Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.05.2024, Az.: 13 ME 72/24

Beschwerde gegen eine drohende Ausweisung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.05.2024
Aktenzeichen
13 ME 72/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 22964
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0523.13ME72.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 02.04.2024 - AZ: 1 B 327/23

Amtlicher Leitsatz

Eine zurückliegende Delinquenz vermag zwar kein "Ausweisungsinteresse" im Sinne der §§ 5 Abs. 1 Nr. 2 oder 53, 54 AufenthG mehr zu begründen, wenn hierauf bezogen die Voraussetzungen für einen Verbrauch von Ausweisungsgründen bzw. Ausweisungsinteressen gegeben sind. Die neuerliche Begehung einer Straftat oder jeder sonstige Umstand, der das Ausweisungsinteresse erhöht, führt aber dazu, dass auch von einem Verbrauch erfasste frühere Sachverhalte wieder in die Gefahrenbeurteilung nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG einzubeziehen sind.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 2. April 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 2. April 2024 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde (vgl. den Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 2.5.2024, S. 6 = Blatt 75 der E-Gerichtsakte OVG) unverändert weiterverfolgten sinngemäßen Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Oktober 2023 (Blatt 724 ff. der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners - Beiakte 1) über die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisung, die Abschiebungsandrohung, das Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die für sofort vollziehbar erklärte Meldeauflage nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen bzw. anzuordnen, zutreffend abgelehnt. Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung nicht.

1. Der Antragsteller macht mit seiner Beschwerde geltend, das Verwaltungsgericht habe die für den Erlass der Ausweisungsverfügung erforderliche (Wiederholungs-)Gefahr erneuter strafrechtlicher Verurteilungen zu Unrecht mit zurückliegenden strafrechtlichen Verfehlungen begründet, die vor dem 24. April 2019 abgeurteilt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt sei ihm zuletzt vorbehaltlos eine Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG erteilt worden. Hierdurch habe er darauf vertrauen dürfen, dass zuvor abgeurteilte strafrechtliche Verfehlungen "nicht zu seiner Ausweisung führen werden" (vgl. den Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 2.5.2024, S. 3 = Blatt 72 der E-Gerichtsakte OVG). Das Verwaltungsgericht habe - dem angefochtenen Bescheid des Antragsgegners folgend - einen Vertrauensschutz hingegen zu Unrecht verneint und die Wiederholungsgefahr mit sämtlichen Vorstrafen und auch mit den maßgeblich hierauf bezogenen Ausführungen der JVA Rosdorf im Strafvollstreckungsverfahren begründet.

Diese Einwände greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat bei der nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG erforderlichen Feststellung, dass der Aufenthalt des Antragstellers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, zu Recht seiner Prognose zur Wiederholungsgefahr (vgl. hierzu im Einzelnen zuletzt: Senatsurt. v. 6.3.2024 - 13 LC 116/23 -, juris Rn. 66 m.w.N.) auch die zurückliegenden strafrechtlichen Verfehlungen des Antragstellers zugrunde gelegt, die vor dem 24. April 2019 abgeurteilt worden sind.

Der Antragsteller weist insoweit zwar nachvollziehbar darauf hin, dass ihm unter diesem Datum vom Antragsgegner letztmalig eine bis zum 23. April 2021 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 AufenthG erteilt worden ist (Blatt 488 der Beiakte 1), dass den Verwaltungsvorgängen kein ausdrücklicher oder konkludenter Vorbehalt des Antragsgegners zu entnehmen ist, die bis dahin erfolgten strafgerichtlichen Ahndungen dem Antragsteller auch weiterhin vorhalten zu wollen, und dass deshalb ein Verbrauch von bis dahin entstandenen Ausweisungsgründen nahe liegt. Denn Ausweisungsgründe dürfen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.3.2005 - BVerwG 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114, 121 f. - juris Rn. 21; v. 3.8.2004 - BVerwG 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297, 313 - juris Rn. 41; Senatsbeschl. v. 12.6.2019 - 13 ME 92/19 -, V.n.b. Umdruck S. 5).

