Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.06.2017, Az.: 1 A 241/16
Ausweisungsinteresse; Familiennachzug; missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung; Vaterschaftsanerkennung; Visumsverfahren; Zambrano
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 28.06.2017
- Aktenzeichen
- 1 A 241/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 53930
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 27 Abs 1 AufenthG
- § 27 Abs 1a AufenthG
- § 28 Abs 1 Nr 3 AufenthG
- § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG
- § 5 Abs 2 S 2 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
§ 27 Abs. 1a AufenthG steht dem Familiennachzug der ausländischen Mutter zu ihrem deutschen Kind nicht entgegen, auch wenn ein Deutscher die Vaterschaft nur deshalb anerkannt haben sollte, um Mutter und Kind ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Aufenthaltserlaubnis.
Die Klägerin ist mazedonische Staatangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben im Juli 2004 in Begleitung ihres Lebensgefährten P. Q. und des gemeinsamen Sohnes R. erstmals ins Bundesgebiet ein. Ein Asylverfahren betrieben die Klägerin und ihre Familie nicht. Die Klägerin gab sich zunächst als Roma aus dem Kosovo aus und wurde wegen des zwischen 2001 und 2009 geltenden Abschiebestopps für diese Bevölkerungsgruppe und im Anschluss wegen dauerhafter Passlosigkeit und der damit einhergehenden ungeklärten Identität durchgehend geduldet.
Im Jahr 2009 beantragte die Klägerin die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten und legte verschiedene Atteste vor, die das Vorliegen einer Erkrankung an Diabetes und an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) auswiesen. Wegen der Diabeteserkrankung verwies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seiner Stellungnahme vom September 2010 nach § 72 AufenthG auf Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo hin. Das Bundesamt wies weiter darauf hin, dass sich die Atteste zur posttraumatischen Belastungsstörung nicht mit dem Wahrheitsgehalt der Äußerungen der Klägerin befassten, sondern diese ungeprüft den Gutachten zugrunde legten. Außerdem wies auf Behandlungsmöglichkeiten bei neurologischen Erkrankungen hin. Die geplante Abschiebung der Klägerin fand wegen ihrer Schwangerschaft im Jahre 2010 nicht statt. Im Jahr 2010 gebar die Klägerin ihre Tochter S. T. C..
Durch polizeiliche Ermittlungen wurde im Dezember 2012 festgestellt, dass es sich bei der Klägerin und ihrem Lebensgefährten um mazedonische Staatsangehörige handelt. Die Staatsangehörigkeit wurde durch die Vorlage gültiger mazedonischer Reisepässe für die Klägerin und ihren Sohn R. nachgewiesen.
Noch vor der Geburt des Sohnes U. V. im Jahr 2014 beabsichtigte der Beklagte erneut, die Klägerin aus dem Bundesgebiet abzuschieben. Die Klägerin machte wiederum eine Erkrankung an PTBS geltend und beantragte im Februar 2013 die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich des Herkunftsstaates sowie anderer Staaten des ehemaligen Jugoslawiens sowie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Im Mai 2015 gab das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Stellungnahme nach § 72 AufenthG ab. Danach liegt aus Sicht des Bundesamtes kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vor. Zur Begründung verwies das Bundesamt im Wesentlichen darauf, dass sich die vorgelegten Diagnosen zu einer posttraumatischen Belastungsstörung der Klägerin auf eine angebliche Vergewaltigung im Kosovo stützten, obwohl es keine glaubhaften Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Klägerin dort jemals einen Aufenthalt hatte. Aber selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, stehe das einer Abschiebung in das Heimatland Mazedonien nicht entgegen. Dort könnte die Klägerin behandelt werden.
Eine abschließende Entscheidung über den Antrag der Klägerin traf der Beklagte nicht, weil die Klägerin im August 2015 einen weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellte. Diesen Antrag stützte sie auf § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Sie legte den Kinderausweis ihres Sohnes U. V. vor, dem zwischenzeitlich die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt worden war. Dies erfolgte, weil der deutsche Staatsangehörige W. V. bereits vor der Geburt des Kindes U. am 17.04.2017 vor dem Jugendamt des Beklagten eine Erklärung über die Anerkennung der Vaterschaft abgegeben hatte, der die Klägerin zugestimmt hatte.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte schließlich erneut am 20.11.2015 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis jeweils nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG an die Klägerin sowie nach § 25 Abs. 5 AufenthG an die übrigen Familienangehörigen.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin sowie ihrer Kinder R. C. und S. T. C. mit Bescheid vom 27.07.2016 ab.
