Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.01.2022, Az.: 1 ME 142/21

Bauaufsichtsbehörde; Baugenehmigung; Bedingung, aufschiebende; Bundesnetzagentur; Drittschutz; Mobilfunk; Mobilfunkantenne; Mobilfunkmast; Nachbarschutz; Schlusspunkttheorie; Standortbescheinigung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.01.2022
Aktenzeichen
1 ME 142/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59470
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.09.2021 - AZ: 12 B 4660/21

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Gegenstand der mit der Baugenehmigung verbundenen Feststellungsentscheidung ist die Vereinbarkeit mit dem gesamten öffentlichen Baurecht auch insoweit, als die materielle Prüfungskompetenz bzw. Prüfungspflicht nicht bei der Bauaufsichtsbehörde, sondern bei einer anderen Behörde liegt, die die Bauaufsichtsbehörde nicht bloß im Innenverhältnis unterstützt, sondern gegenüber dem Bauherrn eine eigenständige Genehmigungsentscheidung trifft. In diesem Fall bedarf es vor Erteilung der Baugenehmigung zwingend der bauaufsichtlichen Feststellung, dass die erforderliche weitere Genehmigung vorliegt, weil erst dann die Voraussetzungen erfüllt sind, die das öffentliche Baurecht an die Rechtmäßigkeit des Vorhabens stellt. Es gilt die „Schlusspunkttheorie“ (im Anschluss an Senatsurt. v. 30.4.2014 - 1 LB 200/12 -, BauR 2014, 1455 = BRS 82 Nr. 161 = juris Rn. 32).

2. Erteilt die Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung, obwohl eine erforderliche weitere Genehmigung fehlt, führt dies zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Nachbarrechte verletzt die Baugenehmigung (nur) dann, wenn die fehlende Genehmigung ihrerseits dem Schutz von Nachbarrechten dient (hier bejaht).


(Senatsurt. v. 30.4.2014 - 1 LB 200/12 -, BauR 2014, 1455 = BRS 82 Nr. 161 = juris Rn. 32)
Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde ist es deshalb, die Erteilung der nach öffentlichem Baurecht erforderlichen Genehmigungen zu überwachen und erst im Anschluss die mit der Baugenehmigung verbundene Feststellung zu treffen sowie die Bau-freigabe zu erteilen.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 14. September 2021 geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 5. März 2021 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 9. Februar 2021 zur Errichtung eines Antennenträgers mit Schalteinrichtung wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mobilfunkmasts.

Mit Bauantrag vom 9. April 2020 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines rund 45 m hohen Antennenträgers mit Schalteinrichtung zur Aufnahme einer Antennenanlage für ein Mobilfunknetz auf dem Grundstück des Bauhofs des Fleckens A-Stadt (G. Weg H.). Das Grundstück liegt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet an der Grenze zum Außenbereich. Rund 160 m südöstlich des vorgesehenen Standortes liegt ebenfalls in dem festgesetzten Mischgebiet das Wohngrundstück der Antragsteller, die bereits im Baugenehmigungsverfahren Einwendungen erhoben und insbesondere Bedenken im Hinblick auf die von der Anlage ausgehende Strahlenbelastung äußerten.

Unter dem 9. Februar 2021 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Eine Standortbescheinigung gemäß § 4 BEMFV der Bundesnetzagentur, mit der ausweislich der Betriebsbeschreibung die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte nachgewiesen werden soll, lag bei Erteilung der Baugenehmigung - und liegt nach Aktenlage bis heute - nicht vor; der Antragsgegner verzichtete auch auf eine eigene Prüfung, ob die Anlage die Anforderungen der 26. BImSchV einhält. Stattdessen heißt es in der Baugenehmigung:

1. Die Vorgaben der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (26. BImSchV) und der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMVF) sind zu beachten (A).

