Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.03.2010, Az.: 13 ME 3/10

Vergünstigung des § 39 Nr. 3 Alt. 2 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) i.R.e. beantragten Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.03.2010
Aktenzeichen
13 ME 3/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12003
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0301.13ME3.10.0A

Amtlicher Leitsatz

Wird eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft begehrt, greift die Vergünstigung des§ 39 Nr. 3 2. Alt. AufenthV, wonach ein Aufenthaltstitel ausnahmsweise im Bundesgebiet eingeholt werden kann, nur dann ein, wenn die Eheschließung nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vor Beantragung der Aufenthaltserlaubnis erfolgt ist.

Entscheidungsgründe

1

I.

Die aus der Ukraine stammende Antragstellerin reiste mit einem von der deutschen Botschaft in Kiew ausgestellten Schengen-Besuchsvisum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Anschließend reiste sie nach Dänemark, um dort mit einem deutschen Staatsangehörigen die Ehe zu schließen. Nach ihrer noch während der Geltungsdauer des Schengen-Besuchsvisums erfolgten Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland beantragte sie die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zum Zwecke der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem deutschen Ehemann. Der Antragsgegner lehnte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis u.a. wegen Nichteinhaltung des Visumsverfahrens ab. Dagegen erhob die Antragstellerin Klage und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners abgelehnt.

2

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 16. Dezember 2009 hat keinen Erfolg.

3

1.

Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es, wie sich aus den Ausführungen zu 2. ergibt. Das Verwaltungsgericht hat deshalb die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zutreffend abgelehnt.

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2.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. August 2009 zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht mit Erfolg geltend machen kann. Der Senat macht sich die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat nach§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung.

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Selbst wenn die Antragstellerin mittlerweile über ausreichende Sprachkenntnisse im Sinne der §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verfügen sollte, steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG jedenfalls entgegen, dass sie ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (a), der Aufenthaltstitel nicht nach § 39 AufenthV ohne Einhaltung des Visumsverfahrens im Bundesgebiet eingeholt werden kann (b) und der Beklagte auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von der Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum hätte absehen müssen (c).

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a)

Die Antragstellerin erfüllt nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach dieser Bestimmung setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Welches Visum erforderlich ist, ergibt sich aus § 6 AufenthG. Ein Schengen-Visum kann nach § 6 Abs. 1 AufenthG nur für die Durchreise oder für kurzfristige Aufenthalte erteilt werden, während nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich ist, das vor der Einreise erteilt wird. Mit einem solchen nationalen Visum ist die Antragstellerin nach ihrer Eheschließung in Dänemark nicht in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, obwohl die Absicht eines Daueraufenthalts zum Zwecke der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu diesem Zeitpunkt fraglos gegeben war. Die Fortdauer des Schengen-Visums zum Zeitpunkt der Einreise nach der Eheschließung reichte in Anbetracht des beabsichtigten Daueraufenthalts nicht aus. Abgesehen davon orientiert sich die Vorschrift zur Erforderlichkeit des Visums ohnehin an demjenigen Aufenthaltstitel, dessen Erteilung konkret beantragt ist; es kommt bei § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht auf den früheren, sondern auf den aktuell angestrebten Aufenthaltszweck an (Beschl. d. Senats v. 18.08.2008 - 13 ME 131/08 -, [...]; Beschl. des 11. Senats des Nds. OVG v. 26.11.2009 - 11 ME 491/09 -, n.v.).

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b)

Nach der auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Bestimmung des § 39 Nr. 3 AufenthV kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines im Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Die Antragstellerin erfüllt die Voraussetzungen dieser allein im Hinblick auf deren zweite Alternative in Betracht kommenden Bestimmung bereits deshalb nicht, weil die Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen in Dänemark und damit nicht "nach der Einreise" im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV erfolgt ist.