Hinsichtlich des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG aufgrund der Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung der Klägerin verwies der Beklagte auf die Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Mai 2015. Soweit die Klägerin ihren Antrag auf die Mutterschaft zu dem deutschen Kind U. V. und damit auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG stütze, liege der Ausschlusstatbestand des § 27 Abs. 1 a Nr. 1 AufenthG vor. Danach werde ein Familiennachzug unter anderem dann nicht zugelassen, wenn feststehe, dass das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck begründet worden sei, dem Nachziehenden die Einreise ins und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Der Begriff „Verwandtschaftsverhältnis“ umfasse unter anderem auch rechtsmissbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen. Es gebe derart gravierende Zweifel an der Vaterschaft des deutschen Staatsangehörigen W. V. zu dem Kind U., dass nahezu mit Gewissheit angenommen werden könne, dass die Vaterschaftsanerkennung durch Herrn V. bewusst wahrheitswidrig im kollusivem Zusammenwirken mit der Klägerin erfolgt sei, um dem Kind U. sowie allen weiteren Familienangehörigen ein legales Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu ermöglichen. Bei allen Behörden, die in den Fall involviert gewesen seien, unter anderem dem Sozialamt, den Standesämtern der Städte I. und X. sowie der Polizei, sei der dringende Eindruck entstanden, dass es sich bei dem tatsächlichen Kindsvater um den langjährigen Lebensgefährten der Klägerin, P. Q., handele, der auch der Vater der Kinder R. und S. T. sei. Dazu kämen weitere Hinweise aus dem privaten Umfeld der Klägerin. Der offensichtliche Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung durch Herrn V. gebiete es, dass die Klägerin aus dem rein formalen Vaterschaftsanerkennen für sich und ihre Kinder keinen aufenthaltsrechtlichen Nutzen ziehen dürfe.
Im Übrigen stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen, wonach die Einreise mit dem erforderlichen Visum erfolgen müsse. Dieses Erfordernis sei von der Klägerin durch die illegale Einreise ins Bundesgebiet im Jahr 2004 umgangen worden. Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Erfordernis der Einreise mit dem D-Visum lägen bei der Klägerin nicht vor. Die Fälle des § 39 AufenthV träfen auf die vorliegende Fallkonstellation nicht zu. Auch könne nicht auf die Nachholung eines Visumsverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verzichtet werden. Die Nachholung des Visumsverfahrens sei nicht unzumutbar. Die Regelung greife aus zwei Gründen nicht: Zum einen sei kein Fall des Rechtsanspruchs auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erkennbar. Es seien auch keine Umstände vorgebracht worden oder ersichtlich, die auf die Unzumutbarkeit der Nachholung eines geordneten Visumsverfahrens hindeuteten.
Es komme auch keine weitere Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin in Betracht. Dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen am weiteren Verbleib im Bundesgebiet nach § 25 Abs. 4 AufenthG lägen nicht vor. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG aus humanitären Gründen komme aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht. Die Ausreise nach Mazedonien sei der Klägerin rechtlich wie auch tatsächlich jederzeit problemlos möglich und zumutbar. Insbesondere handele es sich bei ihr nicht um eine faktische Inländerin. Sie halte sich zwar seit rund 12 Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Sie habe sich aber nicht sozial, kulturell oder wirtschaftlich in die deutsche Gesellschaft integriert. Sie sei während des gesamten Aufenthalts nicht einer Beschäftigung nachgegangen, sondern sichere ihren Lebensunterhalt seit der Einreise durchgängig aus öffentlichen Leistungen. Ihre mündlichen Deutschkenntnisse reichten lediglich für eine Verständigung auf einfachem Niveau aus. Auch über sonstige Integrationsleistungen sei nichts bekannt. Außerdem sei die Klägerin bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten und zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen im Januar 2016 verurteilt worden. Dem gegenüber sei die Reintegration in Mazedonien voraussichtlich zu meistern. Die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei auch verhältnismäßig. Nachteile, die der Klägerin mit der Ausreise entstehen würden, stünden in keinem Missverhältnis zu den gewichtigen öffentlichen Interessen an ihrer Ausreise. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an der Einhaltung geltender Gesetze und Rechtsvorschriften sowie daran, Folgekosten für das soziale Sicherungssystem in Deutschland und die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Grundinteressen der Gesellschaft zu minimieren. Die Interessen der Klägerin, weiterhin in Deutschland zu leben, überwögen diese Interessen nicht.
