Landgericht Hannover
Beschl. v. 17.10.2007, Az.: 54 T 38/07

Verwertbarkeit eines Anspruchs durch den Gläubiger eines Pflichtteilsberechtigten vor Eintritt der Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO); Zugriffsrecht der Gläubiger auf den Pflichtteilsanspruch bei einem Verzicht des Pflichtteilsberechtigten auf die Geltendmachung des Anspruchs

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
17.10.2007
Aktenzeichen
54 T 38/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 50628
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2007:1017.54T38.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 28.02.2007 - AZ: 661 XVII B 3478

Fundstelle

  • FamRZ 2008, 817-818 (Volltext mit red. LS)

In der Betreuungssache
...
hat die 54. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
am 17.10.2007
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Marahrens,
die Richterin am Landgericht Immen und
die Richterin am Amtsgericht Bürgel
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Betreuers vom 19.03.2007 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hannover - Az.: 661 XVII B 3478 - vom 28.02.2007 aufgehoben.

Zugunsten des Betreuers wird für seine Tätigkeit

  • in der Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2005 eine Vergütung in Höhe von

    1.578,80 EUR,

  • in der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 30.09.2005 eine Vergütung in Höhe von

    413,60 EUR,

  • in der Zeit vom 01.10.2005 bis zum 04.12.2005 eine Vergütung in Höhe von

    1.243,35 EUR

gegen die Staatskasse festgesetzt.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei.

Die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse.

Der Beschwerdewert wird auf 3.235,75 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der ehemalige Betreuer hat mit Anträgen vom 16.10.2005, vom 28.09.2006 und vom 28.12.2006 beantragt, ihm für seine Tätigkeit in der Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2005 eine Vergütung in Höhe von 1.578,80 EUR, in der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 30.09.2005 eine Vergütung in Höhe von 413,60 EUR und in der Zeit vom 01.10.2005 bis zum 04.12.2005 eine Vergütung in Höhe von 1.243,35 EUR aus der Staatskasse zu bewilligen.

2

Durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 28.02.2007 sind die Vergütungsanträge zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, es sei keine Mittellosigkeit des früheren Betreuten anzunehmen, weil diese an einem Erbfall beteiligt sei und ihm ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 27.000 EUR zustehe, den zu zahlen die Erbin auch bereit sei. Die Erklärung des früheren Betreuten, auf den Pflichtteil zu verzichten, sei nicht wirksam, weil der frühere Betreute infolge seiner psychotischen Erkrankung deutlichen Einschränkungen seines Urteilsvermögens unterliege und in seiner freien Willensbildung eingeschränkt sei. Eine Festsetzung der Vergütung gegen die Landeskasse komme zudem wegen der Mutwilligkeit nicht in Betracht. Der Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch sei in der erkennbaren Absicht erfolgt, die Allgemeinheit zu schädigen und die Finanzierung auf den Justizfiskus abzuwälzen, so dass der Betroffene sein Schutzbedürfnis verliere, er als bemittelt behandelt werden müsse und demzufolge der frühere Betreuer seine Vergütung nur gegen den Betreuten selbst geltend machen könne.

3

Gegen den am 05.03.2007 zugestellten Beschluss hat der frühere Betreute am 07.03.2007 sofortige Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, es sei allein Sache des Betroffenen zu entscheiden, ob er auf seinen Pflichtteil verzichten wolle oder nicht. Die von ihm für den Verzicht auf den Pflichtteil dargelegten Motive seien zu respektieren. Es sei zudem zu beachten, dass der Pflichtteilsanspruch zwar pfändbar, aber eine Verwertung ausgeschlossen sei, solange die Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen.

4

Die Verfahrenspflegerin vertritt die Auffassung, der Betroffene habe wirksam auf seinen Pflichtteil verzichtet und sei als mittellos anzusehen.

5

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt und hat auch in der Sache Erfolg.

