Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.01.2022, Az.: 9 LA 29/20

Drohen einer Gruppenverfolgung von irakischen Staatsangehörigen sunnitischen Glaubens im Irak; Abgrenzbarkeit der Identität einer Gruppe der männlichen Personen mit sunnitischer Religionszugehörigkeit als eigene soziale Gruppe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.01.2022
Aktenzeichen
9 LA 29/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 10413
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 05.12.2019

Fundstelle

  • AUAS 2022, 48

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Irakische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit müssen aktuell im Irak nicht mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit einer Gruppenverfolgung im Sinne von § 3 AsylG rechnen.

  2. 2.

    Die (Unter-)Gruppe der "männlichen Personen, sunnitischer Religionszugehörigkeit, kurdischer Volkszugehörigkeit, aus der Provinz Al-Anbar stammend" stellt keine eigene soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar; ihr fehlt eine deutlich abgegrenzte Identität.

Tenor:

Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichterin der 5. Kammer - und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Der Antrag des Klägers,

die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg zuzulassen, mit dem dieses seine auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf die Gewährung subsidiären Schutzes und weiter hilfsweise auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichtete Klage abgewiesen hat,

bleibt ohne Erfolg.

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, hat weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) noch den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.

1. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht dargelegt.

Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, wenn sie eine höchstrichterlich oder - soweit es eine Tatsachenfrage betrifft - obergerichtlich noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsfähig wäre und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt dementsprechend, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage bezeichnet und erläutert wird, weshalb sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Fall einer Tatsachenfrage - welche (neueren) Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen. Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Tatsachenfrage setzt eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus. Es reicht nicht, wenn der Zulassungsantragsteller sich lediglich gegen die Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht wendet und eine bloße Neubewertung der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel verlangt (vgl. Senatsbeschluss vom 23.8.2021 - 9 LA 143/20 - juris Rn. 4).

Daran gemessen kommt die Zulassung der Berufung nicht in Betracht, weil eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in einer Weise dargelegt ist, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.

a) Der Kläger wirft zunächst die Frage auf,

"ob männliche Personen mit ethnisch - religiöser Zugehörigkeit zur Gruppe der Sunniten und kurdischer Volkszugehörigkeit, aus der Provinz Al Anbar stammend, bei Rückkehr / Abschiebung in den Irak Verfolgung durch nicht - staatliche Akteure, namentlich durch schiitische Milizen, konkret zu gewärtigen haben."

Er trägt insoweit vor, dass das Verwaltungsgericht auf Seite 10 ff. der angegriffenen Entscheidung eine Gruppenverfolgung der sunnitischen Bevölkerung im Irak verneint und ausgeführt habe, dass auch für eine Gruppenverfolgung von Kurden nichts ersichtlich sei. Das Verwaltungsgericht habe dabei auf ein Zahlenmaterial abstellt, das hinsichtlich der Gefährdungslage der Gruppe der ethnisch-religiösen Sunniten das gesamte Territorium des Iraks umfasse. Das Verwaltungsgericht hätte jedoch zur Grundlage seiner Betrachtung der Erkenntnismittel den Heimatort des Klägers - die Stadt Falludscha - machen müssen. Des Weiteren hätte es auch nicht auf die gesamte sunnitische Bevölkerung abstellen dürfen, sondern auf die Gruppe, zu der der Kläger konkret gehöre, mithin die männliche Bevölkerung der ethnisch-religiösen Gruppe der Sunniten mit kurdischer Volkszugehörigkeit in der Stadt Falludscha. Es hätte zudem die Altersgruppe konkretisieren müssen.

Der von dem Kläger aufgeworfenen Frage fehlt es bereits an der Entscheidungserheblichkeit. Denn die Frage, ob bestimmte Personen eine Verfolgung "konkret zu gewärtigen haben", bildet für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf den die Frage abzielt, nicht den richtigen Maßstab. Die Furcht vor Verfolgung ist dann i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die spezifischen Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. Senatsurteil vom 30.7.2019 - 9 LB 133/19 - juris Rn. 42 f. unter Verweis auf: BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 19). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013, a. a. O., Rn. 32).