Die Klägerin hat am 30.09.2016 Klage erhoben. Sie macht geltend, sie leide an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung, nämlich einer posttraumatischen Belastungsstörung. Es lägen außerdem die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vor. Das Kind U. V., geboren am 25.06.2014, sei deutscher Staatsangehöriger. Der Ablehnungsbescheid sei ermessenfehlerhaft und rechtswidrig. Er gehe von falschen Tatsachen aus und nehme die Rechtslage nicht angemessen zur Kenntnis.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 27.07.2016, zugestellt am 28.09.2016, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die Gründe des ablehnenden Bescheides. Auch aus dem im Verfahren vorgelegten „aktualisierten Attest“ der Y. Fachklinik in H. vom 04.11.2016 ergebe sich im Hinblick auf ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nichts anderes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, den vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die von der Staatsanwaltschaft I. beigezogene Ermittlungsakte in dem Verfahren wegen Betruges gegen die Klägerin (XX Js XX/XX) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet, soweit die Ablehnung des durch die Klägerin gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Da die Sache nicht spruchreif ist, ist der Beklagte lediglich zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Soweit die Klägerin mit ihrem Antrag darüber hinausgegangen ist, hat ihre Klage keinen Erfolg.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu ihrem minderjährigen Sohn U. V. nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (hierzu 1.). Ihr steht aber kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern nur auf Neubescheidung über ihren Antrag zu, weil sie jedenfalls derzeit die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG nur zum Teil erfüllt (hierzu 2.).
1.
1.1. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor. Das Kind U. hat durch die Vaterschaftsanerkennungserklärung des Deutschen W. V. durch Geburt nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 StAG i.V.m. § 1592 Nr. 2 BGB wegen der Abstammung von einem deutschen rechtlichen Vater die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Die Klägerin ist ausländische Mutter des deutschen Kindes U. V. und zur Personensorge berechtigt.
1.2. Dem steht auch nicht der Versagungsgrund des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG entgegen. Nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG wird der Familiennachzug nicht zugelassen, wenn feststeht, dass die Ehe oder das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.
Ob hier ein Fall der Scheinvaterschaftsanerkennung vorliegt, wie der Beklagte auf Grundlage zahlreicher und im Verwaltungsvorgang des Beklagten im Einzelnen nachzuvollziehender Anhaltspunkte meint, ist unerheblich. Ausländerrechtlich ist der mögliche Umstand, dass W. V. die Vaterschaft des Kindes U. nur deshalb anerkannt haben könnte, um der Klägerin einen Aufenthaltstitel zu verschaffen, nicht zu verwerten.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 - (BVerfGE 135, 48 ff.) die Regelung des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB wegen Verfassungswidrigkeit nach § 78 Satz 1 BVerfGG für nichtig erklärt hat, haben Behörden keine Handhabe mehr gegen Scheinvaterschaftsanerkennungen, die allein den auch hier von dem Beklagten vermuteten Zweck haben. Es gilt der abschließende Katalog der Anfechtungsberechtigten nach § 1600 Abs. 1 BGB, zu denen die Behörden nicht mehr zählen. Eine Vaterschaftsanerkennung ist damit nicht mehr von den Behörden aus der Welt zu schaffen. Der Gesetzgeber hat nunmehr Abhilfe geschaffen, allerdings nur für die Zukunft. Nach Artikel 1 Buchst. e) und Artikel 4 des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, das vom Bundestag in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT-Drs. 18/12415) angenommen worden ist und nach Behandlung im Bundesrat nunmehr zur Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt ansteht, soll die Beurkundung von missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen im Verwaltungsverfahren unterbunden werden. Dieser präventive Ansatz hat keine Auswirkungen auf Fälle, in denen aufgrund einer missbräuchlichen, aber nach den (bislang)
voraussetzungsarmen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs wirksamen Vaterschaftsanerkennung das Kind bereits die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hat.
