Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.11.2004, Az.: 12 ME 404/04

Rechtmäßigkeit der Entziehung einer Fahrerlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung; Ausschluss der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen des Konsums von sog. harten Drogen; Notwendigkeit des Nachweises einer Drogenabhängigkeit bzw. eines regelmäßigen Konsums; Unzulässigkeit des Erlasses eines Sofortvollzugs bei fehlender Eilbedürftigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.11.2004
Aktenzeichen
12 ME 404/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 37228
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:1119.12ME404.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Göttingen - 02.09.2004 - 1 B 172/04

Fundstellen

  • Blutalkohol 2005, 324-325
  • SVR 2005, 115
  • zfs 2005, 48-49 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Fahrerlaubnisentziehung unter Anordnung des Sofortvollzuges 11 Monate nach festgestelltem Konsum harter Drogen

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich dagegen, dass die Antragsgegnerin ihm mit Bescheid vom 26. Juli 2004 die Fahrerlaubnis entzogen und zugleich die sofortige Vollziehung dieser Verfügung angeordnet hat, weil er am 17. August 2003 ein Fahrzeug unter dem Einfluss harter Drogen, nämlich Amphetamin, geführt habe. Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde macht der Antragsteller geltend:

2

Da das Verwaltungsgericht nur die Erfolgsaussichten der Hauptsache geprüft habe, seien die Interessen des Antragstellers, der Antragsgegnerin und der Allgemeinheit nicht - wie von § 80 Abs. 5 VwGO vorausgesetzt - gegeneinander abgewogen worden. Das Verwaltungsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der angebliche Amphetaminkonsum am 17. August 2003 über 14 Monate zurückgelegen habe und er während dieses Zeitraumes nicht durch die Einnahme von Betäubungsmitteln oder durch Unfälle aufgefallen sei. Das Gericht habe ferner nicht ausreichend gewürdigt, dass zwischen der Drogeneinnahme und der Entziehung der Fahrerlaubnis fasst 11 Monate gelegen hätten und eine Eilbedürftigkeit somit nicht mehr bestanden habe. Die Ordnungsbehörde müsse sich das zögerliche Verhalten der Polizeibehörde zurechnen lassen, da beide Behörden als Einheit anzusehen seien. Unter den vorliegend gegebenen Umständen müsse die Antragsgegnerin ein Gutachten über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen einholen. Der Gefahr, dass er trotz fehlender Eignung am Straßenverkehr teilnehme, könne dadurch begegnet werden, dass er sich wöchentlich einem Drogentest unterziehe.

3

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber unbegründet. Die vorgetragenen Gründe, auf deren Überprüfung sich der Senat zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Annahme, die angefochtene Entscheidung sei fehlerhaft. Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe die bei § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung nicht im erforderlichen Umfang vorgenommen, ist nicht berechtigt. Das Verwaltungsgericht hat die Notwendigkeit einer Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen ausdrücklich betont und dem öffentlichen Interesse den Vorrang eingeräumt, weil der Antragsteller wegen der offensichtlichen Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 26. Juli 2004 voraussichtlich im Hauptsacheverfahren erfolglos bleiben werde. Diese Erwägung beinhaltet eine sachgerechte Interessenabwägung, weil in aller Regel - und auch hier - ein überwiegendes privates Interesse daran, vom Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, nicht besteht.

