Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2004, Az.: 8 LA 123/04
Anspruch auf Führung der deutschen Berufsbezeichnung "Gesundheitspflegerin und Krankenpflegerin"; Anspruch auf Anerkennung eines polnischen Befähigungsnachweises; Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes nach den heilkundlichen Vorschriften; Bewertungsvorschläge der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen; Maßgeblichkeit des Ausbildungsinhalts nach den jeweiligen Lehrprogrammen; Fehlende praktische ambulante Ausbildung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.2004
- Aktenzeichen
- 8 LA 123/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 22898
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2004:1130.8LA123.04.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 2 Richtlinie 77/452/EWG
- § 2 Abs. 3 S. 1 KrPflG
- § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Eine 1980 an einem Medizinischen Lyzeum in Polen mit dem Reifezeugnis und der Erlaubnis, die polnische Berufsbezeichnung "Diplomierte Krankenschwester" zu führen, abgeschlossene Ausbildung ist einer deutschen Ausbildung zur "Gesundheits- und Krankenpflegerin" nicht gleichwertig i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 KrPflG.
Gründe
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
Es kann offen bleiben, ob der Zulassungsantrag den Anforderungen an die Darlegung gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entspricht. Bedenken dagegen bestehen, weil in der Antragsbegründung kein Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO benannt wird und die fallbezogene Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung fehlt.
Selbst wenn man jedoch zugunsten der Klägerin annimmt, dass sie sich mit dem Schriftsatz vom 27. April 2004 auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berufen will und diesen Zulassungsgrund noch hinreichend dargelegt hat, ist die Berufung nicht zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeben sich aus dem Zulassungsantrag nicht.
Die Klägerin begehrt die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung "Gesundheits- und Krankenpflegerin" zu führen. Sie stützt ihr Begehren darauf, dass sie im Mai 1980 in Polen nach dem fünfjährigen Besuch eines Medizinischen Lyzeums eine Ausbildung mit dem Reifezeugnis und der Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Diplomierte Krankenschwester" zu führen, abgeschlossen hat. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass der Klägerin aufgrund ihrer polnischen Ausbildung kein Anspruch gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 4 KrPflG auf Führung der deutschen Berufsbezeichnung "Gesundheits- und Krankenpflegerin" zusteht. Auf diese zutreffenden, nicht mit Zulassungsgründen angegriffenen Ausführungen wird Bezug genommen.
Ein Anspruch auf Anerkennung ihres polnischen Befähigungsnachweises ergibt sich für die Klägerin nach dem zum 1. Mai 2004 erfolgten Beitritts Polens zur Europäischen Union auch nicht unmittelbar aus der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1977 über die gegenseitige Anerkennung der Diplome ... der Krankenschwester(n) ... (ABl. L 176 vom 15.7.1977, S. 1), zuletzt geändert durch die Beitrittakte vom 16. April 2003 (ABl. L 236 vom 23.9.2003, S. 33) - Richtlinie 77/452/EWG -. Nach Art. 2 Richtlinie 77/452/EWG erkennt jeder Mitgliedsstaat die in Anhang aufgeführten Befähigungsnachweise an. Der der Klägerin verliehene Titel einer "Diplomierten Krankenschwester" ist jedoch im Anhang nicht aufgeführt und deshalb insoweit nicht anerkennungsfähig. Für eine Anerkennung gemäß der Übergangsregelung in Art. 4 b Richtlinie 77/452/EWG fehlt es an der notwendigen Bescheinigung, dass die Klägerin in den letzten sieben Jahren vor Ausstellung der Bescheinigung mindestens fünf Jahre ohne Unterbrechung tatsächlich und rechtmäßig in Polen eine Tätigkeit als Krankenschwester, die für die allgemeine Pflege verantwortlich ist, ausgeübt hat. Die Klägerin hat im Übrigen - soweit ersichtlich - seit dem August 2000 nicht mehr in Polen als Krankenschwester gearbeitet. Ihr kann daher eine solche Bescheinigung auch nicht mehr ausgestellt werden.