Es ist von der Kammer nicht weiter aufzuklären, ob hier eine Scheinvaterschaft vorliegt, deren ausschließlicher Zweck darin besteht, der Klägerin einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Der Fall der Scheinvaterschaft, die der leiblichen ausländischen Mutter des durch Anerkennung deutschen Kindes einen Aufenthaltstitel verschafft, fällt nicht in den Anwendungsbereich von § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG (so auch Bay. VGH, Beschl. v. 20.10.2015 - 19 C 15.820 -, juris; VG Magdeburg, Urt. v. 31.03.2016 - 4 A 573/15 -, juris; VG Aachen, Urt. v. 24.02.2016 - 8 K 247/14 -, juris, jeweils m.w.N.; Müller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 27 AufenthG, Rz. 20).
Dafür sprechen schon die europarechtliche Genese der Vorschrift und das damit verbundene erkennbare Regelungsziel des Gesetzgebers:
Mit dem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) neu eingefügten Ausschlusstatbestand des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EU Nr. L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - nahezu wortgleich umgesetzt. Nach Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2003/86/EG können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung ablehnen und den Aufenthaltstitel des Familienangehörigen entziehen oder seine Verlängerung verweigern, wenn feststeht, dass die Ehe oder Le-benspartnerschaft nur zu dem Zweck geschlossen bzw. die Adoption nur vorgenommen wurde, um der betreffenden Person die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen. Der deutsche Gesetzgeber hat diesen Wortlaut im Hinblick auf die Adoption abgeändert und von „Verwandtschaftsverhältnis“ gesprochen. Dass damit auch die in Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2003/86/EG nicht genannte Scheinvaterschaft gemeint sein könnte, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht eindeutig. Die Gesetzesbegründung spricht gegen eine erweiternde Auslegung und dafür, dass ausschließlich die genannte Richtlinienbestimmung umgesetzt werden sollte. In der Begründung heißt es (BT-Drs. 16/5065, S. 170):
„Durch Absatz 1a Nr. 1 wird ausdrücklich ein Ausschlussgrund für den Familiennachzug im Falle einer Zweckehe oder Zweckadoption normiert. Damit entfällt der Anreiz, Zweckehen zu schließen oder Zweckadoptionen vorzunehmen.
[… ] Die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. EU Nr. L 251 S. 12) eröffnet in Artikel 16 Abs. 2b den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung abzulehnen, wenn feststeht, dass die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen wurde oder die Adoption nur vorgenommen wurde, um der betreffenden Person die Einreise zu ermöglichen. Die Regelung gilt auch für den Familiennachzug von Ehegatten zu Deutschen, da hier gleichfalls die Gefahr besteht, dass Zweckehen geschlossen werden; hinsichtlich der Zweckadoptionen entfaltet die Regelung ungeachtet der Frage der Anerkennungsfähigkeit der betreffenden Auslandsadoptionen Signalwirkung.“
Jedenfalls für die hier vorliegende Konstellation, in der die leibliche Mutter ausländerrechtliche Vorteile aus der (der Vaterschaftsanerkennung folgenden) deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes ziehen will, spricht auch der Wortlaut von § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG gegen eine erweiternde Auslegung. Denn das Verwandtschaftsverhältnis zwischen leiblicher Mutter und Kind wird nicht (durch Willenserklärung) „begründet“, sondern besteht von Gesetzes wegen (§ 1591 BGB).
Für den Gesetzgeber gab es auch keinen Anlass, über die Umsetzung von Art. 16 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie hinaus auch Scheinvaterschaften in den Anwendungsbereich von § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG einzubeziehen:
Zum einen sind Verwandtschaftsbeziehungen am Maßstab des § 27 Abs. 1 AufenthG zu messen, der neben § 27 Abs. 1a AufenthG anwendbar ist (BVerwG, Urt. v. 30.03.2010 - 1 C 7/09 -, juris, Rz. 12 ff.). Das bedeutet, dass jedenfalls dann, wenn der (nur scheinbare) Vater den Familiennachzug zum Kind begehrt, nach dem Willen zur Herstellung bzw. Fortführung der Familiengemeinschaft zu fragen ist. Für die hier vorliegende Konstellation der Mutter, die den Familiennachzug zum deutschen Kind begehrt, greift das Argument zwar nicht, weil das Familienverhältnis von leiblicher Mutter zu ihrem Kind unmittelbar besteht. Es ist in dieser Konstellation allerdings schon fraglich, ob eine weite Auslegung von § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufentG wegen Nichtvereinbarkeit mit Art. 16 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie europarechtswidrig wäre (so Müller, a.a.O.), weil in diesem Verhältnis eine sozio-familiäre Beziehung gerade vorliegt, die in den in der Richtlinie geregelten Ausschlussfällen gerade nicht gegeben ist.
