Landgericht Hannover
Urt. v. 17.10.2007, Az.: 6 S 43/07
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 17.10.2007
- Aktenzeichen
- 6 S 43/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 60624
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2007:1017.6S43.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 15.05.2007 - AZ: 544 C 16386/06
- nachfolgend
- BGH - 19.11.2008 - AZ: IV ZR 305/07
In dem Rechtsstreit
...
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 26.09.2007 durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht ...,
die Richterin am Landgericht ... und ...
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
- 4.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger ist bei der Beklagte rechtsschutzversichert und macht mit der Klage außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit geltend.
Der Kläger ist Arbeitnehmer der Firma in Dortmund; es besteht ein unbefristeter Arbeitsvertrag. Im Februar 2006 wurde dem Kläger von seinem Vorgesetzten mitgeteilt, dass aufgrund einer Entscheidung der Zentrale deutschlandweit 1 500 Arbeitsplätze gestrichen und am Standort Dortmund des Unternehmens ca. 30 Arbeitsplätze entfallen würden. Ihm wurde angedroht dass er mit einer unverzüglichen Kündigung zu rechnen habe, wenn er nicht einen Aufhebungsvertrag unterzeichne. Dieser Aufhebungsvertrag bedeute eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Fa.. Stattdessen würde der Kläger auf 9 Monate befristet in einer Transfergesellschaft arbeiten. Sollte es zu einer Kündigung kommen, werde es für den Kläger keine Abfindung geben. Die Kündigungsgründe, die Sozialauswahl und die ihr zugrunde liegenden Erwägungen wurden dem Kläger trotz Nachfrage nicht mitgeteilt. Mit anwaltlichen Schreiben vom 02.02.2006 rügte der Kläger das Verhalten seiner Arbeitgeberin dieser gegenüber mit der Begründung, die ihm gegenüber angedrohte Kündigung sei unrechtmäßig, da eine Sozialauswahl nicht hinreichend getroffen worden sei. Da die Firma auf dieses Schreiben nicht reagierte, teilte der Kläger dieser mit anwaltlichen Schreiben vom 20.02.2006 mit, dass er ohne ausreichende Begründung der angedrohten Kündigung nicht über die Annahme des Aufhebungsvertrages entscheiden könne.
Mit Schreiben vom 02.02.2006 bat der Kläger die Beklagte um Deckungsschutz für diese Arbeitrechtssache. Mit Schreiben vom 15.02.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Deckungsschutz mit der Begründung ab, es liege kein Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften vor. Mit Schreiben vom 26.04.2006 forderte der Kläger die Beklagte erneut auf, Deckungsschutz zu gewähren, was die Beklagte wiederum erneut mit Schreiben vom 12.05.2006 ablehnte.
Der Kläger ist der Auffassung gewesen, die Androhung der betriebsbedingten Kündigung begründe einen Versicherungsfall, weil die Arbeitgeberin dem Kläger Auskünfte über die Sozialauswahl verweigert habe, mit denen er die Hintergründe hätte überprüfen können, und ihm daher keine andere Wahl geblieben sei, als einen Rechtsanwalt einzuschalten.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 816,41 € an ihn zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten ist der Meinung gewesen, für das Inaussichtstellen einer Kündigung bestehe kein Versicherungsschutz, da ein Versicherungsfall nur bei einem konkreten Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften vorliege.
Mit Urteil vom 15.05.2007, der Beklagten zugestellt am 22.05.2007, hat das Amtsgericht Hannover die Beklagte antragsgemäß verurteilt und dies folgendermaßen begründet: Der Eintritt des Versicherungsfalles durch einen Rechtsverstoß bedürft nicht erst des Ausspruchs einer Kündigung. Für den einen Rechtsschutzfall auslösenden Verstoß nach § 14 Abs. 3 ARB genüge vielmehr jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang, der den Keim eines Rechtskonflikts in sich trage. Bereits die Androhung der Kündigung in Zusammenhang mit dem Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages könne einen Rechtsschutzfall begründen, wenn die angedrohte Kündigung rechtswidrig gewesen sei oder jedenfalls einen möglichen Rechtsverstoß des Arbeitgebers beinhalte, dadurch mit dem Angebot des Aufhebungsvertrages gleichzeitig möglicherweise rechtswidrige Nachteile in Aussicht gestellt würden und ein Rechtsstreit bereits absehbar gewesen sei. Durch die fehlende Begründung der Sozialauswahl, deren Fehlen eine etwaige Kündigung rechtswidrig hätte machen können, sei der Kläger bereits bei Androhung der Kündigung und dem Angebot zum Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht in der Lage gewesen zu prüfen, ob der Aufhebungsvertrag für ihn gleichzeitig rechtswidrige Nachteile beinhalte, so dass bei dieser Sachlage der Rechtsstreit im Falle einer Kündigung "vorprogrammiert" gewesen sei.