Des Weiteren ist die aufgeworfene Frage nicht grundsätzlich klärungsfähig. Denn die vom Kläger bezeichnete Gruppe der "männlichen Personen, sunnitischer Religionszugehörigkeit, kurdischer Volkszugehörigkeit, aus der Provinz Al-Anbar stammend" (bzw. nach dem ergänzenden Vortrag des Klägers Personen in der Stadt Falludscha) stellt keine eigene soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar, die einer Gruppenverfolgung unterliegen könnte.

Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und in der Senatsrechtsprechung geklärt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 - juris Rn. 13 m. w. N.; Senatsbeschluss vom 11.3.2021 - 9 LB 129/19 - juris Rn. 42 ff.). Nur wenn die Verfolgung, die sich gegen eine Gruppe von Menschen richtet, auf jeden Angehörigen der Gruppe zielt, in aller Regel also jeder Angehörige der Gruppe als vom Verfolgungsgeschehen in seiner Person betroffen anzusehen ist, liegt eine soziale Gruppe vor, die einer Gruppenverfolgung unterliegen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.6.1995 - 9 C 294.94 - juris Rn. 10; BayVGH, Beschluss vom 6.4.2021 - 5 ZB 20.31360 - juris Rn. 10). Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine "bestimmte soziale Gruppe", wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Dabei stellt der Begriff der Andersartigkeit keine Bewertung dar, sondern meint lediglich die Unterscheidbarkeit von anderen gesellschaftlichen Gruppen oder Individuen (vgl. Möller in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 3b AsylVfG Rn. 10). Maßgeblich ist, ob eine Gruppe wegen der gemeinsamen Merkmale oder Überzeugungen als eine abgegrenzte Gruppe mit gemeinsamer Identität wahrgenommen wird, wobei die Mitglieder der Gruppe auch objektiv, das heißt ohne Rücksicht auf die Einschätzung durch die Gesellschaft, durch die Gemeinsamkeit von Merkmalen oder Überzeugungen oder sonstigen Merkmalen in ihrer Identität geprägt sein müssen (vgl. Göbel-Zimmermann/Eichhorn/Beichel-Benedetti, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 1. Auflage 2017, Rn. 156).

Dies zugrunde gelegt, fehlt der vom Kläger bezeichneten Gruppe der "männlichen Personen, sunnitischer Religionszugehörigkeit, kurdischer Volkszugehörigkeit, aus der Provinz Al-Anbar stammend" im Irak eine deutlich abgegrenzte Identität im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Zwar bilden kurdische Sunniten aus dem Irak eine an die Merkmale Rasse und Religion anknüpfende Gruppe, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. zur Prüfung der Gruppenverfolgung kurdischer Sunniten nur: VGH BW, Urteil vom 5.3.2020 - A 10 S 1272/17 - juris Rn. 23 ff.; BayVGH, Beschluss vom 29.1.2018 - 20 ZB 17.30988 - juris Rn. 4 ff.). Einer hieraus gebildeten Untergruppe der "männlichen Personen, sunnitischer Religionszugehörigkeit, kurdischer Volkszugehörigkeit, aus der Provinz Al-Anbar stammend" vermag eine solche deutlich abgegrenzte Identität jedoch nicht zukommen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die vom Kläger vorgenommene lokale Einschränkung der Gruppenzugehörigkeit auf Personen aus der Provinz Al-Anbar (bzw. nach dem ergänzenden Vortrag des Klägers sogar noch spezieller auf Personen in der Stadt Falludscha). Dass diese Region nach dem Zulassungsvorbringen des Klägers besonders vom Bürgerkrieg im Irak betroffen gewesen sei und lange Zeit unter der Kontrolle und Macht des IS gestanden habe, so dass in den Augen der schiitischen Milizen die Bevölkerung aus diesen Orten als Anhänger oder Sympathisanten des IS betrachtet werde, führt nicht zu einer deutlich abgegrenzten Identität der männlichen kurdischen Sunniten, die speziell aus dieser Region stammen. Der Kläger hat nicht zur Überzeugung des Senats und unter Vorlage entsprechender Erkenntnismittel dargelegt, dass alle männlichen kurdischen Sunniten aus der Provinz Al-Anbar (bzw. aus Falludscha) wegen ihrer Herkunft aus dieser Region gleichsam automatisch und stets als Oppositionelle - und damit als andersartig - gesehen werden. Für eine solche örtlich abgegrenzte Identität mit Blick auf die Provinz Al-Anbar (bzw. die Stadt Falludscha) liefert weder der Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021) noch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl für den Irak (Stand: Gesamtaktualisierung am 20. November 2018) Anhaltspunkte. Es handelt sich damit bei der vom Kläger bezeichneten Gruppe der "männlichen Personen, sunnitischer Religionszugehörigkeit, kurdischer Volkszugehörigkeit, aus der Provinz Al-Anbar stammend" nicht um eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Vielmehr ist die (mögliche) Verfolgung einer solchen Person eine Frage des Einzelfalls.