2. Die Standortbescheinigung ist ein eigener an den Betreiber der Anlage gerichteter Verwaltungsakt mit Rechtsbehelfsbelehrung. Etwaige schädliche Umwelteinwirkungen werden in einem eigenen Verfahren von der zuständigen Bundesbehörde geprüft (H).

Gegen die Baugenehmigung erhoben die Antragsteller unter dem 5. März 2021 Widerspruch und beantragten unter dem 9. Juli 2021 unter Hinweis auf nach ihrem Kenntnisstand - vermeintlich - am 26. Juli 2021 beginnende Bauarbeiten die Aussetzung der Vollziehung; diesen Antrag lehnte der Antragsgegner unter dem 26. Juli 2021 ab. Noch vor Zugang der Ablehnungsentscheidung beantragten die Antragsteller am 27. Juli 2021 gerichtlichen Eilrechtsschutz, den das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss vom 14. September 2021 ablehnte. Es könne dahinstehen, ob der Antrag zulässig sei, obwohl er gestellt worden sei, bevor die Antragsteller von der Ablehnungsentscheidung vom 26. Juli 2021 Kenntnis erlangt hätten. Denn der Antrag sei jedenfalls unbegründet, weil nachbarschützende Vorschriften, insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i.V. mit § 22 Abs. 1 BImSchG), nicht verletzt seien. Soweit Grenzwerte für elektromagnetische Felder der 26. BImSchV zu beachten seien, obliege die Prüfung nicht dem Antragsgegner, sondern auf der Grundlage der weiterhin anzuwendenden BEMFV allein der Bundesnetzagentur im Rahmen der Erteilung der für den Anlagenbetrieb erforderlichen Standortbescheinigung. Ob ein Rechtsverstoß mit Blick auf die „Schlusspunkttheorie“ darin liege, dass der Antragsgegner die Baugenehmigung ohne das Vorliegen der Standortbescheinigung erteilt habe, könne dahinstehen, weil dies jedenfalls keine materielle Rechtsposition der Antragsteller beeinträchtige. Denn die Baugenehmigung umfasse in diesem Fall aufgrund der Konkurrenz paralleler Genehmigungsverfahren nicht die Nutzung der Anlage. Erst die Standortbescheinigung, die die Antragsteller mit Rechtsmitteln angreifen könnten, ermögliche die Betriebsaufnahme.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung wird gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig (1.). In der Sache haben die Antragsteller gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO dargelegt, dass sie durch die Genehmigung aller Voraussicht nach in ihren Nachbarrechten verletzt werden (2.) und eine Abwägung der widerstreitenden Interessen zu ihrem Vorteil ausfällt (3.).

1. Der Antrag gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, obwohl den Antragstellern zum Zeitpunkt der Antragstellung die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung (§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V. mit § 80 Abs. 6 VwGO) noch nicht vorlag. Ein weiteres Zuwarten war in diesem Fall nicht angezeigt, weil die Antragsteller von einem unmittelbar bevorstehenden Baubeginn ausgingen, sie dies dem Antragsgegner mit ihrem Aussetzungsantrag zwei Wochen zuvor mitgeteilt hatten und der Antragsgegner nichts unternommen hat, die möglicherweise bestehende Fehlvorstellung der Antragsteller rechtzeitig aufzuklären. Bei einer solchen Sachlage, bei der die Antragsteller damit rechnen mussten, dass die Baugenehmigung jederzeit ausgenutzt werden würde, war ihnen ein weiteres Abwarten nicht zumutbar (vgl. § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO).

