Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.03.2010, Az.: 8 ME 47/10

Entsprechende Anwendung des § 60a Abs. 5 S. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf Fälle mit nach Fristablauf erloschener befristet erteilter Duldung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.03.2010
Aktenzeichen
8 ME 47/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12984
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0316.8ME47.10.0A

Fundstellen

  • DVBl 2010, 600
  • DÖV 2010, 531
  • InfAuslR 2010, 240-241
  • NordÖR 2010, 223

Amtlicher Leitsatz

§ 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG, wonach die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen ist, wenn die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt war, ist auf die Fälle, in denen eine befristet erteilte Duldung nach Fristablauf erlischt, nicht entsprechend anzuwenden.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Der Senat macht sich insoweit die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu Eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerinnen rechtfertigt keine hiervon abweichende Entscheidung.

2

Das Verwaltungsgericht hat nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zutreffend angenommen, dass den Antragstellerinnen voraussichtlich kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG zusteht. Diese Feststellung wird mit der Beschwerde nicht angegriffen.

3

Soweit die Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts einwenden, dieser verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, da ein beruflicher/wirtschaftlicher Werdegang der Antragstellerinnen zu 2. und 3. noch nicht beurteilt werden könne, und im Übrigen anhand einer familienbezogenen Gesamtbetrachtung vorrangig auf den Grad der sozialen Verwurzelung abzustellen und die nachgewiesene soziale Integration abzustellen sei, greift die Beschwerde nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat nach Verneinung des Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG geprüft und hier zutreffend ein sich aus Völkervertragsrecht (Art. 8 EMRK) ergebendes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot verneint. Dabei hat es mit richtigem Maßstab darauf abgestellt, dass einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich nur dann Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK zukommt, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann, was zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland abhängt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 1.11.2007 - 10 PA 96/07 -; Senatsbeschl. v. 21.1.2010 - 8 PA 4/10 -). Die danach maßgebliche soziale und wirtschaftliche Integration der Antragstellerin zu 1. hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint und die Möglichkeit zur (Re-)Integration im Heimatland zutreffend bejaht. Diese Feststellungen werden mit der Beschwerde nicht angegriffen. Die auch von den Antragstellerinnen eingeforderte familienbezogene Gesamtbetrachtung führt dann aber dazu, dass die minderjährigen Kinder der Antragstellerin zu 1., hier die Antragstellerinnen zu 2. und 3., unabhängig von ihrer eigenen sozialen und/oder wirtschaftlichen Integration grundsätzlich deren aufenthaltsrechtliches Schicksal teilen (vgl. Niedersächsisches OVG, Urt. v. 29.1.2009 - 11 LB 136/07 -, [...] Rn. 75 m.w.N.). Auf die von den Antragstellerinnen zu 2. und 3. beanstandete negative Prognose ihrer eigenen künftigen wirtschaftlichen Integration kommt es daher nicht mehr an. Gründe, von dem dargestellten Grundsatz hier abzuweichen, bestehen nicht. Denn abgesehen von der vom Verwaltungsgericht wegen der Sprachkenntnisse und des regulären Schulbesuchs bejahten sozialen Integration der Antragstellerinnen zu 2. und 3. ist nicht ersichtlich, dass sie besondere Integrationsleistungen erbracht hätten oder ihnen ein Leben im Land ihrer Staatsangehörigkeit von vorneherein nicht zumutbar wäre.

4

Schließlich steht die Bestimmung des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG der Abschiebung am 17. März 2010 nicht entgegen. Hiernach ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen, wenn die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt war; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Ein derartiger Fall der Abschiebung nach einem Widerruf der Duldung liegt hier nicht vor. Die Duldung der Antragstellerinnen war vielmehr von vorneherein bis zum Ablauf des 28. Februar 2010 befristet. Einen Antrag auf Verlängerung der Duldung hatte der Antragsgegner vor Fristablauf abgelehnt. In einer derartigen Konstellation scheidet eine analoge Anwendung des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG aus. Denn die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 2007, 1970) bewusst auf die Widerrufsfälle beschränkt worden. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte gerade in den Fällen des regulären Ablaufs der Geltungsdauer von Duldungen auf die vorherige Ankündigung der Abschiebung verzichtet werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 188). Damit fehlt es bereits an einer im Wege der Analogie zu schließenden Gesetzeslücke. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerinnen sich in einer den Widerrufsfällen vergleichbaren Situation einer überraschend kurzfristig bevorstehenden Abschiebung befinden oder ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Verlängerung befristet erteilter Duldungen entstanden wäre. Aus diesen Gründen stellt sich das Vorgehen des Antragsgegners daher hier auch nicht als rechtlich relevanter, im Widerspruch zu gesetzlichen Wertungen stehender Ermessensmissbrauch dar.