Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.01.2022, Az.: 1 ME 119/21

Bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Lagerung von Baumaterialien auf einem Grundstück durch Nutzungsuntersagung; Richten der Zulässigkeit einer Baustelleneinrichtung nach der Zulässigkeit des Bezugsvorhabens

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.01.2022
Aktenzeichen
1 ME 119/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 11021
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 23.07.2021

Fundstellen

  • BauR 2022, 635-636
  • DVBl 2022, 738-740
  • DÖV 2022, 385
  • IBR 2022, 207
  • NordÖR 2022, 207

Redaktioneller Leitsatz

Im Hinblick auf die Verfahrensfreiheit der Lagerung von Baumaterialien auf dem Vorhabengrundstück als Baustelleneinrichtung im Sinne der Nr. 11.15 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO dürfen die Anforderungen an den erforderlichen zeitlichen Zusammenhang nicht zu überspannt werden. Insoweit können Maßnahmen der Bauvorbereitung auch dann eine Baustelleneinrichtung darstellen, wenn der eigentliche Baubeginn noch nicht unmittelbar bevorsteht, namentlich noch von Faktoren abhängt, die außerhalb des Einflussbereichs des Bauherrn liegen. Entscheidend ist, dass das Vorhaben, dem die Maßnahmen dienen, bereits - etwa durch einen Bauantrag oder eine Bauanzeige - konkretisiert ist, und der Bauherr vernünftige Gründe dafür anführen kann, die Baustelleneinrichtung bereits zu diesem frühen Zeitpunkt vorzunehmen. Dass das Bezugsvorhaben bei Einrichtung der Baustelle noch nicht genehmigt war, ist unschädlich.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 23. Juli 2021 geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 15. Juni 2021 wird hinsichtlich der Nutzungsuntersagung und der Beseitigungsanordnung des Antragsgegners vom 7. Juni 2021 wiederhergestellt, hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.300 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Lagerung von Baumaterialien auf einem Grundstück, auf dem sie diese für ein bislang nicht genehmigtes Bauvorhaben verwenden möchte.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des seit 2008 unbebauten Grundstücks D. in A-Stadt. Das Grundstück liegt an der Nordwestecke eines Bebauungszusammenhangs, der - jedenfalls - 14 Wohnhäuser mit Nebengebäuden und zwei Gewerbebetriebe beidseits des E. und, südlich davon, östlich der D. umfasst; ob Bebauung entlang der in Verlängerung des E. nach Westen abgehenden Straße F. ebenfalls dem genannten Bebauungszusammenhang zuzurechnen ist, ist zwischen den Beteiligten umstritten.

Am 7. November 2019 stellte die Antragstellerin einen Bauantrag zur Errichtung einer Tierarztpraxis mit zwei Ferienwohnungen auf dem Baugrundstück. Nach Ablehnung des Antrags wegen einer - aus Sicht des Antragsgegners - Außenbereichslage des Grundstücks und erfolglosem Widerspruchsverfahren verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren im Wege der - am 9. Oktober 2020 erhobenen, noch beim Verwaltungsgericht anhängigen - Verpflichtungsklage weiter.

Am 25. Januar 2021 stellte der Antragsgegner fest, dass die Antragstellerin auf dem Vorhabengrundstück verschiedene Baumaterialien lagerte, und erließ unter dem 7. Juni 2021 die hier streitgegenständliche Verfügung, mit der er der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes die Nutzung des Grundstücks zu Lagerzwecken untersagte und die Entfernung der zu diesem Zeitpunkt gelagerten Baumaterialien aufgab.

Den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres fristgerecht erhobenen Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die ausreichend begründete Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der Grundverfügung sei auch in der Sache gerechtfertigt. Die Nutzungsuntersagung sei voraussichtlich rechtmäßig. Die untersagte Nutzung werde formell illegal ausgeübt, da sie das Grundstück zu einem Lagerplatz i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 NBauO (a.F., jetzt Nr. 2) mache, der genehmigungsbedürftig, aber nicht genehmigt sei. Die hierfür erforderliche Verfestigung der Nutzung liege angesichts der Dauer und des Umfangs der Nutzung vor. Der Lagerplatz sei nicht als Baustelleneinrichtung i.S.d. Nr. 11.15 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO verfahrensfrei; es fehle dafür an dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang mit einem Bauvorhaben. Für die geplante Errichtung einer Tierarztpraxis mit Ferienwohnungen existiere noch keine Baugenehmigung; ob diese erteilt werde, sei ungewiss. Eine Verfahrensfreiheit nach Nr. 14.4 des Anhangs (Lagerregale) bestehe ebenfalls nicht. Da auch keine offenkundige Genehmigungsfähigkeit bestehe, sei die Nutzungsuntersagung gerechtfertigt. Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Gegen baurechtswidrige Zustände sei regelmäßig einzuschreiten. Ausnahmegründe seien nicht erkennbar. Die Beseitigungsanordnung sei bei summarischer Prüfung gleichfalls rechtmäßig. Auch für diese sei die formelle Illegalität der Lagerung hinreichend, da die Beseitigung ohne Substanzeinbuße oder unverhältnismäßigen Kostenaufwand bewerkstelligt werden könne. Die Störerauswahl sei zutreffend erfolgt, das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung bestehe. Auch die Zwangsgeldandrohung sei rechtmäßig.