Zum anderen lag zum Zeitpunkt der Beratung des Richtlinienumsetzungsgesetzes bereits das Gesetz zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13.03.2008 (BGBl. I S. 313) mit dem in § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 BGB normierten behördlichen Anfechtungsrecht von Vaterschaftsanerkennungen nach § 1592 Nr. 2 BGB vor (BR-Drs. 624/06; vgl. ferner BT-Drs. 16/3291). Auch sind durch das genannte Gesetz im Aufenthaltsgesetz Vorschriften in §§ 79 Abs. 2, 87 Abs. 2 und 6 sowie § 90 Abs. 5 AufenthG eingefügt bzw. neu gefasst worden. Diese Regelungen flankieren das der anfechtungsberechtigten Behörde im BGB eingeräumte Vaterschaftsanfechtungsrecht ausländerrechtlich. Es trifft zwar zu, dass sich gerade aus diesen Regelungen ergibt, dass der Gesetzgeber das Problem der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung nicht allein familienrechtlich lösen wollte (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.11.2014 - 11 S 1886/14 -, juris, Rz. 25; vgl. auch BR-Drs. 624/06, S. 7, 11 f., 15). Der zeitliche Gleichlauf der beiden Gesetzesvorhaben lässt aber den Schluss zu, dass eine Sonderregelung für Scheinvaterschaftsanerkennungen nicht erforderlich war und dies auch so gesehen wurde.
Die Kammer folgt damit nicht der Meinung in Rechtsprechung und Literatur, die den Fall der Scheinvaterschaftsanerkennung in den Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1a AufenthG fallen lassen will (vgl. für den Fall des Nachzugs des Vaters zum deutschen Kind OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 06.03.2008 - 7 A 11276/07 -, juris; OVG NW, Urt. v. 23.08.2012 - 18 A 537/11 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 04.11.2014, a.a.O.; für den Fall des Nachzugs der Mutter zum deutschen Kind VG Oldenburg, Urt. v. 22.04.2009 - 11 A 389/08 -, juris, Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG bejahend; VG Ansbach, Urt. v. 24.03.2016 - AN 5 K 14.00428 -, juris; Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 1, Stand: 100. EL März 2017, § 27 Rz. 54 ).
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat im Beschluss vom 04.11.2014 - 11 S 1886/14 - ausgeführt, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift in der 2. Alternative (Begründung des Verwandtschaftsverhältnisses ausschließlich zu dem Zwecke, dem Nachziehenden Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen) der Tatbestand der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung umfasst sei. Die Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses könne auch durch eine Anerkennung der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB erfolgen. Die rechtsgeschäftliche Begründung der Vaterschaft sei der ebenfalls durch Willenserklärung begründeten Ehe oder Adoption gleichzustellen (juris Rz. 17). Der Verwaltungsgerichtshof hat außerdem systematische Gründe ins Feld geführt: Die Regelung sei den konkreten und nach ihren unterschiedlichen Zwecken ausdifferenzierten familiären Aufenthaltstitel (§§ 28 ff. AufenthG) vorangestellt und erhebe damit den Anspruch, für jede Art des Familiennachzugs zu gelten (juris Rz. 18). Auch der Sinn und Zweck der Regelung, nämlich rechtlich wirksame, aber nur zur Erlangung von aufenthaltsrechtlichen Vorteilen eingegangenen familiären Beziehungen von Familiennachzug und Aufenthalt im Bundesgebiet generell auszuschließen, gelte für Scheinehen, Zweckadoptionen und Vaterschaftsanerkenntnisse gleichermaßen (juris Rz. 18).