6

Dem früheren Betreuer steht für seine Tätigkeit in dem Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 04.12.2005 die beantragte Vergütung in Höhe von insgesamt 3.235,75 EUR gegen die Staatskasse zu. Abzustellen ist auf die finanziellen Verhältnisse des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Vergütungsantrag. Der frühere Betreuer hat eine Vergütung aus der Staatskasse zu erhalten, weil er seine Vergütung nicht aus dem Einkommen oder dem Vermögen des Betroffenen erlangen kann. Der Betroffene ist nämlich derzeit als mittellos im Sinne der §§ 1835 c, 1836 d BGB anzusehen. Dabei kann es vorliegend dahinstehen, ob der von dem Betroffenen erklärte Verzicht auf den ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch wirksam ist oder nicht. Entscheidend ist allein, dass der Betroffene einen Verzicht auf seinen Pflichtteil erklärt hat und eine Auszahlung des auf ihn entfallenden Pflichtteils bisher nicht erfolgt ist. Der Betroffene verfügt derzeit nicht über Geldvermögen, sondern allenfalls über einen Anspruch auf den Pflichtteil. Für den Betreuer, der vom Gericht bestellt worden ist, ist es angesichts der vorgenannten Umstände nicht möglich, direkt auf Einkommen oder Vermögen des Betroffenen zuzugreifen, um seine Vergütungsansprüche durchzusetzen. Er könnte zwar den Pflichtteilsanspruch pfänden, ausgeschlossen ist jedoch (noch) seine Verwertung. Ein Gläubiger eines Pflichtteilsberechtigten kann nämlich den Anspruch nicht vor Eintritt der Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO zu seiner Befriedigung verwerten. Grundsätzlich ist es allein der freien Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten überlassen, ob er seinen Anspruch geltend macht oder ob er darauf verzichten will. Eine Ausnahme gilt insoweit nur für den Fall der Anspruchsüberleitung auf Sozialhilfeträger. Entscheidet sich der Pflichtteilsberechtigte dagegen, seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, können seine Gläubiger darauf auch nicht zugreifen (vgl. Palandt-Edenhofer, § 2317 Rdnr. 4 u. 8 m.w.N.).

7

Da die Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen, erscheint es fraglich, ob (und ggf. wann) der frühere Betreuer seine Vergütungsansprüche gegenüber dem Betroffenen durchsetzen kann.

8

Die Frage, ob der Betroffene die Mittellosigkeit "mutwillig" herbeigeführt hat, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Das Gesetz stellt nämlich nicht auf die Gründe für die Mittellosigkeit ab, sondern allein darauf, ob Mittellosigkeit (zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Vergütungsanträge) vorliegt oder nicht.

9

Die Vergütungsanträge sind der Höhe nach nicht zu beanstanden. Entgegen der vom Bezirksrevisor vertretenen Rechtsansicht ist auch der Zeitaufwand für die Teilnahme des früheren Betreuers an der Verhandlung vor der Strafkammer am 07.03.2005 zu vergüten. Der frühere Betreuer war in dem Verfahren nicht als Zeuge geladen worden, so dass auch kein Anspruch auf Zahlung einer Zeugenentschädigung bestand. Vielmehr hatte - wie der frühere Betreuer in seinem Schreiben vom 24.11.2005 dargelegt hat - der Vorsitzende der Strafkammer anlässlich eines vor dem Verhandlungstermin geführten Telefonates geäußert, dass es wünschenswert wäre, wenn der Betreuer bei dem Termin anwesend wäre. Eine Teilnahme an der Verhandlung war für den Betreuer im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Betreuung im Rahmen des Aufgabengebietes Gesundheitssorge auch sachdienlich und erforderlich.

10

Ob und inwieweit die Staatskasse aus den in § 1836 e BGB normierten Forderungsübergang Zugriff auf den Pflichtteil des Betroffenen nehmen kann und will, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, so dass darüber nicht zu entscheiden war.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 KostO, die Entscheidung über die außergerichtlichen Auslagen auf § 13 a FGG.

Marahrens
Immen
Bürgel