Konkret geht es in der aufenthaltsrechtlichen Diktion aber nur um den Verbrauch von "Ausweisungsgründen" (vgl. bspw. §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 und 4 AufenthG in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung und OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.10.2013 - 18 B 1232/12 -, juris Rn. 21 ("Verbrauch von Ausweisungsgründen")) bzw. den Verbrauch von "Ausweisungsinteressen" (vgl. bspw. §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 53, 54 AufenthG in der ab dem 1.1.2016 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung v. 27.7.2015, BGBl. I S. 1386 und BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 31 ("Verbrauch des Ausweisungsinteresses")). Liegen die Voraussetzungen für einen solchen Verbrauch vor, kann eine zurückliegende Delinquenz mithin kein "Ausweisungsinteresse" im Sinne der §§ 5 Abs. 1 Nr. 2 oder 53, 54 AufenthG mehr begründen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers führt die neuerliche Begehung einer Straftat oder jeder sonstige Umstand, der das Ausweisungsinteresse erhöht, aber dazu, dass auch von einem möglichen Verbrauch erfasste frühere Sachverhalte wieder in die Gefahrenbeurteilung einzubeziehen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.2.2022 - BVerwG 1 C 6.21 -, juris Rn. 31; Beschl. v. 21.7.2021 - BVerwG 1 B 29.21 -, juris Rn. 5). Hat der Ausländer durch sein Verhalten ein neues Ausweisungsinteresse begründet, das noch nicht verbraucht ist, dürfen bei der anzustellenden Gefahrenprognose nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG mithin auch zurückliegende Straftaten berücksichtigt werden, auch wenn diese für sich genommen kein Ausweisungsinteresse mehr zu begründen vermögen.

2. Der Antragsteller macht mit seiner Beschwerde weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Wiederholungsgefahr in Abweichung von den Feststellungen im Strafvollstreckungsverfahren durch das Landgericht Göttingen im Beschluss vom ............ 2023 und dem zugrundeliegend durch die Sachverständige Dr. C. bejaht. Zwar sei das Verwaltungsgericht bei seiner Prognose der Wiederholungsgefahr nicht an die Feststellungen im Strafvollstreckungsverfahren gebunden. Diesen komme aber indizielle Bedeutung zu. Das Verwaltungsgericht dürfe daher von im Strafvollstreckungsverfahren getroffenen Feststellungen nur abweichen, wenn es auf breiterer Tatsachengrundlage über bessere Erkenntnisse verfüge und seine eigene Prognose substantiiert begründe. Diese Voraussetzungen für eine Abweichung seien nicht erfüllt. Entgegen der Darstellung des Verwaltungsgerichts sei die Sachverständige nicht von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen. Ihre zunächst fälschliche Annahme, er - der Antragsteller - sei Erstverbüßer, habe sie in der Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer korrigiert, und dies sei ohne Einfluss auf das Begutachtungsergebnis geblieben. Das Strafvollstreckungsgericht habe ausdrücklich seine - des Antragstellers - Vorstrafen in die Bewertung einbezogen. Auch im Übrigen besteht keine Rechtfertigung dafür, bei der Prognose maßgeblich auf die Stellungnahmen der JVA Rosdorf abzustellen, die ersichtlich nicht "von einer in neurologisch forensischer Hinsicht mit der Sachverständigen vergleichbar qualifizierten Person verfasst worden" seien. Die Einschätzungen der JVA erschöpften sich "in einer umfassenden Andersbewertung derselben Aussagen des Beschwerdeführers gegenüber den Einschätzungen der Sachverständigen", dokumentierten aber nicht "zusätzliche substantiierte und bewiesene Tatsachen, die zu einer Prognose vom Bestehen einer tatsächlichen Wiederholungsgefahr durch den Beschwerdeführer führen könnten". Seine von der JVA vorgenommene Charakterisierung als "gewalttätiger Betäubungsmittelkonsument" habe sich im Ergebnis des Strafverfahrens nicht niedergeschlagen (vgl. den Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 2.5.2024, S. 4 ff. = Blatt 73 ff. der E-Gerichtsakte OVG).