Jedenfalls für die hier gegebene Konstellation, in der die leibliche Mutter den Familiennachzug zu ihrem deutschen Kind begehrt, überzeugt das Wortlautargument nicht. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen leiblicher Mutter und ihrem Kind wird, wie ausgeführt, nicht „begründet“, sondern besteht von Gesetzes wegen nach § 1591 BGB („Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“). Mit dieser Konstellation hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg allerdings nicht zu befassen; in dem dort zur Entscheidung gestellten Fall begehrte der ausländische (Schein-)Vater den Familiennachzug zu seinem deutschen Kind. Diese Auslegung von § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG überzeugt auch deshalb nicht, weil sie die oben dargestellte Entstehungsgeschichte der Norm außer Acht lässt. Sie berücksichtigt schließlich nicht, dass mit § 27 Abs. 1 AufenthG eine neben Absatz 1a anwendbare Vorschrift (BVerwG, Urt. v. 29.01.2009 - 1 C 7.09 -, a.a.O.) zur Verfügung steht, die den Familiennachzug auf Fälle beschränkt, in denen eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet besteht, die dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt. In der vom Verwaltungsgerichtshof zu entscheidenden Konstellation eines ausländischen Scheinvaters hätte die Lösung damit auch über § 27 Abs. 1 AufenthG erfolgen können, ohne dass es der Anwendung von § 27 Abs. 1a AufenthG bedurft hätte.
1.3. Dem Familiennachzug steht vorliegend auch nicht § 27 Abs. 1 AufenthG entgegen. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 des Grundgesetzes erteilt und verlängert. Zwischen der Klägerin und ihrem Kind U. besteht unstreitig eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet.
1.4. Da der Klägerin dem Grunde nach bereits nach dem Aufenthaltsgesetz ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zusteht, sieht die Kammer von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof ab. Es ist nicht streitentscheidend, ob sich aus Art. 20 AEUV im vorliegenden Fall ein Anspruch der Klägerin zum Verbleib im Bundesgebiet ableitet, wie es etwa das Urteil des EuGH vom 8. März 2011 in der Rechtssache C-34/09 („Zambrano“) nahelegt. Der Entscheidung liegt der Fall zugrunde, dass das Kind von in Belgien lebenden kolumbianischen Staatsangehörigen die belgische Staatsangehörigkeit erhalten hatte. Der EuGH entschied in diesem Fall, dass drittstaatsangehörigen Eltern eines minderjährigen Kindes, das Unionsbürger ist, aus dessen Unionsbürgerschaft ein Aufenthaltsrecht erhalten, und zwar ohne vom Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht zu haben. Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschl. v. 20.10.2015, a.a.O., Rz. 4) sind die Grundsätze dieser Entscheidung auf den Fall anwendbar, in dem - wie nach Auffassung des Beklagten vorliegend - die ausländische Mutter Inhaberin der Personensorge für das Kind ist und zwischen diesem und dem deutschen Staatsangehörigen, der die Vaterschaft anerkannt hat, keine familiären Beziehungen bestehen, die nach Art und Umfang geeignet sind, die Sorge und Betreuung durch die Mutter zu ersetzen und dadurch den faktischen Zwang zur Ausreise (auch) des Kindes zu beseitigen. Anders als vorliegend waren die Eltern des belgischen Kindes in der Rechtssache „Zambrano“ indes nicht von öffentlichen Leistungen abhängig, so dass auch im Lichte der zurückhaltenderen Folgerechtsprechung des EuGH (EuGH, Urt. v. 05.05.2011 - C-434/09 -, „McCarthy“; Urt. v. 05.11.2011 - C-256/11 - „Dereci“, jeweils juris und www.curia.europa.eu) keinesfalls geklärt scheint, dass im vorliegenden Fall ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus Art. 20 AEUV folgen könnte.
2.
Der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem deutschen Kind gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erfordert neben dem Vorliegen der dort genannten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich auch, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufentG erfüllt sind. Das ist hier in Bezug auf die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG der Fall (hierzu 2.1.), nicht aber in Bezug auf die zwingende Voraussetzung, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (hierzu 2.2.). Etwas anderes gilt nur, wenn der Ausländer nach § 39 AufenthV berechtigt ist, die Aufenthaltserlaubnis nach Einreise einzuholen, oder ein Absehen von der Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Betracht kommt. Letzteres ist hier der Fall (hierzu 2.3.).
2.1. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG für die Aufenthaltsgenehmigung aus familiären Gründen liegen hier vor.
Der Umstand, dass die Klägerin seit 2004 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht und voraussichtlich auch nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt (§ 27 Abs. 5 AufenthG), ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie nicht aus eigener Erwerbstätigkeit wird bestreiten können, steht hier der Erteilung nicht entgegen. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vorliegend nicht anwendbar.
