weiteres in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und muss der auf § 11 AufenthG und damit auf eine der Umsetzung von Art. 11 der Rückführungsrichtlinie dienende Rechtsgrundlage (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.8.2018 - BVerwG 1 C 21.17 -, juris Rn. 20 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 153, 156 m.w.N.; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 AufenthG Rn. 1) gestützte Erlass eines - nach deutscher Terminologie als solches bezeichneten - Einreise- und Aufenthaltsverbots auch an den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie gemessen werden.

Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Ausnahmevorschrift des Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Rückführungsrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten beschließen können, die Rückführungsrichtlinie unter anderem nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Von diesem sog. "Opt-Out" hatte der Gesetzgeber bis in die jüngere Vergangenheit hinein noch keinen umfassenden Gebrauch gemacht (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 54). Auch wenn dies inzwischen nachgeholt wurde (vgl. dazu die am 27.2.2024 in Kraft getretene und ohne "Opt-Out", d.h. im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie nicht mit dieser zu vereinbarende [vgl. EuGH, Urt. v. 15.2.2023 - C-484/22 -, juris Rn. 23 ff.; Senatsbeschl. v. 20.11.2023 - 13 ME 195/23 -, juris Rn. 4 ff.] Neufassung des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG: "Dem Erlass der Androhung stehen Abschiebungsverbote und die in Absatz 1 Satz 1 genannten Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung [Anm. d. Senats: Kindeswohl, familiäre Bindungen und der Gesundheitszustand des Ausländers, vgl. Art. 5 lit. a) bis c) der Rückführungsrichtlinie] nicht entgegen, wenn der Ausländer auf Grund oder infolge einer strafrechtlichen Verurteilung ausreisepflichtig ist oder gegen ihn ein Auslieferungsverfahren anhängig ist."; s. auch Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), BT-Drs. 20/9463, S. 22, 34 und 45), hätte dies für den Kläger, unabhängig von der Frage, ob er im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Rückführungsrichtlinie "aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig" ist, nicht zur Folge, dass er nunmehr aus dem Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausscheidet. Ein Mitgliedstaat kann zwar auch noch nach Ablauf der Umsetzungsfrist (vgl. Art. 20 Abs. 1 UAbs. 1 der Rückführungsrichtlinie) beschließen, von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Ausnahme Gebrauch zu machen; dies darf jedoch keine nachteiligen Folgen für diejenigen Personen haben, die, wie der Kläger, zuvor bereits in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie gefallen sind (vgl. EuGH, Urt. v. 19.9.2013 - C-297/12 -, juris Rn. 53 f.; Lutz, in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Edit. 2022, RL 2008/115/EG Art. 2 Rn. 7).

Ein anderes Verständnis zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der Rückführungsrichtlinie lässt sich auch nicht der vom Verwaltungsgericht auf Seite 21 f. angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urt. v. 22.11.2022 - C-69/21 -, juris Rn. 84 ff.) entnehmen (ablehnend auch OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn. 70). Soweit der Europäische Gerichtshof dort ausgeführt hat, dass die Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie nicht dahingehend ausgelegt werden können, dass sie verlangen, dass ein Mitgliedstaat einem illegal in seinem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel gewährt, wenn gegen diesen Drittstaatsangehörigen weder eine Rückkehrentscheidung noch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ergehen kann (vgl. EuGH, Urt. v. 22.11.2022 - C-69/21 -, juris Rn. 85), spricht die inhaltliche Auseinandersetzung des Europäischen Gerichtshofs mit den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie gerade dafür, dass der Europäische Gerichtshof den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie auch in derartigen Fällen als eröffnet angesehen hat.

