Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.03.2010, Az.: 11 PA 191/09
Prozesskostenhilfe im Zusammenhang mit einem Streit über die Rechtmäßigkeit einer durchgeführten Identitätsfeststellung und Durchsuchung; Verhältnismäßigkeit der Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst.a Niedersächsisches Gesetz über öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG)
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.03.2010
- Aktenzeichen
- 11 PA 191/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 12000
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0304.11PA191.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 114 S. 1 ZPO
- § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst.a Nds. SOG
- Art. 1 Abs. 1 GG
- Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG
Fundstellen
- DSB 2010, 20-21
- DVBl 2010, 527
- DVP 2013, 188
- Kriminalistik 2010, 361
- Kriminalistik 2010, 448
- NdsVBl 2010, 299-300
- NordÖR 2010, 211-213
- Polizei 2010, 150-151
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die von ihm erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage abgelehnt, mit der er die Feststellung begehrt, dass eine bei ihm durchgeführte Identitätsfeststellung und Durchsuchung rechtswidrig gewesen ist. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen nicht vor, weil das mit der Klage verfolgte Begehren nach der allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Der Senat verweist insofern auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Rechtsgrundlage für die streitige Identitätsfeststellung ist § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG. Danach können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn sie an einem Ort angetroffen wird, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung oder die in den §§ 232 und 233 StGB genannten Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG kann die Polizei eine Person durchsuchen, wenn sie an einem in § 13 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG genannten Ort angetroffen wird.
Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung trägt, die sich für den Einzelnen aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben, ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Vielmehr kann es zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen beschränkt werden. Dazu bedarf es eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend bestimmt und klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.3.1995 - 1 BvR 1564/92 -, BVerfGE 92, 191). Dies ist hier der Fall.
Der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern oder der Exekutive überlassen. Diesen Anforderungen entspricht die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nds. SOG, in der die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Identitätskontrollen festgelegt worden sind.
Ein Verstoß gegen das mit dem Gesetzesvorbehalt in engem Zusammenhang stehende Gebot der Normenbestimmtheit und -klarheit ist ebenfalls nicht ersichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigung nach der Art und Schwere des Eingriffs richten (BVerfG, Urt. v. 11.3.2008 - 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07 -, DVBl. 2008, 575). Bei der Identitätskontrolle handelt es sich um einen insgesamt nicht gravierenden Eingriff, zumal auch in typischen Situationen des täglichen Lebens die Notwendigkeit auftritt, seine Identität zu belegen. Insofern kann die Einschreitschwelle niedrig angesetzt werden (vgl. Bay. VerfGH, Entscheidung v. 7.2.2006 - Vf. 69 -VI - 04 -, NVwZ 2006, 1284). § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG lässt auch nicht zu, dass sich jedermann jederzeit ohne Anlass auszuweisen hat, sondern knüpft die Eingriffsbefugnis an den Aufenthalt an einem sog. gefährlichen bzw. verrufenen Ort. Nach der gesetzlichen Definition ist dies ein Ort, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung oder die in den §§ 232 und 233 StGB genannten Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben. Welche Straftaten von erheblicher Bedeutung sind, wird in § 2 Nr. 11 Nds. SOG abschließend geregelt. Damit hat der Gesetzgeber Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend klar festgelegt.
§ 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG beschränkt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weiterhin nicht unverhältnismäßig. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Vorschrift keine konkrete Gefahr verlangt, sondern eine niedrigere Eingriffsschwelle genügen lässt, die dem Bereich der Gefahrenvorsorge zuzuordnen ist. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, auch im Vorfeld konkreter Gefahren Eingriffsermächtigungen zu schaffen, wenn zwischen dem Anlass und den Auswirkungen des Eingriffs ein angemessenes Verhältnis besteht und die Norm hinreichend bestimmt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.8.2004 - BVerwG 6 C 26.03 -, NJW 2005, 454). Wie bereits ausgeführt worden ist, ist mit der Identitätskontrolle nur ein vergleichsweise geringfügiger Grundrechtseingriff verbunden. Zweck der Norm ist die Vorsorge für die Verhütung von Straftaten an Orten, an denen eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, Gefahrenverursacher anzutreffen. Damit dient die Norm den Interessen der Allgemeinheit, ein möglichst großes Maß an Sicherheit zu erreichen. Unverhältnismäßigen Beschränkungen wird dadurch vorgebeugt, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung vorliegen müssen (vgl. Rachor, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., F 388). Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. März 1995 (a.a.O.) auch nicht, dass die Identität von Personen nur festgestellt werden darf, wenn diese einer Straftat verdächtig sind.