Die Identität der Klägerin ist seit 2012 geklärt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG); sie erfüllt auch die Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).
Es liegt auch kein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Nach Auffassung der Kammer nimmt das Merkmal des Nichtbestehens eines Ausweisungsinteresses in § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auf die Tatbestände des mit „Ausweisungsinteresse“ überschriebenen § 54 AufenthG Bezug. Nicht gemeint ist hingegen ein Ausweisungsinteresse, das weder besonders schwer noch schwer wiegt und das lediglich mit geringerem Gewicht in die Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG einzustellen wäre. Dies gilt bereits aus Gründen der Normenklarheit. Ansonsten könnte der Ausländer bei Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis nicht absehen, ob ein der Erteilung entgegenstehendes Ausweisungsinteresse bestehen wird oder nicht (Beschl. d. Kammer v. 22.06.2016 - 1 B 123/16 -, juris, Rz. 25). Damit kann allein auf die Verurteilung der Klägerin wegen Betruges vom 12.01.2016 abgestellt werden, um das Ausweisungsinteresse zu begründen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 Var. 1 AufenthG liegen zwar vor: Die Klägerin hat einen Verstoß gegen Strafvorschriften begangen, der nicht geringfügig ist. Die Klägerin wurde bislang einmal wegen Betruges in 9 Fällen, davon in 6 Fällen wegen versuchten Betruges, durch Urteil des Amtsgerichts X. vom 12.01.2016 zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt (3 Ds XX/XX XX Js XX/XX). Sie hat damit (vorsätzlich) gegen Vorschriften des Strafgesetzbuchs verstoßen. Eine Geringfügigkeit kann im Fall einer - wie hier - vorsätzlichen Straftat regelmäßig nicht mehr angenommen werden (BVerwG, Urt. v. 24.09.1996 - 1 C 9.94 -, BVerwGE 102, 63, 67; VG Aachen, Urt. v. 24.02.2016 - 8 K 247/14 -, juris, Rz. 29 ff.). Gründe, die es rechtfertigen würden, trotz der vorsätzlichen Begehung ausnahmsweise eine geringfügige Tat anzunehmen, liegen nicht vor. Auch die in Nr. 55.2.2.3.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AVV-AufenthG; vom 30.10.2009) genannte Bagatellgrenze einer Geldstrafe von bis zu 30 Tagessätzen ist deutlich überschritten.
Allerdings ist nach Auffassung der Kammer (Beschl. v. 22.06.2016, a.a.O., Rz. 22 ff.) der Anwendungsbereich von § 54 Abs. 2 Nr. 9 Var. 1 AufenthG von vornherein nicht eröffnet, wenn das Strafmaß bei einem Verstoß gegen Strafvorschriften nicht das in § 54 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 AufenthG genannte Mindestmaß erreicht (a.A. Nds. OVG, Beschl. v. 20.06.2017 - 13 LA 134/17 -, juris). Würde man bei rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen, durch die § 54 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 AufenthG nicht erfüllt werden, über Nr. 9 Var. 1 einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften annehmen, so hätten die in § 54 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 AufenthG genannten Tatbestände keine eigenständige Bedeutung mehr, es sei denn, es läge ein Fall von Nr. 3 bis 8 vor (Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 54 Rn. 69). Ein solches Verständnis widerspricht der Gesetzessystematik (s.a. BR-Drucks. 642/14, S. 25 f.). Soweit der Gesetzgeber der Vorschrift des § 54 Abs. 2 Nr. 9 Var. 1 AufenthG eine Auffangfunktion zugedacht hat (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BT-Drucks. 18/4097, S. 52; Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 18/4199, S. 6), überzeugt diese Einordnung ebenfalls nicht. Das seit dem 01.01.2016 geltende Ausweisungsrecht kennt keine Ermessensausweisung (vgl. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.) mehr, sondern setzt für die Zulässigkeit der Ausweisung stets eine Abwägung voraus (§ 53 Abs. 1 AufenthG). Ist der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 9 Var. 1 AufenthG erfüllt, ohne dass zugleich die Voraussetzungen von § 54 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 AufenthG gegeben sind, kann allenfalls ein weniger gewichtiges, in die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG einzustellendes Ausweisungsinteresse bestehen. Die Verurteilung der Klägerin zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 EUR erreicht das erforderliche Mindestmaß aus § 54 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG nicht und begründet kein Ausweisungsinteresse.