Schließlich wäre auch eine auf die Verfolgung der Gruppe der (kurdischen) Sunniten im Irak bezogene Grundsatzfrage nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits durch die Rechtsprechung des Senats geklärt ist. Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass irakische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens (und kurdischer Volkszugehörigkeit) aktuell im Irak nicht mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit mit einer Gruppenverfolgung im Sinne von § 3 AsylG rechnen müssen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 13.9.2021 - 9 LA 228/21 - n. v. unter Hinweis auf Senatsbeschluss vom 5.11.2020 - 9 LA 107/20 - juris Rn. 9; BayVGH, Beschlüsse vom 29.4.2020 - 5 ZB 20.30994 - juris Rn. 6 und vom 29.1.2018, a. a. O., Rn. 6; VGH BW, Urteil vom 5.3.2020, a. a. O., Rn. 26 ff.).

b) Der Kläger wirft in diesem Zusammenhang die weitere, leicht abgewandelte Frage auf,

"ob ein Kläger, der aus dem Südirak stammt, Kurde ist und sunnitischen Glaubens, männlich und im Alter, um als Kämpfer aktiv werden zu können, bei Rückkehr/Abschiebung in seinen Heimatort politische Verfolgung durch schiitische Milizen konkret zu gewärtigen hätte."

Der Kläger trägt insoweit vor, dass die Frage eine große Anzahl irakischer Staatsangehöriger betreffe, die ebenfalls sunnitischen Glaubens seien und aus einer Region stammten, die besonders vom Bürgerkrieg im Irak betroffen gewesen sei und über lange Zeit unter der Kontrolle und Macht des IS gestanden habe, so dass in den Augen der schiitischen Milizen die Bevölkerung aus diesen Orten als Anhänger oder Sympathisanten des IS betrachtet würde.

Auch diese vom Kläger aufgeworfene Frage ist aus den unter a) angeführten Gründen weder entscheidungserheblich noch über den konkreten Einzelfall hinaus klärungsfähig und -bedürftig. Insbesondere fehlt auch der vom Kläger mit dieser Frage bezeichneten Gruppe der "männlichen Personen, sunnitischer Religionszugehörigkeit, kurdischer Volkszugehörigkeit, aus dem Südirak stammend und in einem Alter, um als Kämpfer aktiv werden zu können" eine deutlich abgegrenzte Identität, so dass es sich nicht um eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG handelt.

c) Zudem wirft der Kläger in diesem Zusammenhang die Frage auf,

"ob das Verwaltungsgericht bei der Prüfung einer Gefährdung des Klägers auf die Rückkehr in seinen Heimatort abzustellen hat oder auf den gesamten Irak als Staatsgebiet, was in der Rechtsprechung umstritten ist."

Da der Kläger diese Frage im Zusammenhang mit den beiden voranstehenden Fragen zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund einer Gruppenverfolgung aufwirft, geht der Senat davon aus, dass sich diese Frage ebenfalls auf diesen Kontext bezieht. Die so verstandene Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig, weil sie bereits durch die Rechtsprechung des Senats geklärt ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist bei der Frage, ob eine Gruppenverfolgung droht, auf die Herkunftsregion des Klägers abzustellen. Dies ist der Distrikt, aus dem der jeweilige Kläger stammt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 11.3.2021, a. a. O., Rn. 49). Allerdings gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Asyl- und Flüchtlingsrechts dem Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche/inländische Fluchtalternative besteht, die im Falle einer drohenden Rückkehrverfolgung vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. Senatsbeschluss vom 11.3.2021, a. a. O., Rn. 47; Senatsurteil vom 30.7.2019, a. a. O., Rn. 58; BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 - juris Rn. 20).

Sollte sich die Frage des Klägers auch auf die - vom Verwaltungsgericht anschließend geprüfte - Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG beziehen, gilt nichts Anderes. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG können auch erfüllt sein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt auf einen Teil des Staatsgebiets beschränkt und dem Ausländer die gesetzlich definierte Gefahr in diesem Landesteil droht. In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. Senatsbeschluss vom 11.3.2021, a. a. O., Rn. 112). Allerdings gilt auch hier § 3e AsylG (interner Schutz) entsprechend (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).

Sollte sich die Frage des Klägers schließlich auch auf die nationalen Abschiebungsverbote beziehen, bedarf es ebenfalls keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Vielmehr ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass für die Beurteilung grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen ist, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (vgl. Senatsbeschluss vom 11.3.2021, a. a. O., Rn. 139 m. w. N.).

d) Der Kläger wirft des Weiteren die Frage auf,

"ob ein sunnitischer Kurde aus Falludscha sich im kurdischen Autonomiegebiet bei einer Rückkehr niederlassen darf und dort sein Existenzminimum sichern könnte, wenn dieser weder ein Haus oder Wohnung, Arbeit und Verbindungen hat, die ihm bei einer Arbeits- und Wohnungssuche behilflich sein könnten und die kurdische Sprache nur rudimentär mündlich beherrscht."

Der Kläger trägt vor, dass das Verwaltungsgericht auf Seite 15 der angegriffenen Entscheidung die Behauptung aufgestellt habe, dass er, der Kläger, als Kurde die Möglichkeit habe, sich in der Autonomen Region Kurdistan niederzulassen. Er würde dazu keine besondere Genehmigung benötigen. Zudem seien zwar die Lebensbedingungen und die humanitäre Situation im Irak schwierig, jedoch könne der Kläger in den kurdischen Gebieten sein Existenzminimum sichern, weil er ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann sei. Dies sei nicht korrekt.

Die vom Kläger aufgeworfene Frage bezieht sich auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne von § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e AsylG in der Autonomen Region Kurdistan. Die Frage ist einer grundsätzlichen Klärung im Berufungsverfahren nicht zugänglich. Denn die Beantwortung der aufgeworfenen Frage nach einer innerstaatlichen Fluchtalternative hängt - wie schon die Formulierung der Frage durch den Kläger zeigt - wesentlich auch von Einzelumständen ab (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7.2.2020 - 9 LA 396/19 - und vom 10.1.2019 - 9 LA 168/18 - juris Rn. 17).