Soweit der Kläger geltend gemacht hat, durch § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG werde im Hinblick auf die Speicherung und Verarbeitung der erhobenen Daten unverhältnismäßig in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, übersieht er, dass Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens nur die Identitätsfeststellung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG und die Durchsuchung nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG sind und die Speicherung und Verarbeitung von Daten auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG deshalb verfassungswidrig wäre, weil dadurch unverhältnismäßig in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantierte Recht auf Freiheit der Person eingegriffen wird. Das bloße Anhalten einer Person zum Zweck der Personenkontrolle greift noch nicht in das Freiheitsrecht ein. Sofern das Festhalten einer Person im Falle des § 13 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG eine über eine einfache Freiheitsbeschränkung hinausgehende Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG darstellt, ist unter den in § 19 Nds. SOG genannten Voraussetzungen eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.
Nicht nachvollziehbar ist weiterhin, weshalb die Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) Nds. SOG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen sollte. Die Befugnis zur Identitätsfeststellung umfasst grundsätzlich alle Personen, die an dem gefährlichen Ort angetroffen werden. Dass die Polizei tatsächlich nicht alle Personen kontrolliert, sondern die Personen, die nach ihren Erkenntnissen ganz offensichtlich nichts mit den den gefährlichen Ort kennzeichnenden Tätigkeiten zu tun haben, keiner Identitätsfeststellung unterzieht, entspricht vielmehr Art. 3 Abs. 1 GG und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Die weiteren Einwände des Klägers gegen den angefochtenen Beschluss greifen ebenfalls nicht durch.
Soweit der Kläger geltend gemacht hat, es sei Beweis zu erheben zu der Frage, ob die Beklagte zu Recht eine Gefahrenlage angenommen habe, die die streitigen Maßnahmen hätte rechtfertigen können, ist dem nicht zu folgen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Beklagte durch die Vorlage einer Gefahrenbeschreibung und Einsatzkonzeption dargelegt, dass innerhalb des hier betroffenen Bereichs der Innenstadt von Göttingen eine offene Drogenszene besteht, in der ein gewerbsmäßiger Umschlag von Betäubungsmitteln erfolgt, die auch an Minderjährige abgegeben werden. Insofern lagen der Beklagten zum Zeitpunkt der streitigen Maßnahmen nicht nur Vermutungen oder Einzelbeobachtungen, sondern über einen längeren Zeitraum gewonnene, auf Tatsachen gegründete konkrete Feststellungen vor, aus denen sich ableiten lässt, dass an dem betreffenden Ort Straftaten verabredet, vorbereitet oder verübt werden können. Es liegen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Gefahrenlage seit der Erstellung der Gefahrenbeschreibung und der Einsatzkonzeption in den Jahren 1998 und 1999 maßgebend verändert haben könnte. Die Beklagte hat vorgetragen, dass der Bereich nach wie vor als verrufener Ort anzusehen sei. Aus welchen Gründen diese Einschätzung fehlerhaft sein sollte, hat der Kläger nicht dargelegt.
Das Verwaltungsgericht hat weiter zu Recht hinreichende Erfolgsaussichten der Klage im Hinblick auf eine mögliche Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung zu der Frage, ob sich der Kläger vor der Identitätsfeststellung in der Turmstraße aufgehalten hat, verneint. Zwar hat eine Rechtsverfolgung regelmäßig dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn zur Klärung des Sachverhalts eine Beweisaufnahme erforderlich ist. Damit ist aber eine Beweisantizipation auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht von vornherein ausgeschlossen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 19.2.2008 - 1 BvR 1807/07 -, NJW 2008, 1060; Beschl. v. 29.9.2004 - 1 BvR 1281/04 -, NJW-RR 2005, 140; Beschl. v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/02 -, NJW 2003, 2976; Beschl. v. 7.5.1997 - 1 BvR 269/94 -, NJW 1997, 2745 [BVerfG 07.05.1997 - 1 BvR 296/94]) müssen allerdings konkrete und nachvollziehbare Anhaltpunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde. Ein solcher Fall liegt hier, wie das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat, vor. Denn angesichts der vorliegenden schriftlichen Aussagen der beiden Polizeibeamten, die der Kläger als Zeugen benannt hat, ist davon auszugehen, dass diese in einer Zeugenvernehmung an ihren bisherigen Angaben festhalten werden und die Beweisaufnahme daher mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Klägers ausgehen wird.