Auch diese Einwände verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat anhand eines richtigen Maßstabes (vgl. zu diesem BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, NVwZ-RR 2013, 435, 436 f. - juris Rn. 18; Urt. v. 4.10.2012 - BVerwG 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, 234 und 237 - juris Rn. 12 und 18; Senatsbeschl. v. 20.6.2017 - 13 LA 134/17 -, juris Rn. 6 jeweils m.w.N.) und unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände des konkreten Einzelfalls zutreffend eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch weitere strafrechtliche Verfehlungen des Antragstellers im Bundesgebiet prognostiziert. Die Richtigkeit dieser Prognose wird auch durch die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom ................2023 (Blatt 717 ff. der Beiakte 1), die Vollstreckung des Restes der gegen den Antragsteller im Urteil des Landgerichts Göttingen vom ........ 2020 (Blatt 509 ff. der Beiakte 1) verhängten Freiheitsstrafe von sechs Jahren nach Verbüßung von mehr als 2/3 der Strafe zur Bewährung auszusetzen, nicht infrage gestellt.

Der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB kommt mit Blick auf die hier zu treffende aufenthaltsrechtliche Gefahrenprognose eine Bindungswirkung nicht zu. Sie ist zwar bei der Prognose zu berücksichtigen und für diese von tatsächlichem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 21; Beschl. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, NVwZ-RR 2013, 435, 436 f. - juris Rn. 18). Ihr Gewicht ist aber von vorneherein deutlich geringer als das einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB; eine Vermutung für das Fehlen einer Rückfallgefahr im Sinne einer Beweiserleichterung begründet sie nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.8.2010- 2 BvR 130/10 -, juris Rn. 36; BVerwG, Urt. v. 2.9.2009 - BVerwG 1 C 2.09 -, juris Rn. 18; Urt. v. 16.11.2000 - BVerwG 9 C 6.00 -, juris Rn. 17). Denn die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 57 StGB betrifft maßgeblich die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit "offen" inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen vor allem Resozialisierungsaspekte im Vordergrund. Zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung eines straffälligen Ausländers um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen (vgl. Senatsbeschl. v. 18.1.2019 - 13 LA 452/17 -, V.n.b. Umdruck S. 3 f.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 -, juris Rn. 21; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 14.7.2014 - 8 ME 72/14 -, juris Rn. 38; Urt. v. 11.8.2010 - 11 LB 425/09 -, juris Rn. 54).

Hieran gemessen hat das Verwaltungsgericht bei seiner Prognoseentscheidung die Aussetzungsentscheidung des Landgerichts Göttingen hinreichend berücksichtigt.

a) Entgegen der Darstellung des Antragstellers folgt weder aus der Aussetzungsentscheidung des Landgerichts Göttingen vom .............. 2023 noch aus dem zugrundeliegenden forensisch-psychiatrischen Prognosegutachten der Sachverständigen Dr. C. vom 30. Mai 2023 (Blatt 622 ff. der Beiakte 1), dass die Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen (und damit die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG) bereits entfallen ist. Die Sachverständige und ihr folgend das Landgericht Göttingen gehen vielmehr von einem Rückfallrisiko aus, auch wenn sie den Antragsteller im "Niedrig-Rückfall-Risikobereich" verorten, gleichwohl angesichts seiner "deliktischen Vorgeschichte" aber einen Bewährungshelfer mit regelmäßiger Betreuung während einer Dauer von vier Jahren für erforderlich erachten (Gutachten v. 30.5.2023, S. 16, und Beschl. v. 5.9.2023, S. 4 f.).

b) Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass die Gefahr erneuter strafrechtlicher Verfehlungen nicht bereits derart reduziert ist, dass sie das Gewicht des Ausweisungsinteresses derart mindert, dass es im Sinne des § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG hinter die widerstreitenden Bleibeinteressen des Antragstellers zurückzutreten hätte. Hierfür bieten die Aussetzungsentscheidung des Landgerichts Göttingen vom ........... 2023 und das zugrundeliegende forensisch-psychiatrische Prognosegutachten der Sachverständigen Dr. C. vom 30. Mai 2023 zwar Anhaltspunkte. Das Verwaltungsgericht war aber zu einer abweichenden Bewertung befugt. Wenn von der strafgerichtlichen Einschätzung abgewichen werden soll, bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats einer substantiierten Begründung. Diese kann etwa darin liegen, dass die ausländerrechtliche Entscheidung auf einer breiteren Tatsachengrundlage als derjenigen der Strafvollstreckungskammer getroffen wird, etwa wenn die Ausländerbehörde oder das Gericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben, welches eine Abweichung zulässt, oder wenn die vom Ausländer in der Vergangenheit begangenen Straftaten fortbestehende konkrete Gefahren für höchste Rechtsgüter erkennen lassen oder wenn den Strafgerichten bedeutsame Umstände des Einzelfalls nicht bekannt gewesen oder von ihnen nicht beachtet worden sind (vgl. bspw. Senatsurt. v. 11.7.2018 - 13 LB 44/17 -, juris Rn. 87 m.w.N.). Insbesondere letztgenannte Voraussetzung ist hier ersichtlich erfüllt.