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aa)

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht § 39 Nr. 3 AufenthV zutreffend dahingehend ausgelegt, dass es bei der dort genannten Einreise, nach der die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entstanden sein müssen, weder auf die erste Einreise in den Schengenraum, noch auf die erste Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, sondern allein auf die letzte Einreise vor Beantragung des erstrebten Aufenthaltstitels ankommt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschl. v. 28.08.2008 - 13 ME 124/08 -, [...]; Beschl. v. 16.01.2009 - 13 ME 192/08 - n.v.; Beschl v. 20.04.2009 - 13 ME 44/09 -, n.v.; so auch: Hess. VGH, Beschl. v. 22.09.2008 -1 B 1628/08 -, [...]). Die Formulierung "nach der Einreise" ist durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) mit Wirkung vom 28. August 2007 in § 39 Nr. 3 AufenthV eingefügt worden. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausdrücklich auf die zu verhindernde Praxis verwiesen, dass durch ein ohne Beteiligung der Ausländerbehörde erteiltes Schengen-Visum und einer Heirat in Dänemark das reguläre Verfahren der Einholung eines nationalen Visums umgangen wird (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 240). Dieser erklärte Normzweck schließt es nach Auffassung des Senats aus, auf einen früheren Zeitpunkt als die letzte Einreise in die Bundesrepublik Deutschland abzustellen.

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bb)

Die Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV greift dabei nur ein, wenn die für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis primär maßgebliche und den Aufenthaltszweck gerade kennzeichnende Voraussetzung - im Falle einer Aufenthaltserlaubnis zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft die Eheschließung - nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist. Wie im Wortlaut der ausdrücklichen Regelung des § 39 Nr. 5 AufenthV zum Ausdruck kommt, wollte es der Gesetzgeber nicht mehr hinnehmen, den um sich greifenden "Heiratstourismus" aufenthaltsrechtlich zu begünstigen. Diese Überlegung ist nach Auffassung des Senats aufgrund der Normsystematik auch im Rahmen des vorliegend anzuwendenden § 39 Nr. 3 AufenthV maßgeblich zu berücksichtigen, so dass nach dieser Bestimmung der für den angestrebten Aufenthaltszweck der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft erforderliche Aufenthaltstitel nur dann im Bundesgebiet eingeholt werden kann, wenn die Eheschließung als Voraussetzung eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist. Es wäre nicht einsichtig, wenn die entscheidende Voraussetzung einer Eheschließung im Rahmen des§ 39 Nr. 5 AufenthV im Bundesgebiet erfüllt werden muss, im Rahmen des § 39 Nr. 3 AufenthV hingegen die Erfüllung dieser Voraussetzung im Ausland ausreichen würde.

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cc)