II.

Die dagegen gerichtete Beschwerde, auf deren fristgerecht dargelegte Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat Erfolg. Die Nutzungsuntersagung, die Beseitigungsanordnung und in ihrer Folge die Zwangsgeldandrohung sind voraussichtlich rechtswidrig, da die Nutzung des Vorhabengrundstücks zur Lagerung von Baumaterialien nicht dem öffentlichen Baurecht widerspricht.

1.

Der Senat geht zwar mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass das Abstellen der Baumaterialien auf dem Vorhabengrundstück dieses zu einem Lagerplatz i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 NBauO a.F. mit der Folge einer Anwendbarkeit dieses Gesetzes macht. Im Ansatz zwischen den Beteiligten unstreitig und auch richtig ist, dass nicht jedes Abstellen von Gegenständen auf einem Grundstück diese Rechtsfolge hat. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die Nutzung in zeitlicher Hinsicht so verfestigt, dass sie die Grundstückssituation prägt (BVerwG, Beschl. v. 29.6.1999 - 4 B 44.99 -, BRS 62 Nr. 116 = juris Rn. 7). Eine unabsehbare Dauer ist hingegen nicht erforderlich; wie auch sonst können auch befristet konzipierte Nutzungen baurechtliche Relevanz erlangen. Wann nach diesen Maßstäben die erforderliche Verfestigung erreicht ist, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht insoweit auch den räumlichen Umfang der Nutzung in den Blick genommen. Während das befristete Abstellen einzelner Gegenstände von überschaubarer Größe auch über verhältnismäßig lange Zeiträume einem Grundstück noch nicht das Gepräge eines Lagerplatzes gibt, ist bei größeren Materialmengen ein strengerer Maßstab anzulegen. Die nach den Lichtbildern in Beiakte 001 auf dem Grundstück abgestellten Baumaterialien sind bei einer Verweildauer von etlichen Monaten durchaus geeignet, die Grundstückssituation zu prägen.

2.

Der Antragstellerin ist allerdings darin zu folgen, dass diese Lagerstätte entgegen dem Verwaltungsgericht als Baustelleneinrichtung im Sinne der Nr. 11.15 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO verfahrensfrei ist. Baustelleneinrichtungen sind die räumlich, funktional und zeitlich einem bestimmten Bauvorhaben zugeordneten Anlagen und Maßnahmen (Burzynska/Tepperwien, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 60 Rn. 79; zum vergleichbaren schleswig-holsteinischen Landesrecht OVG SH, Beschl. v. 16.1.2018 - 1 MB 20/17 -, BRS 86 Nr. 92 = juris Rn. 7). Dass die Lagerung von Baumaterialien auf dem Vorhabengrundstück den erforderlichen räumlichen und funktionellen Zusammenhang mit dem geplanten Vorhaben der Errichtung einer Arztpraxis und von Ferienwohnungen aufweist, ist plausibel und wird von dem Antragsgegner auch nicht bestritten. Hinsichtlich des erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs sind die Anforderungen nicht zu überspannen (insoweit zumindest missverständlich Burzynska/Tepperwien, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 60 Rn. 79: Beschränkung "im Wesentlichen auf die Zeit der Bauausführung"). Mit zeitlichen Verzögerungen eines Baubeginns über Monate und manchmal sogar Jahre ist stets zu rechnen; zu Recht verweist die Antragstellerin in diesem Zusammenhang darauf, dass auch die NBauO dem Bauherrn in § 71 Abs. 1 eine Frist von drei Jahren für den Baubeginn einräumt. Vor diesem Hintergrund können Maßnahmen der Bauvorbereitung auch dann eine Baustelleneinrichtung darstellen, wenn der eigentliche Baubeginn noch nicht unmittelbar bevorsteht, namentlich noch von Faktoren abhängt, die außerhalb des Einflussbereichs des Bauherrn liegen. Entscheidend ist, dass das Vorhaben, dem die Maßnahmen dienen, bereits - etwa durch einen Bauantrag oder eine Bauanzeige - konkretisiert ist, und der Bauherr vernünftige Gründe dafür anführen kann, die Baustelleneinrichtung bereits zu diesem frühen Zeitpunkt vorzunehmen. Das hat die Antragstellerin hier mit dem Verweis auf die sich 2020 abzeichnende, inzwischen allgemein bemerkbare Baustoffknappheit und ihre - nicht ganz unrealistische (s.u.) - Erwartung, über das gerichtliche Verfahren in absehbarer Zeit eine Baugenehmigung zu erstreiten, getan. Dass das Bezugsvorhaben bei Einrichtung der Baustelle noch nicht genehmigt war, ist unschädlich (Kammeyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 4; für das vergleichbare bayerische Landesrecht BayVGH, Beschl. v. 18.8.2008 - 9 CE 08.625 -, juris Rn. 9 m.w.N.).