Die Sachverständige und ihr folgend das Landgericht Göttingen haben ihre für den Antragsteller prognostisch günstige Bewertung des Antragstellers maßgeblich darauf gestützt, (1) dass dieser sich in der Haft beanstandungsfrei geführt und von subversiven Aktivitäten und Personen aus der Drogenhandelsszene distanziert habe (Gutachten v. 30.5.2023, S. 15, und Beschl. v. 5.9.2023, S. 4 f.), (2) dass er "eine lange Zeit von fast 10 Jahren straffrei verbracht" und seine Straftaten kritisch reflektiert habe sowie nicht einschlägig bzw. erheblich vorbestraft sei (Gutachten v. 30.5.2023, S. 16, und Beschl. v. 5.9.2023, S. 4 ff.) und (3) dass er in seine Familie zurückkehre, die ihm Unterkunft und Beschäftigung biete (Gutachten v. 30.5.2023, S. 15, und Beschl. v. 5.9.2023, S. 4 f.).

In Bezug auf jeden dieser maßgeblichen Aspekte sind bedeutsame Umstände ersichtlich, die eine abweichende Prognose der Wiederholungsgefahr rechtfertigen.

(1) Der Antragsteller hat sich in der Haft nicht beanstandungsfrei geführt.

Ausweislich des Vollzugsplans der JVA Rosdorf vom 5. Dezember 2022 (Blatt 602 ff. der Beiakte 1) wurden bei Haftraumkontrollen im März 2021 ein unerlaubtes Mini-Handy und im Juni 2021 eine unerlaubte SIM-Karte aufgefunden. Die Vollzugsplankonferenz hat hierauf zutreffend festgestellt, dass es dem Antragsteller "selbst unter den stark regulierten Bedingungen des geschlossenen Vollzugs ... nicht durchgehend (gelingt), sich regelkonform zu verhalten". Eine angemessene Würdigung dieses (durchaus erkannten, siehe Gutachten v. 30.5.2023, S. 15) Fehlverhaltens ist im strafvollstreckungsrechtlichen Verfahren nicht erfolgt.

Auch die Feststellung der Sachverständigen, der Antragsteller habe sich in der Haft von subversiven Aktivitäten und Personen aus der Drogenhandelsszene distanziert, beruht allein auf Angaben des Antragstellers (so ausdrücklich Gutachten S. 15: "nach eigenen Angaben"). Dem widerspricht die im Strafvollstreckungsverfahren abgegebene Stellungnahme der JVA Rosdorf vom 31. Juli 2023 (Blatt 615 ff. der Beiakte 1) deutlich. Dort war der Eindruck entstanden, dass der Antragsteller sich in der JVA subkulturell betätigt und dass er selbst und auch einzelne seiner Angehörigen sich am Drogenhandel in die JVA beteiligen (Stellungnahme v. 31.7.2023, insb. S. 3 f., und Vermerk zum Lagebild über den aktuellen Drogenhandel in der JVA Rosdorf v. 17.11.2022, Blatt 613 f. der Beiakte 1). Die schlichte Bewertung durch das Landgericht Göttingen als "nicht näher belegte(r) Eindruck, ... ohne dass sich hierzu Näheres feststellen ließ" (Beschl. v. 5.9.2023, S. 6), vermag der Senat schon mangels erkennbarer weiterer Aufklärungsbemühungen nicht nachzuvollziehen. Auch die von dem Antragsteller monierte fachliche Qualifikation der Mitarbeiter der JVA Rosdorf - im Vergleich zu der Sachverständigen Dr. C. - rechtfertigt keine abweichende Bewertung, da es um die Beschreibung bloßer tatsächlicher Vorgänge im Justizvollzugsalltag geht und den Mitarbeitern der JVA Rosdorf, die den Antragsteller im Justizvollzugsalltag mehrere Jahre tatsächlich erlebt haben, gegenüber der Sachverständigen Dr. C. jedenfalls insoweit ein Kenntnisvorsprung zukommen dürfte.