4

Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht deshalb rechtswidrig, weil seit dem Vorfall am 17. August 2003 bereits geraume Zeit verstrichen ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats schließt bereits der einmalige Konsum von sogenannten harten Drogen, zu denen Amphetamin zählt, im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus, so dass in diesen Fällen die Fahrerlaubnis auf der Grundlage der §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 11 Abs. 7, 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zu dieser Verordnung ohne weitere Begutachtung zu entziehen ist. Des Nachweises einer Drogenabhängigkeit, eines regelmäßigen Konsums oder auch nur - bei gelegentlichem Konsum - des Unvermögens zur Trennung von Drogenkonsum und Kraftfahrzeugführung bedarf es nicht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 14.8.2002 - 12 ME 566/02 - DAR 2002, 269 f., vom 16.6.2003 - 12 ME 172/03 - DAR 2003, 432 f [OLG Zweibrücken 14.02.2003 - 1 Ss 117/02][OVG Niedersachsen 16.06.2003 - 12 ME 172/03], vom 26.8.2003 - 12 ME 348/03 -, vom 16.2.2004 - 12 ME 60/04 -, vom 13.5.2004 - 12 PA 180/04 - und vom 9.11.2004 - 12 ME 421/04 -). Diese Rechtslage greift nicht nur für die Zeit unmittelbar nach der Feststellung eines Drogenkonsums, sondern grundsätzlich auch hinsichtlich späterer Zeiträume. § 3 Abs. 1 StVG ermächtigt die Behörde nämlich immer dann zur Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn sich jemand als ungeeignet "erweist". Ob ein solches Erweisen vorliegt, beurteilt sich unter dem Blickwinkel der letzten Behördenentscheidung nach den Gesamtumständen des Einzelfalles, zu denen grundsätzlich auch zeitlich weiter zurückliegende Umstände zählen können. So ist vorliegend zu prüfen, ob der Vorfall am 17. August 2003 unter Berücksichtigung späterer Umstände noch heute für die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen spricht. Letzteres könnte beispielsweise nicht der Fall sein, wenn der Antragsteller zwischenzeitlich überprüfbar nachgewiesen hätte, dass er über einen langen Zeitraum Drogen nicht mehr zu sich genommen hat, und wenn deshalb aus dem Vorfall vom 17. August 2003 zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr auf eine fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden könnte. Einen solchen Nachweis hat der Antragsteller bisher nicht geführt. Dass er zwischenzeitlich unfallfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat und nicht als Drogenkonsument aufgefallen ist, belegt noch nicht, dass die im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung anzustellende Prognose über die Fahreignung des Antragstellers voraussichtlich zu dessen Gunsten ausfallen wird. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist es auch nicht Sache der Antragsgegnerin, über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ein Gutachten einzuholen. Nach § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt selbst die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn - wie vorliegend - die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht.

5

Entgegen der Ansicht des Antragstellers lässt sich daraus, dass die Antragsgegnerin wegen der Fahrt unter Drogeneinfluss am 17. August 2003 erst am 26. Juli 2004 die Fahrerlaubnis entzogen hat, nicht folgern, eine Eilbedürftigkeit und damit die Berechtigung zur Anordnung des Sofortvollzuges seien bei Erlass der streitigen Verfügung nicht mehr gegeben gewesen. Ob die längere Untätigkeit einer Behörde die Annahme zulässt, ein Sofortvollzug könne wegen fehlender Eilbedürftigkeit nicht mehr angeordnet werden, beurteilt sich ebenfalls nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles, insbesondere auch den Gründen für das späte Tätigwerden, den Eigenarten der zu bekämpfenden Gefahren und danach, ob aus der Untätigkeit der Behörde auf das Fehlen einer Dringlichkeit geschlossen werden kann. Von Letzterem kann im vorliegenden Fall ersichtlich nicht ausgegangen werden. Das Verstreichen eines längeren Zeitraumes ist allein darauf zurückzuführen, dass die Fahrerlaubnisbehörde erst spät vom Drogenkonsum des Antragstellers Kenntnis erlangt hat, und bringt daher keineswegs die Einstellung zum Ausdruck, ein sofortiges Einschreiten sei nicht erforderlich. In diesem Zusammenhang ist auch unerheblich, ob der Antragsteller noch mit einer Entziehungsverfügung nach § 3 Abs. 1 StVG und mit der Anordnung des Sofortvollzuges gerechnet hat. Entscheidend ist, dass die Antragsgegnerin auch noch Ende Juli 2004 hat davon ausgehen dürfen, dass der Antragsteller wegen möglichen Drogenkonsums eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellt, wenn er weiterhin am Straßenverkehr teilnimmt. Die vom Antragsteller vorgeschlagenen wöchentlichen Drogentests sind zur Behebung dieser Gefahrenlage nicht geeignet. Im Übrigen ist es auch nicht Sache der Antragsgegnerin, dem Antragsteller zunächst einmal unter allen denkbaren Modalitäten die weitere Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen, obwohl es gerade der Antragsteller war, der durch seine Fahrt unter Drogeneinfluss gezeigt hat, dass er ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Es obliegt dem Antragsteller, in Bezug auf einen längeren Zeitraum Nachweise über seine Drogenfreiheit zu erbringen.