Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.03.2010, Az.: 11 LA 237/09

Voraussetzungen für die Einrichtung einer Auskunftssperre gem. § 35 Abs. 2 S. 1 Niedersächsisches Meldegesetz (NMG); Entscheidung über das Vorliegen einer Erledigung i.R.d. Zulassungsverfahrens nach Erklärung der Erledigung der Hauptsache durch den Kläger und Widerspruch des Beklagten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.03.2010
Aktenzeichen
11 LA 237/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12932
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0325.11LA237.09.0A

Fundstellen

  • DVBl 2010, 666
  • NdsVBl 2010, 305-306

Amtlicher Leitsatz

Erklärt der Kläger im Berufungszulassungsverfahren den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und widerspricht die Beklagte der Erledigung, ist im Rahmen des Zulassungsverfahrens über das Vorliegen einer Erledigung zu entscheiden. 2. Zu den Voraussetzungen für die Einrichtung einer Auskunftssperre nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Nds. Meldegesetz (NMG).

Gründe

1

Die Anträge des Klägers haben keinen Erfolg.

2

1.

Der Kläger hat im vorliegenden Berufungszulassungsverfahren den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, die Beklagte hat dagegen der Erledigung widersprochen. In einem solchen Fall ist schon im Rahmen des Zulassungsverfahrens über das Vorliegen einer Erledigung zu entscheiden und das Verfahren als Streit über die Erledigung fortzusetzen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.6.2007 - 13 S 779/07 -, NVwZ-RR 2007, 823; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., Vorb. § 124 Rn. 43; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 18. Aufl., § 161 Rn. 35 jeweils m.w.N.). Bei Erfolg wird die Erledigung der Hauptsache festgestellt und sind vorausgegangene Entscheidungen gemäß § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO für unwirksam zu erklären.

3

Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Erledigung ist jedoch nicht begründet, weil während des Zulassungsverfahrens kein außerprozessuales Ereignis eingetreten ist, das zu einer Erledigung der Hauptsache geführt hat. Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Dezember 2007 zu verpflichten, ihm eine Melderegisterauskunft über seine Tochter, die beigeladene E. F. D., geborene B., zu erteilen. Eine solche Melderegisterauskunft umfasst nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nds. Meldegesetz (NMG) neben Vor- und Familiennamen und Doktorgrad die Anschriften des betreffenden Einwohners. Entgegen der Auffassung des Klägers ist durch die Veröffentlichung der Gewinner eines Gewinnspiels in dem G. Wochenblatt vom 11. November 2009, unter denen "C. D., H. " aufgeführt wird, keine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Als erledigendes Ereignis kommt jede außerprozessuale Veränderung der Sach- oder Rechtslage in Betracht, die bereits für sich betrachtet die Abweisung des klägerischen Antrags als unzulässig oder unbegründet rechtfertigen würde (Kopp/Schenke, a.a.O., § 161 Rn. 21). Dies ist hier nicht der Fall. Zwar dürfte inzwischen unstreitig sein, dass es sich bei der in der Zeitung genannten C. D. um die Beigeladene handelt. Da sich in der Zeitung aber nur eine Ortsangabe ohne Nennung des Straßennamens und der Hausnummer findet, wird dadurch die Erteilung einer die vollständige Anschrift enthaltenden Melderegisterauskunft gerade nicht ersetzt. Denn bei einer Gemeinde mit über 1.300 Einwohnern wie H. kann allein aufgrund der Ortsangabe in einer Zeitung noch nicht die Anschrift eines Einwohners festgestellt werden. Zudem ist nicht gesichert, dass die Beigeladene in H. ordnungsbehördlich gemeldet ist und dort tatsächlich wohnt. Denn der bei dem Gewinnspiel angegebene Ort kann auch durchaus nur als Empfangsadresse zum Zwecke der Übersendung des Gewinns genannt worden sein.

4

2.

Der hilfsweise gestellte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hat ebenfalls keinen Erfolg.

5

Zwar dürfte es zulässig sein, dass der Kläger in dem aufgrund seiner einseitigen Erledigungserklärung geführten Erledigungsstreit hilfsweise den Sachantrag aufrecht erhält (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.2.1993 - BVerwG 11 C 17/92 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 101; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.6.2007, a.a.O.).

6

Der Zulassungsantrag ist jedoch unbegründet. Die von dem Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 VwGO liegen nicht vor.

7

Die dargelegten Gründe sind nicht geeignet, gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung aufzuzeigen.

8

Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Verwaltungsgericht zu Recht von der Unzulässigkeit der Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ausgegangen. Da dem Kläger aufgrund zivilrechtlicher Entscheidungen jegliche Kontaktaufnahme zu der Beigeladenen untersagt ist, ist ein schützenswertes Interesse, ihren derzeitigen Aufenthaltsort zu kennen, nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Beigeladene seine Tochter ist, reicht nicht aus, um ein solches Interesse zu begründen. Dies gilt auch, soweit der Kläger vorgetragen hat, ihm müsse das Recht eingeräumt werden, sich gegen falsche Tatsachenbehauptungen der Beigeladenen im Zusammenhang mit den gegen ihn erhobenen Missbrauchsvorwürfen zur Wehr zu setzen. Abgesehen davon, dass eine insofern erhobene Unterlassungsklage des Klägers bereits abgewiesen worden ist und nicht ersichtlich ist, dass eine weitere Klage überhaupt konkret beabsichtigt ist, kann die Beigeladene auch jederzeit über ihren Prozessbevollmächtigten, der zustellungsbevollmächtigt ist, oder die dem Kläger bekannten Institutionen (z.B. Opferhilfe) erreicht werden.