Rechtsgrundlage für die Führung der Berufsbezeichnung "Gesundheits- und Krankenpflegerin" kann daher nur § 2 Abs. 3 Satz 1 KrPflG sein. Danach erfüllt eine außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes erworbene Ausbildung die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 - nämlich das Ableisten der durch dieses Gesetz vorgeschriebenen Ausbildungszeit und das Bestehen der staatlichen Prüfung -, wenn die Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes gegeben ist. In Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats (vgl. Urt. v. 12.11.1998 - 8 L 1802/98 - zur staatlichen Anerkennung als Altenpflegerin) hat das Verwaltungsgericht für die "Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes" in dieser heilkundlichen Vorschrift auf die objektiven Umstände des von der Klägerin durchlaufenen Ausbildungsganges abgestellt. Dazu hat es zutreffend die damaligen polnischen Ausbildungsgegenstände, die Wirksamkeit ihrer Vermittlung, die Didaktik und die Art der Leistungskontrolle mit den deutschen Vorgaben verglichen. Bei diesem Vergleich ist es auf der Grundlage der von der Klägerin eingereichten Zeugnisse zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin lediglich 2.072 Stunden praktische Ausbildung als Krankenschwester am Medizinischen Lyzeum nachgewiesen habe. Dieser zeitliche Umfang entspreche selbst bei zusätzlicher Berücksichtigung von drei geltend gemachten Ferienpraktika mit insgesamt 432 Stunden nicht den Anforderungen an eine praktische Ausbildung, die in Deutschland 1980 für eine Ausbildung zur Krankenschwester gegolten haben bzw. für eine Ausbildung zur "Gesundheits- und Krankenpflegerin" heute gelten. Denn in Deutschland seien nach der zum Zeitpunkt des Ausbildungsabschlusses der Klägerin 1980 geltenden Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankenschwestern, Krankenpfleger und Kinderkrankenschwestern vom 2.8.1966 (BGBl. I S. 462) - KrPflAPrV 1966 - ursprünglich 3.400 praktische Ausbildungsstunden und ergänzend 1.200 Stunden Unterricht erforderlich gewesen. Zwar sei bei gleichzeitiger Anhebung der Unterrichtstunden der Anteil der praktischen Ausbildung nach der KrPflAPrV vom 16.10.1985 (BGBl. I S. 1073) auf zunächst 3.000 Stunden und dann durch die KrPflAPrV vom 10.11.2003 (BGBl. I S. 2263) - KrPflAPrV 2004 - weitergehend auf 2.500 Stunden abgesenkt worden. Nach der KrPflAPrV 2004 müssten aber 500 der 2.500 Stunden praktischer Ausbildung im ambulanten Bereich stattfinden. Im ambulanten Bereich sei die Klägerin jedoch nicht ausgebildet worden. Dieser Mangel im Bereich ihrer praktischen Ausbildung werde nicht durch zusätzlichen Unterricht ausgeglichen. Insoweit hat das Verwaltungsgericht nur einen - im Verhältnis zu den nach der KrPflAPrV 2004 erforderlichen 2.100 Stunden - unzureichenden Umfang von 1.762 Stunden festgestellt. Zwar habe die Klägerin auch darüber hinaus Unterricht zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife erhalten. Diesen Unterricht in allgemeinbildenden Fächern, wie etwa Physik, Chemie und Biologie, konnte das Verwaltungsgericht jedoch nicht der Krankenpflegeausbildung zuordnen. Außerdem habe die Klägerin keinen oder jedenfalls nicht hinreichenden Unterricht in den von der KrPflAPrV geforderten Fächern Berufs-, Gesetzes- und Staatsbürgerkunde, Soziologie, Grundlagen der Rehabilitation, Erste Hilfe und Krankheitslehre erhalten. Schließlich bestünden deutliche Unterschiede in der Art der Leistungskontrolle. In Polen habe es nach den eingereichten Unterlagen nicht die in Deutschland obligatorische Abschlussprüfung mit einer umfangreichen schriftlichen und mündlichen Prüfung in theoretischen und praktischen Unterrichtsfächern gegeben. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser tragenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur fehlenden Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes der Klägerin bestehen aus den vorgetragenen Gründen nicht.
