Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.04.2023, Az.: 10 LA 48/23
Anlandungszahlen; Aufnahmekapazität; Dublin III-VO; Umdeutung; Wahlfeststellung; Wiederaufnahme; Ablehnung der Rückübernahme von Dublin-Rückkehrern durch Italien mit Schreiben vom 5. und 7. Dezember 2022; Berufungszulassungsantrag des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.04.2023
- Aktenzeichen
- 10 LA 48/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 17120
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:0426.10LA48.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 22.03.2023 - AZ: 10 A 1884/22
Rechtsgrundlagen
- AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
- AsylG§ 29 Abs. 1 Nr. 5
- AsylG § 34a Abs. 1 Nr. 1
- AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
- AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 2
Fundstelle
- DVBl 2023, 748-751
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 22. März 2023 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) sind von ihr nicht hinreichend dargelegt worden bzw. liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit zwei alternativen Begründungen stattgegeben. Zum einen sei der streitgegenständliche Bescheid bereits deshalb rechtswidrig, weil er sowohl auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als auch auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützt sei und weder eine Wahlfeststellung zwischen den beiden Unzulässigkeitsgründen noch eine Umdeutung in Betracht komme. Diese unterschieden sich in ihren Voraussetzungen und in ihren Rechtsfolgen. Zum anderen seien die Voraussetzungen von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und § 34a AsylG nicht erfüllt, weil Italien auf unabsehbare Zeit nicht bereit sei, mit Ausnahme von Familienzusammenführungen, Flüchtlinge zurückzunehmen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich das Verwaltungsgericht mit seiner ersten Begründung, zwischen § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 AsylG könne keine Umdeutung und auch keine Wahlfeststellung erfolgen, in Divergenz zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2020 (Az. 1 C 35.19) stelle, wonach bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 VwVfG auch die Verwaltungsgerichte ermächtigt seien, einen Verwaltungsakt umzudeuten und durch eine andere rechtmäßige Regelung zu ersetzen. Nach § 47 Abs. 1 VwVfG müsse der rechtswidrige Verwaltungsakt für eine Umdeutung unter anderem auf das gleiche Ziel gerichtet sein und nach § 47 Abs. 2 VwVfG dürften die Rechtsfolgen nicht nachteiliger sein, als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Wäre das Verwaltungsgericht dieser Auffassung gefolgt, wäre es zur Umdeutung befugt gewesen.
Mit diesem Vorbringen hat sie den Zulassungsgrund der Divergenz nicht dargelegt.
Nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist die Berufung zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung liegt vor, wenn sich das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der herangezogenen Entscheidung eines der genannten Divergenzgerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat. Dabei muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 18.8.2020 - 10 LA 214/19 -, juris Rn. 29, sowie vom 18.1.2020 - 10 LA 3/20 -, juris Rn. 2, jeweils m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22.3.2022 - 9 LA 242/21 -, juris Rn. 4; Bayerischer VGH, Beschluss vom 28.7.2022 - 24 ZB 22.451 -, juris Rn. 28; BVerwG, Beschlüsse vom 22.7.2022 - 4 B 12.22 -, juris Rn. 6, und vom 18.7.2022 - 3 B 37.21 -, juris Rn. 9, jeweils zu § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dementsprechend erfordert die Darlegung einer Divergenz u.a., dass die beiden einander widerstreitenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze des Verwaltungsgerichts einerseits und des Divergenzgerichts andererseits zitiert oder - sofern sie in der Entscheidung nicht bereits ausdrücklich genannt sind - herausgearbeitet und bezeichnet werden (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.11.2020 - 12 LA 155/20 -, juris Rn. 29; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5.9.2022 - 6 A 2306/20 -, juris Rn. 34; Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.8.2022 - 9 ZB 21.2688 -, juris Rn. 11; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 7.3.2022 - 1 B 21.22 -, juris Rn. 30 zu §§ 132 Abs. 2 Nr. 2, 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Eine Divergenz liegt hingegen nicht vor, wenn das Verwaltungsgericht den Rechtssatz des Divergenzgerichts, ohne ihm inhaltlich zu widersprechen, in dem zu entscheidenden Fall rechtsfehlerhaft angewandt oder daraus nicht die Folgerungen gezogen hat, die für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 18.8.2020 - 10 LA 214/19 -, juris Rn. 29, sowie vom 18.1.2020 - 10 LA 3/20 -, juris Rn. 2, jeweils m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 18.7.2022 - 3 B 37.21 -, juris Rn. 9; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22.3.2022 - 9 LA 242/21 -, juris Rn. 4). Auch ist die Berufung nicht wegen Divergenz zuzulassen, wenn sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig erweist (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5.9.2022 - 6 A 2306/20 -, juris Rn. 38 m.w.N.), da in diesem Fall das angegriffene Urteil nicht auf der Abweichung beruht.