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es für die Beurteilung, ob der Schutzsuchende in einem anderen Landesteil aufgenommen werden wird und vernünftigerweise seine Niederlassung dort erwartet werden kann, nicht nur auf objektive Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ort des internen Schutzes) ankommt, sondern auch auf die persönlichen Umstände des Schutzsuchenden (etwa Alter, Geschlecht, familiärer und biographischer Hintergrund einschließlich einer ggf. bestehenden Vorverfolgungssituation, Gesundheitszustand, finanzielle Situation bezogen auf Vermögen und Erwerbsmöglichkeiten sowie Leistungen aus Hilfsangeboten für Rückkehrer, Fähigkeiten/Ausbildung/Berufserfahrung, das Vorhandensein von tragfähigen Beziehungen/Netzwerken am Ort des internen Schutzes, Kenntnisse zumindest einer der am Ort des internen Schutzes gesprochenen Sprache, sowie ggf. auch die Volkszugehörigkeit), die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 24.6.2020 - 9 LA 56/19 - n. v., m. w. N.).

e) Schließlich wirft der Kläger in diesem Zusammenhang die Frage auf,

"ob ein Kurde, der nur rudimentär die kurdische Sprache Sorani beherrscht und weder ein Haus noch eine Wohnung hat und keine familiäre Unterstützung bei Rückkehr erhalten kann, weil die Familie dort in einem Flüchtlingscamp lebt und ausschließlich von humanitärer Hilfe abhängig ist, keine sozialen Verbindungen im autonomen Kurdistan besitzt, die ihn bei Arbeits- und Wohnungssuche behilflich sein könnten, einen Existenzminimum sichern könnte."

Auch diese vom Kläger aufgeworfene Frage ist aus den unter d) angeführten Gründen keiner grundsätzlichen Klärung im Berufungsverfahren zugänglich.

2. Der Kläger hat auch den Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.

Eine Divergenz im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zu bezeichnen ist ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte aufgestellten, tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtssatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Oberverwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Darlegungsanforderungen nicht (vgl. zur gleichlautenden Vorschrift in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Senatsbeschluss vom 1.11.2021 - 9 LA 11/20 - juris Rn. 20, 22; NdsOVG, Beschlüsse vom 25.8.2021 - 1 LA 7/21 - juris Rn. 16 und vom 15.12.2020 - 8 LA 80/20 - juris Rn. 28).

Ausgehend hiervon genügen die Ausführungen des Klägers nicht den Anforderungen an eine Divergenzrüge.

a) Der Kläger trägt vor, dass das Verwaltungsgericht von der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Frage der latenten Gefährdungslage - namentlich den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Dezember 1988 (- 9 C 80.87 -) und vom 17. Januar 1989 (- 9 C 56/88 -) - abgewichen sei, soweit es auf Seite 8 der angegriffenen Entscheidung darlege, dass eine Vorverfolgung für den Kläger in seiner Herkunftsregion Falludscha in der Provinz Al-Anbar nicht bestanden habe, und dies damit begründe, dass dem Kläger in Falludscha nichts zugestoßen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liege eine latente Gefährdungslage vor, wenn dem Ausländer vor seiner Ausreise im Heimatstaat politisch bedingte Übergriffe - noch - nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohten, nach den gesamten Umständen jedoch auf absehbare Zeit auch nicht hinreichend sicher auszuschließen waren, weil Anhaltspunkte vorlagen, die ihren Eintritt als nicht ganz entfernt erscheinen ließen. Erforderlich sei, dass objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als durchaus reale Möglichkeit erscheinen ließen. Er, der Kläger, sei geflohen vor der Terrorherrschaft des IS. Er habe sich demgemäß in einer latenten Gefährdungslage befunden. Dies habe das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung weder beachtet noch in seine Erwägungen eingestellt. Hätte das Verwaltungsgericht eine latente Gefährdungslage des Klägers bejaht, dann hätte es auch eine Vorverfolgung bejahen müssen.

Der Kläger benennt damit schon keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur latenten Gefährdungslage abgewichen wäre. Vielmehr macht er mit seinen Ausführungen im Kern die fehlerhafte Anwendung eines Rechtssatzes des Bundesverwaltungsgerichts im konkreten Einzelfall geltend. Er wendet sich damit gegen die inhaltliche Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, d. h. im Ergebnis werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser geltend gemacht, die nach § 78 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen können.

b) Soweit der Kläger unter dem Gliederungspunkt III. seiner Zulassungsbegründung, der sich mit dem Zulassungsgrund der Divergenz befasst, rügt, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung offengelassen habe, ob für Falludscha oder die Provinz Al-Anbar allgemein von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen sei, bezeichnet er schon keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte aufgestellten, tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hätte.