Dabei kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht zu Recht im Ansatz als Vergleichsmaßstab diejenigen deutschen Ausbildungsbestimmungen herangezogen hat, die zum Zeitpunkt gegolten haben, als die Klägerin ihre Ausbildung in Polen absolviert hat - KrPflAPrV 1966 -, oder ob zum Vergleich auf die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Normen - KrPflAPrV 2004 - abzustellen war. Denn das Verwaltungsgericht hat zu Gunsten der Klägerin ergänzend ihre Ausbildung am Maßstab der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden KrPflAPrV 2004 gemessen, eine Gleichwertigkeit ihres Ausbildungsstandes aber auch insoweit nicht feststellen können.
Die Richtigkeit dieser Feststellungen wird durch die Ausführungen in der Antragsbegründung vom 27. April 2004 nicht ernstlich in Zweifel gezogen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es der Klägerin allerdings nicht versagt, sich unter detaillierter Darlegung der für sie vormals in Polen geltenden Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen auf die Gleichwertigkeit ihrer Ausbildung zu berufen. Dass die von der Beklagten angeführten Bewertungsvorschläge der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen im Sekretariat der Kultusministerkonferenz eine Gleichwertigkeit der von der Klägerin absolvierten Ausbildung in Polen mit einer solchen Ausbildung in Deutschland nicht feststellen können, steht dem nicht entgegen. Das folgt schon daraus, dass die von der Beklagten eingeholte Stellungnahme der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen vom 15. Oktober 2002 keine eindeutige Aussage zur fehlenden Gleichwertigkeit enthält. Im Übrigen handelt es sich bei den Auskünften dieser Zentralstelle auch nicht um ein sogenanntes antizipiertes Sachverständigengutachten, sondern um eine amtliche Auskunft (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.7.1997 - 5 B 156/96 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 281, m. w. N.). Eine solche amtliche Auskunft hat für die verwaltungsgerichtliche Entscheidung deutlich geringeren Beweiswert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.7.1997, a.a.O.).
Auch wenn danach die von der Klägerin beigebrachten Unterlagen über ihre Ausbildung in Polen grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind, so ergibt sich aus ihnen doch nicht die von der Klägerin gewünschte Schlussfolgerung. Denn daraus folgt nicht die Gleichwertigkeit ihrer in Polen absolvierten Ausbildung mit einer solchen in Deutschland. Dazu müsste die Klägerin nach dem nunmehr vorgelegten Lehrprogramm mit den ergänzenden Lehrplänen ausgebildet worden sein und die danach erfolgte Ausbildung einer deutschen Ausbildung gleichwertig gewesen sein. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Es kann schon nicht festgestellt werden, dass das Lehrprogramm auch für die Ausbildung der Klägerin maßgebend war. Das Lehrprogramm ist erst im Oktober 1980 und damit nach Abschluss ihrer Ausbildung im Mai 1980 beschlossen worden. Außerdem weicht der aus den Zeugnissen für die Klägerin ersichtliche Ausbildungsinhalt von dem Lehrprogramm ab. In den Zeugnissen ist im Einzelnen aufgeführt, welche "Noten in den theoretischen Lehrfächern (allgemeinbildenden und beruflichen) und praktischen Beschäftigungen" die Klägerin während ihrer Schulzeit in den Jahren 1975 bis 1980 am Medizinischen Lyzeum in C. erhalten hat. Ausgewiesen sind jeweils auch das Schuljahr und die Stundenzahl des Unterrichts. So wird der Klägerin etwa im fünften Schuljahr