Die Beklagte hat bereits keine sich widersprechenden abstrakten Rechtssätze aufgezeigt. Die von ihr zitierten allgemeinen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur grundsätzlichen Möglichkeit der Umdeutung eines Verwaltungsakts durch die Gerichte bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 VwVfG stehen nicht in Widerspruch zu der von ihr in Bezug genommenen Auffassung des Verwaltungsgerichts, zwischen § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 AsylG könne eine Umdeutung oder Wahlfeststellung nicht erfolgen. Denn das Verwaltungsgericht ist dabei nicht davon ausgegangen, dass ihm die Umdeutung eines Verwaltungsakts generell verwehrt wäre, sondern hat lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen einer Umdeutung konkret bei den Unzulässigkeitsgründen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 AsylG verneint. Einen prinzipiellen Auffassungsunterschied zwischen dem Verwaltungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht hat die Beklagte damit nicht aufgezeigt und ein solcher ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, zumal sich das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung nicht zu einer Umdeutung eines Bescheides nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in einen nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG oder einer diesbezüglichen Wahlfeststellung verhalten hat, sondern die Möglichkeit einer Umdeutung bezüglich § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG geprüft hat. Hinsichtlich der von der Beklagten zitierten allgemeinen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts kommt insoweit lediglich die fehlerhafte Anwendung eines Rechtssatzes des Divergenzgerichts in Betracht, die den Zulassungsgrund der Divergenz jedoch nicht begründen könnte. Die Beklagte hat aber auch schon nicht dargelegt, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts unzutreffend wäre, zumal eine Umdeutung / Wahlfeststellung zwischen verschiedenen Unzulässigkeitsgründen des § 29 Abs. 1 AsylG immer wieder rechtlichen Bedenken begegnet ist (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 30.3.2021 - 1 C 41.20 -, juris Rn. 10 ff. (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) und vom 21.11.2017 - 1 C 39.16 -, Rn. 42 ff. (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG); Senatsbeschlüsse vom 13.8.2020 - 10 LA 153/20 -, juris Rn. 15 ff. (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), und vom 20.2.2020 - 10 LA 53/20 -, juris Rn. 21 (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG)).
Da die Beklagte damit bereits hinsichtlich der ersten, die angegriffene Entscheidung selbständig tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts einen Zulassungsgrund nicht dargelegt hat, kommt es nicht mehr darauf an, ob sie den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in Bezug auf die alternative Begründung der Klageabweisung ausreichend dargelegt hat. Denn ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Berufungszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt. Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (Senatsbeschluss vom 13. Mai 2022 - 10 LA 37/22 -, juris Rn. 20).
Überdies hätte die Beklagte auch die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Fragen,
"ob es sich bei den derzeitigen Überstellungsaussetzungen nur um vorübergehende die grundsätzliche Aufnahmebereitschaft und das Aufnahmevermögen Italiens nicht beeinträchtigende Maßnahmen handelt, die zu keiner Verletzung der Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh führen,
und
ob eine Überstellung des Antragstellers innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens als gesichert angesehen werden kann"
nicht hinreichend dargelegt.
Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich und einer abstrakten Klärung zugänglich ist, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf, nicht schon geklärt ist und (im Falle einer Rechtsfrage) nicht bereits anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (BVerwG, Beschlüsse vom 28.3.2022 - 1 B 9.22 -, juris Rn. 21, und vom 8.8.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 5, zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; ferner: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2022, § 78 AsylG Rn. 21 ff. m.w.N.).
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (u.a. Senatsbeschluss vom 12.1.2022 - 10 LA 175/21 -, juris Rn. 4 m.w.N.):
1. dass eine bestimmte Tatsachen- oder Rechtsfrage konkret und eindeutig bezeichnet,
2. ferner erläutert wird, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre, und
3. schließlich dargetan wird, aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.
Ob eine als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage entscheidungserheblich ist, ist anhand der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts zu prüfen, soweit gegen diese keine begründeten Verfahrensrügen erhoben worden sind (ständige Rechtsprechung des Senats: u.a. Senatsbeschluss vom 25.7.2019 - 10 LA 155/19 -, juris Rn. 7 m.w.N.). Diese Tatsachenfeststellungen sind im Zulassungsverfahren bindend und unterliegen dort anders als in einem Berufungsverfahren keiner Richtigkeitskontrolle (Senatsbeschluss vom 28.1.2021 - 10 LA 12/21 -, juris Rn. 7).
Die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Frage im Berufungsverfahren (2.) setzt voraus, dass substantiiert dargetan wird, warum sie im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche (neueren) Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (ständige Rechtsprechung des Senats: u.a. Senatsbeschluss vom 12.1.2022 - 10 LA 175/21 -, juris Rn. 8 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.1.2022 - 9 LA 29/20 -, juris Rn. 5). Die Begründungspflicht verlangt daher, dass sich der Zulassungsantrag mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu folgen ist (Senatsbeschluss vom 12.1.2022 - 10 LA 175/21 -, juris Rn. 8 m.w.N.; vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.5.2022 - 1 B 44.22 -, juris Rn. 14 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Darlegung einer Tatsachenfrage setzt außerdem eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht herangezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus (Senatsbeschluss vom 12.1.2022 - 10 LA 175/21 -, juris Rn. 8 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.1.2022 - 9 LA 29/20 -, juris Rn. 5; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.9.2021 - 4 LA 111/20 -, juris Rn. 25), weil eine Frage nicht entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, die sich schon hinreichend klar aufgrund der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel beantworten lässt (GK-AsylG, Stand: Mai 2022, § 78 AsylG Rn. 609 m.w.N; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 30.1.2014 - 5 B 44.13 -, juris Rn. 2, und vom 17.2.2015 - 1 B 3.15 -, juris Rn. 3, zu den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Erforderlich ist daher über den ergebnisbezogenen Hinweis, dass der Bewertung der Situation in dem betreffenden Land zu der als klärungsbedürftig bezeichneten Tatsachenfrage durch das Verwaltungsgericht im Ergebnis nicht gefolgt werde, hinaus, dass in Auseinandersetzung mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts und den von ihm herangezogenen Erkenntnismitteln dargetan wird, aus welchen Gründen dieser Bewertung im Berufungsverfahren nicht zu folgen sein wird (GK-AsylG, Stand: Mai 2022, § 78 AsylG Rn. 610 m.w.N.; vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.8.2021 - 1 LA 43/21 -, juris Rn. 2). Dabei ist es Aufgabe des Zulassungsantragstellers, durch die Benennung von Anhaltspunkten für eine andere Tatsacheneinschätzung, also insbesondere durch das Anführen bestimmter (neuerer) Erkenntnisquellen, darzutun, dass hierfür zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Hamburgisches OVG, Beschluss vom 30.4.2021 - 6 Bf 42/21.AZ -, juris Rn. 20; GK-AsylG, Stand: Mai 2022, § 78 AsylG Rn. 610 f. m.w.N.). Es reicht deshalb nicht, wenn der Zulassungsantragsteller sich lediglich gegen die Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht wendet und eine bloße Neubewertung der vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismittel verlangt (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 12.12.2019 - 9 LA 452/19 -, juris Rn. 5; GK-AsylG, Stand: Mai 2022, § 78 AsylG Rn. 609 m.w.N.; vgl. auch Hailbronner, Stand: März 2022, § 78 AsylG Rn. 28).
