Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.03.2010, Az.: 8 ME 42/10

Gewährleistung für ein Einfügen in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. § 104a Abs. 2 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bei Vorliegen einer "positiven Integrationsprognose"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.03.2010
Aktenzeichen
8 ME 42/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 12987
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0319.8ME42.10.0A

Fundstellen

  • AUAS 2010, 179-180
  • DVBl 2010, 599-600
  • DÖV 2010, 531

Amtlicher Leitsatz

Ein Einfügen in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erscheint bei Vorliegen einer "positiven Integrationsprognose" gewährleistet. Eine solche ist gerechtfertigt, wenn konkrete Umstände - wie etwa die Kenntnisse der deutschen Sprache, das soziale Umfeld, das Vorhandensein eines festen Wohnsitzes und enger persönlicher Beziehungen zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie, die Schul- und Berufsaufbildung, die Ausübung von Erwerbstätigkeiten, das bürgerschaftliche Engagement, die Dauer des Aufenthalts, das Lebensalter im Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und die Rechtstreue, insbesondere das Fehlen strafgerichtlicher Verurteilungen - die begründete Annahme zu tragen geeignet sind, der Ausländer werde ich künftig in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht in die hiesigen Lebensverhältnisse integrieren.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

2

Aus den von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen ergibt sich nicht, dass der Antragstellerin ein im Verfahren nach § 123 VwGO sicherungsfähiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG zusteht.

3

Absatz 2 Satz 1 dieser Vorschrift enthält eine eigenständige Altfallregelung für volljährige ledige Kinder geduldeter Ausländer, die die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich nicht an das Vorliegen der in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 6 AufenthG knüpft. Nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann dem geduldeten volljährigen ledigen Kind eines geduldeten Ausländers, der sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat, vielmehr schon dann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilt werden, wenn es bei der Einreise minderjährig war und gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.§ 104 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG verlangt mithin unter anderem eine "positive Integrationsprognose" (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 202). Eine solche ist gerechtfertigt, wenn konkrete Umstände - wie etwa die Kenntnisse der deutschen Sprache, das soziale Umfeld, das Vorhandensein eines festen Wohnsitzes und enger persönlicher Beziehungen zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie, die Schul- und Berufsausbildung, die Ausübung von Erwerbstätigkeiten, das bürgerschaftliche Engagement, die Dauer des Aufenthalts, das Lebensalter im Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und die Rechtstreue, insbesondere das Fehlen strafgerichtlicher Verurteilungen - die begründete Annahme zu tragen geeignet sind, der Ausländer werde sich künftig in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht in die hiesigen Lebensverhältnisse einfügen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.1.2009 - 1 C 40.07 -, NVwZ 2009, 979, 981; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 20.10.2009 - 11 LB 56/09 -, [...] Rn. 66 ff.; GK-AufenthG, Stand: Januar 2010, § 104a Rn. 26 f.; Nrn. 32.2.3 und 104b.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz v. 26.10.2009, GMBl. 2009, 877).

4

Nach diesem Maßstab hat das Verwaltungsgericht nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage das Vorliegen einer positiven Integrationsprognose für die Antragstellerin zu Recht verneint. Es fehlt insbesondere an Umständen, die die begründete Annahme zu tragen geeignet sind, die Antragstellerin werde sich künftig in wirtschaftlicher Hinsicht in die hiesigen Lebensverhältnisse einfügen. Die heute 25jährige Antragstellerin lebt seit 21 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und hat die Hauptschule besucht. Gleichwohl hat sie bisher keine Berufsausbildung abgeschlossen, die es ihr zukünftig ermöglichen würde, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, mittels derer sie zumindest in absehbarer Zukunft den eigenen Lebensunterhalt sichern könnte. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt vielmehr seit Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aus öffentlichen Leistungen. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit hat sie, abgesehen von einer achtmonatigen Tätigkeit als Erzieherinnenhelferin für eine Vergütung von 150 EUR/Monat, bisher gegenüber dem Antragsgegner nicht nachgewiesen und dies, obwohl dieser im Rahmen des seit 2007 laufenden Verfahrens zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich auf die Bedeutung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit hingewiesen, dies zum Gegenstand der Integrationsvereinbarung vom 22. März 2007 gemacht und der Antragstellerin mit der am 29. Januar 2008, 13. Mai 2008, 22. August 2008, 2. Dezember 2008, 3. März 2009, 2. Juni 2009 und 25. August 2009 verlängerten Duldung zugleich gemäß § 10 BeschVerf die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt hatte. Wenn die Antragstellerin dem mit der Beschwerde lediglich entgegnet, sie habe sich beim Arbeitsamt arbeitssuchend gemeldet, regelmäßig Bewerbungen geschrieben und diese auch gegenüber dem Antragsgegner nachgewiesen, ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte, die die Annahme einer künftigen Integration in wirtschaftlicher Hinsicht rechtfertigen würden. Vielmehr bestätigt dieser Sachverhalt die prognostizierten Schwierigkeiten, künftig eine den Lebensunterhalt sichernde Erwerbstätigkeit zu erlangen. Der weitere Einwand, kein Arbeitgeber sei bereit gewesen, bei lediglich für die Dauer von drei Monaten erteilten Duldungen und Beschäftigungserlaubnissen ein Arbeitsverhältnis einzugehen, kann schon deshalb nicht überzeugen, weil er unsubstantiiert ist; die Antragstellerin lässt offen, wo und zu welchen Bedingungen der Abschluss eines Arbeitsverhältnisses möglich gewesen wäre und nur wegen der befristeten Beschäftigungserlaubnisse nicht geschlossen wurde. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner für den Fall der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis avisiert hatte (vgl. das Schreiben des Antragsgegners vom 14.12.2009), so dass die nur befristet erteilten Duldungen und Beschäftigungserlaubnisse einer Arbeitsaufnahme nicht entgegen standen.

5

Liegen damit die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG voraussichtlich nicht vor, so bleibt zu prüfen, ob das volljährige Kind nicht seinerseits und unabhängig von der Erteilung oder Versagung von Aufenthaltserlaubnissen an seine Eltern bzw. einen Elternteil die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 AufenthG in eigener Person erfüllt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19.6.2009 - 7 B 10468/09 -, [...] Rn. 8). Indes wird (auch) die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG gemäß § 104a Abs. 5 Satz 1 AufenthG nur mit einer Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009 erteilt, so dass im Hauptsacheverfahren allenfalls eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkende und bis zum 31. Dezember 2009 befristete Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG in Betracht kommt. Ob eine solche rückwirkende Erteilung möglich ist (vgl. GK-AufenthG, Stand: Januar 2010, § 104a Rn. 76.1), kann der Senat hier dahinstehen lassen. Denn die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren schon nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie ein schutzwürdiges, das erforderliche Rechtschutzbedürfnis begründendes Interesse an einer ausdrücklichen Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Vergangenheit haben sollte.

6

Schließlich erfüllt die Antragstellerin voraussichtlich auch die sich aus § 104a Abs. 5 AufenthG ergebenden Voraussetzungen für eine Verlängerung einer etwa nach § 104a Abs. 1 oder 2 AufenthG zu erteilenden Aufenthaltserlaubnis über den 31. Dezember 2009 hinaus nicht. Es sind - wie ausgeführt - jedenfalls keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die die Annahme rechtfertigen würden, ihr Lebensunterhalt sei künftig zumindest überwiegend gesichert (§ 104a Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Gründe, von diesem Erfordernis nach § 104a Abs. 6 AufenthG abzuweichen, sind nicht ersichtlich.

7

Liegen damit schon die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG nicht vor, kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob die Antragstellerin auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG erfüllt.