Der Senat folgt aus diesen Gründen nicht der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass es für das Eingreifen der Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV ausreichen soll, wenn lediglich das letzte für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch fehlende Tatbestandsmerkmal nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfüllt wird, was damit begründet wird, dass der in der Gesetzesbegründung erläuterte Normzweck keinen Ausdruck im Wortlaut des § 39 Nr. 3 AufenthV gefunden habe (so etwa: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 08.07.2008, 11 S 1041/08 -, [...]). Auch folgt er nicht der in der Rechtsprechung vertretenen Variante dieser Auffassung, nach der eine Eheschließung im Ausland dem Eintritt der Vergünstigung dann nicht entgegenstehen soll, wenn das letzte für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch fehlende Tatbestandsmerkmal nach der Einreise noch während der Gültigkeitsdauer des Schengen-Visums erfüllt wird (so etwa der 11. Senat des Nds. OVG, Beschl. v. 27.07.2009 - 11 ME 171/09 -, [...]; VG Darmstadt, Beschl. v. 13.10.2009 - 5 L 557/09.DA (2), InfAuslR 2010, S. 67 ff). Würde man diesen Auffassungen folgen, würde bei einer Eheschließung im Ausland auch in Gestalt des vom Gesetzgeber ersichtlich missbilligten "Heiratstourismus" die Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV schon dann eingreifen, wenn nach der anschließenden Einreise in die Bundesrepublik Deutschland noch die bislang unzureichenden Sprachkenntnisse erworben werden und damit das letzte noch fehlende Tatbestandsmerkmal erfüllt wird. Die (rasche) Erfüllung der (Neben-)Voraussetzung der hinreichenden Sprachkenntnisse würde so zu einem "Vehikel" gemacht werden können, um trotz der noch im Ausland erfolgten Erfüllung der entscheidenden (Haupt-)Voraussetzung der Eheschließung in den Genuss der Vergünstigung des § 39 Nr. 3 AufenthV kommen zu können. Das an die in § 39 Nr. 3 AufenthV verwendete Präsensform ("...ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte ... besitzt...") anknüpfende Korrektiv, die Erfüllung des letzten noch fehlenden Tatbestandsmerkmals nur während der Geltungsdauer des Schengen-Visums zuzulassen, reicht jedenfalls im Hinblick auf die Konstellationen nicht aus, in denen die für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis primär maßgebliche und den Aufenthaltszweck gerade kennzeichnende Voraussetzung - im Falle einer Aufenthaltserlaubnis zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft die Eheschließung - bereits vor der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist. Diese Sichtweise würde eine äußerst planvolle, zeitlich straffe Vorgehensweise zwischen Heirat im Ausland und anschließendem Spracherwerb in Deutschland begünstigen, was der Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt hat. Dieser ersichtlich ungewollten Folge könnte man wiederum nur mit dem (umstrittenen) Argument entgegentreten, dass § 39 Nr. 3 AufenthV grundsätzlich nicht anwendbar ist, wenn ein Ausländer mit einem Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte unter Verschweigung des beabsichtigten Daueraufenthalts einreist (so etwa der 11. Senat des Nds. OVG, Beschl. v. 27.07.2009, a.a.O.). Eine solche letztlich allein auf subjektive Gesichtspunkte abstellende und deshalb praktisch schwierig zu handhabende Sichtweise reicht nach Auffassung des Senats nicht aus, um die nach § 39 AufenthV ersichtlich nicht gewollte Begünstigung des "Heiratstourismus" effektiv auszuschließen. Der Senat hält deshalb daran fest, dass bei einer begehrten Aufenthaltserlaubnis zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft die Vergünstigung des § 39 Nr. 3 2. Alt. AufenthV - wie es ebenso bei der Begünstigung des § 39 Nr. 5 AufenthV ausdrückliche Voraussetzung ist - nur dann eingreift, wenn die Eheschließung nach der (letzten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vor Beantragung der Aufenthaltserlaubnis erfolgt ist.

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c)

Dass Verwaltungsgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass die Entscheidung des Antragsgegners, von der Einhaltung des Visumsverfahrens nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzusehen, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Einhaltung der Visumsregeln stellt zwar keinen Selbstweck, sehr wohl aber den Regelfall dar. Bei § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG handelt es sich um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Vor diesem Hintergrund vermag auch der Senat vom Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls, die eine Nachholung des Visumsverfahrens durch die Antragstellerin unzumutbar machen würden, nicht auszugehen. Die Antragstellerin macht insofern im Beschwerdeverfahren ausschließlich eine Reiseunfähigkeit geltend und legt dazu eine ärztliche Bescheinigung eines Kardiologen aus Reutlingen vor, in der auf fortbestehende Angina pectoris-Beschwerden verwiesen wird. Dass bei der Antragstellerin deshalb ein dauerhaftes inlandbezogenes Abschiebungshindernis vorliegen soll, wie von ihr geltend gemacht wird, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Antragstellerin war im letzten Jahr in der Lage, aus der Ukraine nach Deutschland, anschließend nach Dänemark und dann wieder nach Deutschland zu reisen. Die Erkrankung während ihres Aufenthalts in Deutschland rechtfertigt keine grundlegend anderen Schlüsse. Der Antragsgegner weist insoweit zutreffend darauf hin, dass es der Antragstellerin offenbar kürzlich ohne weiteres möglich gewesen ist, von Osterode nach Reutlingen und wieder zurück (1.000 km) zu reisen und es deshalb nicht verständlich ist, wieso sie nicht auch nach Kiew (1.600 km) reisen kann. Andere Gründe, die eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens begründen könnten, sind im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht worden. Wartezeiten, Kosten und sonstige Erschwernisse, die durch die Einhaltung des Visumsverfahrens entstehen, sind im Übrigen als regelmäßige Folgen der gesetzlichen Ausgestaltung des Einreiseverfahrens auch bei einer beabsichtigten Familienzusammenführung grundsätzlich hinzunehmen, ohne dass damit eine Verletzung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verbunden wäre.