2. Die Baugenehmigung verletzt aller Voraussicht nach Nachbarrechte der Antragsteller. Sie stellt nicht ausreichend sicher, dass ihr Grundstück von schädlichen Umwelteinwirkungen i.S. von § 3 Abs. 1 BImSchG verschont bleibt.

a) Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Mit der Erteilung der Baugenehmigung ist die umfassende Feststellung verbunden, dass die Baumaßnahme mit dem zu prüfenden öffentlichen Baurecht übereinstimmt. Zugleich wird mit ihr die Baufreigabe erteilt (vgl. § 72 Abs. 1 Satz 1 und 2 NBauO). Bildlich gesprochen darf die Bauaufsichtsbehörde die „Schranke“ des § 72 Abs. 1 Satz 1 NBauO daher erst dann hochziehen, wenn sie sich davon überzeugt hat, dass alle Anforderungen erfüllt sind, die das öffentliche Baurecht an das Vorhaben stellt (Senatsurt. v. 30.4.2014 - 1 LB 200/12 -, BauR 2014, 1455 = BRS 82 Nr. 161 = juris Rn. 32).

Öffentliches Baurecht im vorgenannten Sinne sind gemäß § 2 Abs. 17 NBauO die Vorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, die auf ihrer Grundlage erlassenen Vorschriften, das städtebauliche Planungsrecht und die sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts, die Anforderungen an bauliche Anlagen, Bauprodukte oder Baumaßnahmen stellen oder die Bebaubarkeit von Grundstücken regeln. Dazu zählt das Immissionsschutzrecht, hier in Gestalt des § 22 Abs. 1 i.V. mit § 3 Abs. 1 BImSchG und den Regelungen der 26. BImSchV, das demzufolge Gegenstand der Feststellungsentscheidung der Bauaufsichtsbehörde ist.

Gegenstand der Feststellungsentscheidung ist die Vereinbarkeit mit dem gesamten öffentlichen Baurecht nach der Rechtslage in Niedersachsen auch insoweit, als die materielle Prüfungskompetenz bzw. Prüfungspflicht nicht bei der Bauaufsichtsbehörde, sondern bei einer anderen Behörde liegt, die die Bauaufsichtsbehörde nicht bloß im Innenverhältnis unterstützt, sondern gegenüber dem Bauherrn eine eigenständige Genehmigungsentscheidung trifft. In diesem Fall bedarf es vor Erteilung der Baugenehmigung zwingend der bauaufsichtlichen Feststellung, dass die erforderliche weitere Genehmigung vorliegt, weil erst dann die Voraussetzungen erfüllt sind, die das öffentliche Baurecht an die Rechtmäßigkeit des Vorhabens stellt (Senatsurt. v. 30.4.2014 - 1 LB 200/12 -, BauR 2014, 1455 = BRS 82 Nr. 161 = juris Rn. 32). Es gilt nach ständiger Senatsrechtsprechung die „Schlusspunkttheorie“, nach der die Baugenehmigung am Ende des gesamten Zulassungsverfahrens steht. Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde ist es deshalb, die Erteilung der nach öffentlichem Baurecht erforderlichen Genehmigungen zu überwachen und erst im Anschluss die mit der Baugenehmigung verbundene Feststellung zu treffen sowie die Baufreigabe zu erteilen.

Erteilt die Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung, obwohl eine erforderliche weitere Genehmigung fehlt, bescheinigt sie die umfassende Vereinbarkeit mit dem öffentlichen Baurecht, obwohl dies nicht der Fall ist. Dies führt zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Nachbarrechte verletzt die Baugenehmigung allerdings nur dann, wenn die fehlende Genehmigung ihrerseits dem Schutz von Nachbarrechten dient. In diesem Fall bescheinigt die Baugenehmigung zu Lasten der Nachbarn, dass das Vorhaben auch in nachbarrechtlicher Hinsicht umfassend geprüft und - jedenfalls ausweislich der von der Bauaufsichtsbehörde inhaltlich nicht zu hinterfragenden weiteren Genehmigung - in der Sache unbedenklich ist, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist bzw. nicht feststeht. Das widerspricht dem durch das Baugenehmigungsverfahren selbst vermittelten Nachbarschutz sowie dem in § 58 Abs. 1 Satz 1 NBauO niedergelegten Auftrag der Bauaufsichtsbehörden, über die Einhaltung des öffentlichen Baurecht - soweit es seinerseits nachbarschützend ist - auch in Interesse der Nachbarn zu wachen.