der Besuch von sieben sogenannten Vorlesungen u.a. in der allgemeinen Krankenpflege, der Krankenpflege in offener Gesundheitsbetreuung sowie der psychiatrischen Krankenpflege bescheinigt. Das von ihr für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung in Bezug genommene Lehrprogramm sieht jedoch weder diese Fächer noch Vorlesungen in einem entsprechenden zeitlichen Umfang für das fünfte Schuljahr vor. Die stattdessen von ihr im Zulassungsantrag u.a. geltend gemachten 552 Unterrichtsstunden in der sog. "Krankenschwesternwerkstatt" während des vierten und fünften Schuljahres fehlen hingegen in ihrem Zeugnis, obwohl dieses für das erste bis dritte Schuljahr auch Unterricht in der sog. "Krankenschwesternwerkstatt" ausweist. Für die von der Klägerin ergänzend geltend gemachten 1.762 Stunden "praktische Übungen im Block ab dem zweiten Schuljahr" gibt es im Gegensatz zu den vom Verwaltungsgericht berücksichtigten praktischen Ausbildungszeiten ebenfalls keinen Nachweis.
Schließlich hat die Klägerin auch nach dem Lehrprogramm keine praktische ambulante Ausbildung erhalten. Hierauf beruht aber die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass ihre praktische Ausbildung in Polen nicht einer praktischen Ausbildung nach der KrPflAPrV 2004 gleichwertig ist.
Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die Klägerin nach den ergänzend zum Lehrprogramm eingereichten und nur z. T. übersetzten Lehrplänen für die Fächer Biologie mit Mikrobiologie, Sport, Soziallehre, Mathematik, Physik sowie Grundlagen der Psychologie unterricht worden ist und die Unterrichtsstunden in diesen Fächern ganz oder teilweise zusätzlich berücksichtigungsfähig sind, weil sie dem nach der KrPflAPrV erforderlichen Unterricht gleichwertig sind. So hat die Klägerin nach ihrem Zeugnis gar keinen Unterricht in den Schulfächern "Biologie mit Mikrobiologie", "Einführung in die Gesellschaftslehre bzw. Soziallehre" und "Grundlagen der Psychologie" erhalten. Der im Zulassungsantrag vorgelegte Lehrplan für Sport stammt aus dem Jahr 1969 und beinhaltet krankengymnastische, nicht krankenpflegerische Übungen. Krankengymnastik war und ist jedoch kein Unterrichtsfach nach der KrPflAPrV und ersetzt den insoweit gebotenen Krankenpflegeunterricht nicht. Dass der vorgelegte Lehrplan für Physik für das von der Klägerin besuchte Medizinische Lyzeum galt, ist nicht erkennbar. Außerdem handelt es sich nach dem Lehrplan um allgemeinbildenden Physikunterricht. Zum Inhalt des Mathematikunterrichts ist schließlich auf einen undatierten Text in polnischer Sprache verwiesen worden. Außerdem ersetzt Mathematikunterricht auch dann nicht den notwendigen Unterricht in den nach Maßgabe der KrPflAPrV erforderlichen Fächern, wenn er sich - wie die Klägerin geltend macht - teilweise auf die Berechnung auf Medikamentenzutaten bezieht.
Bestehen daher nach der Antragsbegründung keine ernstlichen Zweifel an der tragenden Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der Ausbildungsstand der Klägerin weder hinsichtlich der praktischen Ausbildung noch hinsichtlich des Unterrichts "gleichwertig" ist, so kann schon aus diesem Grund die erforderliche "Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes" im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 KrPflG nicht festgestellt werden. Auf die weiterhin streitigen Einzelheiten der Wirksamkeit der Vermittlung, der Didaktik, der Art der Leistungskontrollen und der deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin kommt es daher nicht an.