Im Ergebnis werden auch mit dieser Rüge ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend gemacht, die nach § 78 AsylG nicht zur Zulassung der Berufung führen können. Im Übrigen ist es aber auch in der Sache nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Frage offengelassen hat, ob für Falludscha oder die Provinz Al-Anbar allgemein von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AslyG auszugehen ist. Denn es hat ausgeführt, dass selbst wenn man einen solchen Konflikt bejahen würde, sich jedenfalls nicht positiv feststellen lasse, dass allgemein eine Zivilperson oder konkret der Kläger bei einer Rückkehr in die genannte Region allein durch die dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein (Seite 14 des Urteilsabdrucks). Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden (vgl. Senatsbeschluss vom 11.3.2021, a. a. O., Rn. 114 ff.).

c) Auch soweit der Kläger unter dem Gliederungspunkt III. seiner Zulassungsbegründung, der sich mit dem Zulassungsgrund der Divergenz befasst, rügt, dass das Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüft habe, ob bei Rückkehr des Klägers nach Falludscha dieser Verfolgung durch die Volksmobilisierungseinheiten sowie andere schiitische Milizen zu gewärtigen hätte, bezeichnet er schon keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte aufgestellten, tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hätte.

Der Kläger hat mit diesem Vorbringen sinngemäß auch keinen Verfahrensmangel im Sinne eines Gehörsverstoßes gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO dargetan. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, soweit das Vorbringen nicht ausnahmsweise aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 - juris Rn. 99). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht dies getan hat. Es ist nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, sondern darf sich auf die für seine Entscheidung leitenden Gründe beschränken. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann daher noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falls ergibt, dass das Gericht seine Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Vorbringens verletzt hat, liegt eine Gehörsversagung vor. Nicht hingegen verpflichtet das Gebot rechtlichen Gehörs das Gericht dazu, dem zur Kenntnis genommenen und erwogenen Vorbringen in der Sache zu folgen (vgl. Senatsbeschluss vom 23.8.2021, a. a. O., Rn. 16 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 5.11.2018 - 1 B 78.18 - juris Rn. 2).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat der Kläger den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne eines Gehörsverstoßes nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt. Zwar hat das Verwaltungsgericht eine Verfolgung durch die Volksmobilisierungseinheiten bzw. schiitische Milizen ausdrücklich lediglich im Rahmen der Prüfung einer Vorverfolgung des Klägers thematisiert (Seite 8 des Urteilsabdrucks). Für den Fall einer Rückkehr des Klägers hat das Verwaltungsgericht aber zum einen geprüft, ob mit einer Gruppenverfolgung der kurdisch-stämmigen Sunniten im Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei (Seite 9 des Urteilsabdrucks) - was in der Sache eine (mögliche) Verfolgung durch schiitische Milizen umfasst -, und zum anderen hat es ausgeführt, dass keine anderen Umstände vorlägen, aufgrund derer davon auszugehen sei, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal Verfolgung drohe (Seite 11 des Urteilsabdrucks). Der Kläger hat keine besonderen Umstände dafür dargelegt, dass sich aus dem Umstand der fehlenden ausdrücklichen Thematisierung der (möglichen) Verfolgung durch die Volksmobilisierungseinheiten sowie andere schiitische Milizen ergeben könnte, dass das Gericht das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Dafür ist hier auch nichts ersichtlich.

Die Bewilligung der von dem Kläger beantragten Prozesskostenhilfe kommt nicht in Betracht, weil sein Antrag auf Zulassung der Berufung nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht bietet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG sowie auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).