b) Nach diesen Maßgaben verstößt die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften, weil sie die umfassende Vereinbarkeit mit dem öffentlichen Baurecht auch in immissionsschutzrechtlicher und damit nachbarschützender Hinsicht bescheinigt, ohne dass eine entsprechende Prüfung erfolgt ist. Nicht abgearbeitet wurden die Vorgaben des § 22 Abs. 1 BImSchG i.V. mit § 2 26. BImSchV, deren Prüfung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 1, § 3 BEMFV ausschließlich der Bundesnetzagentur im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der Standortbescheinigung obliegt (vgl. zur alleinigen Maßgeblichkeit der Standortbescheinigung nur BVerwG, Urt. v. 20.6.2013 - 4 C 2.12 -, BVerwGE 147, 37 = BRS 81 Nr. 115 = juris Rn. 19; OVG NRW, Beschl. v. 27.5.2019 - 10 A 1860/17 -, juris Rn. 41 ff.; OVG SH, Beschl. v. 19.10.2021 - 1 MB 18/21 -, juris Rn. 20; BayVGH, Beschl. v. 22.11.2021 - 9 CS 21.2520 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Damit ist offen, ob der Mobilfunkmast genutzt werden kann, ohne Rechte der Anwohner zu verletzen, obgleich die Baugenehmigung eine weitergehende Feststellung trifft.

Diesem Befund steht nicht entgegen, dass die Baugenehmigung dem Bauherrn in der Nebenbestimmung Nr. 1 ausdrücklich aufgibt, dass die Grenzwerte der 26. BImSchV einzuhalten sind, und darauf hinweist, dass die immissionsschutzrechtliche Prüfung im Verfahren zur Erteilung der Standortbescheinigung erfolgt. Diesen Ausführungen kann man entnehmen, dass mit der Baugenehmigung nach dem Willen des Antragsgegners zwar die Baufreigabe, nicht aber die Freigabe der Nutzung in Gestalt des Anlagenbetriebs verbunden sein sollte. Eine solche Differenzierung, die auch sonst im verfügenden Teil der Baugenehmigung nicht zum Ausdruck kommt, erlaubt die Niedersächsische Bauordnung indes nicht (vgl. zur bundesrechtlichen Sichtweise demgegenüber BVerwG, Urt. v. 11.5.1989 - 4 C 1.88 -, BVerwGE 82, 61 = BRS 49 Nr. 184 = juris Rn. 33). Wenn es an den Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung mit der damit nach den gesetzlichen Vorgaben verbundenen umfassenden Feststellungswirkung fehlt, kommt allenfalls die Erteilung einer Teilbaugenehmigung gemäß § 70 Abs. 3 NBauO in Betracht.

Ergänzend hat der Senat erwogen, ob die vorgenannte Nebenbestimmung - auch in der Zusammenschau mit dem unter Nr. 2 aufgeführten Hinweis und der mit einem Grüneintrag versehenen, mit dem Bauantrag vorgelegten „Erklärung zur Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur“ - als aufschiebende Bedingung gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V. mit § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG zu verstehen sein könnte, die die Wirksamkeit der Baugenehmigung erst mit der Erteilung der Standortbescheinigung eintreten ließe. Eine solche aufschiebende Bedingung war mit der vorgenannten Erklärung und dem darin enthaltenen Absatz, die Beigeladene bitte „um Aufnahme einer Auflage in die Baugenehmigung, wonach wir vor Baubeginn verpflichtet sind, dem Bauamt die gültige Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur vorzulegen“, zwar möglicherweise beantragt. Sie wäre - wie dies § 72 Abs. 1 Satz 3 BremBauO für das bremische Landesrecht ausdrücklich klarstellt - mit der Funktion der Baugenehmigung, wie sie ihr nach der Schlusspunkttheorie zukommt, auch vereinbar, weil sie die Bau- und Nutzungsfreigabe an das Vorliegen der erforderlichen weiteren Genehmigung bindet. Ein solches Verständnis überschritte in diesem Fall jedoch die Grenzen zulässiger Auslegung. Die Nebenbestimmung Nr. 1 ist ausdrücklich als Auflage (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG) gekennzeichnet; die Ausführungen unter Nr. 2 haben explizit nur hinweisenden Charakter. In der dem Bauantrag beigefügten „Erklärung zur Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur“ ist der vorzitierte, möglicherweise auf eine Bedingung abzielende Absatz per Grüneintrag gestrichen; handschriftlich wird auf die „Nebenbestimmung in der Baugenehmigung“ verwiesen. Schließlich gehen offenbar alle Beteiligten in diesem Verfahren übereinstimmend davon aus, dass die Baugenehmigung auch ohne das Vorliegen einer Standortbescheinigung wirksam und vollziehbar ist. Dies wäre aber nicht der Fall, wenn eine aufschiebende Bedingung vorläge, sodass der Senat eine Auslegung wählen würde, die kein Beteiligter offenbar auch nur erwogen hat.