3.

Ist die Nutzung, die Gegenstand der Untersagungs- und Beseitigungsverfügung ist, mithin formell legal, so trägt die vom Antragsgegner angegebene Begründung, bereits die formelle Baurechtswidrigkeit rechtfertige die getroffenen Anordnungen, nicht. Vor dem Hintergrund, dass das in § 79 NBauO der Bauaufsichtsbehörde eingeräumte Ermessen zu einem Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände hin intendiert ist, es mithin unschädlich ist, wenn die Behörde die Begründung der Baurechtswidrigkeit anders gefasst hat, als es schließlich das Gericht tut (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschl. v. 9.3.2012 - 1 LA 140/09 -, juris Rn. 106 m.w.N.), hat der Senat erwogen, ob sich die angegriffene Verfügung nicht deshalb im Ergebnis als richtig erweist, weil die Nutzung materiell baurechtswidrig wäre. Das ist aber bei summarischer Prüfung der Sachlage nicht der Fall.

Bauplanungsrechtlich dürfte sich die Zulässigkeit einer Baustelleneinrichtung - wenn sie überhaupt nach § 29 Abs. 1 BauGB bodenrechtlich relevant ist - richten. Diese dürfte zu bejahen sein. Bei summarischer Prüfung geht der Senat davon aus, dass das Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt. Dass das Vorhabengrundstück einem - jedenfalls den unter I. skizzierten Bereich erfassenden - Bebauungszusammenhang angehört, ist zwischen den Beteiligten nicht strittig. Der Senat neigt nach Aktenlage abweichend vom Antragsgegner deutlich der Ansicht zu, dass diesem Bereich, unabhängig von der Frage, ob weitere, teils in der Nachbargemeinde G. gelegene (dazu BVerwG, Urt. v. 26.5.1967 - IV C 25.66 -, BVerwGE 27, 137 = juris Rn. 9) Bebauung jenseits der D. in die Betrachtung einzubeziehen ist, auch Ortsteilseigenschaft, namentlich das hierfür erforderliche städtebauliche Gewicht zukommt. Im Ansatz kann dieses Gewicht schon Ansammlungen von fünf bis sechs Häusern zukommen (VGH BW, Urt. v. 18.1.2011 - 8 S 600/09 -, BRS 78 Nr. 100 = juris Rn. 28 m.w.N.), auch wenn das eher die Ausnahme sein wird. Über dieses Minimum geht der Umfang des in Rede stehenden Bebauungszusammenhangs deutlich hinaus. Maßgeblich ist angesichts dessen die konkrete Siedlungsstruktur der Gemeinde A-Stadt. Mit Blick auf diese ist zwar dem Antragsgegner zuzugeben, dass das Siedlungsgeschehen in A-Stadt einen klaren Schwerpunkt im Kernort beidseits der H. aufweist, dessen zwei bis drei zusammenhängend bebaute Teilbereiche die hier in Rede stehende Siedlung deutlich an Größe übertreffen, während die Flächen außerhalb desselben im Wesentlichen von Einzelgebäuden bzw. -gehöften und Siedlungssplittern aus einer Handvoll von Gebäuden geprägt werden. Von dieser Streubebauung hebt sich jedoch die hier in Rede stehende Gebäudeagglomeration ebenso wie die etwas östlich gelegene Bebauung "I." deutlich ab. Beide erscheinen jedenfalls nach Kartenlage nicht lediglich als oberes Ende eines Spektrums unterschiedlich großer Siedlungssplitter im Umfeld des Kernorts, sondern als zwei eigenständige, wenn auch deutlich kleinere, Siedlungsschwerpunkte im dünn bevölkerten Westen des langgestreckten, mithin nicht ausschließlich vom Kernort geprägten und am Kernort zu messenden Gemeindegebiets.

Weitere bauplanungsrechtliche oder bauordnungsrechtliche Anforderungen, die das Vorhaben nicht erfüllen könnte, sind nicht ersichtlich.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).