(3) Ungeachtet der Frage, ob § 11 AufenthG im Hinblick auf das inzwischen erklärte "Opt-Out" im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Rückführungsrichtlinie (vgl. dazu die Ausführungen unter I.3.a.bb.ddd.(2) dieses Urteils) für die hiervon erfassten Fälle nunmehr (vgl. zur bisherigen Rechtslage: OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn. 71; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 156 ff. jeweils m.w.N.) als Rechtsgrundlage für den Erlass eines nationalen Einreise- und Aufenthaltsverbots, das nicht Einreiseverbot im Sinne von Art. 3 Nr. 6, Art. 11 der Rückführungsrichtlinie ist und daher auch nicht den Anforderungen der Rückführungsrichtlinie genügen muss (also insbesondere nicht mit einer Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie einhergehen muss), angesehen werden kann (vgl. zu Anhaltspunkten hierfür: Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), BT-Drs. 20/9463, S. 45), kommt dies jedenfalls gegenüber dem Kläger nicht zum Tragen, weil dieser - nach wie vor - in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt und vom "Opt-Out" gerade nicht erfasst wird (vgl. auch dazu die Ausführungen unter I.3.a.bb.ddd.(2) dieses Urteils). Ob und inwieweit ein solches nationales Instrument mit Unionsrecht vereinbar wäre, bedarf deshalb keiner Erörterung.

(4) Unabhängig davon, ob dem Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 ein solches Verständnis überhaupt beigemessen werden kann, existiert im nationalen Recht auch keine Rechtsgrundlage, auf die der Erlass einer - von einem Einreise- und Aufenthaltsverbot unabhängigen - isolierten Titelerteilungssperre gestützt werden kann (vgl. dazu sowie zum Folgenden sowie weiteren Aspekten auch: OVG Bremen, Urt. v. 30.8.2023 - 2 LC 116/23 -, juris Rn. 72 ff.; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 2.1.2023 - 12 S 1841/22 -, juris Rn. 163 ff. m.w.N.).

Schon der eindeutige Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ("Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet und das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Schengen-Staaten einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm ... ein Aufenthaltstitel erteilt werden.") spricht dagegen, in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer isolierten Titelerteilungssperre zu erblicken. Das Entstehen einer Titelerteilungssperre soll nach der gesetzgeberischen Intention vielmehr "infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots" eintreten, hiermit also verknüpft und von dessen Bestand abhängig sein. Die an die Wörter "infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots" anschließende mehrgliedrige Konjunktion "weder ... noch" ist nämlich nebenordnend, verbindet also gleichrangige Sätze, Wörter, Wortgruppen oder Satzglieder miteinander, und storniert insoweit lediglich das Aufzählungskomma; daran und insbesondere am Bezug zum Satzanfang ändert sich auch nichts, wenn, wie hier ("noch darf ihm ... ein Aufenthaltstitel erteilt werden"), ein weiteres mit "noch" eingeleitetes Aufzählungsglied hinzukommt (vgl. dazu die Angaben unter www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/Kommasetzung-bei-"weder---noch", zuletzt abgerufen am 6.3.2024). Auch die Entstehungsgeschichte des § 11 AufenthG spricht für dieses Ergebnis. Denn die bis zum 20. August 2019 gültige Fassung des § 11 Abs. 1 AufenthG hatte noch wie folgt gelautet: "Ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, darf weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot)." Einreise- und Aufenthaltsverbot war dort durch den Klammerzusatz eindeutig legal definiert als ein Rechtsinstitut, das alle drei heute in § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG genannten Aspekte (einschließlich Titelerteilungssperre) umfasst. Hieran hat weder die zum 21. August 2019 (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, BT-Drs. 19/10047, S. 31: "Absatz 1 Satz 2 regelt identisch zur bisherigen Rechtslage den Inhalt des Verbots") noch die zum 27. Februar 2024 in Kraft getretene Neufassung des § 11 AufenthG etwas geändert (vgl. Unterrichtung durch die Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) - Drucksacke 20/9463 -, Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 20/9642, S. 2 f., wonach der Vorschlag des Bundesrates zur Einführung einer nationalen Titelerteilungssperre vom Bundestag nicht aufgegriffen worden ist: "Stellungnahme des Bundesrates ... In Fallkonstellationen, die unter die Rechtsprechung des EuGH bezüglich Inlandsausweisungen bei Vorliegen von Abschiebungshindernissen auf unabsehbare Zeit subsumiert werden können, kann eine Rückkehrentscheidung und in dessen Folge auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht verfügt werden (EuGH, Urteil vom 22. November 2022 - C-69/21). Denn bei fehlender Rückkehrentscheidung kann auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, da hier eine rechtliche Verknüpfung bestehe (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 - C-546/19). In diesen Fallkonstellationen wird nun neben der Ausweisungsverfügung eine isolierte Titelerteilungssperre verfügt, sodass zumindest eine Aufenthaltsverfestigung bei Gefährdern verhindert werden kann. In diesen Konstellationen besteht allerdings keine Einheitlichkeit in der Rechtsprechung und somit eine aufzuklärende Rechtsunklarheit. Einerseits wird die Möglichkeit des isolierten Erlasses der Titelerteilungssperre angenommen (VGH Mannheim, Urteil vom 2. Januar 2023 - 12 S 1841/22). Andererseits wird ein solcher isolierter Erlass abgelehnt, da es sich bei der Titelerteilungssperre um die unmittelbare Rechtsfolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots handele (VGH Mannheim, Beschluss vom 21. Januar 2020 - 11 S 3477/19). Vor diesem Hintergrund sollte eine Rechtsgrundlage für den Erlass einer isolierten Titelerteilungssperre unmittelbar in § 11 Absatz 1 AufenthG aufgenommen werden." und S. 11: "Gegenäußerung der Bundesregierung ... Was die Aufnahme einer isolierten Titelerteilungssperre in § 11 Absatz 1 AufenthG für Fälle betrifft, in denen kein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden kann, weil Abschiebungshindernisse im Sinne der angesprochenen Rechtsprechung des EuGH vorliegen (Abschiebungsverbote sowie inlandsbezogene Abschiebungshindernisse wegen Gefährdung des Kindeswohls, des Bestehens von familiären Bindungen oder der Gefährdung des Gesundheitszustands), so wird bereits durch das nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie im Gesetzentwurf erklärte "Opt-out" für die besonders gravierenden Fälle der Ausweisung aufgrund strafrechtlicher Verurteilung Abhilfe geschaffen. In diesen Fällen wird die Erteilung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots künftig möglich sein.").