3. Erweist sich die Baugenehmigung demzufolge als voraussichtlich rechtswidrig, fällt die im Verfahren nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung zugunsten der Antragsteller aus. Ihnen ist es nicht zuzumuten, die mit der erteilten Baugenehmigung verbundene Feststellungswirkung sowie die Baufreigabe bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren hinzunehmen. Daran ändert es nichts, dass eine Aufnahme des von ihnen in erster Linie beanstandeten Anlagenbetriebs erst bei Vorliegen der Standortbescheinigung und damit nach Prüfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen des § 2 26. BImSchV in Betracht kommt, gegen die Standortbescheinigung Rechtsschutz in Anspruch genommen werden kann und ein möglicher Verstoß gemäß § 15a BEMFV bußgeldbewehrt wäre. Denn die mit der Baugenehmigung verbundene Feststellung der Baurechtsmäßigkeit führt dazu, dass sich der Handlungsspielraum der Bauaufsichtsbehörde verengt und ihr ein Einschreiten gegen eine rechtswidrige Nutzung jedenfalls erschwert wäre, weil sie sich mit ihrer gegenteiligen Feststellung der Baurechtskonformität auseinanderzusetzen hätte. Diese Unsicherheit ist den Antragstellern angesichts der - bei unverändertem Sachstand - weit überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht zuzumuten, zumal kein legitimes Interesse zu erkennen ist, der Beigeladenen die Ausnutzung einer rechtswidrigen Baugenehmigung zu ermöglichen.

4. Nur ergänzend merkt der Senat an, dass die weiteren Einwände der Antragsteller voraussichtlich keinen Erfolg versprechen. Die Anwendung der BEMFV begegnet trotz der Aufhebung der Verordnungsermächtigung der § 12, § 16 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen vom 31. Januar 2001 (BGBl. I S. 170) keinen rechtlichen Bedenken (vgl. allgemein nur Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 80 Rn. 51 ff. <Stand der Bearbeitung: Dezember 2013> m.w.N. insbesondere zur Rechtsprechung des BVerfG). Mobilfunkmasten sind zudem bei Einhaltung der Anforderungen des § 2 26. BImSchV in einem Mischgebiet gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO als sonstige Gewerbebetriebe allgemein zulässig.

Der Senat sieht in Übereinstimmung mit der wohl einhelligen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auch keinen Anlass, die Eignung der Grenzwerte der 26. BImSchV zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor den Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder in Frage zu stellen und einen über die einfachrechtlich festgelegten Anforderungen hinausgehenden Schutz zu verlangen. Ein solcher Anspruch der Antragsteller könnte allein aus der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgen, die dem Staat aufgibt, sich schützend und fördernd vor Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts ist allerdings Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er dem Grunde nach verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen. Eine Verletzung einer Schutzpflicht kommt nur in Betracht, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 24.3.2021 - 1 BvR 2656/18 u.a. -, NJW 2021, 1723 = juris Rn. 152 m.w.N.).