2.2. Die zwingenden Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Klägerin ist nicht mit dem erforderlichen Visum in das Bundesgebiet eingereist.
2.3. Es steht eine Entscheidung des Beklagten über das Absehen von der Visumspflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG aus.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von der Visumspflicht abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen.
Hier liegt ein Fall der 1. Alternative (Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) vor, weil aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ein gebundener Anspruch folgt. Das gilt jedenfalls dann, wenn man - wie hier - davon ausgeht, dass kein Ausweisungsinteresse gegeben ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 17.09 -, BVerwGE 138, 122, 134, Rz. 27). Ob hier im Hinblick auf das geringe Alter des Kindes U. V. die Durchführung des Visumsverfahrens bei einer Abwägung zwischen dem Schutz der Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK und dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung des Visumsverfahrens davon auszugehen ist, dass auch der Fall des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG vorliegt, kann dahingestellt bleiben.
Eine Ermessensentscheidung hat der Beklagte nicht vorgenommen, weil er bereits nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ausgegangen ist. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung wird der Beklagte erstens zu prüfen haben, ob sich das Visumsverfahrens in einer Weise durchführen lassen wird, dass es sich mit dem Bedürfnis des Kindes U. V. nach Betreuung durch die Mutter vereinbaren lässt. Zu berücksichtigen wird hier sein, inwieweit sich das Visumsverfahren - ggf. auch mit Unterstützung des Beklagten - beschleunigen lässt. Die Kammer geht davon aus, dass jedenfalls ein zweiwöchiger Aufenthalt der Klägerin in Mazedonien mit den Bedürfnissen ihres Kindes U. zu vereinbaren sein wird, selbst wenn dieses in Deutschland bleibt und nicht mit der Klägerin zusammen nach Mazedonien reisen kann.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, der nach ihrer Aussage leibliche Vater W. V. kümmere sich auch um U. und besuche die Familie regelmäßig. Der Beklagte wird in Erfahrung zu bringen haben, ob W. V. die Betreuung von U. übernehmen kann, wenn die Klägerin sich vorübergehend in Mazedonien aufhält. W. V. ist nach Aktenlage arbeitssuchend, so dass Vereinbarungen mit einem Arbeitgeber nicht zu treffen sein werden. Auch der Lebensgefährte der Klägerin, der nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung mit ihr, den beiden gemeinsamen Kindern R. und S. T. und mit U. V. in einem Haushalt wohnt und damit die Vaterrolle einnehmen dürfte, steht grundsätzlich als Betreuungsperson zur Verfügung. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende P. Q. hat zwar einen Arbeitsvertrag über eine am 01.07.2017 beginnende Tätigkeit als Pizzafahrer (in Teilzeit) vorgelegt. Aus dem Vertrag ergibt sich aber, dass er einen Urlaubsanspruch von 20 Tagen hat. Es erscheint der Kammer erwartbar, dass der Lebensgefährte der Klägerin seinen Urlaub dafür einsetzt, dieser die Einholung des erforderlichen Visums zu ermöglichen.
Sofern das Kind U. die Klägerin für die Dauer des Visumsverfahrens nach Mazedonien begleiten kann, dürften die Interessen der beiden anderen Kinder, insbesondere der erst siebenjährigen S. T., an der Betreuung durch ein personensorgeberechtigtes Elternteil in die Abwägung mit einzubeziehen sein. Hier wird dann darauf abzustellen sein, welche Betreuungsleistung der Vater der beiden Kinder auch unter Berücksichtigung seiner nun beginnenden Berufstätigkeit erbringen können wird.
Der Beklagte wird bei der Entscheidung darüber, ob von dem Erfordernis der Durchführung des Visumsverfahrens abgesehen werden kann, zweitens auch den Gesundheitszustand der Klägerin und insbesondere ihre Reisefähigkeit betrachten müssen. Hierzu kommt eine amtsärztliche Untersuchung in Betracht.
Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wobei die Kammer den Grad des Unterliegens der Klägerin angemessen berücksichtigt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Vollstreckungsabwehr-befugnis beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Kammer lässt die Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat, ob § 27 Abs. 1a AufenthG auf Fälle Anwendung findet, in denen feststeht, dass eine Vaterschaftsanerkennung dem alleinigen Zweck dient, der ausländischen Kindsmutter ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen.