Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.07.2006, Az.: 5 LA 347/04

Entscheidungserheblichkeit des nichtgehörten Vorbringens als Voraussetzung für die Verletzung des rechtlichen Gehörs; Anforderungen an die Darlegung der Verletzung des rechtlichen Gehörs; Anforderungen an die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage als Zulassungsgrund einer Revision

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.07.2006
Aktenzeichen
5 LA 347/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 31795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2006:0703.5LA347.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 24.09.2004 - AZ: 1 A 993/02

Fundstellen

  • NJW 2006, XIV Heft 40 (Kurzinformation)
  • NJW 2006, 3018-3019 (Volltext mit red./amtl. LS)
  • NVwZ 2007, 118 (red. u. amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Darlegung des Zulassungsgrundes einer Gehörsversagung, wenn das Übergehen in den Akten schriftlich festgehaltenen Beteiligtenvorbringens geltend gemacht wird.

Gründe

1

Der fristgerechte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe einer Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) sowie einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht hinreichend dargelegt sind (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) und zudem die Voraussetzungen des letztgenannten Zulassungsgrundes nicht vorliegen.

2

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist nur dann verletzt, wenn das Urteil auf Tatsachen- und Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen die Beteiligten sich nicht äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO) oder wenn das Gericht das (entscheidungserhebliche) tatsächliche oder rechtliche Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat (BVerfG, Beschl. v. 30. 01. 1985 - 1 BvR 393/84 -, BVerfGE 69, 141 [BVerfG 30.01.1985 - 1 BvR 393/84] [143]). Nach der Rechtsprechung besteht indessen eine Vermutung dafür, dass sich das Gericht der aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Pflichten bewusst gewesen und ihnen nachgekommen ist, namentlich das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Zur Widerlegung dieser Vermutung bedarf es der Darlegung besonderer Umstände im Einzelfall (BVerfG, Beschl. v. 25.05.1993 - 1 BvR 345/83 -, BVerfGE 88, 366 [375]; Nds. OVG, Beschl. v. 24. 11. 2005 - 5 LA 417/03 -).

3

Für die Darlegung des Zulassungsgrundes einer Gehörsversagung reicht es nicht aus, dass der Kläger vorträgt, sein Prozessbevollmächtigter habe den Beweisantrag, den er im vierten Absatz auf der Seite 2 des Zulassungsantrags wiedergibt, schriftsätzlich gestellt, und des Weiteren behauptet, auch der Beweisantrag, den er im folgenden, fünften Absatz nennt, sei gestellt worden, um daran die Rüge zu knüpfen, das Verwaltungsgericht sei "dem Beweisantrag" weder nachgekommen, noch habe es sich im Urteil mit ihm auseinandergesetzt. Wird die Versagung des rechtlichen Gehörs durch Übergehen von schriftlich festgehaltenem Beteiligtenvorbringen geltend gemacht, sind nämlich an die zu der Darlegung im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG gehörende Angabe, wo in den Akten sich dieses Vorbringen findet, keine geringeren Anforderungen zu stellen als im Rahmen der Bezeichnung eines entsprechenden Verfahrensmangels nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Dem Darlegungserfordernis ist daher nur genügt, wenn exakt angegeben wird oder ohne weiteres erkennbar ist, welche Schriftsätze, Protokolle oder sonstigen Unterlagen den als übergangen gerügten Vortrag enthalten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14. 01. 1998 - BVerwG 6 B 92.97 -, zitiert nach JURIS, RdNr. 3 des Langtextes). Es ist nämlich nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, den gesamten bisherigen Akteninhalt auf diesen Vortrag hin durchzusehen, um so eine Gehörsrüge erst schlüssig zu machen. Exakte Fundstellenangaben lässt der Zulassungsantrag des Klägers jedoch vermissen. Die beiden seinerseits genannten Beweisersuchen finden sich zudem in keinem seiner erstinstanzlichen Schriftsätze, sondern lediglich im zweiten Absatz auf der Seite 13 des 15-seitigen Schriftsatzes vom 25. Juli 2002 (Bl. 2 ff. [14] Beiakte G), den der (zwölfseitige) erstinstanzliche Schriftsatz vom 18. Februar 2004 zwar an einer Stelle umfassend, aber ohne grafische Hervorhebung in Bezug nimmt. Der deshalb bestehende Darlegungsmangel wird nicht dadurch geheilt, dass der Senat - mit überobligatorischem Aufwand - den als übergangen gerügten Vortrag doch noch aufgefunden hat.

4

Abgesehen davon, dass erforderliche Angaben zur Fundstelle des vermeintlich übergangenen Vortrags fehlen, hat der Kläger aber auch keine besonderen Umstände dargelegt, die die Schlussfolgerung rechtfertigen könnten, seine schriftsätzlichen Beweisersuchen seien nur unvollständig zur Kenntnis genommen und erwogen worden. Es ist nämlich weder dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) noch aus der Sitzungsniederschrift ersichtlich, dass er diesen schriftsätzlichen Beweisersuchen entsprechende förmliche Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung hätte folgen lassen. Anders als die Zivilprozessordnung (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 24. Aufl. 2004, Rn. 8a Vor § 284) enthält die Verwaltungsgerichtsordnung jedoch mit § 86 Abs. 2 VwGO eine Regelung über das Verfahren für die Ablehnung von Hauptbeweisanträgen, der entnommen werden kann, dass Beweisanträge grundsätzlich förmlich in der mündlichen Verhandlung zu stellen sind, wenn dem Beweisantragsteller daran gelegen ist, dass es das Gericht besonders begründet, falls eine entsprechende Beweiserhebung unterbleibt. Sieht ein Beteiligter von einer förmlichen Beweisantragstellung im Termin ab und belässt es bei seinen vorbereitenden Schriftsätzen, besteht deshalb unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs regelmäßig keine Notwendigkeit, dass das Gericht in den Entscheidungsgründen eigens darlegt, weshalb es das Begehren nach einer Beweiserhebung nicht aufgegriffen, sondern hiervon gemäß § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO abgesehen hat (Nds. OVG, Beschl. v. 20. 01. 2006 - 5 LA 281/05 -). Denn wer den gesetzlich vorgesehenen Weg, über das Stellen eines Beweisantrages in der mündlichen Verhandlung darauf hinzuwirken, dass er näheren Aufschluss über die Erwägungen erhält, die zur Nichterhebung eines Beweises geführt haben, nicht beschritten hat, erwartet zu Unrecht, dass das Gericht hernach im Urteil einen solchem Prozessverhalten nicht geschuldeten Begründungsaufwand treibt. Ebenso wenig wie eine Aufklärungsrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (vgl. hierzu: BVerwG, Beschl. v. 06. 03. 1995 - BVerwG 6 B 81.94 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265, und Beschl. v. 10. 10. 2001 - BVerwG 9 BN 2/01 -, NVwZ-RR 2002, 140) stellt folglich die Gehörsrüge gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO ein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten, vor allem das Unterlassen förmlicher Beweisanträge, zu kompensieren.

5

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine Rechtssache, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Das ist nur dann zu bejahen, wenn die Klärung der Frage durch die im erstrebten Berufungsverfahren zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Fortentwicklung des Rechts geboten erscheint (Nds. OVG, Beschl. v. 12. 4. 2006 - 5 LA 26/06 -). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 22. 10. 2002 - 8 UZ 179/01 -, NVwZ 2003, 1525 [1526], m. w. N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2005, Rdnrn. 103 und 104 zu § 124a).

6

Im Hinblick auf die von dem Antragsteller für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage, "ob Personen, die unverfolgt den Iran verlassen haben, die in der Öffentlichkeit und im Internet namentlich Bekundungen gegen das Regime mit schweren Angriffen gegen das System und bestimmte politische und religiöse Persönlichkeiten sowie Aufforderungen, das Regime zu stürzen, trotz eindeutiger Verletzung der Staatsschutzgesetze und deren Tatbestände (so Art. 498/499/500 des islamischen Strafgesetzbuches, Band 5) deshalb trotz Erfassung als Straftäter nicht bestraft werden, weil objektiv trotz Verletzung zahlreicher Strafgesetze und Verwirklichung der diesbezüglichen Tatbestände, die Strafverfolgungsbehörden keine Maßnahmen ergreifen, weil sie erst dann Anklage erheben, wenn (durch wen) festgestellt wird, dass die betreffende Person eine objektive Gefahr für das Staatssystem darstellt", ist die Berufung nicht zuzulassen. Abgesehen davon, dass die Frage teilweise unverständlich formuliert ist und es an jener Subsumtion des Sachverhalts unter sämtliche ihrer Feinheiten fehlt, mit der darzulegen wäre, dass der vorliegende Fall sie überhaupt als entscheidungserheblich aufwirft, ist sie nicht klärungsbedürftig. Es lässt sich nämlich der vorhandenen Rechtsprechung des Senats unschwer entnehmen, dass es nicht allein von einer durch die Sicherheitsbehörden bemerkten Verwirklichung strafrechtlicher Tatbestände abhängt, ob aufgrund exilpolitischer Tätigkeit bei einer Rückkehr in den Iran politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Bereits in seinem Urteil vom 21. September 2000 (5 L 3136/99) hat der Senat vielmehr ausgeführt, dass die Frage, ob eine exilpolitische Tätigkeit und die damit in Verbindung stehende Veröffentlichung von Artikeln in Medien zu politischer Verfolgung führt, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist und eine rechtlich erhebliche Gefährdung grundsätzlich nur angenommen werden kann, wenn der Ausländer sich bei seinen Aktivitäten persönlich exponiert hat, also im organisatorischen Bereich aufgefallen oder sonst namentlich in einer Weise in Erscheinung getreten ist, die zu seiner Einstufung als Regimegegner durch die Sicherheitskräfte führt. Was speziell die Veröffentlichung regimekritischer Artikel angeht, hat er von Anfang an - der Auskunftslage entsprechend - angenommen, dass solche Artikel von den iranischen Staatssicherheitsbehörden zur Kenntnis genommen werden; ob dies mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung nach sich zieht, ist hingegen aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles (Inhalt, alleinige Verantwortung, Aufmachung, redaktionelle oder Äußerung im Rahmen einer Anzeige, Art des Mediums etc.) zu beurteilen (Nds. OVG, Beschlüsse v. 17. 05. 2006 - 5 LA 83/03 - und 28. 02. 2006 - 5 LA 275/04 - m. w. N.).

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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.

8

Die nachrichtliche Angabe des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 61 Abs. 1 Satz 2, 30 Satz 1 RVG.

9

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.