Hinsichtlich der ersten von der Beklagten als klärungsbedürftig erachteten Frage hat sie bereits nicht dargelegt, weshalb sich diese in einem Berufungsverfahren stellen würde, nachdem das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht auf eine drohende Verletzung der Rechte des Klägers aus Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh, sondern auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen von §§ 29 Abs. 1 Nr. 1 und 34a AsylG gestützt hat.
Aber auch soweit sich die erste Frage auf die grundsätzliche Aufnahmebereitschaft Italiens für Dublin-Rückkehrer bezieht und sich letztlich beide Fragen gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts richten, dass Italien nach dessen Schreiben vom 5. und 7. Dezember 2022, wonach Überstellungen wegen der gestiegenen Anlandungszahlen derzeit nicht mehr angenommen würden, aktuell tatsächlich nicht zur Wiederaufnahme von rückzuüberstellenden Asylsuchenden bereit sei, genügt ihr Vorbringen nicht den Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Denn sie hat nicht unter Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts und den von ihm herangezogenen Erkenntnismitteln dargetan, dass die von ihr aufgeworfenen Tatsachenfragen anders als vom Verwaltungsgericht zu entscheiden sein könnten. Vielmehr führt sie in weiten Teilen lediglich ihre eigenen Schlussfolgerungen sowie die Auffassungen anderer Verwaltungsgerichte an. Konkrete Erkenntnisse, die zu einer anderen Beurteilung als durch das Verwaltungsgericht führen könnten, legt sie dabei nicht dar (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.3.2023 - 11 A 252/23.A -, juris Rn. 23). Soweit sie für ihre Auffassung, dass es sich bei der derzeitigen Nichtannahme von Überstellungen lediglich um ein vorübergehendes Hindernis handele, den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens anführt, ist dieser Grundsatz bereits durch die generelle Ablehnung der Annahme von rückzuüberstellenden Asylsuchenden in Widerspruch zur Dublin III-VO insoweit entkräftet. Für ihre These, dass die Überstellungen innerhalb der im Dublinsystem festgelegten Fristen mit großer Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden würden, führt sie weder hinreichend konkrete Anhaltspunkte an, noch sind solche sonst gegenwärtig ersichtlich. Auch dass Italien in den vergangenen Jahren seine Aufnahmekapazität erhöht hat, lässt allein nicht den Schluss zu, dass in absehbarer Zeit Dublin-Rückkehrer wieder aufgenommen werden, zumal die Rückübernahmen nunmehr bereits mehr als vier Monate ausgesetzt sind (vgl. auch bereits OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.3.2023 - 11 A 252/23.A -, juris Rn. 31) und aktuell eher davon ausgegangen wird, dass auch weiterhin Rückübernahmen nicht erfolgen werden (https://www.nzz.ch/schweiz/italien-nimmt-bis-mindestens-anfang-mai-keine-fluechtlinge-zurueck-ld.1733446).
Mit ihren Ausführungen zu den Voraussetzungen von § 34a AsylG legt die Beklagte nicht die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Tatsachenfragen dar, sondern macht im Ergebnis eine falsche Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht und damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend, die nicht zu den Gründen zählen, aus denen in asylrechtlichen Streitigkeiten die Berufung zugelassen werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).