b. Die mit dem Hilfsantrag verfolgte Nichtigkeitsfeststellungsklage ist, soweit über diese zu entscheiden ist, unzulässig.

aa. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1 3. Var. VwGO ist, soweit sich diese auf die im angegriffenen Bescheid enthaltene Ausweisung bezieht, bereits unzulässig. Insoweit fehlt es dem Kläger bereits an der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog), da sich aus seinem Vorbringen keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass und weshalb die Ausweisung nichtig sein könnte (vgl. zu diesem Erfordernis: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 64); das betreffende Vorbringen des Klägers bezieht sich insoweit ausschließlich auf das im Bescheid enthaltene Einreise- und Aufenthaltsverbot. Wollte man die Nichtigkeitsfeststellungsklage gleichwohl als zulässig erachten, wäre diese jedenfalls unbegründet, weil die Ausweisungsentscheidung der Beklagten aus den unter I.3.a.aa. dieses Urteils genannten Gründen nicht an Fehlern, geschweige denn an zur Nichtigkeit führenden Fehlern leidet.

bb. Soweit sich die hilfsweise verfolgte Nichtigkeitsfeststellungsklage auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot bezieht, ist hierüber mangels Bedingungseintritts keine Entscheidung veranlasst.

II. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Danach können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Daran gemessen hält es der Senat hier für angezeigt, dem Kläger die Kosten ganz aufzuerlegen, da seine Berufung nur im Hinblick auf das - hier nicht streitwerterhöhende - Einreise- und Aufenthaltsverbot Erfolg hat.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere die vom Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 42) zunächst noch offen gelassene Frage, ob eine inlandsbezogen wirkende Ausweisung mit der Rückführungsrichtlinie vereinbar ist, sieht der Senat durch die nachfolgende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen als geklärt an (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2023 - BVerwG 1 C 32.22 -, juris Rn. 22 f.).