Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.11.2004, Az.: 8 ME 254/04
Abschiebungshindernis; Asyl; Asylantrag; Asylbewerber; Folgeschutzgesuch; vorläufiger Rechtsschutz; Wiederaufgreifen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.11.2004
- Aktenzeichen
- 8 ME 254/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50961
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.09.2004 - AZ: 4 B 178/04
Rechtsgrundlagen
- § 53 Abs 6 AuslG 1990
- § 51 VwVfG
- § 42 Abs 1 AsylVfG 1992
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Wird nach einem erfolglos gebliebenen Asylantrag der Antrag, das Verfahren hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 AuslG wiederaufzugreifen (Folgeschutzgesuch), vom Bundesamt abgelehnt, so ist ein vorläufiger Rechtsschutzantrag gegen das Bundesamt zu richten.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Der Statthaftigkeit steht § 80 AsylVfG nicht entgegen. Denn eine Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz i.S.v. § 80 AsylVfG liegt nur dann vor, wenn die vom Ausländer angefochtene oder begehrte Maßnahme ihre rechtliche Grundlage im Asylverfahrensgesetz findet (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.9.1997 - 1 C 6/97 -, NVwZ 1998, 299; Urt. v. 31.3.1992 -9 C 155.90 -, NVwZ 1993, 276; Senatsbeschl. v. 12.11.2003 - 8 ME 189/03 -, AuAS 2004, 34, m. w. N.). Die von den Antragstellern begehrte ausländerrechtliche Duldung findet ihre rechtliche Grundlage in § 55 Abs. 2 AuslG, also nicht im Asylverfahrensgesetz. Nach § 55 Abs. 2 AuslG wird dem Ausländer eine Duldung erteilt, solange seine Abschiebung aus rechtlichen ... Gründen unmöglich ist oder nach § 53 Abs. 6 AuslG ... ausgesetzt werden soll. Der Annahme, dass es nicht um eine Streitigkeit i.S.d. Asylverfahrensgesetzes handelt, steht auch nicht entgegen, dass die Antragsteller die Erteilung dieser Duldung wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begehren und es dem Antragsgegner aus den nachfolgend angeführten Gründen versagt ist, selbst das Vorliegen eines solchen Abschiebungshindernisses zu überprüfen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 17.2.2004 - 18 B 326/04 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 13.9.2000 - 11 S 988/00 -, EZAR 632 Nr. 35). Denn insoweit handelt es sich um eine für die rechtliche Einordnung der Streitigkeit unerhebliche Vorfrage.
Die demnach zulässige Beschwerde ist unbegründet, da die Antragsteller keine Gründe dargelegt haben, aus denen sich Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben, ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Antragsgegner abzulehnen.
Die Asylanträge der Antragsteller wurden 2002 bestandkräftig abgelehnt. Zugleich wurde von dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (= Bundesamt) festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht bestehen. Unter Berufung darauf, dass die Antragstellerin zu 1) an Krebs erkrankt sei, beantragten die Antragsteller am 30. April 2004 beim Bundesamt das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt mit zwei Bescheiden vom 19. August 2004 ab. Die Antragsteller haben daraufhin beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz gegenüber dem Bundesamt sowie dem Antragsgegner nachgesucht und zugleich Klage erhoben. Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 23. September 2004 abgelehnt. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die geltend gemachte Erkrankung der Antragstellerin zu 1) nicht zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG führe. Deshalb sei der gegen das Bundesamt gerichtete vorläufige Rechtsschutzantrag, dem Antragsgegner als Ausländerbehörde mitzuteilen, dass dieser bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens gegen die Bescheide vom 19. August 2004 von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen absehe, abzulehnen. Zugleich bleibe der gegen den Antragsgegner gerichtete Antrag, diesen durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, erfolglos. Denn es fehle jedenfalls an den erforderlichen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens.