(2) Der Antragsteller hat auch nicht "eine lange Zeit von fast 10 Jahren straffrei verbracht". Die dahingehende Annahme der Sachverständigen Dr. C. bezieht sich auf den Zeitraum "zwischen 2006 und 2015" (Gutachten v. 30.5.2023, S. 13). In diesem Zeitraum hat der Antragsteller nachweislich mehrere Straftaten verübt. So ist er zum einen mit Urteil des Amtsgerichts Osterode am Harz vom ........2014 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (Tatzeit: ................ 2012) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt worden (vgl. den BZR-Auszug auf Blatt 575 der Beiakte 1 und das Berufungsurt. des LG Göttingen v. 19.8.2015, Blatt 710 ff. der Beiakte 1). Zum anderen verhängte das Amtsgericht Osterode am Harz am ............... 2014 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (Tatzeit: ...... 2014) eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen (vgl. den BZR-Auszug auf Blatt 575 der Beiakte 1).

Der Antragsteller ist - unbesehen der übrigen zahlreichen und vielfältigen seit 1991 begangenen Delikte (vgl. den BZR-Auszug auf Blatt 570 ff. der Beiakte 1) - auch einschlägig und erheblich vorbestraft. Schon das Landgericht Göttingen hat in seinem Urteil vom ....... 2020 (S. 53 f., 66 f. und 75 f.) die einschlägige Vorstrafe im genannten Urteil des Amtsgerichts Osterode am Harz vom .......... 2014 hervorgehoben und auf die "Vergleichbarkeit bei den Taten" hingewiesen. Zudem hat es den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Erlass des Restes der Vorstrafe im ........ 2017 und den nachfolgenden vergleichbaren Straftaten ab Anfang 2018 ausdrücklich betont (Urt. v. ....2020, S. 76). Diese einschlägige Vorstrafe im Urteil des Amtsgerichts Osterode am Harz vom ............. 2014 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und die durchaus erhebliche Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten sind von der Sachverständigen Dr. C. (Gutachten v. 30.5.2023, S. 3) und von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen (Beschl. v. 5.9.2023, S. 3) tatsächlich auch beschrieben worden. Es ist aber nicht ansatzweise ersichtlich, dass überhaupt und bejahendenfalls in welcher Art und Weise diese einschlägige und erhebliche Vorstrafe bei der angestellten strafvollstreckungsrechtlichen Prognose berücksichtigt worden ist. Die hierauf bezogenen Ausführungen der Sachverständigen Dr. C. (Gutachten S. 14 f.) und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen (Beschl. v. 5.9.2023, S. 4 f.) dokumentieren dies jedenfalls nicht.

Es ist auch nicht belegt, dass der Antragsteller seine Straftaten kritisch reflektiert hat. Der dargestellte enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Reststrafenerlass und der Begehung neuer vergleichbarer Straftaten bestätigt vielmehr den Eindruck der JVA Rosdorf, der Antragsteller stelle eine Art "Kosten-Nutzenrechnung" auf und nehme das Risiko einer erneuten strafrechtlichen Verurteilung gelegentlich in Kauf (vgl. den Vollzugsplan v. 5.12.2022, S. 4). Im Strafvollzug hatte der Antragsteller bis Ende 2022 nur an der niedrigschwelligen Gruppenbehandlungsmaßnahme "Nie wieder straffällig" teilgenommen, sonst aber keine Bereitschaft zu weiteren Behandlungsmaßnahmen gezeigt (vgl. den Vollzugsplan v. 5.12.2022, S. 2). Erst im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem bevorstehenden 2/3-Termin hat er an dem von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen erwähnten Programm "Reasoning & Rehabilitation" von Ende April bis Ende August 2023 teilgenommen. Diese Teilnahme konnte (zeitlich) von der Sachverständigen Dr. C. noch nicht berücksichtigt werden; sie betrifft zudem maßgeblich zukunftsgerichtete Einstellungs- und Verhaltensänderungen (vgl. hierzu Hosser/Weber, Das "Reasoning-and-Rehabilitation"-Programm im deutschen Strafvollzug - Einstellungs- und Verhaltensveränderungen im Behandlungsverlauf, in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2021, 319, und veröffentlicht unter https://doi.org/10.1007/s11757-021-00686-5), bietet aber keinen Anhalt für eine (selbst-)kritische Reflektion begangener Straftaten durch den Antragsteller. Auch die hierauf bezogene Dokumentation der Sachverständigen in ihrem Gutachten lässt eine solche nicht erkennen (vgl. bspw. Gutachten v. 30.5.2023: eigene "Angaben zu den verurteilten Taten: Er sei naiv gewesen, habe Probleme finanzieller Natur mit seinem Fitnessstudio gehabt. ... Es sei reizvoll gewesen, vermeintlich schnell an viel Geld zu kommen, da habe er nicht nachgedacht und sich wohl in schlechter Gesellschaft befunden.").

