Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.08.2002, Az.: 12 ME 566/02

Betäubungsmittel; Droge; Drogenkonsum; Eignungszweifel; Entziehung; Fahreignung; Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnisentziehung; Kokain; Mangel; Rauschgift

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.08.2002
Aktenzeichen
12 ME 566/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43846
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 6 B 86/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bereits der einmalige Konsum von Kokain schließt im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus.

Tenor:

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 6. Kammer, Einzelrichter - vom 28. Juni 2002 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für den ersten und den zweiten Rechtszug auf 2.000,- € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem ihr Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit Sofortvollzug ausgestattete Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 30. April 2002 abgelehnt worden ist, bleibt erfolglos, weil einerseits die Darlegungserfordernisse für die Beschwerde nicht erfüllt sind und andererseits der Beschluss des Verwaltungsgerichts im Ergebnis und in seiner tragenden Begründung zutreffend ist (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

2

Der Erfolg der Beschwerde setzt gemäß § 146 Abs. 4 VwGO i.d.F. des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) voraus, dass innerhalb der Begründungsfrist bei dem Oberverwaltungsgericht ein bestimmter Antrag gestellt wird und die Gründe dargelegt werden, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist. An die Darlegung sind nicht geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Senat, Beschl. v. 16.9.1997 - 12 L 3580/97 -, NdsVBl. 1987, 282 und st. Rspr.). Die dem Revisionsrecht nachgebildete Darlegungspflicht bestimmt als selbständiges Zulässigkeitserfordernis den Prüfungsumfang des Rechtsmittelgerichts. Sie verlangt fallbezogene und aus sich heraus verständliche und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen, wie es § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 2001 ausdrücklich verlangt, wobei das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 2001). Das bloße Benennen oder Geltendmachen eines Anfechtungsgrundes genügt dem Darlegungserfordernis ebenso wenig wie eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens oder gar eine - ergänzende - Bezugnahme hierauf. Insgesamt ist aber bei dem Darlegungserfordernis zu beachten, dass es nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet wird, welche die Beschreitung des Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.1.2000 - 2 BvR 2125/97 -, DVBl. 2000, 407).

3

Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht, mit der die Antragstellerin die Auffassung des Verwaltungsgerichts bekämpft, ihr sei durch die Antragsgegnerin zu Recht wegen des Konsums von Kokain auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 46 Abs. 1 und 3, 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV i.V.m. Ziff. 9.1 der Anlage 4 zur FeV entzogen worden.

4

Das Verwaltungsgericht ist zugunsten der Antragstellerin (und entgegen einem - von der Antragstellerin nunmehr in seinem Aussagegehalt angegriffenen -, auf einen Kokainkonsum auch in der Vergangenheit hindeutenden Vermerk in dem ärztlichen Untersuchungsbericht vom 26. Januar 2002, Bl. 16 der Beiakte A) von der Einmaligkeit des in der Sache unbestrittenen Kokainkonsums in der Nacht zum 26. Januar 2002 ausgegangen. Das Verwaltungsgericht hat sich im Weiteren jedoch (u.a.) auf den Beschluss des Senats vom 17. Mai 2002 (Az.: - 12 LA 352/02 -) und die dort dargestellten Entscheidungsmaßstäbe bezogen und diese in zutreffender Weise angewandt. Der Senat hat in dem genannten Beschluss (S. 5, 7 f BA) im Hinblick auf die "harte Droge" LSD Folgendes ausgeführt:

5

"Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2  i.V.m.  § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV ist einem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit (zwingend) zu entziehen, wenn bei ihm ein Mangel  i. S.  der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV vorliegt. Nach Ziff. 9.1 der Anlage 4 ist bei der Einnahme von Betäubungsmitteln, die unter das BtMG fallen, eine Eignung - im Regelfall - nicht gegeben, eine Ausnahme besteht lediglich bei dem Konsum von Cannabis (s. Ziff. 9.2 der Anlage 4). Da LSD in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführt ist, schließt somit bereits der einmalige Konsum dieser Droge die Fahreignung (im Regelfall) aus.

6

In dieser (Anm.: in Ziff. 9 der Anlage 4 enthaltenen) Differenzierung lässt sich durchaus ein (sinnvolles) Stufensystem erkennen (vgl.: OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21.11.2000, - 7 B 11967/00 - , DAR 2001, 183); denn bei den die Fahreignung in besonderem Maße negativ beeinflussenden Substanzen, die wie LSD unter das BtMG fallen, soll - mit Ausnahme von Cannabis - bereits die bloße Einnahme dieser Substanzen die Fahreignung für alle Fahrerlaubnisklassen (im Regelfall) ausschließen.