Mit Schriftsatz vom 07.06.2007, eingegangen bei Gericht am 11.06.2007, hat die Beklagte gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover Berufung eingelegt. Die Beklagte wiederholt und vertieft ihren Vortrag erster Instanz, wobei sie geltend macht, der Arbeitnehmer müsse ernsthaft behaupten, dass der Arbeitgeber mit der Kündigung gegen Rechtsvorschriften verstoße und aufzeigen, worin die Rechtswidrigkeit begründet sein solle. Der Kläger habe vorliegend aber keinen Tatsachenkern vorgetragen, der den Rückschluss auf einen (bevorstehenden) Rechtsverstoß des Arbeitgebers zulasse.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er meint, entscheiden sei, dass die Androhung der Kündigung als Druckmittel ihm gegenüber eingesetzt worden sei und wiederholt darüber hinaus seinen Vortrag erster Instanz.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und das amtsgerichtliche Urteil verwiesen.
II.
Die Berufung ist zurückzuweisen, weil das Amtsgericht der Klage zu Recht stattgegeben hat. Der Versicherungsfall ist vorliegend eingetreten, so dass die Beklagte dem Kläger die geltend gemachten Kosten zu ersetzen hat.
Gem. § 14 Abs. 3 S. 1 ARB gilt der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Für den den Rechtsschutzfall auslösenden Verstoß nach § 14 Abs. 3 ARB genügt dabei jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang, der den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt. Der Rechtsstreit ist dann jedenfalls latent vorhanden und damit gewissermaßen bereits "vorprogrammiert" ( BGH NJW-RR 2006, 37 [BGH 28.09.2005 - IV ZR 106/04]).
Dies ist bei der Androhung einer betriebsbedingten Kündigung - wie sie hier erfolgt ist - der Fall, weil der Arbeitgeber damit zum Ausdruck bringt, dass er an den durch den
Vertrag begründeten Leistungspflichten, nämlich dem Versicherungsnehmer im Rahmen der Beschäftigungspflicht Arbeit bereit zu stellen, nicht mehr festhält (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht, NJW 2006, 3739). Nicht erheblich ist insoweit entgegen der Ansicht der Beklagten, ob die in Aussicht gestellte Kündigung rechtmäßig wäre, da der den Versicherungsfall begründende Verstoß bereits in der Verweigerung der Leistungspflicht durch den Arbeitgeber liegt. Schon mit der Erklärung, an dem Vertragsverhältnis unter keinen Umständen mehr festhalten zu wollen, ist die Rechtsschutz auslösende Pflichtverletzung begangen und beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr zu verwirklichen. Die spätere Kündigung bzw. ein sich hieran anschließender Rechtsstreit ist danach kein noch versicherbares ungewisses Risiko mehr (vgl. BGH a.a.O.). Denn für den betroffenen Versicherungsnehmer hat sich eine Beeinträchtigung seiner Rechtsposition bereits mit der Androhung der Kündigung verwirklicht. Eine danach erfolgende konkrete Vertragsbeendigung stellt sich nur noch als formale Umsetzung einer bereits getroffenen Entscheidung dar (vgl. OLG Saarbrücken a.a.O. mit weiteren Nachweisen).
Wenn, wie vorliegend, der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zur Abwendung einer betriebsbedingten Kündigung einen Aufhebungsvertrag anbietet und dabei trotz Aufforderung die Sozialauswahl nicht darlegt, ist dies als weitere Pflichtverletzung zu werten. Denn damit erzwingt der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer eine Entscheidung über den Abschluss eines den Bestand seines Arbeitsverhältnisses betreffenden Vertrages, ohne ihn in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte Abwägung der damit verbundenen Chancen und Risiken insbesondere im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der angedrohten Kündigung vorzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen.