Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.03.2010, Az.: 11 LA 480/09
Ordnungsrechtliche Generalklausel als Rechtsgrundlage für die Zuteilung einer Hausnummer bei einer erstmaligen Vergabe einer sog. Neunummerierung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.03.2010
- Aktenzeichen
- 11 LA 480/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 12002
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0303.11LA480.09.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- FStNds 2010, 759-760
- NdsVBl 2010, 304-305
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Rechtsgrundlage für die Zuteilung einer Hausnummer in Niedersachsen ist die ordnungsrechtliche Generalklausel des § 11 Nds. SOG, wenn keine näheren ortsrechtlichen Bestimmungen existieren.
- 2.
Bei dem sog. Pariser System bestimmt sich die Reihenfolge der Vergabe der Hausnummern bei stadtauswärts verlaufenden Straßen grundsätzlich nach der Entfernung der Gebäude von Stadtkern.
- 3.
Die fehlende Vergabe einer Hausnummer für ein zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmtes Gebäude stellt eine Gefahr i.S.d. §§ 11, 2 Nr. 1a Nds. SOG dar.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Es bestehen aus den fristgerecht vorgetragenen Gründen keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Klage gegen die mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Oktober 2008 erfolgte Zuteilung der Hausnummer 3 für das gewerblich genutzte Gebäude (nachfolgend = Gewerbeobjekt) auf dem Grundstück des Klägers in der B. Strasse in C. abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für die Zuteilung einer Hausnummer in Niedersachsen nur die ordnungsrechtliche Generalklausel des § 11 Nds. SOG in Betracht kommt, wenn insoweit keine näheren ortsrechtlichen Bestimmungen existieren (vgl. Senatsbeschl. v. 9.4.2009 - 11 LA 39/09 -, m.w.N.) - wie hier in Braunschweig -.
Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung weiterhin zu Recht zu Grunde gelegt, dass die Beklagte zuvor noch nicht von ihrer Festsetzungskompetenz für das streitige Gewerbeobjekt Gebrauch gemacht hatte, d.h. es handelt sich bei der Vergabe einer Hausnummer in dem Bescheid vom 16. Oktober 2008 um eine erstmalige, sog. Neunummerierung und nicht um die Änderung einer zuvor bereits einmal erfolgten Festsetzung, d.h. eine sog. Umnummerierung. Die vom Kläger insoweit vorgetragenen, umfangreichen Einwände greifen nicht durch.
Einen vorhergehenden Bescheid der Beklagten mit dem vom Kläger geltend gemachten Regelungsinhalt, dass dem streitigen Gewerbeobjekt eine Hausnummer zugeteilt werde, nämlich die Nummer 1, hat der Kläger nicht vorgelegt und auch zeitlich nicht näher bezeichnet; es ist nach seinem Schriftsatz vom 22. Februar 2010 nicht einmal eindeutig, ob er sich auf das Vorliegen eines solchen Festsetzungsbescheides überhaupt noch berufen will. Die vom Katasteramt stammende "Fortführungsnachricht des Liegenschaftskatasters" stellt jedenfalls keinen solchen Festsetzungsbescheid dar. Denn die erlassende Landesbehörde, das damalige Katasteramt, ist für die Zuteilung von Hausnummern unzuständig, und hierauf bezieht sich die Regelungswirkung ihrer Fortführungsnachricht folglich auch nicht. Sind - wie hier mit Bauschein vom 12. Mai 1972 - auf dem betroffenen Grundstück zwei gesonderte, jeweils zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmte oberirdische Gebäude genehmigt worden, so stellt auch die - ohnehin erst mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 und damit nicht mehr fristgerecht - geltend gemachte Eintragung einer grundstücksbezogenen Hausnummer auf dem Bauschein nicht die Festsetzung einer Hausnummer für eines der beiden Gebäude, hier des Gewerbeobjektes, dar. Die vom Kläger ergänzend angeführten Unterlagen, d.h. Bebauungspläne und - planentwürfe, Auszüge aus einer Liegenschaftskarte und Schreiben des Stadtentwässerungsamtes der Beklagten, enthalten ebenfalls nicht mit Regelungswirkung die Vergabe einer Hausnummer für das Gewerbeobjekt.
Soweit der Kläger aus diesen Unterlagen zumindest auf eine "ständige Verwaltungspraxis" der Beklagten schließt, ersetzt eine solche Praxis schon aus Rechtsgründen nicht die erforderliche objektbezogene Festsetzung einer Hausnummer. Im Übrigen existiert eine solche Praxis mit dem vom Kläger geltend gemachten Inhalt - das Gewerbeobjekt hat die Hausnummer 1 - auch nicht. Die eingereichten Unterlagen und die Tatsache, dass sich bis zu der vom Kläger anlässlich dieses Verfahrens vorgenommenen Änderung auf beiden Objekten des streitigen Grundstücks die gemeinsame Hausnummer 1 befand, sprechen vielmehr gerade dagegen, dass diese Praxis Ausdruck einer bewussten, eine ausdrückliche Festsetzung ersetzenden Entscheidung der Beklagten gewesen ist. Denn das auch von der Beklagten bei der Vergabe von Hausnummern angewandte - "Pariser" - Ordnungssystem schließt die doppelte Vergabe von Hausnummern aus. Ebenso wenig besteht Anlass zur Vergabe einer Hausnummer mit einem Buchstabenzusatz - hier der Nr. 1a für das Hochhaus -, wenn die nächstfolgende Ziffer - hier die Nr. 3 - noch gar nicht vergeben ist.
Auch die vom Kläger angeführte "allgemeine Lebenswahrscheinlichkeit" spricht nicht für die Vergabe der Hausnummer 1 an das Gewerbeobjekt (und der Hausnummer 1a für das Hochhaus). Denn das Hochhaus ist nach dem als Anlage 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 5. Februar 2010 übersandten "Bauschein 63-200/72" vom 12. Mai 1973 als damaliges "Bürogebäude" gemeinsam mit dem Gewerbeobjekt, einem damaligen "Discountladen", genehmigt worden. Bei gleichzeitiger Baugenehmigung ist unerheblich, dass das heutige Hochhaus und frühere Bürogebäude erst später als das Gewerbeobjekt baurechtlich abgenommen worden ist. Denn Hausnummern werden nach den Verwaltungsvorschriften der Beklagten (vgl. Nr. 2.1 der von der Beklagten eingereichten Richtlinien) bei der Baugenehmigung und nicht erst bei der späteren Bauabnahme vergeben. Nach dem danach von der Beklagten angewandten sog. Pariser System bestimmt sich die Reihenfolge der Vergabe der Nummern bei stadtauswärts verlaufenden Strassen - wie hier - grundsätzlich nach der Entfernung der Gebäude von Stadtkern (vgl. Nr. 5.1.3 Satz 1 der von der Beklagten eingereichten Richtlinien). Das Hochhaus liegt innenstadtnäher als das Gewerbeobjekt, so dass es folgerichtig ist, wenn das Hochhaus die Nummer 1 und das Gewerbeobjekt die Nummer 3 trägt.
Schließlich trägt entgegen der Annahme des Klägers auch nicht die Beklagte, sondern er die materielle Beweislast für das ihn begünstigende Vorbringen, mit dem hier streitigen Bescheid habe die Beklagte keine Neu-, sondern eine Umnummerierung vorgenommen.
Greifen somit die Einwände des Klägers nicht durch, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer Neunummerierung ausgegangen, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die stattdessen vom Kläger angenommene Umnummerierung überhaupt den von ihm bezeichneten (höheren) rechtlichen Anforderungen genügen muss und ob diese hier gegeben wären.
Es entspricht weiterhin der bereits zuvor zitierten Rechtsprechung des Senats, dass allein die bislang fehlende Vergabe einer Hausnummer für ein - wie hier - zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmtes Gebäude eine Gefahr i.S.d.§§ 11, 2 Nr. 1a Nds. SOG darstellt. Ausschlaggebend hierfür ist die Überlegung, dass sich dann die maßgebliche Gefahrlage einzelfallbezogen bereits konkretisiert hat und schon aus diesem Grund die bloße Annahme einer nur abstrakten Gefahr ausscheidet; für die Unterscheidung zwischen einer abstrakten und einer konkreten Gefahr kommt es auf den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht an (vgl.BVerwG, Urt. v. 3.7.2002 - 6 CN 8/01 -, BVerwGE 116, 347 ff.). Da die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts in das Verhältnis zur Bedeutung des drohenden Schadens zu setzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.7.1991 - 1 C 4/90 -, BVerwGE 88, 348 ff.) und ein drohender Schaden durch ein verzögertes Eingreifen von Rettungskräften, das auf die fehlende Vergabe von Hausnummer zurückzuführen ist, etwa bei Lebensgefahr des Betroffenen sehr hoch zu bewerten ist, ist im Sinne des § 2 Nr. 1a Nds. SOG auch in absehbarer Zeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen.
Dass die Entscheidung der Beklagten zur Vergabe der Hausnummer 1 für das Gewerbeobjekt (zumindest aber) ermessensfehlerhaft sei, macht der Kläger in seinem Zulassungsvorbringen nicht geltend. Sollte er seine Ausführungen im Zusammenhang mit der vermeintlichen Umnummerierung so verstanden wissen, so wird dies schon nicht hinreichend deutlich. Im Übrigen sind Ermessensfehler der Beklagten nicht zu erkennen. Ob ggf. auch die Entscheidung für die Vergabe einer anderen Hausnummer rechtlich zulässig gewesen wäre, ist dabei unerheblich.
Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen werden. Der Kläger rügt dazu eine unzureichende, gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßende Beweiswürdigung. Ein solcher Verstoß stellt aber schon keinen Verfahrensfehler dar. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen; ein Verfahrensverstoß kommt insoweit nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen und deshalb seiner Überzeugungsbildung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, oder allenfalls noch bei einer von Willkür geprägten Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.11.2009 - 3 PKH 13/09 (3 B 88/09) -, v. 23.6.2009 - 7 B 49/08 -, [...], sowie v. 9.11.2006 - 1 B 134/06 -, Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 48). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die ihm vorgelegten Unterlagen umfassend gewürdigt und daraus zu Recht nicht den vom Kläger gewünschten Schluss gezogen, die Beklagte habe (in der Vergangenheit) für das Gewerbeobjekt die Hausnummer 1 vergeben. Auf einen Verstoß gegen § 86 VwGO hat sich der Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 und damit verspätet berufen. Zudem hat der Kläger nicht angegeben, welche weiteren Aufklärungsmaßnahmen das Verwaltungsgericht unterlassen und inwieweit er bereits in der ersten Instanz auf die Notwendigkeit zu ergänzenden Ermittlungen hingewiesen habe.