Eine solche Sachlage vermag der Senat nicht zu erkennen. Richtig ist zwar, dass die Grenzwerte der 26. BImSchV lediglich die thermischen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder, nicht aber deren nicht-thermische Wirkungen berücksichtigen. Die Bundesregierung beobachtet den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis indes fortlaufend, gelangt jedoch in ihrem Neunten Bericht über die Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen (Neunter Emissionsminderungsbericht, BT-Drs. 19/27327 v. 26.2.2021) unter Auseinandersetzung mit gegenläufigen Studien weiterhin zu dem Ergebnis, dass gesundheitlich bedeutsame nicht-thermische Wirkungen hochfrequente Felder nicht nachzuweisen sind. Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung keinen Anlass, die Schutzwirkung der bestehenden Grenzwerte in Zweifel zu ziehen (BT-Drs. 19/27327, S. 3). Zugleich beinhaltet die Mobilfunkstrategie der Bundesregierung eine kontinuierliche Forschungsförderung im Bereich der Begleitforschung, insbesondere zu Themen mit Bezug auf die elektromagnetischen Felder des Mobilfunks und die neuartigen 5G-Netze (BT-Drs. 19/27327, S. 14). Ein solcher Ansatz, der den gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zugrunde legt und zugleich im Sinne der Risikovorsorge darauf abzielt, dass Kenntnislücken geschlossen werden, ist geeignet, dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit in verfassungskonformer Weise Rechnung zu tragen. Der Ansatz wird nicht dadurch unvertretbar, dass auch seriöse wissenschaftliche Stimmen Anhaltspunkte für nicht-thermisch vermittelte Gesundheitsgefährdungen sehen und eine verstärkte Risikovorsorge fordern (vgl. die von den Antragstellern vorgelegte zusammenfassende Studie „Gesundheitliche Auswirkungen von 5G“ des Europäischen Parlamentarischen Forschungsdienstes, Juli 2021, derzufolge allerdings nicht die Sendeanlagen, sondern die individuellen Mobiltelefone die kritischste und demnach vorrangig zu betrachtende Strahlenquelle darstellen <S. VII und S. 176>). Die Entscheidung obliegt insofern dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber und - in den Grenzen des Art 80 GG - der Bundesregierung; es ist demgegenüber nicht Aufgabe der Gerichte, in einer Situation der Ungewissheit letztverbindlich über wissenschaftliche Streitfragen zu befinden.

Dass aus dem Klimaschutzgebot des Grundgesetzes weitergehende, zudem drittschützende Anforderungen an die Zulassung einzelner Mobilfunkmasten folgen könnten, liegt schon mit Blick auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers fern. Ebenso fern liegt die Annahme der Antragsteller, die Anlagenzulassung verstoße gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), weil Strahlung auch in ihr Wohnhaus gelange. Das Schutzgut dieses Grundrechts ist die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Dabei erschöpft sich der Grundrechtsschutz nicht in der Abwehr eines körperlichen Eindringens in die Wohnung. Als Eingriff in Art. 13 GG sind auch Maßnahmen anzusehen, durch die staatliche Stellen sich mit besonderen Hilfsmitteln einen Einblick in Vorgänge innerhalb der Wohnung verschaffen, die der natürlichen Wahrnehmung von außerhalb des geschützten Bereichs entzogen sind (BVerfG, Urt. v. 27.2.2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 -, BVerfGE 120, 274 = juris Rn. 192 m.w.N.). Die Schutzwirkung des Grundrechts beschränkt sich - wie auch die Schranken der Absätze 2 bis 7 zeigen - demzufolge auf den Schutz der Wohnung als Rückzugsraum vor staatlichen Zugriffen. Schutzwirkungen in Bezug auf von privaten Dritten ausgehende Immissionsbelastungen entfaltet das Grundrecht nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).