Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.03.2010, Az.: 1 ME 13/10

Berücksichtigung zivilrechtlicher Fragen im Innenverhältnis zwischen Baulastgeber und Baulastnehmer i.R.d. Ermessensausübung bei der Durchsetzung einer Stellplatzbaulast

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.03.2010
Aktenzeichen
1 ME 13/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12028
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0304.1ME13.10.0A

Fundstellen

  • BauR 2010, 950
  • BauR 2010, 1217-1219
  • DVBl 2010, 525
  • FStNds 2010, 363-366
  • IBR 2010, 359
  • NVwZ-RR 2010, 5
  • NVwZ-RR 2010, 510-511
  • NZBau 2010, 364
  • NdsVBl 2010, 333-334

Amtlicher Leitsatz

Zur Ermessensausübung bei der Durchsetzung einer Stellplatzbaulast, insbesondere zur Berücksichtigung zivilrechtlicher Fragen im Innenverhältnis zwischen Baulastgeber und -nehmer (Abgrenzung zum Senatsbeschl. v. 2.9.1983 - 1 A 72/82 -, NJW 1984, 380 [OVG Niedersachsen 02.09.1983 - 1 A 72/82]).

Gründe

1

Der Antragsteller wendet sich gegen eine zur Durchsetzung von Stellplatzbaulasten ergangenen Anordnung des Antragsgegners, Einstellplätze und Zufahrten zugunsten eines Bauvorhabens der Beigeladenen herzurichten, d.h. Zäune und Absperrmaßnahmen zu entfernen.

2

Das Grundstück des Antragstellers wird im Wesentlichen von einem privaten Parkplatz eingenommen, der aus einer mittigen Fahrgasse und beiderseits dazu senkrecht angeordneten Einstellplätzen besteht.

3

Im Baulastenverzeichnis ist unter dem 30. Juni 1986 eingetragen:

"Der jeweilige Eigentümer des Grundstückes Flurstück 29/114, verpflichtet sich, eine Teilfläche von 40 m², die im anliegenden Lageplan gelb schraffiert ist, als Stellplatz für vier Pkw-Einstellplätze für das Grundstück ... Flurstück 29/141, dauernd frei und benutzbar zu halten."

4

Der angesprochene Lageplan (Liegenschaftskarte 1:1000) zeigt die gelb schraffierte Fläche in der südöstlichen Grundstücksecke ohne direkte Anbindung an die Straße oder das (nicht direkt benachbarte) Grundstück der Beigeladenen. Sie kann auf dem Lageplan mit etwa 1 cm x 0,8 cm abgegriffen werden.

5

Grundlage war ein Lageplan im angegebenen Maßstab 1:500 zu einer notariellen Verpflichtungserklärung vom 27. März 1985, in dem das dienende Grundstück als "Parkplatz" bezeichnet war. Die darin angegebenen Grundstücksmaße entsprechen den aktuellen Maßen nach dem elektronischen Liegenschaftskataster (InterASL) nur ungefähr. Die gelb eingetragene Fläche ergibt deutlich mehr als 40 m²; unter dem Vorbehalt mangelnder Erkennbarkeit des genauen Verlaufs der östlichen Grundstücksgrenze ist sie zeichnerisch wohl mit 2,7 cm x 1,6 cm eingetragen, entsprechend also über 100 m². Die Stellplätze sind in Ost-West-Richtung markiert.

6

Eine weitere, unter dem 12. Juni 2006 eingetragene Baulast lautet:

"Der jeweilige Eigentümer des belasteten Grundstücks verpflichtet sich, eine Teilfläche, die im anliegenden Lageplan gelb schraffiert ist, als Stellplatz für drei Einstellplätze für das begünstigte Grundstück ... Flurstücke 29/162 und 29/141, dauernd frei und benutzbar zu halten."

7

Der angesprochene Lageplan verwendet eine Ablichtung des oben angesprochenen Lageplans aus der notariellen Verpflichtungserklärung als Grundlage. Die als Bestand eingezeichneten vier älteren Einstellplätze werden in gleicher Tiefe nach Norden ergänzt um drei weitere Einstellplätze, die zeichnerisch etwa 1,9 cm ausmachen.