7

(Es) wird gerade dadurch, dass der Verordnungsgeber auf den klaren Begriff der Einnahme abgestellt hat, verhindert, dass im Einzelfall zum Schaden der Verkehrssicherheit die Fahrerlaubnisbehörde (und die Gerichte) in eine Prüfung der Wirksamkeit des jeweiligen Betäubungsmittels auf den jeweiligen Fahrerlaubnisinhaber eintreten müssen. Es versteht sich von selbst und bedarf keiner weiteren Begründung, dass eine derartige Handhabung der besonderen Gefährlichkeit der unter das BtMG fallenden Betäubungsmittel und den Erfordernissen der Verkehrssicherheit nicht gerecht werden würde und dass insoweit die Interessen des einzelnen Fahrerlaubnisinhabers, der derartige Betäubungsmittel zu sich genommen hat, zum Schutze der anderen Verkehrsteilnehmer zurücktreten müssen. Im Übrigen hat der Verordnungsgeber durch die differenzierte Regelung beim Konsum von Cannabis dem unterschiedlichen Gefährdungspotential auch der unter das BtMG fallenden Betäubungsmittel hinreichend Rechnung getragen."

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Mit diesen auf den einmaligen Konsum der - in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführten - "harten Droge" Kokain ohne weiteres übertragbaren und in den Gründen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Wesentlichen wiedergegebenen Maßstäben setzt sich die Antragstellerin in der Begründung ihrer Beschwerde nicht in hinreichender Form auseinander, obwohl sie durch richterlichen Hinweis vom 26. Juli 2002 und damit vor dem am 9. August 2002 eingetretenen Ablauf der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass die in der Beschwerdeschrift vom 22. Juli 2002 enthaltene Begründung den Darlegungserfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht genügen dürfte.

9

Den in der Beschwerdeschrift enthaltenen Vortrag, der von der Antragstellerin eingeräumte einmalige Konsum von Kokain stelle keinen Regelfall im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV dar, ihr Verhalten am 26. Januar 2002 zeige gerade, dass sie an Drogen nicht gewöhnt sei und insgesamt stelle sich das Vorgehen der Antragsgegnerin - etwa im Vergleich zu der Möglichkeit der Anforderung regelmäßig vorzulegender Atteste - als zu hart dar, hat die Antragstellerin in seinem Kern bereits in dem erstinstanzlichen Verfahren angebracht. Die Antragstellerin lässt in diesem Zusammenhang unbeachtet, dass das Verwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, in ihrem Falle seien keine besonderen, die Annahme eines Regelfalls ausschließenden Umstände ersichtlich, und zur Begründung zutreffend darauf verwiesen hat, dass die von der Antragstellerin geschilderten Umstände von den typischen Fällen eines erstmaligen Kokainkonsums nicht erheblich abwichen und insbesondere eine Reduzierung der psychologischen Hemmschwelle infolge von Übermüdung für Fälle des erstmaligen Drogenkonsums nicht untypisch sei. Gleiches gilt nach Auffassung des Senats für das hier gegebene Zusammentreffen des Drogenkonsums mit einer erheblichen Alkoholisierung.

10

Auch der im Beschwerdeverfahren zur Gerichtsakte gereichte negative Befund eines Facharztes für Laboratoriumsmedizin vom 4. Juli 2002 über ein bei der Antragstellerin durchgeführtes Drogenscreening vermag sich im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nicht zugunsten der Antragstellerin auszuwirken. Dem Nachweis einer Drogenabstinenz wird ggf. im Wiedererteilungsverfahren der Fahrerlaubnis Rechnung zu tragen sein (vgl. in diesem Sinne: OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21.11.2000, a.a.O. für Amphetamine; Thüring. OVG, Beschl. v. 30.4.2002 - 2 EO 87/02 -, zfs 2002, 406 für Ecstasy; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.5.2002 - 10 S 835/02 -, zfs 2002, 408 für Ecstasy; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.5.2002 - 10 S 2213/01 -, zfs 2002, 410 für Kokain).

11

Schließlich ist die Antragstellerin durch den richterlichen Hinweis vom 26. Juli 2002 bereits darauf verwiesen worden, dass sich die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (Az.: - 1 BvR 2062/96 -) und vom 8. Juli 2002 (Az.: - 1 BvR 2428/02 -) unmittelbar nur zu der Frage des Zusammenhangs zwischen gelegentlichem Haschischkonsum und Kraftfahreignung verhalten und deshalb zur Beurteilung von Fällen, in denen es - wie hier - um den Konsum "harter Drogen" geht, nicht herangezogen werden können (vgl. in diesem Sinne bereits die Beschlüsse des Senats v. 2.8.2002 - 12 ME 550/02 -, S. 4 BA u. v. 5.8.2002 - 12 ME 540/02 -, S. 3 f. BA).

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

13

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 30. April 2002 bezieht sich auf einen Führerschein der alten Klasse 3. Nach der Streitwertpraxis des Senats ist in einem solchen Fall von einem Streitwert von 4.000,- € auszugehen, der für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist entsprechend zu ändern.

14

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).