9

Auch die im Hinblick auf die Unbegründetheit der Klage geltend gemachten Erwägungen des Klägers führen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.

10

Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Melderegisterauskunft mit der Begründung abgelehnt, dass eine solche Auskunft aufgrund der rechtmäßig eingerichteten Auskunftssperre unzulässig sei. Dies ist nicht zu beanstanden. Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 NMG hat die Meldebehörde eine Auskunftssperre in das Melderegister einzutragen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der betroffenen Person oder einer anderen Person durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter erwachsen kann. Die Sperre ist nach § 35 Abs. 2 Satz 3 NMG zu verlängern, wenn Tatsachen im Sinne von Satz 1 weiterhin vorliegen. Soweit der Kläger vorgetragen hat, derartige Tatsachen lägen nicht vor, die von dem sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises I. in seiner Stellungnahme vom 8. September 2008 übernommene Behauptung der Beigeladenen bezüglich "einer sehr traumatischen Zeit im Elternhaus" habe vom Verwaltungsgericht nicht als wahr unterstellt werden dürfen, ergeben sich daraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Das Verwaltungsgericht hat eine solche Wahrunterstellung gerade nicht vorgenommen, sondern auf der Grundlage der o.a. Stellungnahme als maßgebend für die Rechtmäßigkeit der Auskunftssperre angesehen, dass das Verhältnis der Beigeladenen zu dem Kläger stark angstbesetzt sei und sie auf Kontaktversuche ihrer Eltern psychopathologisch und psychosomatisch reagiere, ohne dass es darauf ankäme, ob die Symptome auf tatsächlichen Erlebnissen beruhten. Die maßgeblichen Tatsachen im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 1 NMG, die die Einrichtung der Auskunftssperre rechtfertigen, liegen somit darin, dass die Beigeladene psychisch krank ist und Kontaktaufnahmen seitens des Klägers ihren Zustand wieder verschlechtern würden. Es besteht auch kein Anlass, an der Einschätzung des Gesundheitszustandes der Beigeladenen durch den sozialpsychiatrischen Dienst zu zweifeln, der mit dem Fall der Beigeladenen seit 2001 im Rahmen von Beratungsgesprächen sowie anlässlich von Stellungnahmen zu tagesstrukturierenden Maßnahmen oder der Aufnahme in ein Wohnheim für traumatisierte Frauen befasst gewesen ist. Dass dem Kläger zivilrechtlich eine Kontaktaufnahme mit der Beigeladenen untersagt ist, reicht nicht aus, die durch eine Melderegisterauskunft bestehende Gefahr für Leben und Gesundheit im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 1 NMG auszuschließen. Da eine Melderegisterauskunft dem Kläger jedenfalls tatsächlich eine Kontaktaufnahme mit der Beigeladenen ermöglichen würde, liegen ausreichende Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr vor, zumal er keine plausible Erklärung dafür liefern konnte, aus welchem anderen Grund als der Kontaktaufnahme er die Auskunft begehren sollte.

11

Der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben. Eine Rechtssache weist besondere Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Dies ist hier nicht der Fall. Vielmehr kann, wie sich aus den vorstehenden Gründen ergibt, über die Fragen, welche Anforderungen an Tatsachen im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 1 NMG zu stellen sind und wann eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, ohne Weiteres im Zulassungsverfahren entschieden werden, ohne dass es der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

12

Die Berufung ist auch nicht aufgrund eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen mangelnder Sachaufklärung zuzulassen.

13

Wird ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht, muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Der geltend gemachte Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO kann hier schon deshalb nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung eine Beweiserhebung nicht förmlich beantragt hat. Dem Gericht mussten sich entgegen der Auffassung des Klägers hinsichtlich der Einschätzung über das Vorliegen einer Gefahr im Sinne von § 35 Abs. 2 Satz 1 NMG auch keine weiteren Ermittlungen aufdrängen. Denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Mitarbeiterin des sozialpsychiatrischen Dienstes, die die Stellungnahme vom 8. September 2008 verfasst hat, die dafür notwendige Fachkunde fehlte. Dies gilt schon im Hinblick darauf, dass der sozialpsychiatrische Dienst als Team unter der Leitung von Fachärzten der Psychiatrie arbeitet und fachliche Einschätzungen damit unter fachärztlicher Mitwirkung getroffen werden. Zudem war den Mitarbeitern des sozialpsychiatrischen Dienstes der Fall der Beigeladenen bereits seit 2001 durch zahlreiche Betreuungsgespräche und Stellungnahmen zu vermittelten Hilfen bekannt, so dass die streitige Stellungnahme auf einer langjährigen Kenntnis der Erkrankung der Beigeladenen beruhte. Insofern musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht die Einholung einer ärztlichen Stellungnahme aufdrängen.