8

Benötigt werden die Einstellplätze für ein Geschäftshaus der Beigeladenen. Zwischen ihr und dem Antragsteller besteht Streit über die Angemessenheit eines monatlichen Nutzungsentgeltes. Der Antragsteller verlangt pro Einstellplatz 25 EUR, die Beigeladene hat monatlich 12 EUR angeboten, aber noch nichts gezahlt. Daraufhin sperrte der Antragsteller die Baulastflächen ab. Einen Antrag der Beigeladenen, dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, freien Zugang zu den Einstellplätzen zu geben, wies das Amtsgericht Soltau mit Urteil vom 2. Dezember 2008 zurück. Die Beigeladene machte darauf gegenüber dem Antragsgegner einen Anspruch auf Einschreiten geltend. Dieser ordnete schließlich mit Verfügung vom 14. Juli 2009 unter Sofortvollzug an, der Antragsteller solle baulastgemäß die Einstellplatzfläche von 40 m² für vier sowie drei weitere Einstellplätze inklusive der Zufahrt bis an die öffentliche Verkehrsfläche dauerhaft benutzbar einrichten. Auf den Widerspruch des Antragstellers ergänzte und änderte er seine Anordnung mit Bescheid vom 10. September 2009 insofern, als er für die 40 m²-Fläche nicht an der ursprünglich geforderten Anzahl von vier Einstellplätzen festhielt; im Übrigen setzte er eine neue Frist.

9

Nach erneutem Widerspruch beantragte der Antragsteller vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt hat, die durch Baulast gesicherten Einstellplätze seien für das Vorhaben der Beigeladenen erforderlich. Die Verfügung gehe in ihrer maßgeblichen Gestalt vom 10. September 2009 nicht über den Gehalt der Baulast hinaus. Diese beziehe sich nicht allein auf die Parkplatzflächen selbst, sondern auch auf die dafür nötigen Zufahrten. Der Antragsgegner greife nicht einseitig in einen privatrechtlichen Streit ein, sondern stelle die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen sicher. Die Eilbedürftigkeit entfalle auch nicht mit Rücksicht auf andere Parkplatzflächen im Umkreis des Vorhabens.

10

Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde macht der Antragsteller geltend, die eingetragenen Baulasten ließen die Anlegung ordnungsgemäßer Stellplätze mit Maßen nach § 4 Abs. 1 der Garagenverordnung nicht zu. Angesichts zivilrechtlicher Haftungsfolgen dürfe ihm ihre Anlegung nicht abverlangt werden. Auch wenn der Antragsgegner nicht daran festhalte, dass auf der "ersten" Fläche 4 Einstellplätze zu schaffen seien, fehle es noch an der Mindestlänge von 5 m. Außerdem müssten dann die verbleibenden 5,5 m² freigegeben und die Baulast insoweit gelöscht werden. Die drei nach der "zweiten" Baulast geforderten Einstellplätze könnten nach der Zeichnung nur 30 m² umfassen, wären also ebenfalls unzureichend. Die Zuwegung sei nicht von der Baulast umfasst, jedenfalls aber nicht mit den gegenwärtig geforderten Maßen. Infolgedessen seien die Baulasten insgesamt zu löschen. Der Antragsgegner begünstige einseitig die Beigeladene. Er selbst habe die Einstellplätze erst verstellt, nachdem die Beigeladene - anders als die Voreigentümerin - keine Bereitschaft gezeigt habe, eine angemessene Nutzungsentschädigung zu entrichten; sie poche auf eine kostenlose Bereitstellung. Er habe der Beigeladenen demgegenüber die Stellplätze wiederholt zu einem angemessenen Nutzungsentgelt ausdrücklich angeboten. Außerdem könne die Beigeladene auch Stellplätze auf anderen Grundstücken anmieten. Diese seien ausreichend vorhanden.

11

Die anderen Beteiligten treten dem entgegen. Der Antragsgegner weist darauf hin, dass seine Anordnung hinsichtlich der ersten Baulast vom 30. Juni 1986 nicht (mehr) auf die Bereitstellung von vier Einstellplätzen gerichtet sei und dass die zweite Baulast vom 12. Juni 2006 keine Quadratmeterzahl angebe, sondern eine Fläche für drei weitere Einstellplätze. Die Zeichnung sei mit dem Maßstab 1:500 maßstabsgetreu; die Fläche betrage 90,25 m². Aus der Formulierung "dauernd frei und benutzbar zu halten" ergebe sich, dass ausreichende Zuwegungen Bestandteil der Baulast seien. Nach § 4 GaVO sei eine Fahrbahngassenbreite von 6,50 m bereit zu stellen; die übrige Zufahrtsbreite müsse 2,75 m aufweisen.

12

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt nicht die Änderung des angegriffenen Beschlusses.

13

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann die Bauaufsichtsbehörde zur Durchsetzung einer Baulast einschreiten (zuletzt Senatsbeschl. v. 21.7.2009 - 1 ME 79/09 -, NVwZ-RR 2009, 872; vgl. auch OVG Koblenz, Beschl. v. 6.11.2009 - 8 A 10851/09 -, BauR 2010, 216). Dass der Baulastbegünstigte einen Anspruch auf Einschreiten hat, wie offenbar die Beigeladene meint, ist damit nicht ohne weiteres verbunden; er kann ggfs. auch auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden. Im Übrigen bedarf die Bauaufsichtsbehörde für ein Einschreiten aber - wie auch sonst - keiner besonderen Begründung, denn es ist Regelfolge von Verstößen gegen das öffentliche Baurecht. Nur wenn besondere Umstände vorliegen, muss sie ausdrücklich das Für und Wider eines Einschreitens abwägen (vgl. Große-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 89 Rdnr. 51).

14

Soweit der Antragsteller die Eignung der belasteten Fläche für die Stellplatznutzung bestreitet, steht dies einem Einschreiten nicht entgegen. Insoweit handelt es sich nicht um Fragen, die die Bestimmtheit der Baulast betreffen (vgl. zu den daraus folgenden Anforderungen Senatsurt. v. 27.9.2001 - 1 LB 1137/01 -, BauR 2002, 770), denn die Zweckbindung für eine Stellplatznutzung steht außer Frage. Im Übrigen gilt hier nicht ohne weiteres die bei der Auslegung von (einseitig ergehenden) behördlichen Bescheiden heranzuziehende Regel, dass Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Vielmehr hat sich die Auslegung einer Baulasteintragung in erster Linie daran zu orientieren, welche Lesart das von allen an der Baulastbestellung Beteiligten verfolgte Ziel der Einhaltung öffentlichen Baurechts sicherstellt. Diese haben an der Baulasteintragung in Verfolgung jeweils eigener Interessen mitgewirkt, und nicht etwa, um der Bauaufsichtsbehörde einen Gefallen zu tun. Eine nachträgliche Berufung auf Umstände, die bei der Bestellung der Baulast von allen Beteiligten bewusst zugrunde gelegt worden sind und bei ihnen keine Bedenken ausgelöst haben, ist deshalb (auch im Falle der Rechtsnachfolge) missbräuchlich. Das gilt hier zunächst für den Umstand, dass die zeichnerische Darstellung der Baulastflächen keine Zufahrten markiert. Dies war allen Beteiligten bei der Bestellung der Baulast bekannt; sie sind ersichtlich davon ausgegangen, dass die tatsächlich vorhandene Fahrgasse in Anspruch genommen werden solle und haben insoweit die textliche Fassung als ausreichend angesehen. Ebensowenig kann sich der Antragsteller darauf berufen, dass die Baulastflächen nicht den Mindestmaßen nach § 4 der GaragenVO entsprächen. Diese galten nach einer früheren Fassung der GaragenVO im Wesentlichen auch schon bei Bestellung der Baulasten. Ein Anspruch des Baulastgebers auf Löschung der Baulast lässt sich aus solchen Unzulänglichkeiten genauso wenig herleiten wie ein Anspruch des Baulastnehmers auf Erweiterung der Baulastflächen.

15

Fraglich - aber erst im Hauptsacheverfahren zu klären - ist die wirkliche Größe der Baulastfläche. Insbesondere hinsichtlich der am 30. Juni 1986 eingetragenen Baulast bestanden schon zwischen dem Text der notariellen Verpflichtungserklärung und der beigefügten Zeichnung erhebliche Diskrepanzen. In dem Lageplan zur Baulasteintragung ist die zeichnerische Größe der Baulastfläche zwar reduziert, stimmt aber ebenfalls nicht mit der angegebenen Quadratmeterzahl überein. Der Umstand, dass der Lageplan zur zweiten Baulast an die Zeichnung zur notariellen Verpflichtungserklärung anknüpft, könnte darauf hindeuten, dass die vorhandenen Widersprüche im Sinne einer Maßgeblichkeit nicht der Quadratmeterangabe und des Lageplans zur ersten Baulasteintragung, sondern der Zeichnung zur der Verpflichtungserklärung zu lösen sind. Das kann hier aber offen bleiben, weil der Antragsgegner nur die "Minimallösung" gefordert hat.

16

Die angegriffene Verfügung ist im Übrigen auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu beanstanden, dass die Bauaufsichtsbehörde In Fällen der vorliegenden Art nach der Rechtsprechung des Senats einen einseitigen Eingriff in privatrechtliche Streitigkeiten zu vermeiden hat (vgl. Beschl. v. 2.9.1983 - 1 A 72/82 -, NJW 1984, 380 [OVG Niedersachsen 02.09.1983 - 1 A 72/82]).

17

Zur Vermeidung von Missverständnissen ist insoweit zunächst klarzustellen, dass die polizei- und ordnungsrechtliche "Störerauswahl" praktisch immer zu einer Reduzierung der potentiellen Zahl von Adressaten des Einschreitens führt; dies allein rechtfertigt nicht den Vorwurf der Einseitigkeit, wenn die Auswahl ermessengerecht erfolgt.

18

Darüber hinaus wies der damals entschiedene Fall die Besonderheit auf, dass die Nichtverfügbarkeit der Stellplätze (noch) keine unmittelbaren nachteiligen Folgen hatte. Ob dies auch hier angenommen werden kann, ist zwischen Baulastnehmer und -geber streitig. Der Antragsgegner ist jedenfalls nach eigener Prüfung von einem Mangel an verfügbaren Stellplätzen ausgegangen. Ist die Verfügbarkeit anderer, frei benutzbarer Parkmöglichkeiten nicht evident, ist er auch mit Rücksicht auf den privatrechtlichen Konflikt nicht gehalten, den baurechtswidrigen Zustand hinzunehmen. Insoweit gelten keine anderen Maßstäbe als bei jedem anderen Baurechtsverstoß. Denn die Bauaufsichtsbehörde ist Hüterin des öffentlichen Baurechts, nicht der finanziellen Interessen der beteiligten Grundstückseigentümer. Diesen (bzw. ihren Rechtsvorgängern) oblag es selbst, die privatrechtlichen Bedingungen für die Stellplatznutzung unter sich zu regeln. Die Bauaufsichtsbehörde hat insoweit vor Eintragung der Baulast weder ein Recht noch die Pflicht zur Prüfung, ob dies in angemessener Weise geschehen ist; sie hat im Zweifel auch nicht die personelle und sächliche Ausstattung, um mitunter schwierige privatrechtliche Rechtsfragen beurteilen zu können, deren tatsächliche Grundlagen sie nicht einmal im Wege der Amtsermittlung aufklären dürfte. Sie muss deshalb auch nicht später bei der Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Pflichten auf frühere Versäumnisse von Baulastgeber und -nehmer Rücksicht nehmen.

19

Dabei lässt der Senat offen, ob die Bauaufsichtsbehörde in Fällen dieser Art nur gegen den Baulastgeber einschreiten kann und muss. Nicht auszuschließen ist, dass sie bei mangelnder Bereitschaft des Baulastnehmers zu privatrechtlichen Absprachen mit dem Baulastgeber auch ein Nutzungsverbot für das begünstigte Vorhaben aussprechen kann, etwa wenn offen zutage liegt, dass der Baulastnehmer mit der Baulast nur den formalen Anschein zu erwecken versucht, dass die Verfügbarkeit von Einstellplätzen sicher gestellt ist, oder wenn er die Bauaufsichtsbehörde durch Geltendmachung eines Anspruchs auf Einschreiten mit dem Ziel zu instrumentalisieren versucht, den Baulastgeber auf einem bloßen Bereicherungsanspruch "sitzen zu lassen".