Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.03.2010, Az.: 5 LA 32/09
Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Bezeichnung des Vorbringens eines Klägers als spekulativ
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.03.2010
- Aktenzeichen
- 5 LA 32/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 12973
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0322.5LA32.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 108 Abs. 2 VwGO
Fundstelle
- DVBl 2010, 668
Redaktioneller Leitsatz
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht ordnungsgemäß dargelegt, wenn es an Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten Gehörsverletzung fehlt.
Gründe
Die von dem Kläger erhobene Anhörungsrüge wird verworfen, da der Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO genügenden Weise hinreichend dargelegt hat.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn die angefochtene Entscheidung auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), oder wenn das erkennende Gericht das (entscheidungserhebliche) tatsächliche oder rechtliche Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 -, BVerfGE 69, 141 <143>; Nds. OVG, Beschl. v. 4.2.2010 - 5 LA 37/08 -, [...]). Nach der Rechtsprechung besteht indessen eine Vermutung dafür, dass sich das Gericht den aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Pflichten bewusst gewesen und ihnen nachgekommen ist, namentlich das entscheidungserhebliche Vorbringen zu Kenntnis genommen und erwogen hat. Zur Widerlegung dieser Vermutung bedarf es der Darlegung und des Vorliegens besonderer Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.5.1993 - 1 BvR 345/83 -, BVerfGE 88, 366 <375>; Nds. OVG, Beschl. v. 4.2.2010 - 5 LA 37/08 -, [...]; Beschl. v. 3.7.2006 - 5 LA 347/04 -, NJW 2006, 3018). Hieraus folgt für die ordnungsgemäße Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, dass der Betroffene entweder die Tatsachen oder Beweisergebnisse, auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat und zu denen er sich nicht äußern konnte, oder sein tatsächliches oder rechtliches Vorbringen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles anführt, die die Annahme rechtfertigen, dass das Gericht entgegen der bestehenden Vermutung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat, benennen muss. Darüber hinaus ist von dem Betroffenen nach § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO darzulegen, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Insoweit muss er aufzeigen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. zu diesem Maßstab im Rahmen der Begründetheit der Anhörungsrüge Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, Rn. 13 m.w.N.).
Der Kläger meint zunächst, der erkennende Senat habe in dem angefochtenen Beschluss wesentliches Vorbringen nicht berücksichtigt. So habe er während des gesamten Prozesses vorgetragen, dass die Prognose der fehlenden Wiedererlangung seiner vollen Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren von einem Arzt nicht festgestellt worden sei. Dieses habe der Senat noch in seinem das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes betreffenden Beschluss vom 5. Juni 2007 (- 5 ME 63/07 -) bestätigt. Demgegenüber werde in dem angefochtenen Beschluss von einem Tauglichkeitsfehler ausgegangen und sein Vorbringen als spekulativ bezeichnet, obwohl er darauf hingewiesen habe, dass ärztliche Feststellungen und damit eine entsprechende Entscheidungsgrundlage vollständig fehlten. In Konsequenz dieses Umstandes rüge er, dass die schlichte Annahme, eine chronische Bewegungseinschränkung belege zugleich eine #Genesungsdauer von mindestens zwei Jahren, spekulativ sein müsse. Es komme nicht darauf an, dass er die ärztlichen Feststellungen inhaltlich in Zweifel ziehe, sondern dass diese bereits für eine Entscheidung unzureichend seien und das entsprechende Tatbestandsmerkmal durch nichts aufgeklärt und belegt worden sei. Dies habe der Senat bei seiner Entscheidung übergangen und notwendige Feststellungen zur Zwei-Jahres-Frist vollständig unterlassen.
Dieses vermeintlich übergangene Vorbringen genügt schon deshalb nicht den Darlegungsanforderungen, weil es Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der von ihm geltend gemachten Gehörsverletzung nicht erkennen lässt. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, bei welchem der von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe sein vermeintliches Vorbringen hätte berücksichtigt werden müssen. Ebenso wenig hat er Ausführungen dazu gemacht, aus welchen Gründen bei Berücksichtigung seines vermeintlich übergangenen Vorbringens der Senat zur Zulassung der Berufung hätte kommen müssen.
Auch wenn es insoweit für die Entscheidung nicht hierauf ankommt, weist der Senat darauf hin, dass der gerügte Gehörsverstoß in der Sache nicht gegeben ist. Denn der Senat hat bei seiner Entscheidung über den Zulassungsantrag im Rahmen des von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung das Vorbringen berücksichtigt. In dem Beschluss ist ausdrücklich ausgeführt, dass die Feststellung der Dienstunfähigkeit sich auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens nicht als rechtlich zweifelhaft erweise, weil in den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen keine ausdrückliche Feststellung getroffen worden sei, dass die Wiedererlangung der vollen Verwendungsfähigkeit des Klägers innerhalb von zwei Jahren nicht zu erwarten sei. Zur Begründung hat der Senat zunächst darauf hingewiesen, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Polizeidienstunfähigkeit die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend sei und somit zu einem späteren Zeitpunkt eintretende Änderungen des Sachverhalts wie eine neue Diagnose der Erkrankung und darauf beruhende Erkenntnisse der Therapiefähigkeit die Rechtmäßigkeit der Dienstunfähigkeitsfeststellung nicht berühren könnten (BA S. 7 unten). Sodann hat der Senat ausgeführt (BA S. 8 oben), dass dem Beklagten und nicht dem Amtsarzt die Dienstunfähigkeitsfeststellung obliege und dementsprechend das Verwaltungsgericht allein geprüft habe, ob die Beklagte aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen den Schluss der Polizeidienstunfähigkeit ziehen durfte. Sofern der Kläger - so der Senat in dem angefochtenen Beschluss - die hierfür erforderlichen Feststellungen nicht für ausreichend betrachte, könne ihm nicht gefolgt werden, da seine Vorwürfe angesichts der ausführlichen Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit den ärztlichen Stellungnahmen zu pauschal blieben, als dass sie geeignet wären, das angefochtene Urteil in Frage zu stellen. Der Kläger habe nicht einmal ansatzweise aufgezeigt, weshalb entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Beklagte auf der Grundlage der ärztlichen Feststellungen zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht von einer Dienstunfähigkeit hätte ausgehen dürfen. Der Kläger habe die insoweit bestehenden ärztlichen Aussagen nicht in Zweifel gezogen, sondern lediglich seien eigene Interpretation der ärztlichen Stellungnahmen an die Stelle derjenigen der Beklagten gesetzt, was jedoch für die Annahme des in § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO normierten Zulassungsgrundes nicht ausreiche. Mithin hat der Senat das vermeintlich übergangene Zulassungsvorbringen des Klägers zur Frage der Prognose der Wiedererlangung seiner vollen Verwendungsfähigkeit sehr wohl zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Gegenteilige Anhaltspunkte zeigt der Kläger mit seiner Gehörsrüge mangels Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen des Senats in dem angefochtenen Beschluss nicht auf.
Das weitere Vorbringen des Klägers genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen, die an die Gehörsrüge zu stellen sind. Soweit der Kläger im Folgenden der Begründung seiner Gehörsrüge ausführt, der Senat gehe in den von ihm zitierten Ausführungen auf seine Einwendungen nicht ein, dass die diagnostizierten Feststellungen von Frau Dr. B. falsch seien und insbesondere die weiteren ärztlichen Feststellungen nach seinem Klagevortrag keine weitergehenden Erkenntnisse erbracht hätten, ist ihm entgegen zu halten, dass es für die Geltendmachung einer Gehörsverletzung nicht auf seinen Klagevortrag, sondern auf seinen Vortrag im Berufungszulassungsverfahren ankommt. Ebenso wenig ist entscheidungserheblich, ob und in welchem Umfang der Senat von seiner im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Entscheidung abgewichen ist.
Wenn der Kläger im Übrigen meint, der Senat habe in einer gegen die Logik und Denkgesetze verstoßenden Weise den Begriff der Polizeidienstunfähigkeit verkannt, rügt er in der Sache eine rechtsfehlerhafte Anwendung materiellen Rechts, ohne eine Gehörsverletzung aufzuzeigen. Denn er selbst trägt vor, der Senat habe insoweit seine diesbezüglichen Einwendungen als zu unsubstantiiert zurückgewiesen, woraus bereits nach seinem eigenen Vorbringen folgt, dass der Senat das vermeintlich übergangene Vorbringen jedenfalls zur Kenntnis und mit Blick auf den geltend gemachten Zulassungsgrund gewürdigt hat. Im Übrigen ist ein Gehörsverstoß nicht schon dann anzuerkennen, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lässt oder zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Betroffene es für richtig hält (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.1.2009 - 9 B 34/08 und 64/08 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 372 = NVWZ 2009, 329, zitiert nach [...] Langtext, Rn. 3).
Die Rüge der Überraschungsentscheidung genügt schließlich ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen, die an die Anhörungsrüge zu stellen sind. Die Begründung hierfür, nach den Ausführungen des erkennenden Senats in seinem Beschluss vom 5. Juni 2007 (- 5 ME 63/07 -) habe er - der Kläger - weitere Anforderungen an den Sachvortrag seitens des Senats zu der fehlenden Richtigkeit getroffener ärztlicher Feststellungen nicht erwarten dürfen, geht fehl, weil Gegenstand des Berufungszulassungsverfahrens nicht der Beschluss des Senats vom 5. Juni 2007, sondern das mit dem Berufungszulassungsantrag angefochtene erstinstanzliche Urteil und die diesbezüglich geltend gemachten Zulassungsgründe gewesen sind. Inwieweit in Bezug auf dieses Urteil und das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren eine Überraschungsentscheidung des Senats vorliegen soll, ist der Anhörungsrügebegründung nicht zu entnehmen.