(3) Es ist kein nachvollziehbarer Grund dafür ersichtlich, dass die Rückkehr des Antragstellers zu seiner in A-Stadt wohn- und geschäftsansässigen Familie ihn von der Begehung weiterer Straftaten abhalten wird, also seine Legalprognose günstig beeinflussen kann.

Der Senat stellt nicht in Abrede, dass der Antragsteller von seiner Familie wieder aufgenommen werden wird und diese ihm Unterkunft und Beschäftigung in den von ihr betriebenen, jedenfalls aber geleiteten Fitnessstudios zu gewähren vermag. Diese familiäre, soziale und wirtschaftliche Einbindung des Antragstellers bestand in ähnlicher Weise schon bei Begehung der mit Urteil des Landgerichts Göttingen vom ....... 2020 abgeurteilten Tat (vgl. Urt. v. ......2020, S. 3 f. und 7 f.), ohne dass sie einen positiven Einfluss auf den Lebenswandel des Antragstellers gezeigt hätte. Vielmehr ereignete sich das Tatgeschehen der mit Urteil des Landgerichts Göttingen vom ....... 2020 abgeurteilten Tat (vgl. Urt. v. ......2020, S. 7 ff.) und auch bereits das Tatgeschehen der mit Urteil des Amtsgerichts Osterode am Harz abgeurteilten Taten (vgl. das Berufungsurt. des LG Göttingen v. .......2015, S. 7 f.) jedenfalls teilweise in unmittelbarer Nähe der Wohn-/Geschäftsadresse der Familie des Antragstellers (A-Stadt, A-Straße). Auch ist kein Grund dafür ersichtlich, dass die während der Straftaten bestehenden und gegebenenfalls tatmitbestimmenden (vgl. Gutachten v. 30.5.2023, S. 7) schlechten finanziellen Verhältnisse des Antragstellers (vgl. LG Göttingen, Urt. v. .....2020, S. 4, und Berufungsurt. v. ......2015, S. 3 f.) sich grundlegend und nachhaltig verbessert hätten. Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. C. deuten eher Gegenteiliges an (Gutachten v. 30.5.2023, S. 7).

Angesichts dieser Umstände ist (auch) für den Senat nicht ansatzweise nachzuvollziehen, wie die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen (Beschl. v. ......2023, S. 4) und die Sachverständige Dr. C. (Gutachten v. 30.5.2023, S. 15 f.) zu der Feststellung gelangen konnten, der zu erwartende soziale Empfangsraum des Antragstellers werde diesen bei der Führung eines zukünftig straffreien Lebens erfolgreich unterstützen können. Plausibel ist eine dahingehende Annahme nicht.

3. Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde schließlich die Rechtmäßigkeit der Meldeauflage nach § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG unter Bezugnahme auf seine Angriffe gegen die Ausweisungsverfügung bezweifelt (vgl. den Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 2.5.2024, S. 6 = Blatt 75 der E-Gerichtsakte OVG), vermag dies seiner Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil die Angriffe gegen die Ausweisungsverfügung nicht durchgreifen (siehe hierzu oben I.1. und 2.).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).