Der von den Antragstellern zur Beschwerdebegründung vorgebrachte Einwand, die Antragstellerin zu 1) könne die erforderliche Tumornachsorge in Serbien und Montenegro nicht erhalten, stellt die Richtigkeit des hier angegriffenen, gegen den Antragsgegner gerichteten Teils der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage, da dieser Einwand von dem Antragsgegner und damit auch von dem Senat nicht berücksichtigt werden kann.
Wird kein Asylfolgeantrag, sondern nur ein erneutes Schutzersuchen zu § 53 AuslG (sogenanntes Folgeschutzgesuch) gestellt, so hat darüber in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 1 Satz 2 und § 24 Abs. 2 AsylVfG ebenfalls das Bundesamt zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.3.2000 - 9 C 41/99 - NVwZ 2000, 940 f.), und zwar nach Maßgabe des § 51 VwVfG (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 -, DVBl 2001, 1531, 1534, m. w. N). Wird dieses Folgeschutzgesuch abgelehnt, so ist dementsprechend vorläufiger Abschiebungsrechtsschutz mit der Begründung, die Ablehnung sei zu Unrecht erfolgt, ausschließlich gegenüber dem Bundesamt geltend zu machen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 17.2.2004 - 18 B 3264/04 -; GK-AsylVfG, § 71 Rn. 242 ff., jeweils m. w. N.). Dies folgt aus § 42 Abs. 1 AsylVfG. Danach ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG gebunden. Dies gilt auch dann, wenn in einem vorhergehenden behördlichen und einem eventuell anschließenden gerichtlichen Asylverfahren eine erst nachträglich als Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG geltend gemachte Erkrankung mangels damaligem Vortrag noch nicht geprüft worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.9.1999 - 1 C 66/99 -, NVwZ 2000, 204 ff.; Senatsbeschl. v. 30.9.2004 - 8 LA 236/04 -). Deshalb ist auch hier vorläufiger Rechtsschutz gegen die Entscheidung des Bundesamtes, dem Folgeschutzgesuch der Antragsteller nicht zu entsprechen, ausschließlich gegenüber dem Bundesamt und nicht gegenüber der Ausländerbehörde zu suchen. Die Ausländerbehörde darf in diesen Fällen eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses i.S.v. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur dann erteilen, wenn ihr in entsprechender Anwendung von § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG vom Bundesamt mitgeteilt worden ist, dass vorläufig von Abschiebungsmaßnahmen in den Zielstaat abzusehen bzw. vorläufig vom Vorliegen eines solchen Abschiebungshindernisses hinsichtlich des Zielstaates auszugehen ist (vgl. zu dem mangels ausdrücklicher Regelung im Einzelnen streitigen Inhalt dieser Mitteilung GK-AsylVfG, § 71 Rn. 242 f., m w. N.). Eine eigenständige Überprüfungskompetenz steht der Ausländerbehörde hingegen nicht zu. An einer entsprechenden Mitteilung des Bundesamtes an den Antragsgegner fehlt es vorliegend aber. Der sinngemäß in der Beschwerdebegründung enthaltene Vortrag, für die Antragstellerin zu 1) sei bezogen auf Serbien und Montenegro nunmehr ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gegeben, ist daher in diesem Verfahren gegenüber dem Antragsgegner als Ausländerbehörde unerheblich.
Von dem Antragsgegner als Ausländerbehörde zu berücksichtigende Duldungsgründe im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG, d. h. inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse (vgl. Senatsbeschl. v. 12.11.2003, a.a.O.) werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Für jeden der vier Antragsteller, die sinngemäß die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung begehren, war die Hälfte des Auffangwertes, d.h. ein Betrag in Höhe von je 2.500,- EUR festzusetzen. Die frühere Praxis, bei mehreren Beteiligten in einem ausländerrechtlichen Verfahren in entsprechender Anwendung von § 83 b Abs. 2 Satz 3 AsylVfG a.F. einen sogenannten Familienabschlag vorzunehmen, hat der Senat zur Vereinheitlichung der Streitwertpraxis aufgegeben (vgl. Senatsbeschl. v. 8.10.2004 - 8 ME 242/04 -; Nds. OVG, Beschl. v. 5.10.2004 - 11 ME 245/04 -).